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Volkshochschulen: Neues Halbjahr, alter Schwachfug

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Von Holger von Rybinski

Zweimal im Jahr erscheint bundesweit und in hoher Auflage ein für Skeptiker zunehmend deprimierender Lesestoff:

das lokale VHS-Programmheft.

Laut dem Deutschen Volkshochschul-Verband sind Volkshochschulen kommunale Weiterbildungszentren, die „zur lokalen Daseinsvorsorge“ beitragen.

Kennzeichnend für die Volkshochschulen sei ihre „prinzipielle Offenheit für alle“.

Und leider auch für alles.

Zwar hätten sich „die VHS in den letzten Jahren mehrheitlich Zertifizierungsprozessen für ihre Qualitätsentwicklung und -sicherung (sowohl im pädagogischen als auch im Servicebereich) unterzogen und damit auf die veränderte Marktsituation in der Weiterbildung reagiert“, heißt es weiter.

Zugleich aber müssten die VHS „wettbewerbsfähig agieren“, was für jede einzelne Einrichtung bedeute ….

… die Notwendigkeit wirtschaftlichen Erfolgs mit ihrem bildungspolitischen Auftrag auszubalancieren.“

Und das ist genau das Problem.

Abseits der Wissenschaft angesiedelte Erkenntnisbereiche, die weitgehend auf illusionärem Denken beruhen, boomen“,

schrieb gestern der Standard.

Das haben landauf, landab auch die VHS-Leiter erkannt.

Im Programmplan der VHS-Hamburg-Harburg etwa lesen wir:

Muskeln werden Meridianen zugeordnet und das Checken der Muskeln vermittelt Informationen über den Energiefluss in den Meridianen. Gibt ein Muskel auf Druck hin nach, wird er durch Berühren von Neuro-Reflexzonen gestärkt.“

Das ist zwar blanker Unsinn, nichtsdestotrotz verortet die VHS Düsseldorf Kinesiologie ernsthaft in der Rubrik „Psychologie“ und bietet gleich drei Seminare zum Thema an:

,,Emotionale Blockierungen [mit Kinesiologie] lösen“, „Leichter lernen mit Brain Gym“ und ,,Kinesiologie im Arbeitsalltag“.

In Zeiten, da Homöopathie sogar gegen „sexuelle Unlust“ angepriesen wird, müssen wir natürlich auch nach dieser Pseudolehre nicht lange suchen:

Die VHS-Berlin bietet ,,Die homöopathische Hausapotheke“ und ,,Schüßler-Salze für Frauen“ an (vermutlich gibt es Schüßler-Salze auch für Männer, aber Frauen sind nun mal die „Gesundheitsmanagerin“ der Familie).

Unter den Kursen im Fachbereich Psychologie finden wir mehr als 20 Veranstaltungen zum „Neurolinguistischen Programmieren“.

Apropos Homöopathie: Wie sieht es im heutigen Sachsen-Anhalt, der Heimat von Samuel Hahnemann, mit der Wissenschaftlichkeit der VHS-Angebote aus?

Immerhin, es gibt anscheinend nur einen Kurs (,,Klassische Homöopathie für Tiere„) an der VHS Magdeburg – dafür aber ,,Klangreisen mit Klangschalen“ (ausgebucht) und ,,Die Fünf Tibeter® “ (mit ,,lizensierter Fünf Tibeter®-Trainerin“).

In Sachsen, VHS Leipzig, das gleiche Bild: drei Kurse zum Thema Homöopathie sowie ,,Mit Schüßlersalzen in den Frühling“.

Ist man im Süden der Republik vielleicht aufgeklärter?

Nicht unbedingt.

Die VHS im rheinland-pfälzischen Neustadt an der Weinstraße bietet einen Einführungskurs in Astrologie an und versichert treuherzig in der Ankündigung:

Dieser Kurs hat mit der Pseudo-Astrologie, wie wir sie aus den Medien kennen, nichts zu tun.“

Aber mit welcher dann, da es so etwas wie „seriöse Astrologie“ bekanntermaßen gar nicht gibt?

Sehen wir weiter in Freising, der alten katholischen Bischofsstadt nahe des Münchner Flughafens.

Hier kann man einen Fortgeschrittenen-Kurs für Reiki belegen, um …

… noch intensiver mit der universellen Lebensenergie in Kontakt zu kommen.“

Unter anderem lernt man hier, die „Lichtenergie noch mehr zu konzentrieren, in Bewegung zu setzen und an jeden beliebigen Ort zu senden“ sowie auch ,,Fernbehandlungen zu geben“.

