gwup | die skeptiker

… denken kritisch seit 1987.

Putins Trollin: Universität Bonn distanziert sich von Ulrike Guérot

| 9 Kommentare

Ihr neues Buch „Endspiel Europa“ bewirbt Ulrike Guérot im Multipolar Magazin (mit Psiram-Eintrag) und bei Rubikon News (mit Psiram-Eintrag):

Philipp Ther, Professor für Geschichte Ostmitteleuropas an der Universität Wien, wirft Guérot vor, weder die russische noch die ukrainische Sprache zu beherrschen, auch mit der Nato habe sie sich nie befasst:

Es fehlt also jede Basis für eine fundierte Einschätzung.

Für eine weitere Neuerscheinung, in der es um „die planmäßige Entrechtung und Unterwerfung aller Menschen weltweit“ geht, hat sie ein Vorwort beigesteuert:

Bereits im Juni erklärte das Studierendenparlament der Uni Bonn, die „unfundierten“ Aussagen der Professorin seien zwar von der Meinungsfreiheit geschützt, aber einer Inhaberin des Lehrstuhl Europapolitik nicht angemessen. Sie schadeten dem Ruf der Uni.

Auch der Göttinger Politikwissenschaftler Andreas Busch forderte, die Universität müsse „Licht in dieses Berufungsverfahren“ bringen und „darlegen, wie ein Prozess der Bestenauslese zur Berufung von Frau Guérot führen konnte“.

Am 31. Oktober hat nun die Uni Bonn eine „Stellungnahme zu öffentlichen Äußerungen eines Mitglieds der Universität“ veröffentlicht – allerdings ohne konkrete Namensnennung.

Darin heißt es:

Allgemeine Standards guter wissenschaftlicher Praxis [sind] zu wahren und namentlich spekulative, nicht wissenschaftlich belegbare Behauptngen zu unterlassen. Verdachtsfälle auf Fehlverhalten werden im Einzelfall von den zuständigen Stellen geprüft und gegebenenfalls sanktioniert.

Dass bereits ein solches Verfahren anhängig sei, sagte die Uni-Pressestelle dem Journalisten Gunnar Hamann:

Gegenüber Welt-Online erklärt die Universität kryptisch:

Die Universitätsleitung nennt in ihrer Stellungnahme bewusst keinen Namen, dabei werden wir es auch weiterhin belassen. Personalangelegenheiten unterliegen der Pflicht zur Verschwiegenheit. Stellungnahmen wie die jetzt veröffentlichte kommen selten, aber immer wieder vor und sind höchst individuell auf den jeweiligen Sachverhalt bezogen.

Wenn indes nicht alles täuscht, schreibt der Autor dazu, seien „Ulrike Guérot, ihre öffentlichen Auftritte und wahrscheinlich auch ihre Veröffentlichung der Anlass dieser Stellungnahme“.

Auch die FAZ geht davon aus, dass damit Ulrike Guérot gemeint ist.

Der FAZ-Redakteur Thomas Thiel weist in dem Artikel darauf hin, dass Guérot nicht nur einen freizügigen Umgang mit Fakten pflege, sondern auch umfangreich plagiiert habe:

Beides muss nicht dem gleichen Ziel dienen. Sollte sich jedoch herausstellen, dass sie gezielt ihre wissenschaftliche Reputation für politische Propaganda missbraucht und dabei wissenschaftliche Standards verletzt, könnte das Folgen haben.

Der Autor äußert ferner die Vermutung, Guérot habe ihren Bonner Lehrstuhl weniger ihren akademischen Meriten zu verdanken als vielmehr ihrem „politischen Kapital“ als „auflagenstarke Pu­blizistin und gefragte Medienfigur“.

Zu ihrem neuen Ukraine-Buch erklärt Thiel:

Konsequent wird die Deutung des weltpolitischen Geschehens dem Wunsch nach eigener Wirkung und Größe untergeordnet.

Dagegen kritisiert ein Sprecher des Netzwerks Wissenschaftsfreiheit bei Welt+ das Verhalten der Universität Bonn als „übergriffig“ und deren Stellungnahme als eine Ansammlung von „unbelegten Pauschalbehauptungen“.

