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Karl Lauterbach kritisiert die typischen Heilpraktiker-Märchen

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Schade eigentlich, dass das Spiegel-Interview mit dem SPD-Gesundheitspolitiker Prof. Karl Lauterbach (36/2016, S. 108) von den Agenturen nur bruchstückhaft wiedergegeben wurde.

Lauter

Denn das kurze Gespräch hat es in sich. Lauterbach erklärt:

Wir haben hier eine riesige Rechtslücke. Die über 40 000 Heilpraktiker in Deutschland dürfen alles einsetzen, was nicht nachgewiesenermaßen schädlich ist. Wir wissen nichts über das medizinische Wissen dieser Leute, nichts über ihre Methoden, nichts über die Komplikationen ihrer Therapien. Es ist alles eine riesige Blackbox.“

Und so geht es weiter:

Spiegel: Die nordrhein-westfälische Gesundheitsministerin Barbara Steffens von den Grünen unterstützt die Idee, dass Heilpraktiker in Zukunft ein Studium absolvieren sollen. Was halten Sie von dieser Idee?

Lauterbach: Nichts. Ich warne sogar vor der Pseudoaufwertung dieses Berufs. Warum sollte man ein Fach mit einem universitären Abschluss belohnen, dass sich nicht an die Regeln der Wissenschaft hält? Ich bin ja auch gegen einen Master in Astrologie oder Alchemie.“

Und den Heilpraktikerberuf einfach ganz verbieten?

Das wäre natürlich eine Möglichkeit. Ich glaube aber, dass das Verbot rechtlich schwer durchsetzbar wäre. Und man würde die Heilpraktiker zu Märtyrern machen, zu vermeintlichen Opfern der Pharmaindustrie.“

Was bleibt noch?

Ich bin dafür, dass jeder schwer kranke Patient, der sich von einem Heilpraktiker behandeln lassen will, zuvor von einem neutralen, schulmedizinischen Arzt beraten lassen muss. Dieser Arzt könnte nicht nur in Ruhe erklären, was die Schulmedizin zu bieten hat, sondern auch dem Patienten helfen, die typischen Märchen der Heilpraktiker zu durchschauen: das Märchen vom „Aushungern“ des Krebses, von Wunderheilungen und der bösen Pharmaindustrie.

Apple-Mitbegründer Steve Jobs würde vielleicht noch leben, wenn er bei seinem eigentlich gut behandelbaren Krebs nicht zunächst auf alternative Methoden gesetzt hätte.“

Zum Weiterlesen:

  • Immer mehr Experten kritisieren die Heilpraktiker-„Ausbildung“, GWUP-Blog am 8. September 2016
  • Homöopathie und Co.: Keine Evidenz. kein Geld, DocCheck am 13. September 2016
  • Forschung in der Homöopathie: Pseudowissenschaft für Pseudomedizin, Beweisaufnahme in Sachen Homöopathie am 13. September 2016
  • Steve Jobs und die Pseudomedizin, GWUP-Blog am 8. Oktober 2011
  • Steve Jobs und die Pseudomedizin Teil II, GWUP-Blog am 22. Oktober 2011
  • „Die Schulmedizin hat ihn aufgegeben“: Alternativmedizin als letzter Strohhalm? GWUP-Blog am 18. August 2016
  • Zehn Gründe, warum es keine „Krebs-Verschwörung“ gibt, GWUP-Blog am 8. Juli 2015
  • Tote nach Heilpraktiker-Therapie: Aufwachen! Zeit-Wissen am 31. August 2016
  • „Märchen von den Wunderheilungen“, Der Spiegel 36/2016

