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Mal wieder: Die Grünen, Alan Posener und die Homöopathie

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Am Wochenende trendete bei Twitter mal wieder #homöopathie.

Was war geschehen?

Die Grünen-Landesvorsitzende von Baden-Württemberg, Lena Schwelling, meinte ihrem Gesundheitsminister Manfred Lucha beispringen zu müssen und beklagte in der Süddeutschen Zeitung einen angeblichen „Kreuzzug“ gegen die Homöopathie.

Es gibt in diesem Land eine Arzt- und Therapie-Wahlfreiheit. Und wenn die Menschen sich dafür entscheiden wollen, dann finde ich, muss man ihnen das auch zugestehen.

Ja – und? Darum geht es doch überhaupt nicht, wie zahlreiche Kommentatoren Schwelling denn auch gleich hinterbrachten:

Und dennoch ist heute der renommierte Journalist Alan Posener bei der Suche nach einem Thema für seine Welt-Online-Kolumne bei der Homöopathie gelandet – und wie schon vor zwei Jahren ist seine grundsätzliche Homöopathie-Skepsis leider nicht gegen verschiedene Denkfehler gefeit.

Posener verteidigt die Grünen-Politikerin mit den zwei Uralt-Argumenten:

Globuli haben noch niemandem geschadet.

Und:

Ärzte, die eine reguläre Zulassung haben und eine homöopathische Zusatzausbildung machen, können gut abschätzen, wann ihre Patienten mehr als Zuckerwasser brauchen.

Ersteres ist schlicht falsch.

Und letztere Behauptung kaum mehr als ein frommer Wunsch.

Glaubt der Autor etwa, Ärzte würden eine homöopathische Zusatzausbildung machen in dem Wissen, dass sie dabei bestenfalls den richtigen Umgang mit „Zuckerwasser“ lernen? Jeder homöopathische Arzt würde allein diesen Gedanken, dass Homöopathie nichts weiter als Zuckerwasser ist, entrüstet von sich weisen.

Ärzte machen deswegen eine Zusatzausbildung Homöopathie, weil sie zutiefst von dieser Methode und ihrer angeblichen Wirkung überzeugt sind. Und weil sie das sind – warum sollten sie dann „abschätzen, wann ihre Patienten mehr als Zuckerwasser brauchen“, wenn sie doch in solchen Kursen von überzeugten Homöopathen beigebracht bekommen, dass man mit Homöopathie praktisch alles behandeln kann?

Oder anders gesagt:

Ein Arzt, der weiß, dass Homöopathie nur Zuckerwasser ist, würde nie eine homöopathische Fortbildung machen. Solche Kurse werden nur von Ärzten belegt, die zutiefst an den Humbug glauben.

Und das ist genau die Gefahr dabei.

Zum Weiterlesen:

  • Grünen-Chefin beklagt „Kreuzzug“ gegen Homöopathie, Süddeutsche am 27. August 2022
  • Homöopathie: Das INH schreibt dem baden-württembergischen Gesundheitsminister Lucha, GWUP-Blog am 14. August 2022
  • Homöopathie gehört nicht in die Hand von Ärzten, die Globuli gegen Covid-19 empfehlen, GWUP-Blog am 27. Februar 2020
  • Es sind die Gegner der Homöopathie, die volkserzieherisch argumentieren, Welt-Online am 29. August 2022

22 Kommentare

  1. Nimmt noch irgendeiner Posener, diesen Grundsatzopponenten und Oberflächendenker, ernst?

  2. Dr. Christian Lübbers im Bayerischen Ärzteblatt im Vorfeld der Entscheidung der LÄK Bayern:

    „Wenn ärztliche Therapeuten die Weiterbildungsinhalte zur Homöopathie als spezifische Arzneimitteltherapie ernst nehmen (weshalb sonst sollten sie das Procedere absolvieren) – werden sie auch nicht von einer Placebo-Gabe ausgehen.“

    Dr. Natalie Grams-Nobmann im Zusatzkapitel der englischsprachigen Auflage von „Homöopathie neu gedacht“:

    „Und noch einen weiteren Aspekt sehe ich heute mit größerer Schärfe, als mir das im Rahmen meines Ablösungsprozesses von der Homöopathie möglich war: Das Gefahrenpotenzial in der Homöopathie. Ich habe seinerzeit wie selbstverständlich darauf vertraut, dass die homöopathischen Therapeuten, namentlich die Ärzte unter ihnen, in aller Regel wirklich ihre und die Grenzen der Methode kennen und sich stets der wissenschaftlichen Grundlagen ihrer Profession bewusst sind und diese einzusetzen wissen.

