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SkepKon-Rückblick: Der okkulte Untergrund der DDR

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Eigentlich merkwürdig:

Während der „Große Bruder“ Sowjetunion in den 1960er- und 1970er-Jahren mit größtem Interesse die Telepathie-Tests der Amerikaner verfolgte und schließlich sogar die Parapsychologie zum Staatsgeheimnis erklärte, konnte man im sozialistischen Bruderstaat DDR darüber nur den Kopf schütteln.

Die Autoren Andreas Gertler und Wolfgang Mattig beschrieben 1984 in ihrem Buch „Stimmen aus dem Jenseits – Parapsycholgie und Wissenschaft“ das berühmte „Nautilus-Experiment“ zur militärischen Fernwahrnehmung korrekt als „Ente“ und übten sogar leise Kritik an der UdSSR.

Die Große Sowjet-Enzyklopädie […] hatte 1956 die Telepathie völlig treffend und richtig als wissenschaftliche Erfindung definiert, während sie 1962 ihren Lesern mitteilte, die Telepathie sei eine besondere Form der Informationsübertragung.“

Widerstand mithin der Marxismus-Leninismus ostdeutscher Prägung als „wissenschaftliche Weltanschauung der Arbeiterklasse“ erfolgreich allen „Irrlehren, Täuschungen, Pseudowissenschaften“ (so die offizielle Lesart von Esoterik/Okkultismus)?

Darüber referierte Andreas Anton vom Freiburger Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene (IGPP) bei der SkepKon 2014 in München.

Anton stellte das Forschungsprojekt „Im Schatten des Szientismus. Zum Umgang mit heterodoxen Wissensbeständen, Erfahrungen und Praktiken in der DDR“ vor.

Konkret geht es darum:

Welche Rolle spielten Themen wie Gedankenübertragung, Wahrträume, Ahnungen, Spuk-, Geister-und Jenseitserscheinungen, Astrologie und Wahrsagepraktiken, Wunderheilungen oder UFOs im Alltagsleben der DDR-Bürger?

War entsprechenden Vorstellungen und Praktiken in der DDR tatsächlich der „Nährboden“ entzogen, wie es der offizielle Diskurs verlauten ließ, oder gab es – gleichsam im Schatten dieser amtlichen Feststellungen – eine Art okkulten Untergrund?“

Das DFG-geförderte Projekt läuft seit September 2013 und ist auf drei Jahre ausgelegt. Anton präsentierte einen „Werkstattbericht“ mit ersten Ergebnissen.

Der Soziologe skizzierte zunächst die amtliche „Wirklichkeitsordnung“ der DDR, die nicht nur von der offiziellen Staatsphilosophie des Marxismus-Leninismus geprägt war, sondern darüber hinaus materialistische und szientistische Züge trug.

Der Szientismus sei als explizite Konkurrenz zur christlichen Religion installiert worden und hatte die Verdrängung von „Finsternis“ und „Unwissenheit“ zum Ziel. Die Vermittlung der wissenschaftlich-szientistischen Weltanschauung sollte letztlich zu einem gänzlichen Verschwinden „religiöser Ideologien“ führen.

Zu den Erscheinungen, die „im sozialistischen System nichts mehr zu suchen hatten“, zählte aber nicht nur die Religion – vielmehr subsumierte die Staatsführung darunter sämtliche esoterische, paranormale, okkulte und alternativ-religiöse Themen, sagte Anton.

Als Beispiel führte der SkepKon-Referent ein Astronomie-Schulbuch für die zehnte Klasse an, das „Astrologie“ wie folgt abhandelte:

Die Astrologie […] wird auch heute noch in der historisch überholten Ausbeutergesellschaft, zum Beispiel von der herrschenden Klassse in der BRD, zur betrügerischen Beeinflussung leichtgläubiger und abergläubischer Menschen genutzt.

In der DDR und anderen sozialistischen Ländern wird dem Aberglauben durch die Verbreitung wissenschaftlichr Kenntnisse über Natur und Gesellschaft und die Erfahrung, dass es möglich ist, das Leben bewusst zu gestalten, der Boden entzogen.“

Anton verdeutlichte damit zugleich, dass Phänomene wie Astrologie, Parapsychologie und ähnliches „gleichermaßen verachtet wie ideologisch funktionalisiert“ wurden.