32 Kommentare

  1. Pseudo-Aufwertung, joppp
    Genau das ist es, am Ende soll wieder nur Etikettenschwindel heraus kommen
    Also HP-Branche live, alles beim alten
    Natürlich, an für die Homöodingens und (Un)Heilpraktikern geschaffenen Parallel-Studiengängen
    Zulassung: Kenntnisse der PLZ des Wohnortes und
    erfolgreich abgeschlossener VHS-Lehrgang für 3-Monate unfallfreies Essen
    1 Jahr intellektuelle Ferien und dann geadelt

    Darauf will Homöo-Babsi hinaus, warum zahlen wir ihr Gehalt nicht in Globuli oder diverse Essenzen
    Sie kann es durch schütteln und klopfen sogar noch aufwerten

    Also ich würde, aus reiner Bosheit, den Zwang zu einem echten akademischen Studium unterstützen
    Würde bedeuten, dass 98 % der Szene weg vom Fenster wären,
    wenn die schon über die Amtsarzt-Prüfung jammern
    Na ja, nach dem 5x würde ich auch jammern

    Die HP-Branche (Krumbiegel und Co) wehren sich ja gegen Verpflichtungen die mit all dem einhergehen würden
    Die Grauzone soll erhalten bleiben, nur offiziell legitimiert
    Gemütlich mit schwurbeln Geld verdienen, keinen Stress
    Zum Sterben entsorgen wir die Patienten dann wieder im Krankehnhaus
    Was für ein Eiertanz

  2. „Dieser Arzt könnte nicht nur in Ruhe erklären, was die Schulmedizin zu bieten hat, sondern auch dem Patienten helfen, die typischen Märchen der Heilpraktiker zu durchschauen“

    Womit wir wieder beim Ausgangsproblem wären: woher soll der Arzt die Zeit dafür nehmen?

  3. @noch’n Flo
    Ja, das ist ein guter Einwand!
    Soll ein Arzt sich um den Kranken kümmern, oder die Zeit „verschwenden“, den Kranken pseudowissenschaftliche Verfahren auszureden?…nein, diese Debatte sollte in der Mitte der Gesellschaft geführt werden, aber da ist leider schon die Pseudomedizin angekommen…und „Promis“ machen Werbung dafür.

  4. Der ist auch noch interessant

    3-Bromopyruvat: Immunität für Heilpraktiker?

    http://news.doccheck.com/de/145417/3-bromopyruvat-immunitaet-fuer-heilpraktiker/

  5. Ich finde fast, solch kritisches Denken sollte Schulfach oder wenigstens Schulsftoff werden.

  6. @Stefan

    Ich wäre auf jeden Fall für ein Fach „kritisches Denken“, das wurde uns nie beigebracht, das mussten wir uns auf der Straße und anderswo im Lauf des Lebens aneignen – ohne zu ahnen, ob das, was wir dort dann lernten, richtig oder falsch war.

    Und wenn ich heute die gewaltige Masse von Fans der sogenannten Alternativmedizin sehe, hat sich da seitdem wohl nichts geändert.

    Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass ein großer Teil des Lehrpersonals ebenso mit Schwurbelkram verseucht ist.

  7. Zumindest das Prinzip des kritischen Denkens sollte Bestandteil sein.
    Einen auf Themen bezogenen Lehrplan zu gestalten wäre schwierig.
    Was, wann, wo und wie kritisch betrachtet wird ist immer im Fluss.

    Da die Schulbildung Ländersache ist, würde kritisches Denken in Bayern anders gelehrt, als in Hedwig-Holzbein.
    Wobei…wenn ich es mir so richtig überlege, passiert auch,hmmm.

    Und vor 100 Jahren wurden andere Dinge kritisch betrachtet.
    Aber die Art der Auseinandersetzung, mit Betrachtung diverser Optionen und aus verschieden Blickwinkel, das sorgfältige Auseinandersetzen, die Fähigkeit Fehler einzugestehen,Positionen zu ändern, Diskurs mit anderen…
    Der sollte immer der gleiche sein.

    Das habe ich gestern bekommen:
    http://www.newyorker.com/humor/borowitz-report/scientists-earth-endangered-by-new-strain-of-fact-resistant-humans/amp
    Passt auch.