Und das alles für schlappe 240 Euro Kursgebühren. Geht aber nur, wenn man schon den 1. Grad im Reiki erreicht hat.

Und im evangelisch geprägten Mittelfranken? Gehen wir nach Nürnberg.

Auch hier stoßen wir auf die unvermeidlichen Homöopathie-Kurse sowie ,,Bachblüten und Schüßler-Salze in wirkungsvoller Kombination“, aber das kennen wir ja schon.

Also lieber gleich zu ,,Feng Shui“, da kann ich meinen Wohnungsgrundriss mitbringen, um das Chi zu verbessern und mehr Lebensfreude zu gewinnen.

Ergänzend dazu kann man den Kurs ,,Trinkwasseraufbereitung zu Hause“ belegen, wo man lernt, wie Ionentauscher und Magnetsysteme zur Trinkwaserreinigung funktionieren.

Schon toll, und das für nur neun Euro.

Wenn ich dann noch mitnehme, wie ich mit ,,Chakrablütenessenzen“ meine sieben Hauptenergiezentren richtig stimuliere, habe ich noch nicht mal 30 Euro ausgegeben.

30 Euro zu viel für bloßen Spintifax.

Danach lohnt ein Abstecher nach Altötting, um zu erfahren, wie es mit Hilfe der „Quanten-Heilung“ angeblich gelingt, ,,emotionale und mentale Blockaden sowie alte Muster und Glaubenssätze zu lösen“, damit „Energie wieder frei fließen kann und sich eine neue Lebensqualität einstellt“.

Oder doch mit dem Zug nach Ingolstadt, Heimat der Illuminaten, wenn man wissen will, wie man mittels „Gesichtsdiagnose“ erkennen kann …

… welche körperlichen Beschwerden ihre Ursache in einem seelischen Ungleichgewicht haben und welchem Organ bestimmte Emotionen zugeordnet werden können.“

Und wenn wir schon mal in Ingolstadt sind – wie wär’s mit dem Kurs zum „Zehenlesen“?

Selbst wir Skeptiker, mit allen Untiefen der Esoterik vertraut, lernen von der Kursleiterin etwas Neues, was uns nicht einmal die „RTL Samstag Nacht“-Sketchserie „Sehen einer Zehe“ verraten hat:

Wie in anderen Ländern seit vielen Jahren bekannt ist, kann man aus den Zehen viele Verhaltensweisen und Veranlagungen analysieren.

Die Zehenanalyse zeigt uns, wie wir uns entfalten können. Zehenlesen ist vom Baby- bis ins Greisenalter anwendbar. Sprachbegabung, Kreativität, die Eigenschaft viel mit den Händen zu arbeiten oder aber der Theoretiker zu sein und vieles andere kann man aus den Zehen erfahren. Lange oder kurze Zehen, große oder kleine Nägel, gerade, gebogene oder gekrümmte Zehen, alles hat seinen Grund.

Bei diesem Vortrag erkläre ich Ihnen, was die Verschiedenheiten der Zehen bedeuten.“

Wir wären bereits froh, wenn wir wüssten, wie die einzelnen Zehen heißen – aber gut, kommen wir langsam zum Schluss.

Das Konzept ,,Volkshochschule“ kann sicherlich als Erfolgsmodell zur Breitenbildung bezeichnet werden. Zahlreiche Akteure wirken daran tagtäglich haupt- und ehrenamtlich mit.

Auch sollten die angebotenen Themen breit gestreut sein, deshalb steht im ,,Kompetenzprofil“ für VHS-Referenten, dass …

… die Lehrenden durch Beruf, außerberufliche, ehrenamtliche, künstlerische Tätigkeit oder durch charakteristische Lebensläufe spezifische Bezüge zu ihren Themen haben.“

Es können und sollen also durchaus Nichtwissenschaftler ihr wertvolles Wissen und ihre Erfahrung zu einzelnen Themen in die Kurse einbringen, vom Sport bis zur Kunst bieten die Volkshochschulen hier ein weites Feld.

Allerding lesen wir im selben Profil:

Die Anforderungen an Befähigungshinweise und damit auch an die Verbindlichkeit der Fortbildung steigen. Sie werden durch die einzelne Volkshochschule im Rahmen ihres Qualitätsverfahrens festgelegt, sind z. T. VHS-übergreifend in einzelnen Programmbereichen als Standard verbindlich eingeführt oder durch Vorgaben Dritter vorgeschrieben.“

Ausdrücklich zählt also nicht nur die Fähigkeit zur Vermittlung von Inhalten, sondern auch die Qualität der Inhalte selbst.