Das SED-Zentralorgan Neues Deutschland schrieb 1981 eine „Epidemie sich ausbreitenden Aberglaubens unter der BRD-Bevölkerung“ herbei.

Und in dem Aufsatz „Psi in der bürgerlichen Ideologie“ (in „EinheitZeitschrift für Theorie und Praxis des wissenschaftlichen Sozialismus“) hieß es dazu:

In der Tat besteht ein enger Zusammenhang zwischen zunehmenden Krisenerscheinungen des Kapitalismus und dem Aufblühen irrationalen Mystizismus‘ in einer Vielfalt von Spielarten […]

Mit der Herausbildung der sozialistischen Gesellschaft ist in den sozialistischen Staaten die Grundlage für okkultes Ideengut entzogen, hier ist kein Platz für Aberglauben in der Natur- und Geisteswissenschaft.“

Soweit die Theorie.

Aber wie sah es in der Praxis aus?

Die vorläufigen Befunde des Forschungsprojekts „Zum Umgang mit dem Paranormalen in der DDR“ deuteten durchaus auf eine Art „okkulten Untergrund“ in dem damaligen sozialistischen Bruderstaat hin, erklärte Anton.

Der Soziologe vom IGPP belegte dies unter anderem anhand von Briefen, die DDR-Bürger seinerzeit an das Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene in Freiburg schickten.

Die Absender baten darin zum Beispiel um „Informationen über den heutigen Stand der Parapsychologie“ oder schilderten persönliche „okkulte Erlebnisse“.

Der IGPP-Gründer und Parapsychologe Prof. Hans Bender hatte sogar eine Stasi-Akte.

In Interviews mit Zeitzeugen hoben Anton und die übrigen Mitarbeiter des Forschungsprojekts weitere Hinweise auf die „okkulte DDR“.

So berichtete ein ehemaliger Hochschullehrer:

Als ich in Mecklenburg 1957 Lehrerprüfungen abnahm und ich von Dorf zu Dorf mit dem Fahrrad unterwegs war, fragte ich stets auch danach, ob es im Dorf noch Frauen mit dem Ruf einer Wunderheilerin oder Hexe geben würde. Das wurde mir fast immer bejaht.“

Auch in verschiedenen Umfragen bald nach der Wende – etwa über „Die Vorstellbarkeit paranormaler Phänomene“, die „Verbreitung außergewöhnlicher Erfahrungen“ oder „Aberglaube“  – zeigten sich kaum Unterschiede zwischen Ost und West.

Das deckt sich übrigens mit den Ergebnissen einer Erhebung zum Thema Radiästhesie, die 1991 im Skeptiker veröffentlicht wurden.

Der eingangs zitierte Autor Dr. Andreas Gertler („Stimmen aus dem Jenseits“), Gerichtsmediziner an der Ostberliner Humboldt-Universität, war nach dem Mauerfall der GWUP beigetreten und hatte im April 1990 eine Umfrage zur „Verbreitung des Glaubens an Wünschelruten und Erdstrahlen bei Studenten in der ehemaligen DDR“ durchgeführt.

Es zeigte sich, dass …

… der Glaube an die Möglichkeit, mit Hilfe der Wünschelrute Wasser zu finden, in allen Teile der ehemaligen DDR groß ist […] Als Rutengänger fungieren Brunnenbauer, aber auch geologische Laien nahezu aller Berufe.“

Genau aus diesem Grund bekamen Gertler/Mattig 1984 für ihr Buch „Stimmen aus dem Jenseits – Parapsychologie und Wissenschaft“ vom DDR-Regime die Druckerlaubnis.

Bei seinem SkepKon-Vortrag zitierte Andreas Anton aus dem damaligen Gutachten des Lektorats:

Die sogenannte Parapsychologie, der Okkultismus im modernen Gewand, gewinnt in westlichen Ländern zunehmend an Popularität.

Solche Entwicklungstendenzen machen bekanntlich an unseren Grenzen nicht halt. So gibt es auch in der DDR noch Vorstellungen von ,Außersinnlichem‘ und ,Übernatürlichem‘, die jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehren.

Das Buch veranschaulicht, wie notwendig dialektisches Denken ist. Es ist ein gutes Beispiel dafür, wie die allgemeinen Gesetze des dialektischen Materialismus in den Naturwissenschaften zutage treten, und zeigt, dass sie der entscheidende Schlüssel für die philosophische Interpretation naturwissenschaftlicher Tatsachen sind.“

Aber wieso blieb die DDR vom Parapsychologie-Boom in der Sowjetunion vollkommen unberührt, zumindest was akademische Formen und universitäre Institute anging?

