Beim „Skeptical“ am 9. Mai in Augsburg beleuchteten wir die „Rituelle Gewalt-Mind Control“-Verschwörungstheorie aus unterschiedlichen Perspektiven:
Dabei forderte Dr. Kai Funkschmidt (l.) eine neutrale und faktenbasierte Untersuchung der speziellen Traumatherapien, die im Umfeld der RG-MC-Theorie propagiert und praktiziert werden.
Wie dringend notwendig das ist, zeigt neuerlich ein Artikel im Zeit-Magazin über die Diagnostikeinrichtung KiD („Kind in Düsseldorf“). Wieder geht es um Sorgerrechtsentzug, unter anderem wegen des Verdachts, dass
… ritualisierte Gewalt in Kombination mit Kinderpornografie ein Faktor sein könnte […] KiD-Mitarbeiter schienen den Kindern so zu begegnen, als wäre längst sicher, dass etwas passiert sei und sie sie nur noch dazu kriegen müssten, endlich damit herauszurücken […]
Gutachter berichten von 22 Fällen, die insgesamt mehr als 34 Kindern betreffen, in denen sie KiD beschuldigen, Aussagen verfälscht oder ganz eingeflüstert zu haben.
Die Rechtspsychologin Susanna Niehaus (Hochschule Luzern), die den KiD-Bericht untersucht hat, erklärt, die Fachkräfte hätten sich eines ganzen Spektrums an Suggestivtechniken bedient: „Schlimmer geht’s nicht.“
Einzelne Elemente dieser Falschtherapien, die auch für die RG-MC-Theorie konstituierend sind, verweist Niehaus ins Reich der Fabel, etwa das sogenannte Traumagedächtnis:
Hier werde eine absolute Ausnahme zur Regel erklärt. Denn entgegen der verbreiteten Annahme seien weltweit nur Einzelfälle dokumentiert, in denen Betroffene keinerlei Erinnerungen an die traumatisierenden Ereignisse hätten, den meisten würden sich ihre Erinnerungen geradezu aufdrängen.
Die wenigen Ausnahmen seien Personen, die während des Traumas so stark dissoziierten, dass sie das Geschehen nicht mehr wahrnehmen konnten und dementsprechend auch nicht als Erinnerung abspeichern. Da aber, was nicht abgespeichert ist, auch nicht zurückgeholt werden kann, gebe es keine Möglichkeit, die verlorenen Wahrnehmungen doch noch zum Vorschein zu bringen.
Warum Suggestionen, Fehlannahmen und Verschwörungstheorien in diesem Bereich wieder akut werden, erklärt die Zeit-Autorin Lena Niethammer so:
Letzteres ist hier nachzulesen.
Sicher, schreibt Funkschmidt in der GWUP-Broschüre „Rituelle Gewalt und Mind Control – Elitenverschwörung oder Verschwörungstheorie?“, die im Juni erscheint (Auszüge daraus gibt’s im nächsten Skeptiker),
… ist die Zahl dieser Therapieopfer viel geringer als die Zahl der sexuellen Missbrauchsopfer. Aber das ist kein Grund, diese kleine Opfergruppe sich selbst zu überlassen.
Weiter kritisiert Funkschmidt die bisherige „Forschung“,
… welche die RG-MC-Anhänger mittels Umfragen unter selbst identifizierten (oft anonymen) Betroffenen und Therapeuten betrieben haben
und die
… das eigentliche Phänomen RG-MC nie greifen kann, sondern auf die immergleichen Erzählungen angewiesen ist und den Glauben daran voraussetzt.
Das Paradebeispiel dafür ist die anonyme Online-Befragung von 165 „selbstdefinierten Betroffenen“
Organisierte und rituelle Gewalt in Deutschland – Kontexte der Gewalterfahrungen, psychische Folgen und Versorgungssituation
aus dem Jahr 2018, für die der renommierte Hamburger Sexualwissenschaftler Peer Briken seinen Namen hergab.
Erst seit kurzem wird diese „Studie“ von Medien und Fachwelt massiv beanstandet (zum Beispiel hier, hier und hier).
Jetzt haben sich Briken et al. öffentlich zu den Vorwürfen geäußert, erklärtermaßen um „Missverständnisse zu korrigieren“.
Was sollen das für „Missverständnisse“ sein?
Kurz zusammengefasst:
Briken und seine Koautoren distanzieren sich von „Satanismus“ und „Mind Control“ und hätten nie beabsichtigt, „Belege für die Existenz organisierter und ritueller Gewalt in Deutschland zu liefern“.
Ferner räumen sie verschiedene Punkte ein, die in unserer Broschüre ebenfalls gefordert werden, etwa
- an dem schwammigen Begriff „rituelle Gewalt“ künftig interdisziplinär weiterzuarbeiten, sodass sich „beteiligte Disziplinen nach Möglichkeit auf Definitionen einigen oder ihre Differenzen klarer benennen können“
- die interdisziplinäre Erarbeitung von Empfehlungen, wie „Berichte über organisierte und rituelle Gewalt differenziert beurteilt werden können“ und damit verbunden der „respektvolle Austausch von Wissen, Erfahrungen und Perspektiven“.
Aha. Da sind wir mal gespannt.
Zumal Briken auch diesen Aufsatz nicht formulieren kann, ohne Kritik an seiner „Studie“ doch noch als „polemisch“ abzukanzeln, und die RG-MC-Szene ohnehin nur mit „Hetzjagd“- oder „Generalverdacht“- oder „Täterschutz“-Vorwürfen ankommt, sobald sich irgendwo Gegenstimmen erheben.
Es bleibt also abzuwarten, wie ernst es Briken mit seinem Kooperationsangebot ist, ob er seinen Einfluss auch in der Politik (UBSKM) geltend machen kann – und wie diejenigen, die seine „Studien“ bislang gefeiert haben, darauf reagieren werden.
Zum Weiterlesen:
- Die verlorenen Kinder, zeit+ am 22. Mai 2024
- Zersplitterung nach Therapie: Bedenkliche Auswirkungen der „Rituelle Gewalt-Mind-Control“- Theorie, sekten-info-nrw am 16. April 2020
- Nicht wiedergutzumachender Schaden: Unser Gespräch mit dem Opfer einer RG-MC-Fehlbehandlung aus der aktuellen Spiegel-Story, GWUP-Blog am 12. März 2023
- Rituelle Gewalt-Mind Control: Eine Verschwörungsideologie bedroht wissenschaftlich fundierte Standards, GWUP-Blog am 30. Mai 2023
- Podcast: Susanna Niehaus spricht über Scheinerinnerungen, orf am 29. Juli 2023
- Die gleichen Behauptungen wie vor dreißig Jahren – aber die Kritik an der „Satanic Panic“ wird allmählich immer lauter, GWUP-Blog am 24. April 2024
- Rituelle Gewalt-Mind Control: Protagonisten fabulieren einen „Generalverdacht“ herbei – wir fordern einen neuen Ansatz, GWUP-Blog am 17. Februar 2024
- Neu im Skeptiker: „False Memories“ – Falscherinnerungen durch Traumatherapie, GWUP-Blog am 23. September 2020
27. Mai 2024 um 12:16
Vielen Dank für den Artikel!
In dem Kommentaren zum Artikel der Zeit, findet man einen Verweis auf einen ähnlichen Fall. Der Fall fand 2003 statt und die Journalistin hat sich 2018 nochmals mit den Beteiligten getroffen.
Ein leidiges und schädliches Thema mit den Suggestivbefragungen.
https://www.zeit.de/2003/26/Verdacht/komplettansicht
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