Heute in der Süddeutschen:
Wie geht es weiter nach dem March for Science? […] Bislang folgte dem Protest gegen die Marginalisierung von Wissenschaft nämlich nicht so viel.
Die Leugnung gesicherten Wissens hat in den Vereinigten Staaten extreme Formen angenommen, aber die Skepsis gegenüber dem wissenschaftlich Erwiesenen bricht sich längst auch in Deutschland Bahn. Das Wissenschaftsbarometer des gemeinnützigen Vereins Wissenschaft im Dialog hat in seiner jährlichen repräsentativen Umfrage 2017 festgestellt, dass jeder vierte Deutsche Zweifel an der Evolutionstheorie hat oder sie sogar ablehnt.
Jeder Dritte glaubt oder ist sogar überzeugt davon, dass Impfungen Kindern Schaden zufügen. Demnach wird eine der größten Errungenschaften der Medizin, die nachweislich und wissenschaftlich belegt Millionen Menschenleben jährlich auf der Welt rettet, im Heimatland von Paul Ehrlich und Robert Koch von einem substanziellen Teil der Deutschen verleugnet.Wo aber bleibt der Aufschrei der Mediziner, der Protest der Immunologen?Dass man sich mit den Fakten selbst in Echoräumen verbarrikadiert, ähnlich jenen, in denen Impfgegner, Homöopathen und Kreationisten einander das Wort reden, wird immerhin einer wachsenden Zahl von Wissenschaftlern klar – auch in Deutschland.
Ohne Kampf geht es eben nicht, sonst überlässt man das Feld den Gegnern der Wissenschaft – und die wissen eines sicher, nämlich wie man es macht.“
Zum Weiterlesen:
- Wissen an die Macht, Süddeutsche am 24. Oktober 2017
- Alu-Hut-Alarm: Darum glauben so viele Leute an Verschwörungstheorien, watson am 24. Oktober 2017
- „Fake News“ in sozialen Netzwerken, spektrum am 18. Oktober 2017
- Ten Questions You Always Wanted to Ask a Flat Earther, Vice am 23. Oktober 2017
- Mit Aluhüten und Aufklärung gegen Verschwörungstheorien, Deutschlandfunk am 19. Oktober 2017
- Zwölf Prozent: Wissenschaftskommunikation mit Wissenschafts-Skeptikern, wissenschaft kommuniziert am 17. Oktober 2017
- Studie zu Fake News: AfD-Wähler glauben rechten Unsinn, netzpolitik am 23. Oktober 2017
- Die richtige Portion Skepsis, wowk am 26. Oktober 2017
24. Oktober 2017 um 23:17
Und wo bleibt der Aufschrei der normalen Leute? Für den meisten Schwachsinn braucht man kein Wissenschaftler zu sein, um zu sehen, dass es Schwachsinn ist.
25. Oktober 2017 um 08:37
@ J. Kuhn:
Bitte vergiss nicht: der Durchschnittsmensch ist ein soziales Wesen und deshalb tolerant genug, den Schwachsinn anderer zu tolerieren, anstatt ihn zu kritisieren.
25. Oktober 2017 um 12:55
Ich würde gerne Patent- oder Gebrauchsmusterschutz für die Begriffe Resonanz, Bio-, Energie, Quanten, Frequenz, Schwingung und ein paar weitere erheben und der Wissenschaft deren Benutzung verbieten bzw. das lizenzpflichtig machen.
Vielleicht merken die Wissenschaftsverbände, die Institute und Universitäten etc. dann mal, dass da was schiefläuft und sie durch ihre Passivität selbst dazu beitragen, dass ihnen kein Mensch mehr was abnimmt, bis in die höchsten Politik- und Regierungskreise hinein.
Wobei… ich bin nicht sicher, ob die überhaupt je was merken, solange politisches Desinteresse an der Forschungförderung durch Drittmittel aufgewogen werden können.
25. Oktober 2017 um 14:27
@ Joseph Kuhn & noch’n Flo: Ja, soziales Wesen mit Toleranz auch.
