Achtzig Jahre nach der „deutschen“ Physik und 35 Jahre nach dem „Binnenkonsens“ für eine „deutsche“ Medizin in Form der Homöopathie und der anthroposophischen Medizin: Es gibt Anzeichen dafür, dass Kritik an pseudowissenschaftlichen Umtrieben auch an deutschen Universitäten und Bildungseinrichtungen Raum gewinnt. Hat wissenschaftliche Redlichkeit wieder eine Chance?
Das Internet erhöht die Wirksamkeit von Basisbewegungen und Basisinitiativen, sei es zur Durchsetzung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in autoritären Staaten, sei es bei uns zu Gunsten wissenschaftlicher Redlichkeit. Es ist erfreulich zu sehen, dass die GWUP mit ihren Bestrebungen nicht mehr allein ist:
- Eine breite, wissenschaftsorientierte Bloggerszene agiert in Deutschland und darüber hinaus für die Wissenschaft und verschafft sich Gehör: Kritisch gegenüber Quacksalberei, Pseudowissenschaft und dem Leugnen wissenschaftlicher Erkenntnis (zum Beispiel Evolution oder Klimawandel) ist sie nicht mehr wegzudenken.
- Kritische Stimmen zu Fehlentwicklungen bekommen zunehmend Gehör in den Wissenschaftsredaktionen von Tages- und Wochenzeitungen, von der Süddeutschen, der Welt und der taz über Focus und SPIEGEL bis hin zu manchen Wissenschaftsblättern wie dem Laborjournal. Statt eines bisher gewohnten Relativismus sieht man eine zunehmend sachorientierte, objektive Berichterstattung, die sich nicht an ideologischem Wunschdenken orientiert.
- Ein allmähliches Umdenken scheint auch in elitären Kreisen einzusetzen, die sich bisher von manchen „Pfui“-Themen fern gehalten haben. So wie bei dem klaren Votum der Hochschulstrukturkommission des Landes Brandenburg mit der Empfehlung, die Quacksalberei des “Instituts für transkulturelle Gesundheitswissenschaften” (INTRAG) an der Europa-Universität Viadrina durch Schließung zu beenden. Erfreulich ist auch, dass wissenschaftliche Fachverbände, wie der Verband Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin (VBIO e. V.), Flagge zeigen und sich endlich offensiv „für eine wissensbasierte, rationale Debatte“ einsetzen, etwa im Bereich der grünen Gentechnik.
Dennoch bleibt vieles zu tun. Die Europa-Universität Viadrina, deren “Institut für transkulturelle Gesundheitswissenschaften” sich auf Ramschniveau bewegt, verpasste nur knapp den „Exzellenzstatus“ in Deutschland. An einer Reihe von Einrichtungen, die 2012 „Exzellenzstatus“ erlangt haben, werden Pseudowissenschaften gelehrt oder propagiert.
- In der von der Freien Universität Berlin und der Humboldt-Universität Berlin getragenen Charité werden pseudomedizinische Projekte von einschlägig bekannten Stiftungen oder gar der Industrie (die Karl und Veronica Carstens-Stiftung, sowie Helixor, Wala und Weleda) bezahlt.
- Die Technische Universität Dresden bietet das Wahlfach Akupunktur und das Wahlpflichtfach Homöopathie an, gefördert von der Karl und Veronica Carstens-Stiftung und dem Deutschen Zentralverein homöopathischer Ärzte.
- Die Technische Universität München lässt sich ihre Arbeitskreise Homöopathie und Traditionelle Chinesische Medizin von der Karl und Veronica Carstens-Stiftung sponsern.
Und dies sind nur Beispiele. Noch immer werden Pseudowissenschaften an Universitäten geduldet, ohne dass dies sich nachteilig auf die Bewertung im Rahmen der Exzellenzinitiative auswirken. Offenbar ahnungslos heben Prof. Matthias Kleiner, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Bundesforschungsministerin Prof. Annette Schavan und Prof. Wolfgang Marquardt, Vorsitzender des Wissenschaftsrates Universitäten hervor, die auch durch pseudowissenschaftliche Angebote glänzen. Man kann sich wahrlich fragen, wo die Stimmen der ernsthaften Wissenschaftler und Professoren innerhalb solcher Universitäten bleiben. Warum sehen sie zu, wie Teile ihrer eigenen Hochschulen sich abqualifizieren? Will sich Deutschland so an der Spitze der Wissenschaft hervortun?