Aber auch der Welt-Journalist unterstreicht, dass Guérots Weg zur Bonner Ordinaria „alles andere als skandalfrei“ gewesen sei und hebt unter anderem die Plagiatsaffäre hervor. Erklärungsbedürftig sei darüber hinaus die Tatsache, dass die Politologin sich nicht scheue, „Endspiel Europa“ in ihre wissenschaftliche Publikationsliste aufzunehmen.

Ein Buch, das die Wiener Zeitung dazu veranlasst, Ulrike Guérot schlicht „Putins Trollin“ zu nennen.

Update

Zeit-Online interviewt dazu den Mainzer Philosophen Tim Henning:

Was Guérot tut: Sie trifft Aussagen auf Grundlage unzureichender Belege. Logisch ist da aber nichts widersprüchlich oder widersinnig. Es ist schlechte Wissenschaft, weil es schlecht belegt ist.

Im Verfassungsblog war bereits vergangene Woche ein Beitrag zu der Frage erschienen, was Universitäten gegen „politische Esoteriken“ von Professorinnen und Professoren tun können.

Zum Weiterlesen:

  • Stellungnahme zu öffentlichen Äußerungen eines Mitglieds der Universität, uni-bonn am 31. Oktober 2022
  • Fulminante Deutungen, FAZ+ am 3. November 2022
  • Ulrike Guérot und die „absurde territoriale Integrität der Ukraine“, ruhrbarone am 3. November 2022
  • Bonner Professorin in der Kritik: „Man kann Guérot nicht mehr auf Studierende loslassen“, t-online am 2. November 2022
  • Putins Trollin, Wiener Zeitung am 3. November 2022
  • Warum die Uni Bonn ein Problem mit ihrer Star-Professorin hat, Welt+ am 4. November 2022
  • Ulrike Guérot: „Es ist schlechte Wissenschaft, weil es schlecht belegt ist“, Zeit+ am 4. November 2022
  • Ulrike Guérot: Wo die Politologin ist, ist Provokation, morgenpost am 10. Juni 2022
  • Ulrike Guérot: Eine Stimme des Postfaktischen, Zeit+ am 3. August 2022
  • „Verschwörung & Fakten“: Die Radikalisierung der Ulrike Guérot, GWUP-Blog am 19. März 2022

9 Kommentare

  1. „Guérot und Ritz haben durchgehend recht, und das Buch führt in der kriegsgeilen, blinden Öffentlichkeit bereits zu empörten Reaktionen.“

    https://www.pi-news.net/2022/11/ulrike-guerot-europa-wird-per-ukraine-jetzt-der-garaus-gemacht/

  2. [Guérots] Aufregung über den Überfall Russlands auf die Ukraine hält sich daher auch in Grenzen: „Der aktuelle Krieg, geführt um eine historisch geradezu absurde territoriale Integrität der Ukraine, könnte also dafür genutzt werden, Europas überfällige Loslösung von seinen nationalstaatlichen Konturen zu befördern, die seit 1989 das Versprechen war.“

    Von Russland, schreibt sie, könne Europa viel lernen: „Was das friedliche Zusammenleben unterschiedlichster Religionen und Kulturen angeht, verfügt der Vielvölkerstaat Russland gegenüber der EU über einen enormen Erfahrungsvorsprung.“

    Vom Feldherrenhügel betrachtet Guérots den eurasischen Doppelkontinent, der ihr nicht mehr als eine Folie ihrer Visionen ist. Was die Menschen, die dort leben wollen spielt für sie, ganz Utopistin, keine Rolle.

    Ihr Umgang mit der Geschichte ist von dem Motto „Was nicht passt, wird passend gemacht geprägt.

    https://www.ruhrbarone.de/ulrike-guerot-und-die-absurde-territoriale-integritaet-der-ukraine/214580/

  3. @Bernd Harder

    Ich gehe aber mal davon aus, dass Ulrike G. mittlerweile beim Deutschlandfunk ein für alle Mal raus ist, oder gibt es da andere Informationen?

  4. @Peter Friedrich:

    Ich habe keine dazu.