Aber was meiner Meinung nach stärker ins Gewicht fällt ist das oft schrille und ganz oft irreführende Geblöke der Medien zu Wissenschaftsthemen im allgemeinen und zu Gesundheits- und v.a. Ernährungsthemen im besonderen.
Ständig werden irgendwelche Sauen durch die Dörfer getrieben. Schokolade macht glücklich, Walnüsse machen schlau, x Bier pro Woche sind gut für dies, y Glas Rotwein pro Tag gut gegen jenes. Superfood, freie Oxidantien gegen schädliche Radikale, Cholesteringedöns, Ballaststoffexzesse, weiß der Geier. Dummheitsgen entdeckt, Langlebigkeitsgen, Mathematikgen, Sportlichkeitsgen, Blaue-Augen-Gen, Segelohrengen usw. gefunden.
Nächste Woche oder nächstes Jahr wird das Gegenteil als neueste Erkenntnis in die Welt geblasen. Und wenn man dem mal nachgeht, beruht das fast immer auf Studien, in denen es um schwache Effekte bei Labortieren geht, um möglicherweise denkbare Zusammenhänge. Oft genug lässt sich nicht einmal eine Kausalität schlüssig zeigen, und ganz oft steht das auch in den Studien ganz ausdrücklich drin.
Aber weil Medien Umsatz machen müssen, schreiben sie halt reißerisch vereinfachenden Unsinn, wo ganz vorsichtig formuliert werden oder – für das nichtwissenschaftliche Publikum – gleich gar nichts geschrieben werden sollte. (Dass viele wissenschaftliche Institutionen keine sinnvolle Öffenltichkeitsarbeit machen, dass dagegen manche Wissenschaftler sich mit spektakulären Aussagen gelegentlich zu weit aus dem Fenster lehnen, hilft natürlich nicht. Ebensowenig aufgeflogene Fälschungen und Manipulationen, über die zurecht ebenfalls immer groß berichtet wird.)
Die Rosa-Presse ist natürlich ein ganz großer Akteur auf diesem Markt, aber es beschränkt sich bei weitem nicht auf die Krakeelpresse, sondern findet auch in ansonsten seriösen Zeitungen und Portalen einschließlich der öffentlich-rechtlichen Sender statt.
Wenn jetzt ständig irgendwas als neue wissenschaftliche Erkenntnis präsentiert wird, was den Sensationsmeldungen von vorgestern widerspricht, stumpft man ab und glaubt den Leuten nicht mehr. Und zwar nicht den Journalisten (da gilt: Don’t shoot the messenger), sondern „der Wissenschaft“. Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und als Lügender wird kollektiv die Wissenschaft gesehen.
Als wissenschaftlich nicht weiter gebildeter Normalbürger kann man da kaum den Überblick behalten und die Sachen nicht wirklich einordnen. Wenn sich dann sogar Ärzte öffentlich darum streiten, ob Homöopathie funktionieren kann oder nicht, wird das für die meisten als akademisches Gekabbel rüberkommen, das für sie nicht weiter relevant ist. Mit dem Klimawandel und dem Impfen läuft es ähnlich.
25. Oktober 2017 um 16:18
@ gnaddrig:
Und aus diesem medialen Chaos erwächst dann bei den Menschen das Gefühl, die Wissenschaft sei nicht verlässlich, weil sie heute dieses behaupte und morgen schon etwas völlig anderes.
Ansonsten aber eine sehr schöne Zusammenfassung der Sachlage, vielen Dank dafür!
25. Oktober 2017 um 17:04
„Nearly 19 000 cases of measles were reported in the European Union between January 2016 and October 2017, including 44 deaths, show figures collected by the European Centre for Disease Prevention and Control.“
Wie viel haben die (a)sozialen Medien dazu beigetragen? Der eigentliche Seuchenherd ist imho das Internet, wo sich die Ideen der Antivaxxer ungehemmt ausbreiten können und durch Anekdoten und Lügen immer weiter aufgeblasen werden.