  8. Vielleicht spricht es sich ja doch irgendwann mal breiter herum mit dem Kritisch-Denken-Lernen in der Schule:

    https://schwarzerschmetterling.net/2016/03/30/denken-als-schulfach/#more-556

  9. @Lanzelot

    „Zumindest das Prinzip des kritischen Denkens sollte Bestandteil sein“

    Ich denke, es sollten mindestens die inzwischen gut bekannten „Denkfallen“, also die allfällig möglichen Fehlschlüsse und Täuschungen Thema sein, allerdings in Verbindung mit Grundzügen der Grundlage der Philosophie u/o Mathematik: Logik. Evtl auch Grundzüge der Wahrscheinlichkeits-Abschätzung.

    Leider wird es wieder mal mächtige Gegenspieler geben. Gläubige aller Art, Kirchen und Esoterik.

    Ein schwerer und undankbarer Job. Aber reizvoll.

  10. Mal ein paar Worte, hier bei der GWUP geht es immer nur um Heilpraktiker und Homöopathie, aber es gibt auch andere üble Esoterik wie Kinesiologie oder Osteopathie usw., leider schreibt die GWUP dazu sehr selten. Außerdem bieten mittlerweile viel Ärzte Esoterik an, auch diese ist hier selten Thema.

    Heilpraktiker haben doch längst ein „neues“ Heilverfahren entdeckt, was sie vermitteln: Die Ernährung!
    Was heute alles als „Gesund“ bezeichnet wird, egal ob Mangelernährung wie VEGAN, GLUTENFREI, LAKTOSE, Menschen essen pure Chemie! Und die GWUP schweigt dazu und Heilpraktiker freuen sich.

    Guter Artikel in der FAZ!

    Inge Klopfer und Bettina Weiguny
    „Als besonders gefährlich stufen Wissenschaftler und Ärzte den ganzen Hokuspokus ein, der ums vermeintlich gesunde Essen veranstaltet wird: vegane Kost, glutenfreies Essen, Laktoseintoleranz, Low-Carb-Ernährung – auf was Menschen alles kommen in ihrem Misstrauen gegen die traditionellen Lebensmittel. Statt Milch, Brot, Eier und Fleisch zu essen, greifen sie zu chemisch hergestellten Ersatzprodukten, in der Meinung, sich damit etwas Gutes zu tun. Den erhofften Nutzen zweifeln die Fachleute allerdings an – zumindest bei all denen, die nicht an einer Intoleranz oder Lebensmittelallergie leiden. Was kann an hochindustriell verarbeiteten Lebensmitteln gesund sein, die aus Farbstoffen, Emulgatoren, Säureregulatoren, Geschmacksverstärkern und Verdickungsmitteln zusammengepanscht werden? Chefarzt Imgart kann da nur den Kopf schütteln. „Das ist Chemie pur.“

    http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/magersucht-hungerwahn-wenn-junge-maedchen-nichts-mehr-essen-14431865.html

  11. Ich kann Ralf in Altersteilzeit nur voll zustimmen:Diese Pseudomedizin ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen ! Sie gehört dazu wie Bundesliga,VW ,ALDI ,ARD etc…Als ich 1990 Neubürger dieses Landes wurde, stellte ich erstaunt fest, dass im Rahmen meiner nun erweiterten Westverwandschaft solche Adressen von „Heilpraktikern“ gehandelt wurden wie wertvolle Briefmarken.Ein Widerspruch dazu war ein Sakrileg eines „Ossis“ dem es in seiner Unwissenheit nicht vergönnt war mit solchen Heilsbringern aufgewachsen zu sein.Kurz und gut, ich zitiere zum Schluss aus Goetehes „Faust“ : Du gleichst dem Geist,dem du begreifst…

  12. @Gast
    Das Thema „Alternative“ Heilsmedizin füllt im Psiram-Wiki ein paar hundert Seiten.