Wer an einer VHS einen Kurs belegt, sollte davon ausgehen können, dass ihm der jeweils aktuelle Stand des Wissens zu einem Thema vermittelt wird. Das ist bei zahlreichen der oben genannten und darüber hinaus angebotenen Kursen und Vorträgen aus dem Bereich der Esoterik und ,,Alternativmedizin“ nicht der Fall.

VHS-Kurse zu Reiki, Kinesiologie, Homöopathie oder Astrologie tragen jedenfalls nicht zur Bildung der Bevölkerung bei.

Im Gegenteil: Sie geben diesen Pseudowissenschaften einen Anschein von Legitimität.

Das ist schade für eine großartige Institution, die jährlich von Millionen Wissenshungrigen gerne in Anspruch genommen wird.

Und dass es auch VHS-Verantwortliche gibt, die sich der esoterischen Volksverdummung aktiv widersetzen, zeigt dieses Klagelied eines Astrologen.

Zum Weiterlesen:

  • Das Elend der Volkshochschulen (2) – Erfurt, Psiram am 8. Februar 2013
  • Das Elend der Volkshochschulen, Psiram am 1. Februar 2013
  • VHS: Viel hochgradiger Schwachsinn, GWUP-Blog am 20. Juli 2011
  • Soll Skeptizismus sich in Politik und Moralfragen einmischen? The Mindmachine am 2. Februar 2013
  • VHS-Esoterik, Wahrsagerchecks-Blog am 21. Januar 2010

 

8 Kommentare

  1. Den Kurs des „Zehenlesens“ werde ich nicht besuchen…sollten die Teilnehmer ihre Füße herzeigen müssen – dieser Geruch führt mich sofort zum nächsten Kurs: „Kochen mit Käse“ :-)

  2. München ist nicht erwähnt, weil das neue Programm erst am Montag ‚rauskommt … es wird aber wieder einige schwer verdauliche Brocken geben.

  3. Hm, irgendwie ist mein Kommentar von gestern Abend im Datennirwana verschwunden.

    Ich musste für Diplomabschlussprüfungen auch noch NLP und Edu-Kinesiologie beherrschen.

    Die Pädagogische Psychologie ist sowieso durchzogen von Esoterik; da für Störungsintervention Kinder erst ab einem best. Entwicklungsstand kognitiven Verfahren offen stehen, hilft man sich mit allen möglichen Alternativen. Brain-Gym sei indiziert bei HKS und LRS und man leugnet in den Evaluationsstudien auch gar nicht, das es nur ein relativ unspezifischer Effekt der sensorischen Integration ist, der da wirkt, dennoch wird das mit den esoterischen Theorien unterfüttert, sonst würde das Verfahren ja seine Existenzberechtigung verlieren und in andere Komplexinterventionen integriert werden.

    Das peinliche ist aber gerade, daß das keine Domäne der Volkshochschule ist, das müssen Bachelor Paychologen auch alles lernen (gerade nachgesehen, ist immer noch im Lehrplan meiner alten Uni).

  4. Und die VHS Liesing/VHS Simmering in Wien bietet ab diesem Frühjahr Vorträge in Kooperation mit der Gesellschaft für kritisches Denken (GkD) – die österreichische Abteilung der GwUP an ;-)

    Nicht alle VHSen sind also esoterische Hochburgen!!

  5. @ Doris Vickers

    Bestätige ich gerne: Mich hat man ebenfalls für Vortrag und Lesung eingeladen, im Oktober diesen Jahres an die VHS in Wasserburg am Inn – seitens der Geschäftsleitung wird sogar ein gewisses kritisches Interesse seitens einer erwarteten Mindestanzahl von Besuchern an Esoterik, Anthroposophie und Waldorfpädagogik vorausgesetzt – noch keine Revolution in der Mainstreamdenke, aber ein nachweihnachtlicher Hoffnungsschimmer, immerhin!

  6. Ich dachte immer, eine VHS ist eine Bildungseinrichtung! Das meine ich ernst, ich dachte, da kann man das Abi nachholen und Wie ne Art Weiterbildungen machen. lieg ich echt so falsch? Da muss man sich ja echt überlegen, ob man da noch Geld ausgibt für so ne Schule!

  7. Dumm gelaufen, meine regionale VHS, Leine, Region Hannover, macht auch in Eso.

  8. Der Artikel erinnert mich an die Jürgen-Koppelin-Bildungsstätte in Stenkelfeld. Muss ich mir mal wieder anhören, die alten CDs …

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