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Die anthroposophische Stiftungsprofessur in Berlin – eine seltsame Geheimsache

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Erst als die Berliner tageszeitung (taz) vor Gericht zog, rückte die Charité einige geschwärzte Unterlagen heraus, mit denen Sebastian Erb und Sophie Fichtner jetzt nachzeichnen können,

… wie sich die Anthroposophie in eine der angesehensten Unikliniken eingekauft hat – und damit einen Haken auf der To-do-Liste ihres „Masterplans“ machen konnte. Dieser sieht vor, die Anthroposophie durch Lehrstühle an Universitäten zu legitimieren.

In einem aktuellen taz-Artikel schreiben die beiden, dass die „Stiftungsprofessur für Integrative und Anthroposophische Medizin“ an der Berliner Charité bereits Anfang 2022 um fünf Jahre verlängert worden ist:

Das wurde nie ­öffentlich kommuniziert.

Finanziert wird Professur von der anthroposophischen „Software-AG-Stiftung“ mit Sitz in Darmstadt. In Aussicht gestellt worden seien dafür 250.000 Euro im Jahr. „Zufälligerweise“ sei das öffentlich ausgeschriebene Anforderungsprofil von 2015 genau auf den ärztlichen Leiter des anthroposophischen Krankenhauses Havelhöhe (ein akademisches Lehrkrankenhaus der Charité) zugeschnitten gewesen: Harald Matthes.

Matthes landete als „primo et unico loco“ auf der Berufungsliste, also als erstplatzierter und einziger Kandidat. Ob sich überhaupt noch jemand anderes auf die Professur beworben hat, möchte die Charité nicht beantworten.

Was eigentlich die Charité von dieser Stiftungsprofessur hat, bleibt unklar. Im vergangenen Jahr distanzierte sich das Klinikum öffentlich von Matthes‘ Aussagen über die angebliche Untererfassung von Impfnebenwirkungen. Das „der taz herausgegebene Dokument [über die Leistungen des Stiftungsprofessors] ist großflächig geschwärzt“.

Immerhin überweise die anthroposophische Stiftung dafür nun 293.000 Euro im Jahr.

Aus diesem Anlass befasst sich der Gießener Virologe Prof. Friedemann Weber bei Twitter mit den „Wirkfaktoren in der Anthroposophischen Medizin“.

Zum Weiterlesen:

  • Anthroposophische Medizin an der Charité: Die gekaufte Professur, taz am 28. April 2023
  • Why does the Charité in Berlin have a professorship for anthroposophical medicine? edzardernst am 29. April 2023
  • Anthroposophische Klinik in Berlin: Coronamissstände in Havelhöhe, taz am 4. Februar 2022
  • Schule, Landwirtschaft und Medizin: „Auf den Spuren der Anthroposophie“ in der ARD, GWUP-Blog am 6. März 2023
  • Die „Schock-Studie“ der Charité zu Corona-Impfschäden: Viel Lärm um wenig, GWUP-Blog am 7. Mai 2022
  • Dr. Hegedüs zur „Schock-Studie“ der Charité über Impfschäden, GWUP-Blog am 10. Mai 2022
  • Heftige Kritik an Berliner Uniklinik: Charité-Webseite enthielt Lob für Homöopathie gegen Krebs, tagesspiegel am 22. August 2018
  • Waldorfschule Duisburg steht nach Beschluss nun vor dem Aus, waz am 28. April 2023
  • Waldorfschule Duisburg: Erbitterte Vorwürfe von Veruntreuung, Intrigen und Rechtsbrüchen, Anthroposophie.blog am 27. März 2023
  • Das vermeintliche Mistel-Wunder: Der Masterplan der Anthroposophie, MedWatch am 3. Dezember 2019
  • Ein Herz für Verschwörungsideologen: Daniele Ganser und die Anthroposophie, Anthroposophie.blog am 6. Februar 2023

6 Kommentare

  1. Liegt vielleicht am Vornamen? Nomen est omen …

  2. Stefan?
    Harald?

    Keine Ahnung, was die Vornamen von Herrn Willich und Herrn Matthes mit einer Affinität zu Schwurbel zu tun haben könnten.

  3. Das ist ja keine isolierte Sache. Diese Praxis der Charité, auf Teufel komm raus Stiftungsprofessuren einzuwerben und dafür den weltweiten Ruf der bekanntesten Klinik Deutschlands aufs Spiel zu setzen, hat auch in der Vergangenheit schon seltsame Blüten getrieben.

    Erste Stiftungsprofessorin für komplementäre Naturmedizin war unter dem Salär der Carl und Veronika Carstens-Stiftung Claudia Witt, die zwar konstatierte, dass die pharmazeutische Wirkung von Homöopathie nicht über den Placeboeffekt hinausgehe, (so realistisch war sie immerhin), aber – nicht weniger gefährlich – beharrlich daran arbeitete, das Messinstrument der verblindeten randomisierten Vergleichsstudie (den Goldstandard in der Medizin) seiner Bedeutung zu berauben und das, was man als „Versorgungsforschung“ und „Beobachtungsstudien“ bezeichnet, nach und nach als den RCT gleichberechtigten Standard zu etablieren.