    Die GWUP müsste schon eine spezielle Seite nur für diesen ganz alltäglichen Wahnsinn aufmachen und selbst dann würde man binnen Tagen die kaputten Tischplatten nicht mehr zählen können.

    Ich frage ich nur, wie diese Leute überhaupt überleben können mit all den Genen, Giften, Allergien und ohne die tollen Pillen und Pulver die es praktischer Weise gleich beim Quack zu kaufen gibt.

  13. Tja wenn die GWUP doch nur größer und schlagkräftiger wäre… ich sehe es wie ihr, dass mangelnde intellektuelle Immunisierung in jungen Jahren ein wichtiger Nährboden für die Empfänglichkeit für diesen ganzen Esomist ist. Nicht mal an der Uni lernt man das Kritische Denken. Millionen Akademiker ohne jedes philosophische Grundwissen, ein Jammer.

    Die kleine gute Nachricht ist, dass sich Lauterbach überhaupt mal wieder meldet.

  14. Ich befürworte momentan übrigens eine Art praktizierenden Medizin-Bachelor, diese Abstufung gibt es in vielen anderen Berufen auch.

    Bedingung wäre, dass das Heilpraktikantenunwesen (gar keine Ausbildung) verboten wird, dass es wie in den Arztberufen theoretische und praktische Phasen und Prüfungen gibt und dass sie den Eid ablegen müssen. Dazu eine klarere Regulierung, was die dann dürfen und was nicht.

    Wir Deutschen gehen viel zu oft zum Arzt, und ich habe keine Ideen, wie man das je wieder zurückdrehen könnte. Es geht also nur darum, wie man die Systemüberlastung besser und hoffentlich billiger auffangen kann.

    Und es MUSS auch das Vergütungssystem in Richtung Sprechender Medizin verbessert werden. Die Mediziner hätten dann zumindest etwas mehr Zeit für ihre Patienten, wenn sie den vielen Trivialkram vom Hals hätten.

  15. @ 2xhinschauen:

    Ja, ja, der Lauterbach. Immer eine kesse Lippe, bis ihm mal einer die Suppe versalzt ;-)

  16. Das nächste alternative Todesopfer:

    << Chinese actress Xu Ting dies of cancer after opting for alternative medicine instead of chemotherapy << http://www.independent.co.uk/news/people/xu-ting-death-cancer-actor-chose-alternative-medicine-over-chemotherapy-a7310786.html

  17. @2xh
    Die Sprechende Medizin besser bezahlen – das fordere ich seit vielen Jahren. Intensivberatung für 100.-/45 Min. Das nähme viel Druck aus dem Kessel und würde mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die pathologisch erhöhte zum-Arzt-renn-Frequenz senken.

    Einige Kommentatoren fordern, sich an den Anwaltshonoraren zu orientieren: http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/max-planck-institut-chefarzt-fordert-7-5-fachen-gebuehrensatz-a-1112635.html#js-article-comments-box-pager

  18. @ Dr. Hans-Werner Bertelsen
    Da Sie meine Frage wohl übersehen haben

    https://blog.gwup.net/2012/09/04/wsc-video-dr-benedikt-matenaer-uber-akupunktur/comment-page-1/#comment-65659

    möchte ich Sie hier nochmal darauf ansprechen. Ich habe nichts dagegen, dass beratende Ärzte ein besseres Honorar erhalten. Bis auf eine Ausnahme: Zahnärzte.

    Bei Zahnärzten dürfte aus meiner Sicht eigentlich überhaupt kein Honorar für eine Beratung in Rechnung gesetzt werden. Denn Zahnärzte verdienen sehr gut und wenn sie irgendwelche Kronen usw. verkaufen, dann kann schnell das tausendfache der von Ihnen kritisierten 9.- Euro in Rechnung gestellt werden.

