Auch die Gesundheitsbloggerin Brynja Adam-Radmanic schreibt über das neue „Netzwerk Homöopathie“.
Grundsätzlich findet die Biologin unsere Initiative gut:
Ich persönlich kann mit der Homöopathie nichts anfangen. Die Theorie dahinter ist pseudowissenschaftlich. Klinische Studien zeigen immer wieder, dass die Wirkung der Kügelchen nicht über die von Placebos hinausgeht. Und wenn Freundinnen ihre Homöopathen loben, klingt es in meinen Biologen-Ohren wie das Schwärmen für einen schamanistischen Alchemisten.“
Allerdings bringt Adam-Radmanic einige Einwände vor:
Ich denke nicht, dass meine Freundinnen sich die homöopathische Wirkung nur einbilden. Die ist durchaus da. Ja, ich bin sogar davon überzeugt, dass sie bei ihren Homöopathen etwas bekommen, das im Rest des Gesundheitssystems oft schmerzlich fehlt.“
Das sehen wir genauso.
Aber die Alternative zu „schlechter“ Medizin ist eben nicht „Alternativ“-Medizin, sondern bessere Medizin.
Darauf haben wir ausdrücklich beim Pressegespräch anlässlich der „Netzwerk“-Gründung hingewiesen.
Und deshalb treten wir unter anderem für die Stärkung der „sprechenden Medizin“ und eine entsprechende Vergütung von Arztgesprächen ein.
Im aktuellen Skeptiker (4/2015) erklärt die „Netzwerk“-Koordinatorin Dr. Natalie Grams dazu:
Ich denke, die Auseinandersetzung mit „Alternativmedizin“ steht und fällt damit, wie wir in der Medizin – vor allem in der Allgemeinmedizin – dem Patienten begegnen. Die Punkte, die ich in meinem Blog genannt habe, wären ein riesiger Fortschritt.
Dann bräuchten wir uns auch keine Gedanken über ein neues Fachgebiet wie „Placebomedizin“ zu machen, weil die Patienten gar nicht mehr nach Alternativen zur evidenzbasierten Medizin suchen müssten.
Natürlich ist das auch eine Frage der finanziellen Ressourcen. Wichtig wäre, dass Hausärzte Gespräche wieder leisten können, wieder bezahlt bekommen und ihren Patienten anbieten können. Bevor diese sich anderswo Hilfe suchen.“
Des Weiteren fokussiert Adam-Radmanic auf den Nutzen von Homöopathie durch eine ausgeprägte Placebo-Wirkung:
Zwar haben Homöopathen vom Naturwissenschaftlichen her gesehen nichts zu bieten. Trotzdem scheinen sie mit ihrer windigen, 200 Jahre alten Pseudowissenschaft den Placebo-Effekt weit systematischer zu nutzen als das die normale Ärzteschaft sonst tut.“
Auch das bezweifeln wir nicht.
Schon in unseren zwölf Jahre alten „Fragen und Antworten zur Homöopathie“ steht:
Welchen Sinn hat es, wenn sich Homöopathen stundenlang mit ihren Patienten beschäftigen, um individuell für sie das richtige Mittel herauszufinden?
Keinen – außer dass die intensive Zuwendung des Therapeuten die Heilungserwartung und damit die Placebo-Wirkung beim Patienten steigert. Hier kann mancher „Gott in Weiß“ von Homöopathen lernen. Aber auch die Krankenkassen müssen die Bedeutung von ausführlichen Therapiegesprächen erkennen und entsprechend honorieren.“
Placebos wirken doch nur bei Patienten, die sich Krankheiten einbilden: bei labilen Personen, die sich leicht beeinflussen lassen. Und sie können nie besser wirken als „schulmedizinisch“ bewährte Arzneien.
Falsch. Placebos wirken bei allen Menschen – mehr oder weniger stark.“
Und dennoch, selbst all dies eingedenk, ist die Homöopathie keine sinnvolle Placebo-Medizin, auch wenn der Gedanke von Brynja Adam-Radmanic zunächst einmal naheliegend erscheint.
In einem Interview mit der Badischen Zeitung sagte „Netzwerk“-Initiator Dr. Norbert Aust zu diesem Punkt:
BZ: Viele Menschen schwören auf die Wirksamkeit der Homöopathika. Auch Claudia Witt kommt zum Ergebnis, dass zwar nicht nachgewiesen ist, dass die Medikamente besser wirken als Placebo. Aber ihre Schlussfolgerung ist, dass es einen anderen Wirkmechanismus gibt. Etwa die Arzt-Patienten-Interaktion.
