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„War was?“ Vier Wochen nach dem Tod von Dr. Kellermayr

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Die Praxishomepage von Dr. Lisa-Maria Kellermayr ist noch immer online.

Dort steht, wie ein Nachruf in eigener Sache, immer noch ihr Hilferuf

schreibt heute die Süddeutsche Zeitung:

Zum Nachlesen, für die Ewigkeit.

Den Seite-Drei-Artikel von Cathrin Kahlweit und Marlene Knobloch zusammenfassend wiederzugeben, ist nicht ganz leicht. Im Grunde handelt es sich um den aller Ehren werten, aber sichtlich ratlosen Versuch, das Gedenken an Frau Kellermayr lebendig zu halten. Und zugleich konsequentes Handeln einzufordern, das unmittelbar nach dem Ereignis allenthalben versprochen wurde:

Wer ist schuld? Und ist jemand schuld? Die Polizei, die Politik, die Staatsanwaltschaft, der Verfassungsschutz, das Internet, keiner? Oder Kellermayr am Ende selbst, die ihre Ängste nicht in den Griff bekam?

Einen Monat später ist die Aufregung, die ihr Suizid auslöste, abgeebbt, politische Konsequenzen sind ausgeblieben.

Die Lektüre des Beitrags ist deprimierend.

„Eh tragisch“ ist die häufigste Reaktion, die die Autorinnen bei ihrer Recherche bekommen. Achselzuckend und lapidar geäußert von Nachbarn der ehemaligen Arztpraxis in Seewalchen, von Gästen und Mitarbeitern des Cafés im Erdgeschoss, von der Pressestelle der Landespolizeidirektion, vom Bürgermeister.

Ein Arztkollege aus der Region zieht seine Interviewzusage zurück. Er werde „öffentlich erheblich angefeindet und in der Ordination körperlich bedroht“:

Es ist still geworden. Und viele, die was zu sagen hätten, meiden Social Media. War es das also?

Das Fazit reproduziert diese Passage praktisch nur noch einmal:

Lisa-Maria Kellermayr hatte davor gewarnt: dass längst etwas übergeschwappt ist aus dem digitalen Sumpf, in den man in barbarischer Sprache beleidigen und hetzen darf. Rechtsextreme kapern die Corona-Leugner-Szene, Corona-Leugner lassen sich kapern. Und die Politik kuscht.

Dann war sie tot. Und es war, als hätte jemand einen Stein ins Wasser des Attersees geworfen, alle hätten sich betroffen über die dabei entstandenen Wellen gebeugt und seien dann ihrer Wege gegangen.

War was?

Zum Weiterlesen:

  • Jagdszenen aus Oberösterreich, Süddeutsche am 26. August 2022
  • „Das Handbuch des Hasses“: Wie Bedrohungsopfer im Internet drangsaliert werden, GWUP-Blog am 16. August 2022
  • „Redezeit“ über Hass im Netz – Was muss endlich passieren? GWUP-Blog am 14. August 2022
  • Neues Video von Anwalt Jun: „Wie Morddrohungen auf mich und Fr. Kellermayr wirkten und was wir dagegen tun können“, GWUP-Blog am 9. August 2022
  • Gehen oder bleiben? Natalie Grams und Christian Lübbers diskutieren in der FAZ, GWUP-Blog am 8. August 2022
  • Ärzte auf Twitter : „Es geht oft nur noch darum, den Gegner zu zerstören“, FAZ+ am 8. August 2022
  • Natalie Grams, Christian Lübbers und Christian Kröner über Drohungen und Hass im Netz, GWUP-Blog am 7. August 2022
  • Der Fall Kellermayr und die Folgen: „Ich möchte eigentlich nur noch schreien“, derStandard am 6. August 2022
  • „Ich bekam Zuschriften wie: Wir hängen dich auf“, Zeit-Online am 4. August 2022
  • Interview: Natalie Grams über Lisa-Maria Kellermayr und die Löschung ihres Twitter-Accounts, GWUP-Blog am 3. August 2022
  • Dr. Janos Hegedüs: „Wir müssen zusammen weiterkämpfen“, GWUP-Blog am 3. August 2022
  • Dr. Lisa-Maria Kellermayr – wie geht es jetzt weiter? GWUP-Blog am 1. August 2022
  • Spiegel (online) über Anwalt Jun, Natalie Grams und Anke Staffeldt, GWUP-Blog am 3. August 2022
  • Nürnberger Kodex: NS-Verharmlosung und Shoa-Relativierung durch Querdenker, Belltower News am 22. April 2022
  • Vorwürfe und neue Details zum Angriff auf BR-Reporter, BR am 26. August 2022
  • Gericht verurteilt Querdenker wegen Mordaufrufen im Netz, rnd am 25. August 2022