    Wenn ich meine Show oder ein Autohändler einen Wagen verkaufen möchte, dann ist unsere Beratung kostenlos. Denn wir möchten ja unser Produkt an den Mann bringen, wodurch wir Geld verdienen.

    Kürzlich las ich von einem Händler, der für das Betreten seines Geschäftes und Betrachten seiner Ware Geld verlangt:
    http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/findiger-einzelhaendler-bin-ich-hier-eigentlich-im-museum-1.2942879

    So sehr ich Verständnis für die Sorgen des Ladenbesitzers habe, kann ich dennoch nur den Kopf schütteln. SO wird er seinen Umsatz niemals steigern.

    Zurück zu den Zahnärzten:
    Wer 9.- Vergütung für ein kurzes Beratungsgespräch erhält, woraus sich für den Zahnarzt ein großes „Geschäft“ ergeben könnte (was fast immer der Fall ist), sollte nicht klagen, sondern dankbar dafür sein, dass diese 9.- Euro überhaupt gezahlt werden. So sehe ich das!

  19. @DrB
    Das Problem liegt ja auf der Hand (zuviele Arztbesuche und Fehlanreize im Vergütungssystem) aber niemand belegt das hier so drastisch mit Zahlen wie Sie. Und noch’n’Flo für die Schweiz, der dem Begriff „Alternativmedizin“ auf diese Weise einen ganz neuen Drall gibt.

    Nur fehlt es mir an Ideen, wie man den Komplex a. auf gesellschaftlicher Ebene b. erfolgversprechend angehen kann. Die Befürwortung eines staatl gepr Alltagsmediziners ist ja eigentlich eher eine defensive Maßnahme.

  20. @Pierre Castell

    Gute Frage.
    Weil sie uns auf den Hauptpunkt der Scharlatanerie-Anbieter fokussiert:

    Die wirtschaftliche Notwendigkeit

    Hausärzte sitzen mit ihrem Quartalsbudget von 35.-, also einem Jahresbudget von 140.-/Patient oftmals in einer Zwangslage. Eine Praxis kostet Miete, Heizung, Geräte. Die Personalkosten sind nicht zu unterschätzen. Das bedeutet: 1000 Patienten sind im Jahr behandelt worden ohne einen Überschuss erzielt zu haben. Das ist der Grund, wenn es um die Frage geht, warum Landärzte keinen Nachfolger finden.

    Das bedroht die Versorgung in der Breite.

    Zahnärzte haben – wenn sie nicht gerade Stümper sind (ich schätze den Anteil auf 10% – also ähnlich hoch, wie bei Gebrauchtwagenhändlern oder Zauberern), keine wirtschaftliche Notwendigkeit, Scharlatanerie anzubieten. Tun sie es doch, z.B. als Heilpraktiker-Zahnarzt, kann ich als Patient wegrennen. Und zwar so schnell ich kann.

    Zahnärzte haben ein höheres Quartalsbudget (ca. 75.-). Prothetische Leistungen sind nicht Bestandteil des Budgets. Das bedeutet: Kommt ein Patient 4 mal im Jahr, dann können ca. 300.- plus Leistungen aus dem prothetischen Bereich abgerechnet werden. Wird z.B. eine Krone angefertigt, so kommen 143,70 an Honorar dazu. Damit lässt sich wirtschaften auch ohne die zitierten Riesenbeträge. Die werden immer gerne zitiert – gerade hetzt die „HörZu“ gegen die Zahnärzte. Da werden implantatgestützte Kronen für 4000.- zitiert. Aber ohne die Frage zu stellen: Wer braucht denn das?