Aust: Dass es eine psychologische Wirkung gibt, glaube ich gerne. Für den Naturwissenschaftler aber bleibt: Es fehlen die Wirkstoffe in den Medikamenten. Warum sollte man sie dann kaufen?“
Selbst wenn die Homöopathie nicht besser wirken sollte als Placebo: Kann man nicht anerkennen, dass hier ein System errichtet wurde, mit dessen Hilfe die Selbstheilungskräfte des Körpers stimuliert werden – was die Schulmedizin mit ihren engen Vorgaben oft nicht gut hinkriegt?
Wenn ich als Gesundheitswesen mit diesem Argument die Homöopathie finanziere, warum dann nicht Wunderheiler, Kartenleser, Auraheiler? Die versprechen ihren Kunden auch Hilfe.
Dass unser Gesundheitssystem kaputt gespart wurde, da gebe ich Ihnen völlig recht. Aber deshalb eine Scheinmedizin zu etablieren, halte ich für falsch. Das Problem ist doch, dass diejenigen, die uns vor Quacksalberei und Pseudowissenschaft schützen sollten, es nicht tun.
Im Gegenteil: Das Arzneimittelgesetz adelt die Homöopathie als besondere Therapierichtung, die Apothekenpflicht gaukelt eine Wirksamkeit vor, die Homöopathie wird als Wahlpflichtfach an den Universitäten gelehrt – und die Ärztekammern bieten Fortbildungen dazu an.“
Und das sehen Sie als gefährlich an?
Ja, denn die Homöopathie ist auch mit ganz anderen Dingen verbunden: Sie ist oft ein Einstieg in die Impfskepsis, in Skepsis der Pharmaindustrie generell gegenüber.
Es gibt Homöopathen, etwa den Buchautor Jens Wurster, der mit dieser Methode gegen Tumore und Metastasen angehen will. Die US-Autorin Kate Birch spricht von homöopathischer Malariaprophylaxe, sie propagiert auch Homöopathie statt Impfen.
Homöopathie besteht nicht einfach nur aus harmlosen Kügelchen! Über den Heilpraktiker kann sie eine Brücke in die richtige Esoterik-Medizin bilden.“
Auf einen weiteren Aspekt weist Prof. Dr. Paul Enck, Professor für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Uni-Klinik Tübingen, hin:
Der große Unterschied zwischen uns Ärzten und irgendwelchen Geistheilern ist, dass wir nicht glauben, dass wir mithilfe von Placebo Krankheiten umkehren können. So etwas kann sehr gefährlich sein.”
Oder anders gesagt:
Überschätzt man diese Trittbrettfahrer-Therapien, besteht das Risiko, dass eine notwendige, wissenschaftlich bewährte Therapie versäumt wird.“
Genau solche Fälle wollen wir übrigens sammeln und dokumentieren.
Auch Dr. Natalie Grams warnt:
Einer der größten [Fehler] ist sicherlich, zu meinen, man könne als Homöopath die spezifische Wirkung sicher erkennen. Nein, das kann keiner. Kein Homöopath und auch sonst kein Mensch. Nicht von ungefähr wurde in der Medizin deshalb das hochkomplexe Trara der klinischen Studien etabliert.“
Der Vorschlag der Blogger-Kollegin wäre mithin nur dann eine Überlegung wert, wenn Homöopathen, Heilpraktiker und Co. sich im Klaren darüber wären und akzeptieren würden, dass sie lediglich eine Placebotherapie betreiben.
Eben dies ist aber nicht der Fall, sondern die “Alternativ”-Fraktion ist von der absoluten Richtigkeit ihrer Nonsens-Methoden völlig überzeugt – und allein diese Tatsache macht jeden Gedanken an eine verantwortungsvolle, ihre Grenzen erkennende Placebo-Medizin durch Homöopathen obsolet.
Nichtsdestotrotz wiederholen wir noch einmal: Das „Netzwerk Homöopathie“ engagiert sich nicht primär “gegen” Alternativmedizin, sondern für eine transparente und richtig angewandte wissenschaftsbasierte Medizin zum Wohle der Patienten.
Deshalb würden wir uns freuen, Brynja Adam-Radmanic als unsere „natürliche Verbündete“ begrüßen zu können.
Mehr zum „Netzwerk Homöopathie“ gibt’s auch in diesem neuen Beitrag von Homöotology.
