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„Grotesk, aber gefährlich“: Exorzismus im neuen Skeptiker

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Im True-Crime-Podcast Mord am Mittwoch geht es um „Exorzismus in Deutschland“ – genauer gesagt um den Fall „Zimmer 433“. Das befindet sich im Hotel InterContinental in Frankfurt und war 2015 Schauplatz einer „Teufelsaustreibung“, bei der eine 41-jährige Koreanerin starb.

Gemeinhin gilt Klingenberg (1976) als „letzter offizieller Exorzismusfall Deutschlands“.

Doch wie verträgt sich das mit solchen Schlagzeilen:

Dieser Frage gehen wir im neuen Skeptiker (3/2024) nach, der jetzt erschienen ist.

Tatsächlich gab es noch bis in die 2000er hinein offiziell genehmigte Austreibungen in der katholischen Kirche in Deutschland. Heute dürfte die gängige Praxis in allen 27 deutschen Bistümern sein, dass Menschen, die sich für besessen halten, seelsorgerisch begleitet werden und professioneller therapeutischer Hilfe zugeführt werden, schreibt dazu eine Gruppe von diözesanen Weltanschauungsbeauftragten in einer Handreichung:

Wer Menschen, die sich in besonderer Weise vom Bösen bedrängt fühlen, ernst nimmt und sich den Erkenntnissen theologischer und humanwissenschaftlicher Forschung nicht verschließt, benötigt unabdingbar eine pastoral verantwortungsvolle interdisziplinäre Zusammenarbeit in Medizinisch-psychiatrischer, psychologisch-therapeutischer und seelsorgerisch-theologischer Hinsicht.

Was hat es dann jedoch mit den „zwei bis drei Teufelsaustreibungen pro Tag in Deutschland in der katholischen Kirche“ auf sich, „die aber nicht offiziell sind“, von denen der Journalist Marcus Wegner spricht? Aus Reihen der evangelikalen Szene seien es „sechs bis sieben.“

Offenbar gibt es in der katholischen Kirche in Deutschland eine Grauzone, in der etwa Gastpriester aus der Weltkirche ohne bischöfliche Erlaubnis „Dämonen“ austreiben. Ebenso steigt die Zahl der Menschen, die nach Deutschland kommen und einen Exorzismus als etwas „einigermaßen Normales“ ansähen.

Der Schweizer Pfarrer Joachim Müller warnte schon 2002 vor „wilden Exorzismen im kirchlichen Raum“, die „leider trotz Verbot auch heute noch vorkommen“, und artikulierte seine Zweifel daran, ob „gewisse fundamentalistische Kreise innerhalb der katholischen Kirche“ wirklich die „Vorbehalte und Stoppschilder“ ihrer Dienstherren dem Exorzismus gegenüber berücksichtigen.

Ein schillerndes Beispiel dafür dürfte der Freisinger Pallotinerpater Jörg Müller sein (o.l. bei STRG_F), der sich laut Stern „dazu bekennt, Exorzismen durchzuführen“.

In den Freikirchen sind es Gestalten wie Nature23 oder „Torik“, die mit der Selbstinszenierung und medialen Wirkmächtigkeit katholischer Star-Exorzisten wie Gabriele Amorth nahezu gleichgezogen haben:

Grotesk, aber gefährlich

urteilt etwa die Wochenzeitung Kontext über Torik Borger:

Hand auflegen, beten, zack: geheilt. Das hilft anscheinend gegen alles, nur Dämonen müssen richtig ausgetrieben werden. Das kann er aber auch. Davon gibt es etliche Videoclips.

Einige Ausschnitte daraus gab es beim Skeptical im Mai in Augsburg zu sehen. Koreferentin Jasmina Eifert (r.) skizziert im Skeptiker unter anderem die Gefahren von solchen Praktiken für Betroffene.

So zeigt etwa eine Einzelfallstudie von 2017, dass Exorzismen auf die biografisch vorbelastete
und traumatisierte Frau einen retraumatisierenden Effekt hatten. Diese und andere Untersuchungen disqualifizieren zudem auch Fixierungen (wie z.B. Nature23 sie anwendet) als probates Hilfsmittel einer solchen Prozedur:

Im Gegenteil: Betroffene berichten eher von weiterer Traumatisierung und einer Verstärkung von Problemen, inklusive erhöhtem Therapiebedarf.

Wie aber kann man sinnvoll den Menschen helfen, die sich selbst als „besessen“ wähnen und einen Exorzismus verlangen (Jörg Müller erwähnt „hunderte Anfragen“ allein aus dem Raum München und Freising jedes Jahr)?

Eifert spricht sich für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit „zwischen verschiedenen Stellen wie der Psychiatrie, der Psychotherapie und der Seelsorge“ aus. Von zentraler Bedeutung sei es, die Menschen dort abzuholen, wo sie derzeit stehen, und möglichst flexibel nach gemeinsamen Lösungen zu suchen:

Als primäres Ziel ist gerade aktuell wichtig, Betroffene vor Schäden durch Falschbehandlungen zu bewahren.

Denn was von den Zusagen eines Nature23 zu halten ist („Wir bieten alternative Behandlungsmöglichkeiten an, die zu einem Erfolg führen, zu einer sogenannten Heilung, im Bereich der multiplen Persönlichkeitsstörung … Wenn eine Fixierung stattfindet, dann ist die Heilungsgarantie zumindest gegeben“), zeigt der kürzliche Suizid einer seiner „Patientinnen“.

Der neue Skeptiker kann hier bestellt werden (auch als ePaper).

Zum Weiterlesen:

  • Neu: Skeptiker 3/2024
  • Polens berühmtester Exorzist in U-Haft, mdr am 11. September 2024
  • Bistum Rom distanziert sich von einem Exorzisten, domradio am 5. September 2024
  • Die Geschichte eines „echten“ Exorzismus? Alle Infos zu „The Deliverance“, prisma am 28. August 2024
  • Exorzismus in Deutschland: Der Fall Zimmer 433, Mord am Mittwoch am 14. August 2024
  • Spiegel-TV über den Internet-Exorzisten „Nature23“, GWUP-Blog am 10. April 2024
  • Podcast: Pakt mit dem Dämon, Mord Auf Ex am 8. April 2024
  • Podcast: Tödlicher Exorzismus – der Fall Anneliese M., GWUP-Blog am 22. März 2024
  • „Teuflische Angst“: Die SZ über den Exorzisten „Nature23“, GWUP-Blog am 3. Januar 2024
  • Neu im Skeptiker: Der Internet-Exorzist „Nature23“, GWUP-Blog am 9. Dezember 2023
  • Exorzismus in Deutschland, GWUP-Blog am 27. November 2023
  • Weltverband der Exorzisten wählte neuen Vorsitzenden, kurier am 25. November 2023
  • Qualvoller Tod bei „Teufelsaustreibung“: Haft- und Bewährungsstrafen, rnd am 30. August 2021
  • Video: Welche Rolle spielt aktuell Exorzismus in Deutschland? GWUP-Blog am 17. November 2019
  • Teenage Exorcists: Drei heiße Bräute Christi im Kampf gegen böse Sex-Dämonen, GWUP-Blog am 15. September 2013
  • Christfluencer Torik: Grotesk, aber gefährlich, kontext am 31. Juli 2024
  • „Torik Borger“ bei Relinfo
  • EZW: Dämonen austreiben wie Jesus?

Ein Kommentar

  1. „Jetzt weiche ich!“ Teufels- und Dämonenvorstellungen in der Gegenwartsgesellschaft

    https://www.feinschwarz.net/jetzt-weiche-ich/

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