    Ich kann mich immer für eine günstige Variante entscheiden. Ich kann mich als Patient an die 2te-Zahnarztmeinung wenden – dann bekomme ich Top-Zahnärzte, die zu Top-Preisen hochwertigen Zahnersatz anbieten. Es langweilt mich sehr, wenn der Zahnarztberuf stets primär mit teuren Preisen in Verbindung gebracht wird. Wir haben sehr wichtige Funktionen z.B. in der Fokussuche. Transplantationsmedizin ist ohne zahnärztliches Konsil nicht möglich. Nach einer Transplantation wird die Immunabwehr medikamentös reduziert, um eine Abstoßung zu vermeiden.

    Sind dann latente Entzündungsherde im Körper (z.B. eine Zahnwurzel), kann sich eine Sepsis entwickeln. Dann gibt es noch Heimbetreuung – ich betreue z.B. ein Altenheim und ein Heim für Ex-Junkies. Damit erhalten viele Menschen wieder ein Stück Selbstachtung zurück, wenn sie merken, es kümmert sich jemand. Ab und zu entdecke ich dabei einen bösartigen Tumor (frühzeitig!!!). Täglich mache ich konsiliarische Untersuchungen für die HNO-Klinik – Tumorpatienten müssen frei von Entzündungsherden sein, wenn sie eine Strahlentherapie bekommen. Und noch viele andere Dinge: http://www.dr-bertelsen.de/documents/05-13_Kompakt_S_6_7.pdf

    Generell haben wir Ärzte eine wichtige soziale Funktion.
    Patienten sprechen sich aus, teilen sich uns mit. Ich habe sehr viele Patienten, die seit über 20 Jahren zu mir kommen. Ich unterhalte mich sehr gerne mit vielen von Ihnen – das entspannt auch mich.

    Sicher, wir können auch eine Staatsmedizin anstreben. Ohne freie Arztwahl. Als Patient gehe ich dann in das Zahnamt und ziehe mir eine Nummer (wie an der Fleischtheke). Der Doktor ist dann von 11.30 bis 16.00 „zu Tisch“. Ob wir dann eine bessere Medizin bekommen? Das wage ich zu bezweifeln.

    Zurück zur hausärztlichen Betreuung:
    Das Problem mit dem Budget ist aber etwas komplexer: Es ist der Grund dafür, dass Patienten mit psychischen Problemen schnell ein Rezept erhalten und dann z.B. SSRI rezeptiert bekommen. Das sind die „modernen Antidepressiva“. Leider lassen sich diese Mittel nicht wieder so leicht absetzen, weshalb man treue Kundschaft erhält. Der Vorsitzende der Arzneimittelkommission Prof. Müller-Oerlinghausen warnt eindringlich vor den Mitteln – der Germanwings-Pilot hatte diese ebenfalls erhalten: http://www.bruno-mueller-oerlinghausen.de/html/tv_beitrage.html

    Es ist erschreckend: Ich sehe in meiner Praxis immer mehr Dauerkonsumenten von SSRI – Lehrer und Lehrerinnen (so um die 35 Jahre) aber auch Angestellte, die sich dem Druck in der Arbeitswelt nicht gewachsen fühlen und die körperlichen Warnsignale – z.B. Depression – chemisch bekämpfen.

    Ich persönlich würde lieber Globuli lutschen, als SSRI zu schlucken.

    Ein Rezept ist aber schneller ausgestellt. Ein Gespräch über die Lebensführung kann ich nicht in zwei Minuten abhandeln.

    GEGEN Homöopathie zu kämpfen, ist richtig – macht aber Feinde.

    FÜR Sprechende Medizin zu kämpfen, ist richtig – macht Freunde.

    @2xh

    Oftmals hatte ich die „Intensivberatung“ ins Spiel gebracht – z.B. bei Tumordiagnos, Ernährungsproblematiken und Depressionen. Damit lässt man „Druck aus dem Kessel“ und könnte auch die überzogene Frequenz reduzieren. Die Patienten holen sich sowieso „ihre Zeit“. Sie kommen dann eben 15mal in die Praxis…

    Wir dürfen es nicht zulassen, dass Kinder von Heilpraktikern Diäten aufgeschwatzt bekommen, weil der Kinderarzt sich keine Zeit leisten kann.

