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Verschwörungstheorien: „Toxischer“ vs. gesunder Zweifel

| 10 Kommentare

Eigentlich erstaunlich:

Bei jedem neuen Beitrag zum Thema „Verschwörungstheorien“ wird im Kommentarbereich von hpd-online (und natürlich auch anderswo) der Verschwörungsglaube damit legitimiert, dass es schließlich doch auch wahre Verschwörungen gebe:

Und was ist mit der Brutkastenlüge, den angeblichen Massenvernichtungswaffen Saddams oder der angeblichen Wahlbeeinflussung der Russen bei der Wahl von Trump? Woran erkennt man solche Verschwörungstheorien, die uns die Qualitätsmedien auftischen?

Was soll damit sein?

All das waren echte Verschwörungen (mitnichten aber „Verschwörungstheorien“, weil es vor deren Aufdeckung gar keine „Theorie“ darüber gab), die schließlich ans Licht kamen. Allerdings hatten Verschwörungstheoretiker mit der Entlarvung dieser Propagandalügen und Konspirationen nicht das Geringste zu tun.

Sondern das blieb Personen vorbehalten, die Verschwörungstheoretikern etwas Entscheidendes voraus haben: nämlich eine skeptisch-analytische Methode und eine begründete Argumentation, die auf wesentlich mehr aufgebaut ist als allein auf dem Zweifel um seiner selbst willen.

Die „Brutkastenlüge“ zum Beispiel wurde von einem angesehenen US-Journalisten in der New York Times aufgedeckt. Vor der Mär von Saddams Massenvernichtungswaffen, die ein irakischer Informant zum Besten gab, hatte der deutsche Bundesnachrichtendienst die amerikanischen Kollegen mehrfach gewarnt. Und über die Störung des Präsidentschaftswahlkampfes in den USA 2016 stand erstmals etwas in der Zeitschrift New Yorker zu lesen – nicht aber in irgendwelchen Online-Foren von vorgeblichen „Wahrheitssuchern“ am heimischen PC.

Ganz ähnlich verhält es sich damit:

Tatsächlich? Schon seit den 1980er-Jahren berichtete der renommierte Journalist James Bamford in Büchern und Artikeln immer wieder über den NSA. Noch 2012 – ein Jahr vor Snowdens Enthüllungen – schrieb er im Magazin Wired:

The NSA has become the largest, most covert, and potentially most intrusive intelligence agency ever. Its purpose: to intercept, decipher, analyze, and store vast swaths of the world’s communications as they zap down from satellites and zip through the underground and undersea cables of international, foreign, and domestic networks.

Und kaum jemand von annehmbarer Dignität hat Bamford als „Spinner“ abgetan.

Es gibt also eindeutige Unterschiede sowohl zwischen sinnfreien Verschwörungstheorien und begründetem Zweifel als auch zwischen Verschwörungstheoretikern und echten Aufklärern.

So referiert hpd-online zum Beispiel das, was Holm Hümmler in seinem neuen Buch rät – nämlich die richtigen Fragen zu stellen:

In einem Deutschlandfunk-Interview sagte Hümmler heute:

Den Mächtigen zu mißtrauen, sei nicht per se schlecht, so Hümmler, das habe unseren Vorfahren das Überleben gesichert. Heute würden allerdings häufig immer nur die Quellen bemüht, die die ohnehin vorgefasste Meinung bedienten. „Verschwörungstheoretiker haben keine Kriterien, nach denen sie objektiv prüfen würden.“

Ähnlich äußern sich die Psychologen Pia Lamberty und Jonas Rees in der neuen „Mitte-Studie“ (Seite 222), die man noch für kurze Zeit hier downloaden kann:

Es scheint dabei eine interessante Beobachtung, dass Anhänger_innen von Verschwörungstheorien zwar oft kritisch mit der „offiziellen“ Version der Wahrheit sind, aber selten mit der „alternativen“.

Eine gesunde Skepsis gegenüber Autoritäten und Institutionen – auch das hat sich etwa im Zuge des massiven Behördenversagens rund um die NSU-Morde oder des durch Edward Snowden aufgedeckten Überwachungsskandals immer wieder gezeigt – ist für eine funktionierende Demokratie nicht nur angebracht, sondern notwendig. Wenn eine solche Skepsis jedoch in generelles und grundsätzliches Misstrauen kippt, dann wird Verschwörungsmentalitat zur Belastung im alltaglichen Miteinander.

Wann kippt also begründete, gesunde Skepsis in pauschales und destruktives Misstrauen? Eine Daumenregel mag sein, dass Erstere faktenbasiert und demokratisch bleibt, wahrend Letzteres oft auf zynische Art stigmatisiert und unter Umstanden sogar verbale oder körperliche Gewalt legitimiert.

Auch in dem neuen Blog Neulandrebellen wird diese Frage diskutiert – an einem aktuellen Beispiel:

Notre-Dame hat einmal mehr gezeigt, dass dem Zweifel nicht weitere Zweifel folgen, nicht etwa unbequeme Fragen, sondern Unterstellungen und (noch viel häufiger) Behauptungen, die als wahr angepriesen werden. Damit sind jene, die so vorgehen, keine Zweifler, sondern Behaupter.

Doch damit tut sich der Zweifler selbst keinen Gefallen.

Der „Job“ eines Zweiflers ist das Zweifeln, nicht das Behaupten, und schon gar nicht der Anspruch auf das Wissen der einzig wahren Wahrheit. Wer seriös zweifelt, greift ein Ereignis auf und hinterfragt es, vielleicht bietet er auch alternative Erklärungen an, jedoch ohne sie als in Stein gemeißelt anzupreisen. Er sieht sich also die offizielle Darstellung an und stellt dazu kritische Fragen.