Hier vertrat Anton die These eines „doppelten Eisernen Vorhangs“, der möglicherweise dafür gesorgt habe, dass Kenntnisse darüber kaum in die DDR gelangten und die meisten sowjetischen Aufsätze zu diesen Themen nie in dem Land erschienen sind.

Eine Schlüsselrolle als „Gatekeeper“ wies Anton in diesem Zusammenhang dem bedeutenden Gerichtsmediziner und entschiedenen Skeptiker Prof. Otto Prokop zu.

Schließlich zitierte der IGPP-Soziologe aus dem Brecht-Gedicht „Aberglaube“:

Der Storch bringt nicht die Kinder. Die Sieben bringt kein Glück. Und einen Teufel gibt es nicht In unsrer Republik.“

Ganz so, schloss Anton, „war es offenbar doch nicht“.

Update vom 10. Dezember 2018

Zu diesem Thema hat Andreas Anton jetzt das Buch „Das Paranormale im Sozialismus“ veröffentlicht.

Zum Weiterlesen:

  • Paranormales im Sozialismus, ZeitWissen am 20. November 2014
  • Forschungsprojekt „Zum Umgang mit dem Paranormalen in der DDR“
  • Okkulte DDR – Umgang mit heterodoxen Wissensbeständen, Erfahrungen und Praktiken, REMID-Blog am 23. Mai 2014
  • Psychotronik: Forscher veröffentlicht Dossier über geheime Programme „Unkonventioneller Forschung in der UDSSR und Russland“, grenzwissenschaft-aktuell am 17. Dezember 2013
  • Mark Benecke hat eine Biografie über den Gerichtsmediziner Otto Prokop geschrieben, Neues Deutschland am 20. Dezember 2013
  • „Seziert“: Mark Benecke schreibt Otto-Prokop-Biografie, GWUP-Blog am 27. September 2013

3 Kommentare

  1. „Die Astrologie […] wird auch heute noch in der historisch überholten Ausbeutergesellschaft, zum Beispiel von der herrschenden Klassse in der BRD, zur betrügerischen Beeinflussung leichtgläubiger und abergläubischer Menschen genutzt.

    In der DDR und anderen sozialistischen Ländern wird dem Aberglauben durch die Verbreitung wissenschaftlichr Kenntnisse über Natur und Gesellschaft und die Erfahrung, dass es möglich ist, das Leben bewusst zu gestalten, der Boden entzogen.”

    In der Tat besteht ein enger Zusammenhang zwischen zunehmenden Krisenerscheinungen des Kapitalismus und dem Aufblühen irrationalen Mystizismus’ in einer Vielfalt von Spielarten […]

    Mit der Herausbildung der sozialistischen Gesellschaft ist in den sozialistischen Staaten die Grundlage für okkultes Ideengut entzogen”

    Kluge Sätze, sieht man großzügig über die Klassen- als Manipulationstheorie im ersten Zitat und der idealistisch-voluntaristischen Setzung (die ja so ganz und gar nicht „dialektisch-materialistisch“ ist, aus der Staatsdoktrin als bereits vollendetes sozialistisches Projekt notwendig folgen muss) hinweg.

    Die Gebiete der ehem. DDR sind ja auch heute noch die atheistischsten Streifen dieser Erde…

  2. „Der Soziologe skizzierte zunächst die amtliche ‚Wirklichkeitsordnung‘ der DDR, die nicht nur von der offiziellen Staatsphilosophie des Marxismus-Leninismus geprägt war, sondern darüber hinaus materialistische und szientistische Züge trug.“

    Nicht „darüber hinaus“. Materialismus und Szientismus sind wesentliche Glaubensbestandteile des Marxismus-Leninismus.

  3. Wenn es doch nur etwas nützen würde: Wie wäre es mit der Wiedereinführung des „Gauklerparagraphen“ nach einer kleinen Grundgestzänderung:
    Einfügung eines Absatzes (5) in den Artikel 20 GG: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein der Aufklärung verpflichteter Staat.“

    Zu strafrechtlichen Würdigung: http://www.gdp.de/id/6E3929C0697EB982C1256FCD00457132/$file/dpsp05.pdf?open

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