    Viele, allzu viele Erfahrungen und Berichte haben mich leider dahin gebracht, dass ich daran ernsthaft zweifle. Das Bild ist dunkler, als ich es früher wahrgenommen habe. Es ist aber auch einsichtig: Wer als Therapeut wirklich an die spezifische Wirksamkeit der Homöopathie „glaubt“, der ist auch nicht davor gefeit, Grenzen zu überschreiten, jenseits derer von einem verantwortungsvollen Umgang mit dem Patienten keine Rede mehr sein kann. Er unterliegt damit als Therapeut genauso, wenn nicht stärker als der Patient, dem confirmation bias, dem Fehler, nur Aspekte wahrzunehmen und hoch zu bewerten, die die eigene Ansicht stützen.

    Ich habe es bei mir selbst erlebt. Und leider ist bei Homöopathen so gut wie nie die Einsicht anzutreffen, dass Einzelerfahrungen – auch nicht die einer umfangreichen Praxis und mehrerer Jahrzehnte des Praktizierens – wertlos für einen Beweiswert im wissenschaftlichen Sinne sind – eine wissenschaftstheoretische Trivialität, eigentlich.“

    No more comment.

    Wie kann man als Journalist so unwissend zu einem seit Jahren intensiv im Diskurs stehenden Thema sein?

    Naja, Politiker sind es ja offensichtlich auch. Es sei auch nicht der Gegenwind vergessen, der der BW-Grünen-Vorsitzenden auf Twitter entgegenwehte.

  3. Zunächst möchte ich „lobend“ die Täterinnen-Opfer-Umkehr der Lena C. Schwelling erwähnen.

    Nicht nur rhetorisch, sondern auch politisch hat sie alles richtig gemacht. Die Fallhöhe war nicht sonderlich hoch. Das Risiko im Ländle abschätzbar gering. Ich kannte ihren Namen zuvor nicht. Jetzt kenne ich ihn.

    Alan Posener hat die Gelegenheit genutzt, Welt-Online mal wieder bürgerlich liberal und gleichzeitig kritisch zu präsentieren.

    „Also ich glaube ja nicht dran, aber es ist doch die individuelle Freiheit des Einzelnen, wie er oder sie sich medizinisch behandeln lässt.“

    Also auch hier rhetorisch und politisch alles richtig gemacht. Und die Homöopathie-Industrie kann sich wieder auf Politik und Medien verlassen, dass sie auch zukünftig an den Zuckerkügelchen verdient.

    Vielleicht weiß Manfred Lucha, wie hoch die Steuereinnahmen aus der Homöopathie sind. Bei dem Apotheker, den ich kenne, sind die Zuckerkügelchen einfach ein Teil der Einnahmen. Es müssen nicht immer starke Überzeugungen sein, welche die Homöopathie attraktiv erscheinen lassen.

  4. Entschuldigung, aber was Posener da macht, ist doch noch viel weitergehend, als nur Grundsatzopposition:

    Er deutet eine Kausalität zur Zustimmung zur Homöopathie und Zustimmung zu Impfungen mehr als nur an; er legt die unfundierte Verteidigung der Homöopathie durch die Grüne Schwelling als konservativ-liberal bzw. gut „rechts“ aus, während die, die die Homöopathie ablehnen, damit implizit als „linke Obererzieher“ dargestellt werden.

    Damit bedient er zwei der „Welt“ typische Eigenheiten:

    Einerseits die Wissenschaftsfeindlichkeit, die sich in dieser Zeitung immer mehr breitmacht, andererseits das Bedienen einer stramm-rechten Blattlinie.

