Die gute Nachricht zuerst:

Die QAnon-Watchseite Adornochrom ist wieder da (mit neuem Titelbild), nachdem Facebook es einmal mehr fertiggebracht hatte, neben einigen Schwurbel-Seiten auch die Aufklärung darüber zu löschen:

Gerade in den letzten Tagen ist einiges über QAnon berichtet worden, zum Beispiel im Spiegel Nr. 39/2020.

Viel Neues erfährt man in der Titelgeschichte nicht, es ist das übliche feuilletonistisch-überbordende Zusammenspiel vieler Informationssplitter zu einem Surrogat für Fachliteratur.

Das Wichtigste daraus:

• Was ist QAnon?

Anhänger dieser rechten Verschwörungsideologie sind davon überzeugt, dass eine einflussreiche Gruppe satanistischer Kinderschänder Jungen und Mädchen entführt und gefangen hält, um aus ihrem Blut eine Droge zu gewinnen. Sie glauben, dass das Coronavirus – womöglich mithilfe von Barack Obama – in einem chinesischen Labor entwickelt wurde, um Donald Trump zu schaden und seine Wiederwahl zu verhindern; auch das ist so absurd wie falsch.

Und sie halten Donald Trump für einen Helden, der gegen den »deep state« kämpft und die Welt vor einer bestialischen Clique beschützen will.

QAnon mische zwei große Verschwörungstheorien miteinander, sagt der Autor und Verschwörungsforscher Timothy Melley von der Miami UniversityMelley: den Glauben, dass die Illuminaten oder jemand anderes die Welt beherrschten, und die Hypothese, dass ein »deep state« innerhalb des Staates existiere, der im Geheimen die Geschicke des Volkes lenke.

»Im Grunde sind Verschwörungstheorien ein Weg, Machtstrukturen auf eine Weise zu erklären, die beruhigend ist. Komplexe soziale Vorgänge werden auf ein Komplott reduziert.«

• Was ist die Faszination dieses neuen Verschwörungsmythos?

Am 28. Oktober 2017 veröffentlichte ein anonymer Nutzer auf 4chan die Nachricht »Hillary Clinton wird am Montag, dem 30. Oktober 2017, zwischen 7.45 Uhr und 8.30 Uhr festgenommen.« Spätere Einträge signierte der Autor mit dem Buchstaben Q. Es war der Urknall einer Bewegung, entstanden aus einer falschen Vorhersage. Clinton wurde weder am 30. Oktober noch danach verhaftet. Aber die Neugier der Nutzer war geweckt.

Die Elemente der QAnon-Bewegung seien vielen Amerikanern vertraut, sagt der Autor und Verschwörungsforscher Timothy Melley von der Miami University. »Es ist wie ein Detektivroman, bei dem man der Wahrheit immer näher kommt.«

Q postet seit dem Herbst 2017 zunehmend komplexere Einträge, die von den Anhängern »drops« genannt werden. In diesen Einträgen finden sich sogenannte »bread crumbs«, Brotkrumen, denen man folgen muss, um zum Ziel zu gelangen. Das man aber nie erreicht.

Die Krumen von Q sind ein Trick, der die wilde Geschichte von der Elitenverschwörung fast von allein wachsen lässt. Der Auftrag von Q an seine (oder ihre) Follower lautet: Recherchiere selbst, wenn du den Medien nicht vertraust. So werden aus Verschwörungstheoretikern plötzlich Forscher und Rechercheure.

Der Drang, an einer Enthüllung teilzuhaben, lasse sie weitermachen, sagt Melley, auch wenn sie nie etwas beweisen, sondern immer nur neue Krumen aufpicken. Es ist eine Mitmach-Ideologie, das macht sie so anziehend.

• Welche Gefahr geht von QAnon aus?

Es sind verstörend bekannte Motive, die die Anhänger von QAnon verbreiten: der Glaube an eine angebliche Verschwörung reicher Eliten, darunter viele jüdische Unternehmer, gegen den Rest der Welt; eine vermeintliche Clique korrupter linker Politiker, die Demokratien unterwandern; Journalisten, die Propaganda verbreiten und sich damit zu Komplizen der Mächtigen machen.

Es sind jahrhundertealte Fiktionen vom rechten, antisemitischen Rand, die mit den Mitteln des 21. Jahrhunderts ins Netz und damit in die Weltöffentlichkeit gepusht werden. Eine Mischung aus Dreyfus-Affäre und Dan Brown […]

Geradezu verstörend ist, wie die Q-Bewegung an uralte antisemitische Verschwörungstheorien anknüpft, die schon vor Jahrhunderten die Vorstellung von Juden heraufbeschworen, die das Blut von Christen trinken und die Weltherrschaft anstreben. Gleichzeitig zeigt sich, wie enorm das Gewaltpotenzial ist.

Auch der Attentäter aus dem hessischen Hanau, der im Februar zehn Menschen und sich selbst erschoss, nahm Bezug auf Themen, die im QAnon-Kosmos zirkulieren. In einem YouTube-Video erzählte er davon, dass in den USA unterirdische Militäreinrichtungen existierten, in denen Kinder misshandelt und getötet würden. Dort würde dem Teufel gehuldigt.