Viele wichtige Medien und populäre Wissenschaftszeitschriften hüllen sich weitgehend in Schweigen oder fördern gar die Quacksalberei, wie im Falle der unkritischen Belobigung einer „Neuen Heilkunst“ in GEO. Noch geben sich viele Wissenschaftsverbände ahnungslos und lassen ihre schwarzen Schafe gewähren. Es ist Zeit für ein Umdenken, nicht nur „unten“, sondern auch „oben“.
Da kommt die Resolution bei der 6. Weltskeptikerkonferenz gerade richtig. Es ist zu hoffen, dass sich viele Wissenschaftler, Vertreter von Fachverbänden sowie Entscheidungsträger aus den Bereichen Wissenschaft und Gesundheit den Forderungen anschließen.
25. Juni 2012 um 20:40
Leider funktionieren die Links ins Esowatch-Wiki nicht.
25. Juni 2012 um 20:42
@Ponder: Esowatch scheint zur Minute gar nicht erreichbar zu sein.
Vermutlich die übliche Web-Attacke, wird wohl bald wieder da sein.
26. Juni 2012 um 08:49
Es wäre wirklich interessant die Gründe zu erfahren, warum Wissenschaftsverbände, andere Fachbereiche und deren Lehr- und Forschungskörper die Füße still halten bei pseudowissenschaftlichen Umtrieben in ihrer Nähe.
Angst vor schlechtem Ruf scheints nicht zu geben.
Zumindest solange wie nicht sehr sehr viele Medien darüber berichten.
Und an dem Geld das verbraten wird (letztenendes für als Forschung getarnte Publicity und Werbung) scheint sich niemand zu stören solange der großteil aus dem Topf privater Spender kommt.
Das auf lange Sicht diese Duldung den Boden für eine mehrheitliche Akzeptanz solcher Pseudoforschung geschaffen wird scheint man nicht zu befürchten. Nur wenns soweit kommt werden größere öffentliche Gelder angezapft werden.
Ich denke erst dann wird sich die Anzahl der Kritiker innerhalb der Wissenschaftsgemeinde in die Höhe schnellen.
Denkbar wäre auch, dass man sich innerhalb der Universität Kritik aneinander verbietet – oder verboten bekommt. Warum auch immer…
Oder was wars das den armen restlichen Forschungs- und Lehrkörper an der Viadrina verboten bzw gehindert hat sich öffentlich zu äußern?
Da gabs ja auch nur „hinter der Hand“-Kritik…
Geheimer Ehrenkodex zwischen den Bereichen einer Universität?
26. Juni 2012 um 09:09
Leider funktionieren die Links zu Esowatch immer noch nicht. Gestern kam eine Fehlermeldung – heute eine weiße Seite.
26. Juni 2012 um 19:07
Hi Sceptic & Ponder – so weit ich weiß, stand eine Überarbeitung der Plattformsoftware an (wie letztens, wenn auch ungeplant, bei den deutschen scienceblogs). Bis dahin einfach Thema googlen (Beispiel), dann Maus nach rechts über das ‚>>‘ bewegen für die Vorschau und dort letzendlich auf <im Cache> klicken. Mag vielleicht nicht die alleraktuellste Version sein, aber immerhin…
28. Juni 2012 um 17:22
Nachtrag an Sceptic & Ponder: Letztendlich scheint es doch nur ein DNS-wobble zu sein, eine Ergänzung der Datei „%SystemRoot%\system32\drivers\etc\hosts“ um die Zeilen
sollte für XP, 7 und die anderen NTs alles lösen.
29. Juni 2012 um 10:37
Bzgl Pseudoscience an deutschen Hochschulen wäre es auch höchste zeit, einmal das wirken des Otto Rössler in Tübingen unter die Lupe zu nehmen. jeder interessierte sollte sich einmal seine letzten Beiträge auf der webseite lifeboat.com/blog antun – und nicht nur das, googlen hilft da auch – hier wurde nicht nur seit ein paar jahren, sondern eher über jahrzehnte hinweg eine regelrechte crackpotschule etabliert.
ein gutes beispiel, wie sich einige durch den schönen schein haben blenden lassen.
29. Juni 2012 um 21:36
@ rolak,
was genau ist denn ein DNS-wobble?
@ Hans,
ist dass nicht der, der die Bevölkerung mit den Schwarzen Löchern unnötig verängstigt hat?
3. Juli 2012 um 21:12
Eine Woche Esowatch-Off, das wars wohl :-(