  5. https://www.zeit.de/2023/10/ulrike-guerot-universitaet-bonn-sanktionen

    Ob es sich jetzt tatsächlich um eine „Kündigung“ zum 31. März handelt, wie Guérot am Dienstag auf Twitter bekräftigte, wollte die Universität auf Anfrage der ZEIT nicht sagen, „mit Rücksicht auf die Rechte der Betroffenen“.

    Die Gemengelage ist also unübersichtlich, und sie wird noch verwickelter, weil es sich bei Guérots Büchern in großen Teilen um nicht wissenschaftliche Publikationen handelt, die einerseits vor ihrer Berufung nach Bonn 2021 erschienen sind und andererseits auch gar nicht zwangsläufig etwas mit akademischen Standards zu tun haben müssen.

    Ulrike Guérot ist eine Intellektuelle, die sich immer wieder zu politischen Themen positioniert hat, vor dem russischen Überfall etwa zur Impfpflicht.

    Das große Aber: In diesem Fall sind die populären Sachbücher doch hochschulrelevant! Und zwar weil bei Wissenschaftlern, die wie Ulrike Guérot nur promoviert, aber nicht habilitiert sind, Berufungen an eine Universität auf der Grundlage von „habilitationsäquivalenten Leistungen“ erfolgen. Dies stellt eine Neuerung im traditionell langsamen alteuropäischen Wissenschaftssystem dar.

    Während es dort immer noch üblich ist, nach der Promotion noch ein zweites Buch, die Habilitation, zu schreiben, hat sich mit der naturwissenschaftlichen paper-Kultur der angelsächsischen Welt auch das Tempo in den Sozial- und Geisteswissenschaften international längst beschleunigt.

    Wer auf breitem Feld publiziert, kann diese verschiedenen Veröffentlichungen als gleichwertige Qualifikation geltend machen. Schon 2016 wurde Guérot so an die Universität im österreichischen Krems berufen.

    Was die einen als Qualitätsabfall beklagen, bejubeln die anderen als Fortschritt: Einerseits können Wissenschaftler jetzt schneller an Professuren kommen, andererseits haben Universitäten nun auch endlich die Chance, Köpfe in ihre Reihen zu holen, die vielleicht kein rein akademisches Profil haben, dafür aber öffentliche Ausstrahlung.

    Und genau das wünschen sie sich heute mehr denn je: mehr mediale Strahlkraft, mehr Partizipation an gesellschaftlichen Diskursen.

    Nur wissen viele Hochschulen offenbar immer noch nicht, was es heißt, sich ebendiese Öffentlichkeitswirkung ins Haus zu holen. Denn im Ernstfall bedeutet es, dass der heilige Hieronymus im Gehäuse, das Urbild des Gelehrten nach Albrecht Dürer, nicht nur sein Studierzimmer gegen ein Diskussionspodium eintauscht, sondern dass irgendwann auch eine Horde Journalisten hindurchtrampelt und wissen will, wie es da aussieht.

    Die Universität Bonn machte hier schon im Oktober keine gute Figur, als sie nach Guérots Äußerungen, der Westen habe den Krieg mit Russland begonnen, sich nicht nur von ihr – freilich verklausuliert, ohne Namensnennung – distanzierte, sondern auch betonte, „spekulative, nicht wissenschaftlich belegbare Behauptungen“ könnten von den zuständigen Stellen „sanktioniert“ werden.

    Was Spekulation heißt, blieb dabei ebenso im Unklaren wie die Frage, auf welcher Grundlage überhaupt Professoren für ihre Meinungsäußerung belangt werden können, selbst wenn sie wie Guérot nicht verbeamtet sind, sondern nur angestellt.

    Und so hinterlassen nun auch die arbeitsrechtlichen Schritte, gegen die Guérot bereits angekündigt hat juristisch vorzugehen, den Eindruck: Die Universität selbst scheint mit der Situation überfordert zu sein. Sie scheint selbst nicht mehr zu wissen, was man sich von dieser Publizistin für den akademischen Geist versprochen hat. So oder so gilt: Wer schillernde Gäste einlädt, sollte sich später nicht wundern, wenn die Party aus dem Ruder läuft.

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.