»Es ist nicht übertrieben, QAnon als potenzielle Gefahr für die nationale Sicherheit einzuschätzen«, sagt die Extremismusforscherin Julia Ebner vom Londoner Institute for Strategic Dialogue, einem Thinktank. Ebner befasst sich seit Jahren mit Radikalisierung im Netz und sieht mit Sorge, wie die deutsche Q-Bewegung unabhängiger wird und inzwischen selbst versucht, neue Anhänger zu rekrutieren […]

Die Bewegung wirkt demokratiezersetzend, weil ihre Anhänger nicht mehr empfänglich sind für Argumente

• Wie ist die Situation in Deutschland?

Der größte deutschsprachige Telegram-Kanal der Bewegung hat mehr als 120 000 Abonnenten – eine erstaunlich hohe Zahl […]

Es ist eine beängstigende Mischung aus Wahn, Angst und Paranoia, die sich in der Q-Bewegung bündelt. Die Verfassungsschutzämter der Länder beobachten mit wachsender Sorge, wie Impfgegner, Nazis, Reichsbürger und Esoteriker in der Bewegung zueinanderfinden.

Auch Felix Klein, der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, ist alarmiert. Die QAnon-Bewegung zeichne sich durch ihre »Anschlussfähigkeit an verschiedenste Verästelungen von Verschwörungsmythen« aus. Antisemitismus wirke dabei »wie ein unheilvolles Bindemittel zwischen diesen Strömungen«.

Vielfach würden solche Mythen über Messengerdienste verbreitet, »die aus meiner Sicht die gleichen Auflagen bekommen sollten wie zum Beispiel Twitter oder Facebook«. Auch der Verfassungsschutz sollte die Bewegung laut Klein mehr als bisher in den Blick nehmen.

Was die Identität von „Q“ angeht, bleibt der Artikel hinter den aktuellen Erkenntnissen zurück:

Manche Anhänger sagen, es sei Trump, andere sagen, es sei Gott oder John F. Kennedy Jr, auch wenn Kennedy Jr seit 1999 tot ist. Schließlich sehe das Grab seines Vaters auf Luftaufnahmen mit einiger Fantasie so aus wie ein riesiges Q. Es könnte aber auch der Programmierer [Paul Furber] aus Südafrika sein oder der Trump-Fan [Coleman Rogers], die zusammen mit Tracy Diaz die Lawine lostraten.

Der Hauptverdächtige Jim Watkins wird gar nicht erwähnt, nur sein Sohn Ron Watkins am Rande als Administrator von 8kun befragt.

Andere Medien in Deutschland berichten derweil, dass QAnon die bekannte Strategie von Rechtsextremisten kapere, das Thema Kindesmissbrauch zu instrumentalisieren.

Anfang September hatte das Rolling Stone-Magazin über „The Birth of QAMoms“ geschrieben, womit die Mamablogger- und Mama-Insta-Szene gemeint ist, die zum Ziel des QAnons-Netzwerks „Befreit die Kinder“ geworden sei:

Das Problematische an dieser Entwicklung: Dadurch, dass nur die vermeintlich „vernünftigsten“ Teile der Verschwörungserzählung ausgewählt und präsentiert werden, bietet das „Rettet die Kinder“-Engagement der Mama-Influencerinnen einen zuckerwatteweichen Einstieg in die gesamte Verschwörungswelt von „Q“.

Der MDR meldete gestern, dass mehr als 70 erklärte QAnon-Anhänger im November für die Republikaner in den Kongress wollen.

Der neueste Q-Drop ist übrigens ungewöhnlich konkret:

Die Anhänger werden aufgefordert, sich zu „tarnen“ und das Label „QAnon“ in der Online-Kommunikation zu vermeiden.

Der Hintergrund ist offenbar die Enttarnung von Jason Gelinas als Operator des Portals qmap.pub (wir berichteten) sowie die Ankündigung von Twitter, Restriktionen gegen „QAnon-linked accounts“ erheblich auszuweiten.

Sollten die Tech-Konzerne wirklich ernst machen in Sachen QAnon, hoffen wir, dass Aufklärungsseiten und -videos diesmal stehenbleiben:

Zum Weiterlesen:

• QAnon und seine deutschen Anhänger: Der gefährlichste Kult unserer Zeit, Spiegel+ am 18. September 2020
• Podcast: Pädophile, Satanisten und der Deep State, Spiegel-Online am 19. September 2020
• Friends And Family Members Of QAnon Believers Are Going Through A “Surreal Goddamn Nightmare”, Buzz Feed News am 18. September 2020
• Verschwörungsmythen: QAnon auf dem Vormarsch, DW am 25. September 2020
• US-Wahl: Welchen Einfluss hat QAnon? Deutschlandfunk am 25. September 2020
• QAnon-Extremisten unterwandern den Kampf gegen Kindesmissbrauch, BR 24 am 24. September 2020
• QAnon-Anhänger kandidieren für US-Kongress, mdr am 27. September 2020
• QAnon: „Der bösartigste Verschwörungsglaube der Gegenwart“, GWUP-Blog am 25. Juli 2020
• Video: QAnon – Wie gefährlich kann eine Verschwörungstheorie werden? GWUP-Blog am 18. Juni 2020
• Xavier Naidoo und die satanische Adrenochrom-Verschwörung, GWUP-Blog am 7. April 2020
• Ist „QAnon“ identifiziert? (Er ist jedenfalls kein hochrangiges Mitglied der Trump-Regierung), GWUP-Blog am 13. September 2020