    Also eine Methode, die darin besteht, PatientInnen nach ihrer Befindlichkeit zu befragen, nachdem man ihnen vorher eingeredet hat, sie würden superduper total individuell mit einer Methode behandelt, die sanft, natürlich und nebenwirkungsfrei seit Jahrhunderten weltweit Erfolge feiere.

    Ganz zu schweigen von der Befragung der PatientInnen, die sich diese Behandlung – aufgrund persönlicher fehlgeleiteter Präferenzen – sogar ausdrücklich gewünscht haben.

    Eine Strategie, die anhält und an der sich leider ausgerechnet auch noch die WHO kräftig beteiligt in ihrem defaitistischen notorischen Hang, „alternative“ Medizin für eine akzeptable basale Gesundheitsversorgung zu halten. Man lese diesen aktuellen kritischen Kommentar der kanadischen McGill University:

    https://www.mcgill.ca/oss/article/critical-thinking-pseudoscience/world-health-organization-has-pseudoscience-problem

    Den Kurs fährt Witts Nachfolger, Andreas Michalsen, munter weiter (hält sich i.S. Homöopathie allerdings sehr zurück, wofür es Gründe gibt) – gar mit dem Versuch, all dem Kram außerhalb strenger Validitätsnachweise mit der Neuschöpfung „CIM“ (Complementary and Integrative Medicine) zu neuem Ansehen zu verhelfen, nachdem die Begrifflichkeiten „alternativ“ und sogar schon „komplementär“ zum einen schon etwas streng riechen und zum anderen auch den eigenen Ansprüchen der Szene auf Reputation gar nicht mehr genügen.

    Die kürzlich verstorbene Harriet Hall (SkepDoc) hat diese Wording-Strategie der Szene in einem Vortrag einmal deutlich herausgestellt.

    Von der alternativmedizinischen Ambulanz der Charité, einem interessanten Tummelplatz für allerlei Absonderlichkeiten, ganz zu schweigen.

    Da kommts auf einen drittfinanzierten Anthroposophen mehr oder weniger fast schon nicht mehr an.

    Täuschen wir uns nicht:

    Das sind keine punktuellen Probleme. Das ist die „Flut der Pseudomedizin“ (David Gorski) im postfaktischen Zeitalter, der mehr oder weniger leichthin beschlossene Verzicht auf strenges Denken und konsequente Beweisführung in der Medizin, der Scheinlegitimation durch eine „Beliebtheit“ von Methoden, über deren Invalidität eigentlich gar kein weiteres Wort mehr verloren werden müsste.

    Und nicht zuletzt eine massive Verletzung ethischer Grundsätze, die bei der Versorgung kranker Menschen eigentlich ganz oben auf der Agenda stehen müssten.

    Um ein Fazit zu ziehen:

    Seit ihrem Aufleben in der Ära des Neomystizmus in den 1970er Jahren des vorigen Jahrhunderts hat die „alternativ-komplementär-integrative“ Szene den Gang durch die Instanzen geschafft und ist tatsächlich – q.e.d. – in den Topetagen der wissenschaftlichen Medizin angekommen.

    Eine Katastrophe.

  4. @ INH:

    Mit dem Aufs-Spiel-Setzen des weltweiten Rufs der Charité ist das so eine Sache:

    https://www.monitor-versorgungsforschung.de/news/charite-epidemiologe-stefan-willich-erhaelt-harvard-auszeichnung/

    Beim Spiel um Reputation im Wissenschaftssystem sind wissenschaftliche Verdienste nur ein Element unter vielen.

  5. @Joseph Kuhn:

    Die internationale Wucherung des Myzels sehe ich auch mit Sorge.

    Die Harvard Medical School ist ja notorisch alternativgeneigt, das ist nicht neu und ein Grund (wie er sagt) für David Gorski, kein Angebot aus NY anzunehmen.

    Die Schwurbelfraktion der Charité konspiriert ja auch mit Witt und Co. in der Schweiz, wo ja u.a. inzwischen auch der frühere HRI-Chef Tournier Gehalt bezieht. Und so weiter – von Frass, der offenbar aus dem Ruhestand heraus alles koordiniert, ganz zu schweigen.

    Mir wird langsam klar, dass die alle auf dem Weg sind, die Versorgungsforschung gleichberechtigt neben den RCT als Wirkungsbeleg und als Rechtfertigung für einen Platz an den Futtertrögen zu etablieren, wie das INH ja auch schrieb.

    Das ist offenbar die Agenda der universitären Homöopathie – und die sind bereits gut vernetzt.

    Das kann ja noch heiter werden.

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