  5. Ich muss noch einmal auf folgenden Satz von Lucha eingehen.

    »Den Beschluss der Landesärztekammer finde ich das absolut falsche Signal«, hatte Lucha gegenüber der Presse erklärt. »Baden-Württemberg ist das Land der Naturheilkunde, und gerade die Homöopathie ist für viele Bürgerinnen und Bürger im Land ein wichtiger Teil ihrer Gesundheitsversorgung.«

    Lucha beweist eine eine unglaubliche Nichtkenntnis, wenn er Homöopathie mit Naturheilkunde gleichsetzt und wenn behauptet, dass Homöopathie ein wichtiger Teil der Gesundheitsversorgung sei (was sie niemals leisten konnte und können wird).

    Oder er spielt diese Unkenntnis nur, denn in Wirklichkeit geht es ihm um die alternativmedizinischen Produzenten im Ländle und die esoterisch angehauchte grüne Wählerklientel, die er glaubt, umschmeicheln zu müssen.

    Ich neige ja inzwischen immer mehr der letzteren These zu. Der Mann sieht sich schon als Ministerpräsident anstelle des Ministerpräsidenten. Diese Denke unterstelle ich ihm jetzt einfach mal.

  6. Der Hinweis von Frau Schwelling auf die freie Arztwahl und die Therapiefreiheit zeugt von elementarer Unkenntnis, beides hat nichts mit der Weiterbildungsordnung zu tun.

    Die freie Arztwahl ist ein Recht der Patient/innen, sie wird nicht beeinträchtigt, wenn die Zusatzbezeichnung nicht mehr erworben werden kann.

    Die Therapiefreiheit bezieht sich auf den ärztlichen Handlungsspielraum. Das ist im ambulanten Bereich restriktiver geregelt als im statonären Bereich, aber in beiden Fällen hat es wiederum nichts mit der Weiterbildungsordnung zu tun.

    Ideologie statt Kompetenz – hier hat man ein schönes Beispiel.

  7. Nachtrag: Alan Poseners Sicht auf das Verhältnis von Politik und Wissenschaft war schon immer etwas eigen:

    https://scienceblogs.de/gesundheits-check/2015/09/30/von-der-leyens-seltsame-verteidiger/

  8. @ Joseph Kuhn

    Naja, was bleibt den Glaubulisten denn inzwischen anderes übrig, als Strohmänner abzufackeln?

  9. Überraschend hat der „Bundesverband Patienten für #Homöopathie e.V.“ heute Morgen seine Selbstauflösung bekanntgegeben.

    https://twitter.com/gwup/status/1564574854740852736

  10. Selbstauflösung bekanngegeben …

    Schade, der Überschriftenleser in mir hat sich schon tierisch gefreut.

    Aber diesen Offenbarungseid wird der Verband sicher nicht als solchen sehen, denn die Globuli enthalten doch viiiiiiiel mehr als Zucker.

    Das verstehen wir Grobstofflichen einfach (noch) nicht.

  11. Lol, Psiram widmet dem Bundesverband nur zwei kurze Absätze. Der scheint nun wirklich keine wie auch immer geartete Rolle in der Homöopathen-Fanszene zu spielen.

    https://www.psiram.com/de/index.php/Bundesverband_Patienten_f%C3%BCr_Hom%C3%B6opathie_e._V

  12. „… beklagte in der Süddeutschen Zeitung einen angeblichen „Kreuzzug“ gegen die Homöopathie“.

    Ist das, was wir machen, kein Kreuzzug? Duden: „Mit großem Eifer geführte Kampagne für oder gegen etwas.“

    Genau das tun wir doch, und zwar berechtigt und begründet. Ich finde, wir sollten den Begriff nicht scheuen, ungeachtet seiner historischen Erstbedeutung.

  13. @ nota.bene

    Ich denke nicht, dass die Kreuzzug-Vorwerfenden die Duden-Definition im Hinterkopf haben.

