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„Scientabilität“ oder klinische Evidenz – oder beides?

| 7 Kommentare

In einem aktuellen Beitrag im Blog von Prof. Edzard Ernst geht es um eine Art „Scientabilitäts“-Debatte.

Allerdings nimmt Ernst keinen direkten Bezug auf die Forderung von Dr. Christian Weymayr, sondern rekurriert auf einen älteren Artikel in dem Fachjournal Evaluation & the Health Professions:

Is evaluating complementary and alternative medicine equivalent to evaluating the absurd?“

Bereits in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vor zwei Jahren hatte Ernst die Homöopathie als „grenzenlos unplausibel“ eingestuft:

Wir verstehen die Naturgesetze gut genug, um zu wissen, dass sie keine Grundlage hat. Ohne Wirkstoffmoleküle gibt es auch keine Wirksamkeit.

Und wenn Sie sich die klinischen Studien in ihrer Gesamtheit anschauen, dann kommen Sie unweigerlich zu dem Schluss, dass die Wirksamkeit für kein einziges Leiden belegt ist.

Das alles ist so überzeugend, dass man sagen sollte: Jetzt ist Schluss damit.“

Selbiges gelte für Bach-Blüten, Schüßler-Salze, anthroposophische Medizin etc.

In seinem jetzigen Artikel

Evaluating the absurd: a waste of time or a necessary step towards progress?

stellt Ernst diesen Ansatz partikulär zur Diskussion.

Der emeritierte Professor für Alternativmedizin schreibt, dass er die wissenschaftliche Plausibilität einer Methode nicht zur alleinigen Bewertungsgrundlage machen wolle, weil es Gründe dafür geben könnte, auch „das Absurde“ einer Evaluierung zu unterziehen – etwa wenn noch nicht alle relevanten Fakten bekannt sind, auf die sich das Verdikt „Implausibel“ stützt.

Ernsts Hauptargument ist aber der Demonstrationscharakter:

Wenn eine implausible alternative Heilmethode sehr populär ist, haben wir die Verantwortung, diese wissenschaftlich zu testen, um zu zeigen, was es damit wirklich auf sich hat.

Tun wir das nicht, werden die Verfechter des Verfahrens mit minderwertigen „Studien“ positive Ergebnisse postulieren und diese entsprechend promoten.“

Nun mag man freilich einwenden, dass Homöopathen und Co. ohnehin genau so vorgehen, völlig unabhängig von der objektiven wissenschaftlichen Studienlage.

Und dass genau aus diesem Grund das Konzept der „Scientabilität“ durchaus sinnvoll sein könnte, um das gegenseitige Zerpflücken von „positiven“ und „negativen“ Studien durch die Skeptiker einerseits und die Homöopathen auf der anderen Seite zu beenden.

Und stattdessen die Auseinandersetzung von der klinischen Forschung in die Grundlagenforschung zu verlagern, wo sie möglicherweise besser aufgehoben ist.

Gleichwohl Ernst sich nach eigenem Bekunden dieser Auffassung in der jüngeren Vergangenheit mehr und mehr angenähert hat, möchte er die klinische Evidenz einer Heilmethode aber noch nicht ganz beiseite wischen:

I’d be interested to learn your views on this tricky issue.“

Zum Weiterlesen:

  • Evaluating the absurd: a waste of time or a necessary step towards progress? edzardernst am 15. Mai 2014
  • Is evaluating complementary and alternative medicine equivalent to evaluating the absurd? Evaluation & the Health Professions, June 2010
  • Homöopathie, Scientabilität, das Frollein Doktor und die Belege, GWUP-Blog am 15. Januar 2014
  • Darüber lachen und vergessen? Homöopathie und Scientabilität, GWUP-Blog am 8. Januar 2014
  • Sind Homöopathie-Studien irrelevant oder Was bedeutet “Scientabilität”? GWUP-Blog am 19. Juni 2013
  • Kritiker werden als extreme Skeptiker abgestempelt, Süddeutsche am 23. November 2012
  • Die Homöopathie-Hydra, Beweisaufnahme in Sachen Homöopathie am 3. Mai 2014

7 Kommentare

  1. >>Der emeritierte Professor für Alternativmedizin schreibt, dass er die wissenschaftliche Plausibilität einer Methode nicht zur alleinigen Bewertungsgrundlage machen wolle,>>

    Leider hat der Alternativmedizinprofessor eine Kleinigkeit übersehen.