Die gilt es zu beantworten, aber nicht durch den Zweifler, sondern durch die, denen die Fragen gestellt werden.

Notre-Dame hat aber gezeigt, dass eine Vielzahl der Zweifler die Antworten gleich mitgegeben hat. Das ist genau genommen nichts anderes als Aussage gegen Aussage. In dem Moment, da eine Aussage gegenüber der anderen für sich in Anspruch nimmt, die Wahrheit zu verkünden, ist aus Zweifel ruckzuck Gewissheit geworden.

Eine Gewissheit allerdings, die nicht belegt ist, sondern lediglich als folgerichtig interpretiert wird und die gegnerische Aussage der Lüge bezichtigt.

Genau das konnten wir auch in unserem Kommentarbereich dieser Tage beobachten.

Und schließlich steuert der Philosoph Jan Skudlarek in seinem neuen Buch „Wahrheit und Verschwörung“ einige Reflexionen dazu bei.

Er unterscheidet (Seite 146 ff.) „guten“ und „schlechten“ Zweifel anhand folgender Kriterien:

Der toxische Zweifel sei

  • antifaktisch
  • abstrakt
  • streng im Freund-Feind-Denken verankert
  • phantastisch
  • hyperintentionalistisch (alles ist ein großer Plan und wurde von langer Hand geplant)
  • zirkulär (kommt schon zu Beginn zum Schluss bzw. zur Konklusion: „Wir werden doch so oder so getäuscht, egal was ich sage!“)

Gesunder Zweifel dagegen sei

  • anlassbezogen und konkret
  • hat eine profaktische Grundhaltung (statt einer antifaktischen)
  • ist offen gegenüber neuen Gedanken und Sprechern
  • weiß um die Begrenztheit des eigenen Verstandes
  • respektiert Wahrheitssuche als Dialogforum

Eigentlich nicht so schwierig.

Zum Weiterlesen:

  • Jan Skudlarek: Wahrheit und Verschwörung. Reclam 2019, 208 Seiten, 18 €
  • Eine polemische Erörterung des Philosophen Jan Skudlarek: Zwischen Fake News und Verschwörungsvorstellungen, hpd am 24. April 2019
  • Philosoph Jan Skudlarek: „Populisten arbeiten daran, uns zu spalten“, Deutschlandfunk am 24. April 2019
  • Verschwörungsglaube hat Konjunktur! hpd am 29. April 2019
  • Warum wir gern an Mythen glauben, Deutschlandfunk am 29. April 2019
  • „Deutschlandfunk“ über Verschwörungstheorien, GWUP-News am 27. April 2019
  • Schlafschafe, Wahnwichtel und Wahrheitssucher, hpd am 3. Dezember 2018
  • Bernd Harder: Verschwörungstheorien. Alibri 2018, 168 Seiten, 10 €

10 Kommentare

  1. Dieser rechte Troll erklärt, wie er gegen „Linke“ hetzt & Diskussionen zerstört

    https://www.volksverpetzer.de/aktuelles/troll-strategie/

  2. Ich bin mit dem Artikel weitestgehend einverstanden, aber Neulandrebellen besonders Tom Wellbrock sind aber kein geeignetes Beispiel für den kritischen Umgang mit Verschwörungstheorien, da diese einen Großteil Ihrers Publikums kritiklos aus der Schwurblerszene rekrutieren.

  3. Nun ja, die Mitte-Studie ist nun wirklich nicht das beste Beispiel. Kurz vor Fake-News. Eher ein Beleg dafür, dass man keiner Statistik / Studie glauben sollte die man nicht selbst gefälscht hat.

  4. @Bernd:

    Die Studie und v.a. die Methodik sind in der Tat umstritten und werden dieser Tage ja auch allerorten kontrovers diskutiert.

    Unter dem Link „Deutschlandfunk über Verschwörungstheorien“ äußert sich auch Prof. Butter dazu.

    Aber bei dem Zitat hier geht es ja nicht um die Studie selbst, um die Zahlen und Folgerungen daraus – sondern um einen Begleittext zum Thema Verschwörungstheorien, der m.E. korrekt ist.

  5. @Mario:

    Danke, ich hatte ein paar Sachen gelesen und konnte mir (noch) kein richtiges Bild davon machen.

    Den VT-Artikel fand ich trotzdem ganz gut.

  6. @crazyfrog

    Si si… Belltower. Lese ich auch ziemlich gerne.

  7. Mit „Q“ erreichen die Verschwörungstheorien apokalyptische Ausmaße

    https://www.welt.de/kultur/article192718673/Apokalypse-now-Die-Q-Verschwoerungstheorie-in-den-USA.html

  8. @ Bernd Harder:

    Danke für den Link. Zwar müsste man sich die Mitte-Studie einmal genauer ansehen, damit man nicht wegen Schwächen in einzelnen Punkten die ganze Studie verwirft (das wäre nicht viel besser als von schlechten Studien darauf zu schließen, dass Wissenschaft insgesamt nichts taugt), aber Kritik daran kommt ja nicht nur aus dem politischen Raum, sondern auch aus der Extremismusforschung selbst.

    Und man muss aufpassen, dass man berechtigte Kritik nicht relativiert, nur weil das rechte politische Milieu gerade so leidenschaftlich auf der Studie herumhackt.

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