    Mit diesem Vorwurf wird unterstellt, dass auf die Vernichtung der Homöopathie hingearbeitet wird. Und das ist schlicht falsch.

    Wenn wir jetzt also zustimmten, dass wir einen (Duden-)“Kreuzzug“ führen, wäre das eine Bestätigung für die Verteufelung durch die Homöopathieanhänger.

  14. Kreuzzug, Verteufelung

    Das ist doch kein religiöser oder theologischer Streit!?
    Oder etwa doch?

    Ja, der wird absichtlich draus gemacht, und damit von der EbM und wiss.sch. Grundlage abgelenkt, ein perfides Derailing und Strohmänner-abfackeln, immer wieder. Mehr haben die Eso-Freaks ja nicht.

    Das ist ein zutiefst politischer Streit!
    Im Kern um den Binnen-Konsens (bäh, ich krieg Pickel von diesem Wort) als Ganzes!

    Nur wird momentan (noch?) um diesen Kern wie um den heißen Brei rumgeschlichen.
    Und solange Derailing und Strohmänner, Nebelbomben en masse.

    Rückzugsgefechte, so sehe ich das.

  15. Posener endet mit dieser Feststellung:

    „Die Medizin ist zugleich mehr und weniger als Wissenschaft. Sie ist Heilkunst.“

    Das ist richtig, aber was soll daraus für die Diskussion um die Homöopathie folgen?

  16. @ Joseph Kuhn:

    Nichts, was sonst – wenn Heilkunst nicht von Heilmurks unterschieden werden kann.

  17. Posener sucht nur Reibungsflächen. Was sich z.B. auch daran zeigt, dass er sich ausgerechnet an dem kenntnisreichsten und sachlichsten Twitterer zur Homöopathie abarbeitet , nämlich an Dr. Christian Lübbers. Was seine Motivation der Selbstprofilierung deutlich machte.

    Seinen Vorhalt, „Globukalypse“ sei ein militanter „Kampfbegriff“ ist – auch angesichts der Diffamierung der Kritiker durch die Homöopathen (einschließlich der Verleihung von Schmähpreisen) – nicht wirklich ernst zu nehmen.

    Dr. Lübbers hat die Debatte denn auch beendet und das INH hat sich zu Posener gar nicht geäußert. Denn es war offensichtlich, dass er die Homöopathiekritik in die Rechtfertigungsecke treiben wollte. Ich denke mal, das hat sie schlicht nicht nötig.

    Zumal bei Posener ja offenbar nach wie vor Grundirrtümer dahinterstehen, persönlicher wie sachlicher Art, die er mit einem Blick in die INH-Webseite bei entsprechendem Willen schnell bereinigen könnte.

    Wir teilen insgesamt die Ansicht, dass es hier um die Schärfung des zunehmend zweifelhaften Profils der WELT ging und die Homöopathie mehr oder weniger ein Zufallsthema war, das die Folie für ein angeblich liberal-konservatives Narrativ abgab.

    Insgesamt ist die ganze von Herrn Lucha angestoßene Debatte davon gekennzeichnet, dass sie völlig am eigentlichen Thema vorbeigeht und Pro-Homöopathie-Argumente des Präkambriums aufwärmt.

    Vorgetragen von Leuten, an denen die letzten sechs Jahre öffentlicher Diskurs zum Thema vorbeigegangen zu sein scheinen wie die Entwicklung der wissenschaftlichen Medizin an Hahnemanns Jüngern.

  18. Herrn Poseners Seelenlage, die er in seinem zweiten Artikel ausbreitet (mehr House, weniger Bergdoktor), ist ungefähr so relevant wie ein Reissack in China.

    Und dann folgt: „Man will an Homöopathen ein Exempel statuieren, um Impfgegnern und Leugnern des Klimawandels effektiver auf den Pelz zu rücken“, so Posener in seinem zweiten Beitrag.

    Liebe Welt, wenn Herr Posener gerade Urlaub macht, darf ich dann als seine Vertretung bei Euch einspringen? Ich verspreche Euch, daß ich sogar noch viel unsinnigere Kolumnen abliefern werde. Das kriege ich spielend hin.

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