Zum Weiterlesen:
- Müssen wir Placebo-Medizin wie die Homöopathie bekämpfen? web.de am 14. Februar 2016
- Homöopathie, Kritik und ein längst überfälliges Informationsnetzwerk, Homöotology am 12. Februar 2016
- Homöopathie-Schadensfälle gesucht: Krankheit verschleppt? Ausgeleitet statt ausgeheilt? GWUP-Blog am 13. Februar 2016
- Das „Netzwerk Homöopathie“: die offizielle Presseerklärung, GWUP-Blog am 1. Februar 2016
- Nach Dummfug-Kommentar: Ein Apotheken-Portal hat seine liebe Not mit Homöopathie-Kritikern, GWUP-Blog am 9. Februar 2016
- Homöopathie, Ganzheitlichkeit und die sprechende Medizin, GWUP-Blog am 20. April 2013
- Die absurde finanzielle Ungleichbehandlung von Ärzten und Heilpraktikern, GWUP-Blog am 18. Juli 2014
- Ist die „Schulmedizin“ schuld an der Homöopathie? Homöopathie neu gedacht am 10.Oktober 2015
- Placebos: Die immerselben Denkfehler der Homöopathen, GWUP-Blog am 28. Januar 2013
- Warum Homöopathie zu wirken scheint, GWUP-Blog am 9. Oktober 2011
- Trittbrettfahren mit Placebos, GWUP-Blog am 11. Dezember 2011
- Placebo-Effekt und Evolution, GWUP-Blog am 7. September 2012
- Ein „Bund“ zwischen Ärzten und Heilpraktikern? Das freut nur die Pseudomediziner, GWUP-Blog am 21. Juni 2015
- Dr. Wurster und das rhethorische Simileprinzip, dieausrufer am 14. Februar 2016
14. Februar 2016 um 17:36
Auch die Kommentare im Blog von Brynja Adam-Radmanic, die anscheinend zum Teil von promovierten Ärzten stammen, zeigen, dass diese Mediziner absolut keine Ahnung haben bzw. nicht wahrhaben wollen, dass sie eine reine Placebo-Medizin betreiben:
http://wissenskueche.de/2016/02/auswaerts-gebloggt-muessen-wir-placebo-medizin-wie-die-homoeopathie-bekaempfen/
14. Februar 2016 um 17:56
„dass diese Mediziner absolut keine Ahnung haben bzw. nicht wahrhaben wollen,“
„sich aggressiv dagegen wehren“, dass sie eine reine Placebomedizn betreiben, wäre die passendere Formulierung.
14. Februar 2016 um 19:16
Die Forderung nach mehr Zuwendung für den Patienten mag schon richtig sein, nur nicht durchführbar.
Bei durchschnittlich 18 Arztbesuchen pro Bundesbürger bedeutet dies 1,47 Mrd. Arztkontakte pro Jahr. Bei 200.000 niedergelassenen Ärzten hat jeder Arrzt ca. 7350 Patientenkontakte.
Sollten wir uns jedesmal 1 Stunde Zeit nehmen wie ein Homöopathie, um dem Patienten entsprechende Zuwendung entgegen zu bringen, müsste der normale Arzt jeden Tag 20 Stunden arbeiten und das an 365 Tagen im Jahr. Bei 50 wochenstunden (abzüglich Urlaub und Fortbildung) bleiebn dem durchschnittlichen Arzt 18 Minuten pro Patientenkonztakt, wobei in dieser Zeit neben der Befunddokumentation auch noch ein Arztbirief erstellt werden muss.
Würde ein Arzt so arbeiten wie die Hömöopathen (die diesen Zeitaufwand sogar ordentlich vergütet bekommen), hätten wir von heute auf morgen eine Wartezeit von mehreren Monaten auf einen Arzttermin.
Bleiben wir mal realistisch.
Das Verhalten der sogenannte Schulmedizin kann daher nicht Schuld sein, dass so viele Menschen sich der Homöopathie sein. Die 10 Minuten Medizin ist einfach den Fakten geschuldet.
14. Februar 2016 um 22:01
@Dr. Rolf Emmert: Man könnte eine erhebliche Anzahl von Arbeitsplätzen schaffen, in dem einfach ein Beruf entwickelt wird, bei der der einzige Zweck darin besteht mit dem Patienten seine Sorgen und Nöte zu besprechen. Ist das nicht der Hauptnutzen von Homöopathen gegenüber Ärzten?
Dies sollte sich insofern vom Homöopathen unterscheiden, als das in diesem Beruf kein pseudowissenschaftlicher Überbau zu Grunde liegt.