    In Wirklichkeit wirkt ja nicht die geistartige Kraft, die beim Potenzieren übertragen wird.

    Dies ist lediglich ein weit verbreiteter Irrglaube. Es freut mich, dass ich nun darüber aufklären darf.

    In Wirklichkeit wirkt hier die Engelskraft (siehe entsprechende Stellen in der Bibel). Jeder Mensch hat ein Engelwesen beigeordnet, welches ihn beschützt und diese Engelskraft fährt in homöopathischen Pillen und wirkt dann wiederum auf den Patienten. Ja, es sind die Schutzengel. Viele Menschen berichten von diesen Schutzengel. Manche können ihre Anwesenheit spüren, einige können sie sogar sehen und manche Medien mit ihnen sprechen.

    Die Homöopathen haben einfach unrecht. Sie wissen es leider nicht besser. Deswegen dieser etwas seltsame Umweg mit dem Potenzieren.

    (Hmmmm – vielleicht ist Evidenz ja doch nicht so verkehrt. Mir fällt nämlich gerade ein, dass es ja auch die Pyramidenkräfte sein könnten. Das würde meiner Engelstheorie widersprechen. Ich gehe jetzt erst einmal eine Runde Eigenurin trinken. Wer macht mit?)

    PS: Auch wenn ich die Darstellung beim Satanismus-Interview nicht so ganz nachvollziehen konnte – vielen Dank, Herr Harder, dass Sie Deutschland nicht den Vollidioten und Quacksalbern überlassen.

  2. Das Konzept Scientabilität wirkt auf mich wie der hilflose Versuch, aus dem heraus auch einst das wissenschaftspolitische Schlagwort ‚evidenzbasiert‘ seinen Weg in den wissenschaftlichen Jargon fand.

    ‚Evidenzbasiert‘ wird immer da gedroppt, wo man sich gegen Esoterik oder andere Erkenntnisformen abgrenzen muß, die sich nicht dem kritischen Rationalismus verschrieben haben.

    In der Psychologie und Psychiatrie findet es z.B. immer da Verwendung, wo Forschung auf unliebsame und längst totgeglaubte Vettern stößt (da sind dann Behandlungsmethoden ‚evidenzbasiert‘, um nicht in den Verdacht zu geraten, z.B. etwas mit der ‚unwissenschaftlichen‘ Psychoanalyse am Hut zu haben) oder, wie bei der Elektrokonvulsionstherapie, man sich Methoden bedient, die öffentlich zurecht sehr skeptisch betrachtet werden.

    Die EKT hat differentielle Effekte bei sonst nicht behandelbarer Depression, aber ihre grausame Geschichte wurde nie so richtig ‚aufgearbeitet‘, da soll es dann das Label ‚evidenzbasiert‘ richten.

    Scientabilität klingt nach einer scheinbar plausiblen Reaktion, um sich gegen esoterische Aushöhlung der Wissenschaft zu bedienen, ist erkenntnistheoretisch aber nicht sonderlich ‚elaboriert‘.

    Man sollte wohl eher an der Frage ansetzen, warum diese ’sanften Methoden‘ so beliebt sind.

  3. @Peter-210:

    << PS: Auch wenn ich die Darstellung beim Satanismus-Interview nicht so ganz nachvollziehen konnte - vielen Dank, Herr Harder, dass Sie Deutschland nicht den Vollidioten und Quacksalbern überlassen. << Danke. Wenn die Diskussion streckenweise zu heftig war oder ich Ihnen irgendwo Unrecht tue, entschuldige ich mich gerne dafür.