    Es gilt, den Scharlatanerie-Sumpf auszutrocknen. Dazu brauchen wir keine medizinischen Parallelwelten („Alltagsmediziner“), sondern nur eine kluge Strukturänderung der ärztlichen Gebührenordnung.

  21. @ Bertelsen:

    „Leider lassen sich diese Mittel nicht wieder so leicht absetzen, weshalb man treue Kundschaft erhält.“

    Mit Verlaub, aber das ist Dummfug. Natürlich kann man SSRI recht unkompliziert absetzen – bei höheren Dosierungen halt nicht auf einen Schlag, sondern über 1-3 Wochen ausschleichen, aber das war’s auch schon. Habe ich schon oft mit Patienten gemacht, gab nie grössere Probleme.

    Und der Strohmann mit dem Piloten ist einfach nur platt. Bitte bleib doch bei der Zahnmedizin, da kennst Du Dich besser aus. Sobald Du in der Humanmedizin argumentierst, sträuben sich mir die Nackenhaare.

    Deine abenteuerliche Rechnung über das Einkommen von Homöo-Ärzten hast Du ja auch noch immer nicht plausibel erklären können.

    „Ich persönlich würde lieber Globuli lutschen, als SSRI zu schlucken.

    Ein Rezept ist aber schneller ausgestellt. Ein Gespräch über die Lebensführung kann ich nicht in zwei Minuten abhandeln. “

    Würde ich mit Dir auch nicht führen, sorry. Und es geht dabei beileibe nicht nur um Lebensführung. Ist Dir überhaupt bewusst, was es bedeutet, eine Depression zu haben?

  22. @ Dr. Hans-Werner Bertelsen

    Ich danke Ihnen für die ausführliche Antwort!
    Habe sie jetzt überflogen, werde sie mir aber am Abend aufmerksam durchlesen.

    Ihre Stümperschätzung von 10% mag in Ihrem Metier zutreffend sein, in meinem Fachgebiet sind leider mindestens 50% Stümper. Die „lieben Kollegen“ wissen nämlich nicht, worauf es bei Entertainment ankommt. Das erklärt, wieso manche Künstler in meinem Fach für eine 20-30 minütige professionelle Show 500.-, andere Kollegen (mit den gleichen Tricks, nur erheblich besser dargeboten) 1.500.- bis 2000.- Euro Gage und mehr erhalten. Wieso diese Preisunterschiede in meinem Fach möglich sind, könnte ich natürlich näher erklären. Aber das wird hier niemanden interessieren (steht ja auch nicht zur Debatte).

    Wie erwähnt, werde mir heute Abend in Ruhe Ihre Antwort durchlesen und dann evtl. nochmal nachhaken.

  23. Auch wenn es etwas off-topic ist, muss ich mich noch unbedingt zum Thema Antidepressiva äußern.

    Natürlich gibt es Absetzerscheinungen, mal mehr, mal weniger oder gar nicht, je nach Präparat. Solche Medikamente schlagartig abzusetzen ist keine gute Idee. Und ja natürlich ist es eine schlechte Idee Leuten, denen mit einer Umstellung des Lebensstils schon geholfen wäre, einfach nur ein Rezept zu drucken und fertig.

    Deswegen aber die Präparate zu verteufeln und Depressiven einfach ein intensives Gespräch zu empfehlen, ist riesengroßer Blödsinn. Denn die beiden aufgeführten Szenarien sprechen nicht gegen die Wirksamkeit von Antidepressiva, sondern deuten auf einen schlechten Arzt hin. Die Wirksamkeitsnachweise wurden nicht aus einem Hut gezaubert.