Ich wäre mir aber nicht sicher, ob dieses Konzept erfolgreich wäre. Denn es gäbe einige Fragen zu klären. Erstens inwiefern die Ärzteschaft auf diese „Gesprächstherapeuten“ verweisen sollten. Standardisierte Fragen an den Patienten und je nach Ergebnis verweis auf Gesprächstherapeuten?
Zweitens weiß ich nicht, inwiefern Leute zu Homöopathen gehen, weil sie gerade Homöopathen sind und nicht Ärzte, Psychologen, etc.
Im Idealfall wären dadurch die Ärzte nicht belastet und den Nutzen von Homöopathen würde entfallen, wenn die meisten Leute sowieso schon so etwas wie einen Gesprächstherapeuten hätten. Außerdem böte dieser „Gesprächstherapeut“ kein Einstieg in die pseudowissenschaftliche Szene. Schön wäre es!
Beste Grüße,
Undenker
15. Februar 2016 um 10:32
>> dass diese Mediziner absolut keine Ahnung haben
Weil’s ihnen nicht beigebracht worden ist. Natalie Grams hat das recht plastisch aus ihrem eigenen Studium geschildert, vereinfacht: alles gleichberechtigtes und unkritisches Auswendiglernen. Die Qualität der akademischen Ausbildung zu verbessern muss ein langfristiges Ziel sein.
@Dr. Emmert
Sie haben leider recht, was die Limitationen durch das Vergütungssystem und das ärztliche Zeitbudget angeht. Die Ursache liegt m.E. sogar noch tiefer, nämlich dass die Leute viel häufiger zum Arzt gehen als früher (kein Ärztemangel, sondern Patientenschwemme). Das ist, vermute ich mal, durch die Praxisgebühr sogar noch schlimmer geworden.
Das Gesundheitssystem könnte also durchaus billiger sein, wenn die Leute sich nicht ständig krank oder besser: behandlungsbedürftig *fühlen* würden, und wenn man sich um die vielen mit den etwas unspezifischen oder chronischen Beschwerden besser (länger) kümmern könnte.
Klar, sind dicke Bretter :-(
@Undenker
Schon heute betreiben viele Heilpraktiker in Wirklichkeit sowas wie Psychotherapie, vielleicht in milder Form und auf Empathie und gesundem Menschenverstand basierend, aber eben auch ohne jede Ausbildung. Auf die Kügelchen als solche kommt’s dabei nicht an, sondern nur, dass da eine Art Projektionsfläche existiert, oder vielleicht nennt man das besser Katalysator – fördert die Reaktion, ist aber an ihr selbst „eigentlich“ nicht beteiligt.
Wie leer wären die Heilpraktiker-Praxen wohl, wenn sie per Gesetz „Psychotherapeut/in“ draufschreiben müssten, stigmatisiert wie das Thema im Volk nun mal ist?
15. Februar 2016 um 14:02
@ Dr. Rolf Emmert:
Das halte ich für einen Fehlschluss. Natürlich: Fakten und Umstände führen dazu, dass Ärzte sich für den einzelnen Patienten nur sehr, sehr wenig Zeit nehmen können und dafür nur sehr, sehr wenig Geld erhalten. Un dvielen Patienten fehlt die (in „alten Zeiten“ zumindest dem Klischee nach noch übliche) ausgiebige Zuwendung des Arztes. Manche dieser Patienten holen sich diese Zuwendung dann anderswo, etwa bei Homöopathen.
Das Verhalten der sogenannten Schulmedizin ist in diesem Fall durchaus ursächlich für die vermehrte Hinwendung zur Homöopathie. Dass dieses durch Fakten und Umstände erzwungene Verhalten der sogenannten Schulmedizin vielen Ärzten selbst nicht gefällt, ändert nichts daran.
Man kann den Ärzten dieses durch Sachzwänge verursachte Verhalten nicht vorwerfen, die müssen ja irgendwie kostendeckend arbeiten. Aber ihr Verhalten ist ganz bestimmt eine wichtige Ursache für den Aufschwung der Homöopathie.
Warum sollte bei jedem einzelnen Patientenkontakt soviel Zeitaufwand nötig sein? Ich weiß nicht, wie man die Arztbesuche kategorisieren kann, aber ganz oft werden Leute nur eine Krankschreibung benötigen (egal ob wegen Grippe oder gebrochenem Arm) oder ein Folgerezept.