  4. @Abe
    >‘Evidenzbasiert’ wird immer da gedroppt, wo man sich gegen Esoterik oder andere Erkenntnisformen abgrenzen muß, die sich nicht dem kritischen Rationalismus verschrieben haben.Scientabilität klingt nach einer scheinbar plausiblen Reaktion, um sich gegen esoterische Aushöhlung der Wissenschaft zu bedienen, ist erkenntnistheoretisch aber nicht sonderlich ‘elaboriert’.<

    Weder Scientabilität, noch Plausibilität (Glaubwürdigkeit hängt nicht nur vom aktuellen Wissenstand, sondern auch von individuellen Vorlieben ab), noch prior probability (wie hoch genau ist denn die Wahrscheinlichkeit für irgendetwas?) sind epistemische Kracher, in der Medizin geht es aber nicht um high-end Philosophie, sondern auch um die Entscheidung "was soll man tun, was soll man lassen".

    Und hierbei sind das wertvolle gedankliche Instrumente, die sicherlich zu verfeinern und möglichst klug mit 'evidenzbasiert' zu verknüpfen sind.

    'Man sollte wohl eher an der Frage ansetzen, warum diese ‘sanften Methoden’ so beliebt sind.<

    Kommt drauf an, wo man sich gerade rumtreibt. In rein medizinischen Fachdiskussionen muss die soziologische Frage keine Rolle spielen.

    Geht es aber auch um das Thema Aufklärung, sollte sie imo eine Rolle spielen.

    Vielleicht erliege ich da einer Illusion, aber in vielen skeptischen Blogs und Foren wird die Beliebtheitsfrage sehr wohl hinsichtlich psychologischer und soziologischer Aspekte behandelt, das 'sollte wohl eher' kann ich daher nicht nachvollziehen.

  5. @Abe,
    PS
    Einen Teil meines vorherigen Kommentars haben entweder böse digitale Kräfte oder meine Schusseligkeit geschrottet, daher ein Nachtrag:

    Das Schlagwort ‚evidenzbasiert‘ (vielmehr das Konzept EBM) wurde eingeführt, weil man gemerkt hat, dass ‚authority-based‘ und ‚erfahrungsbasiert‘ nicht unbedingt den höchsten Benefit für Patienten zur Folge hatte.

    Schließlich wurden (und werden) all zu lang Methoden angewendet, die nicht durch Wirksamkeitsstudien belegt waren sondern -überspitzt formuliert- durch die Meinung des Chefarztes.

    Eine Abgrenzung zur Esoterik war bei der Einführung des Begriffs ganz sicher nicht der Hauptaspekt. Bei der Frage „welche Methode zur Behandlung der Krankheit X sollte ich anwenden“ hat das Schlagwort daher durchaus seine Berechtigung.

    Und ich persönlich würde zur Abgrenzung zur Esoterik auch lieber den Begriff ’science-based‘ (fu.. anglicism!) verwenden, ‚wissenschaftsbasiert‘ geht aber auch.

    Das schließt nämlich den Ausschluss von hanebüchenem Unfug ein und geht etwa in Richtung ‚Scientabilität‘.

  6. Es wäre schlicht schädlich für die Volksgesundheit, wenn man unwirksamen, esoterischen Therapien kommentarlos das Feld überlassen würde. Dagegen zu kämpfen, auch mit wissenschaftlichen Studien, kann Leben retten. Das ist sogar ein paar Euro Steuergelder wert.

    Ernsts Punkt 3 sagt es überdeutlich:

    <>

  7. Ich finde das Konzept, einen Preis für einen eindeutigen Wirkbeweis auszusetzen am Besten. In allen Diskussionen, die ich geführt habe, hat das am Besten gewirkt.

    – Man braucht auch keine Forschungsgelder auszugeben, um zu beweisen, dass etwas nicht funktioniert (geht auch ganz schlecht).
    – Keiner kann sich rausreden, dass er es nicht nötig hat, etwas zu beweisen, weil er ja weiß, dass es wirkt. (Dann hol Dir doch die Million oder hast Du Angst, dass es nicht klappt?).

    Mit dem Preisgeld bringt man die Beweislast dahin, wo sie hingehört.
    Und dass ist auch für alle wissenschaftliche Laien unmittelbar verständlich.

    Gibt es so ein Preisgeld eigentlich auch für Perpetuum Mobile ? Damit der ganze Quatsch mit Freier Energie und dergleichen aufhört?

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