    Übrigens habe ich selbst einmal schlimme Absetzerscheinungen erlebt. Ich dachte, ich muss sofort ins Krankenhaus. Mein Psychiater hatte mich damals nicht über die Absetzerscheinungen aufgeklärt. Durch Ausschleichen des Medikaments wurde das Problem umgangen. Meine Konsequenz? Ich habe den Psychiater gewechselt…

  24. @ Dr. Bertelsen:

    Das, was Du da verlinkt hast, ist jedoch keine Studie. Und der Autor dieses Editorials stellt selber fest, dass zu diesem Thema nicht genügend Daten vorliegen. Daher zieht er nur ganz eigene Schlussfolgerungen bzw. zitiert die Vermutungen anderer.

    Sorry, aber besonders wissenschaftlich ist das nicht.

  25. @a.i

    Verteufeln wird hier niemand etwas. Es wird beschrieben, dass die Verordnungshäufigkeit der SSRI in den letzten Jahren massiv zugenommen hat: http://www.3sat.de/page/?source=/wissenschaftsdoku/sendungen/183699/index.html

    Dieses kann ich aus meiner Praxis und aus eigener Beobachtung voll bestätigen.

    Gleichzeitig wird beschrieben, dass diese Medikamente bereits nach wenigen Minuten von Hausärzten (!) verschrieben werden (Ab 9:30):

    https://www.youtube.com/watch?v=TI5vjnfrwqY

    Prof. Healey (https://en.wikipedia.org/wiki/David_Healy_(psychiatrist)

    warnt vor Extremwirkungen bei 5 % der Patienten (ab 16:30 – w.o.)

  26. @ Bertelsen:

    Oh, wie geil! Ein Video der YouTube-University (Wahlspruch: „Video, ergo est!“ – „Es gibt ein Video darüber, also muss es wahr sein!“). Dabin ich jetzt aber beeindruckt!! Eins11!!!

  27. Ich bekenne, ich bin einer dieser Typen: ;)
    (Vermeintliche) Mangelernährung (direkt doppelt)
    ‚Pillen‘
    Und auch mal veg. Ersatzprodukte

    Ich finde es immer wieder spaßig wenn solche Argumente kommen von Menschen – Anwesende ausgenommen, die kenne ich ja nicht persönlich – die totale Mangelernährung haben weil sie nur Schrott essen. Außerdem, ja, vegane Ersatzprodukte sind obskure zusammengesetzt, aber ist das bei industriell hergestellter Nahrung nicht meist so?
    Oder anfälligen Menschen, unglücklichen Menschen, fettleibigen Menschen (natürlich genetisch begründet)

    Sprechende Medizin wäre super, aber auch mit mehr Offenheit gegenüber Dingen, die in Studien nachgewiesen sind an denen aber Big Pharmazeutischen kein Interesse hat.

    Ich muss zugeben, ich muss schon schmunzeln wenn man gegen ‚Pillen‘ (gemeint sind meist Vitalstoffe) wettert und 95% der Bevölkerung ohne Nachfragen Zigaretten Pillen vom Arzt einwirft. Oft eine gegen die Nebenwirkung der anderen, anstatt mal das eigentliche Problem anzugehen.

    Das Psychopharmaka ohne PT verschrieben werden und ohne Hinweis auf begleitende Alternativen empfinde ich als mehr als schade

  28. @ Bernd:

    Soll das jetzt eine verkappte Ode an die „Orthomolekularmedizin“ werden?

  29. „Der Patient erwartet die Pille vom Arzt, die schnell helfen soll. Sollte nicht der Arzt diese Erwartungshaltung ändern?“

    „Karl Lauterbach: Ja, aber das kostet Zeit. Leider nehmen sich viele Ärzte diese Zeit nicht. Wenn man einem Patienten erklären will, dass er kein Medikament benötigt, dann dauert es drei- bis viermal länger als vergleichsweise mit einer schlichten Verschreibung.“

    Karl Lauterbach: http://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/morgenecho/lauterbach-report-aok-medikamente-100.html

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