Längst nicht immer sind ausführliche Gespräche nötig. Gerade bei Hausärzten wäre der Idealfall doch so, dass der Arzt seinen Patienten und dessen Hintergrund und medizinische Vorgeschichte kennt.
Da wäre dann vielleicht einmal im Jahr oder noch seltner ein ausführliches Gespräch nötig, das dann typischerweise im Rahmen der üblichen (und ab 40 meistens ausführlicheren) Vorsorgeuntersuchungen stattfinden könnten.
Ich behaupte mal, dass drei von vier Arztbesuchen auch dann nicht länger dauern würden, wenn die Ärzte mehr Gesprächszeit vergütet bekämen. (Lassen wir den möglichen Effekt beiseite, dass allzugut vergütete Gesprächszeit zu unnötig langen Konsultationen ermutigen könnte.) Außerdem könnte es durch sinnvolle Vergütung von Patientengesprächen anderswo zu Kosteneinsparungen kommen.
Es heißt etwa, dass viele Ärzte sehr gern sehr viel technische herumspielen, teure Geräte durch eifrige Anwendung amortisieren und durch alle möglichen diagnostischen Verfahren das karge Honorar, das sie pro Patient und Quartal erhalten, ein wenig aufbessern können. Eine vernünftige Vergütungspolitik könnte dem entgegenwirken.
15. Februar 2016 um 15:40
@Gnaddrig:
>>>Das Verhalten der sogenannten Schulmedizin ist in diesem Fall durchaus ursächlich für die vermehrte Hinwendung zur Homöopathie. Dass dieses durch Fakten und Umstände erzwungene Verhalten der sogenannten Schulmedizin vielen Ärzten selbst nicht gefällt, ändert nichts daran. <<<
Ich halte es für unwahrscheinlich, dass die Mehrheit der Ärzte bei ihren Patienten den Eindruck erweckt, sie wären woanders besser aufgehoben. Sei es durch Sachzwänge oder persönliches Verhalten.
Bei einer Halsentzündung z.B. sind nicht mehr als 10-15 Minuten notwendig.
Wie Sie schon andeuteten.
Arzt und Patient kennen sich, im Idealfall hat der Arzt die Geschichte seines Patienten griffbereit (heute auf dem Monitor), und schon sind die besten Voraussetzungen für eine gute Behandlung gegeben. Die wird wohl dann auch bereits nacht 10 Minuten zu einem zufriedenen Patienten führen.
Ich bin der Meinung, es gibt sehr viele andere Einflüsse, die mindestens genauso ursächlich für die Hinwendung zu Pseudomedizin sind.
Vor ein paar Jahren z.B. lief in den Medien ein Werbespot mit der Aussage:
"Beim ersten Kratzen im Hals: sofort Medi…. und die Erkältung kommt gar nicht erst!"
Nur ein Beispiel von vielen.
Die Medien sind voll mit Desinformation, Google liefert zum Thema hunderte von Seiten, auf denen immer noch Homöopathie mit Naturheilkunde in einen Topf geworfen wird, angeblich Chemiefrei.
Voller Fehler, sogar innerhalb der homöopathischen Leere. (Lehre mein ich)
Und voll mit leeren Versprechen.
Eine Anekdote: eine Freundin war begeistert von oben genanntem Medikament, typisch selektive Wahrnehmung.
Erst als ich ihr beweisen konnte, dass "Hydrargyrum bicyanatum" der homöopathische Name für Quecksilbercyanid ist, war sie stutzig und informierte sich selbst. Eine Substanz, die hochgiftig und zu absolut überhaupt nichts nutze ist, steht im Beipackzettel mit 400mg pro Gramm (wobei da eher ein hochpotenziertes Homöopathikum gemeint sein dürfte).
Schon war es rum, mit der H.
Aber wenn jemandem auf so vielen Wegen suggeriert wird, dass man quasi nie wieder zum Arzt muss und immer zuverlässig von allem möglichen geheilt werden kann, dann ist das wohl ein starker Impuls, nicht nur für besorgte Eltern.
Und auf der anderen Seite darf kein Arzt Werbung machen. Nirgendwo darf ein Arzt seine Erfahrung und seine Qualifikation öffentlich machen (Außer auf seiner Homepage). Das gleiche gilt für die meisten Medikamente.
Ein einziges mal unzufrieden mit dem Arzt, und schon ist es passiert.
Wenn dann auch noch ausgebildete Ärzte sich so äußern, wie sie es in den von Bernd Harder oben verlinkten Kommentaren tun, dann kann ich die "Schulmedizin" wohl nicht als hauptursächlich bezeichnen.