4 Kommentare

  1. Immerhin:

    Der rechtsextreme Videoblogger Nikolai Nerling alias „der Volkslehrer“ wurde soeben vom Amtsgericht Tiergarten wegen Volksverhetzung und Beleidigung zu einer Bewährungsstrafe von neun Monaten und einer Geldstrafe von 3000€ an die von ihm so verhasste @AmadeuAntonio verurteilt.

    https://twitter.com/glr_berlin/status/1563171479990435840

  2. Die Behörden haben zugschaut und das macht mich am allermeisten betroffen.

    Wenn jemand eine so detaillierte Mordphantasie zugeschickt bekommt, sollten sämtliche Alarmglocken läuten und es sollten alle erdenklichen Mittel aufgewendet werden, um so einen Psychopathen ausfindig zu machen.

    Geschehen ist etwas ganz anderes, etwas ganz schreckliches, anstatt zu ermitteln, hat man dem Opfer eine Mitschuld gegeben. Damit kommt man nicht zurecht, das sage ich aus eigener Erfahrung. Das funktioniert nicht, das kann man nicht verarbeiten, das steht für immer und ewig im Raum und wenn dann noch diese Angst dazukommt, die niemand verhindern will, die jeder nur abwehrt, dann kann ich die Reaktion von Lisa-Maria durchaus nachvollziehen.

    Schämt Euch – ja, schämt Euch, ihr, die nichts getan habt, obwohl ihr durchaus in der Lage gewesen wärt.

  3. Einfach nur grauenvoll…

    Kurze Anmerkung hierzu:

    „…Auch das Ehepaar Elfriede und Gerhard Bleimschein, beide Allgemeinärzte aus Gunskirchen unweit von Seewalchen, wo Kellermayr mit ihrer Praxis eine neue Heimat gesucht hatte, hat Konsequenzen gezogen: „Der Ton ist aggressiver geworden. Wir haben uns zum Schluss auf Diskussionen mit Impfgegnern nicht mehr eingelassen.“…“

    Das sollte doch eigentlich längst klargeworden sein, dass ein verbaler Austausch auf Augenhöhe mit den Rasenden nicht möglich ist…

    Ich springe seit Jahren in den sozialen Medien den Vertretern der verqueren neurechten Ideologien konsequent mitten ins Gesicht. Es war eine der wenigen Ausnahmen einer Bedrohungssituation, als ich auf einer deutschen QAnon-Seite (X-22) nach besonders derbem Dreinschlagen gefragt wurde, ob ich mir bewusst wäre, dass ich am Galgen baumeln werde.

    In aller Regel stelle ich aber fest, dass man sich still und leise von mir verzieht, wenn man feststellt, dass ich nicht „diskutiere“, wie es bspw das Ehepaar Bleimschein durchaus ehrenhaft versucht hat, sondern mir aus den unzähligen Selbstwidersprüchlichkeiten die peinlichsten, entlarvendsten herausnehme und die Anhänger von AfD/Querdenk/Trumputin brühwarm damit konfrontiere.

    Argumentativ lässt sich der Sack so gut wie immer zumachen, sie haben kaum eine Chance. Wenn sie merken, dass jemand sie radikal insistierend mit unangenehmen Tatsachen peinigt, verpi… ääh verurinieren sie sich feige.

    Werden AfD-Hanseln in den öffentlich-rechtlichen Medien interviewt, ergeben sich immer wieder offene Flanken, in deren weiches Fleisch der Reporter von ARD, ZDF, Deutschlandfunk etc den tödlichen Spieß einer entlarvenden Frage oder Bemerkung versenken könnte.

    Oft wird diese Chance in einer derart lässigen Weise vertan, dass man sich jetzt seinerseits fragen könnte, von welcher dunkelmächtigen Weltraumstrahlenkanone solche Journalisten geflasht werden.

  4. Anwalt Jun ist zurück bei Twitter.

    Zumindest ist der Kanal wieder erreichbar, derzeit ohne aktuelle Postings.

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