Desinformation und mangelnde Aufklärung sind das Problem. Solange das so bleibt, darf man Homöopathie nicht als Placebo-Medizin akzeptieren.
15. Februar 2016 um 16:16
>>>Das Verhalten der sogenannten Schulmedizin ist in diesem Fall durchaus ursächlich für die vermehrte Hinwendung zur Homöopathie.<<<
Ich habe ein Problem mit der Begrifflichkeit "der sogenannten Schulmedizin": Der Begriff ist mehrdeutig.
Von der Seite der Alternativmedizinfreunde wird er sowohl benutzt für "Medizin als Wissenschaft", für die "Praxis der öffentlichen Gesundheitsversorgung" und gleich noch für die Interessen der Üharmaindustrie in den ersten beiden Bedeutungen.
Dabei haben diese Bedeutungen nicht notwendigerweise etwas miteinander zu tun. Das öffnet Tür und Tor für allerlei bösartige Mehrdeutigkeitsfehlschlüsse, die im Kern auf solche unsinnigen Aussagen hinauslaufen wie "Die Schulmedizin ist selbst Schuld,wenn die Leute zum Homöopathen laufen", wobei gleichzeitig die Evidenzbasierte Medizin gemeint ist.
Richtig ist: Wie im Gesundheitssystem wirtschaftliche Anreize gesetzt werden, welche Leistungen wie vergütet werden und ob sich Ärzte ausreichend Zeit für die Patienten nehmen können hat erst einmal nichts damit zu tun, welche Erkenntnisse uns die EBM liefert.
Ich finde auch auf skeptischer Seite sollte man versuchen, die Begrifflichkeiten sauber auseinanderzuhalten.
15. Februar 2016 um 20:16
@ Carsten: Natürlich ist die evidenzbasierte Medizin bzw. das Verhalten der Kassenärzte nicht die einzige Ursache für den Aufschwung der Homöopathie, wahrscheinlich nicht einmal die wichtigste. Aber im Zusammenspiel verschiedener Umstände dürfte das durch die unklug gestalteten Vergütungs- und Abrechnungsmodalitäten im Gesundheitssystem erzwungene Verhalten vieler Ärzte dieser Lemmingswanderung messbar Vorschub leisten. Es ist ein (vermute ich: wichtiger) Faktor, den man mit (vermute ich wieder) vergleichsweise wenig Kostenaufwand abmildern könnte.
Es ist gut möglich, dass heute viele Leute häufiger als früher und häufiger als nötig zum Arzt gehen (Rettungsdienste können davon auch ein Lied singen; die werden teils für offensichtliche Lappalien alarmiert). Es kann auch sein, dass viele Leute (gefühlt oder wirklich) vereinsamen, einer vermeintlich guten alten Zeit nachtrauern oder aus sonstwelchen Gründen das Gefühl haben, nirgends Gehör zu finden und deshalb dort aufschlagen, wo man ihnen nur zu gern zuhört.
Lobbyarbeit und geschicktes Marketing führen den Homöopathen sicher auch viele Kunden zu. Mir ging es auch nicht darum, mich auf einen Grund für den Aufschwung der Homöopathie einzuschießen, sondern auf den Fehler in Dr. Rolf Emmerts Begründung hinzuweisen. Dass die ganze Angelegenheit ein wenig komplizierter ist, ist mir schon klar.
16. Februar 2016 um 11:08
Wenn man betrachtet mit wieviel Bedacht und wie Sparsam die meisten Ärzte mit Placebos arbeiten, d.h. im allgemeinen nach sorgfältiger Abwägung um den Ernst der Lage, mit Blick auf die Mündigkeit des Patienten und auf das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient…
… und man dann betrachtet wie leichtfertig mit Zuckerkugeln um sich geschossen wird, sollte Homöopathie nicht mal in die Nähe von Placebos gerückt werden.
17. Februar 2016 um 21:29
@Gnaddrig:
Einverstanden.
Wenn die von uns genannten Umstände zusammentreffen, dann werden natürlich die von Ihnen genannten noch potenziert und noch schlimmer.
Dennoch möchte ich festhalten, dass das Bild vom resignierenden Arzt, der aufgrund der herrschenden Situation einem Patienten nicht die erforderliche Aufmerksamkeit widmet, in den meisten Fällen wohl nicht den Tatsachen entspricht.
Unsere Ärzte sind besser als ihr Ruf.
Wenn es ernst ist, dann wird auch entsprechend gehandelt.
Aber ich denke, das passt auch in Ihr Bild.