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Die Hellseherin Jeane Dixon und das Kennedy-Attentat: kein gutes Beispiel für „Vorahnungen“

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Mitunter kann man auch Die Zeit nur mit einem Stirnrunzeln lesen. Denken wir zum Beispiel an das verspulte Meisterstück zum Thema Astrologie vor zwei Jahren.

Im neuen Zeit Wissen-Magazin ist es ein Beitrag über „Intuition“, der einen unwillkürlich die Augenbrauen zusammenziehen lässt.

An sich ist der Artikel recht solide – wenn man über den zweiten Absatz hinaus dranbleibt. Aus unerfindlichen Gründen meint die Autorin nämlich, das Phänomen „Vorahnung“ mit der amerikanischen Astrologin und Hellseherin Jeane Dixon einleiten zu müssen:

Für Aufsehen sorgte sie nach dem Attentat auf John F. Kennedy, den damaligen US-Präsidenten. Die Astrologin Jeane Dixon hatte den Mord präzise in Zusammenhang mit Kennedys damaliger Reise nach Dallas prophezeit, wo er erschossen wurde. Sie bat vor dem Attentat eine enge Freundin der Kennedy-Familie, dem Präsidenten die Reise auszureden. Der Rest ist Geschichte.

Nun ja – bestenfalls eine Geschichte von Nachhersagen und Eigenmarketing.

Anscheinend ist der Zeit-Journalistin durchaus klar, dass Dixon erst nach dem Ereignis damit reüssierte. Wie also kommt die Autorin dazu, diese Story als echte Vorhersage zu verkaufen?

Möglicherweise hat sie im Archiv einen Text aus dem Spiegel 36/1965 gefunden, in dem es belletristisch heißt:

Im Herbst 1963 – Kennedy hatte sich gerade zu seiner Reise in die Südstaaten entschlossen – läutete Jeane [Dixon] Sturm an der Haustür von Kay Halle, einer Freundin der Kennedy-Familie. Sie beschwor Miß Halle, dem Präsidenten die Reise auszureden: „Er wird unterwegs getötet werden.“ Kay Halle aber hütete sich, dem Präsidenten mit Weissagungen zu kommen. Kennedy reiste nach Dallas.

Am 22. November 1963 lunchte Jeane Dixon mit Damen der Gesellschaft im Washingtoner Hotel Mayflower. Jeane aß appetitlos und blieb auffallend stumm. „Kindchen, warum essen Sie denn nicht?“ fragte Mrs. Kaufmann, eine ältere Lady, die blasse Mittvierzigerin. Jeane: „Ich bin unruhig, dem Präsidenten wird heute etwas Schreckliches zustoßen.“

Wenige Minuten später meldete der Rundfunk: „Auf den Präsidenten ist geschossen worden.“

„Sen-sa-tio-nell“, würde Loriot jetzt sagen.

Woher hatte Der Spiegel im August 1965 diese welterschütternden Informationen?

Aus der Biografie „A Gift of Prophecy – The Phenomenal Jeane Dixon“, die kurz zuvor erschienen war und an der Dixon selbst mitgearbeitet hatte:

Das Ganze ist nichts weiter als eine hübsche Huldiger-Sage von Dixons Biografin Ruth Montgomery, an der auch die genannte „daugther of Cleveland philanthropist Samuel Halle“ mitstrickte.

Aus einem Schriftstück im John F. Kennedy Presidential Library and Museum geht hervor, dass Jeane Dixon 1963 tatsächlich die Journalistin und Kennedy-Vertraute Kay Halle zuhause aufgesucht hatte. Halles Wiedergabe des Gesprächs vier Jahre später (1967) lässt allerdings darauf schließen, dass ihre Erinnerung daran nachträglich von Dixons/Montgomerys Biografie als auch von den realen Ereignissen geprägt wurden.

So erklärt Kay Halle zum Beispiel, Dixon habe explizit von „Dallas“ als Ort des drohenden Unheils gesprochen. Dieses bemerkenswerte Detail hätte Ruth Montgomery in „A Gift of Prophecy“ sicher nicht ausgelassen. Dort ist aber nur von „someplace in the South“ die Rede, wie im obigen Auschnitt zu lesen steht.

Offenbar vermischt Kay Halle in dem Interview von 1967 ihre spontanen Zweifel („There must be many, many such messages that come in to the White House from clairvoyant people all over the world and who could sort them out“) mit späteren Schuldgefühlen („I rejected it because I didn’t believe it.“) zu einer unangebrachten Rechtfertigung von Dixons vagen Aussagen (z.B. „The clouds are getting darker over the White House.“)

Was die „Hellseherin“ Jeane Dixon tatsächlich zu Kennedy und dessen Ermordung gesagt hatte, war am 13. Mai 1956 in der Sonntagszeitung Parade erschienen:

As for the 1960 election Mrs. Dixon thinks it will be dominated by labor and won by a Democrat. But he will be assassinated or die in office though not necessarily in his first term.

Das übliche Wischiwaschi ohne Namen, Zeit- oder Ortsangaben. US-Skeptiker berichten, dass Dixon sich zudem in anderen Publikationen auf Kennedys Konkurrenten Nixon festgelegt hatte. Dixon arbeitete nicht mit „Vorahnungen“, sondern mit dem üblichen Instrumentarium von Hellsehern, Wahrsagern und Astrologen.

Immerhin verweist die Zeit-Autorin dann aber doch noch auf den „Jeane-Dixon-Effekt“, der von dem Mathematiker John Allen Paulos geprägt wurde:

Je mehr Vorhersagen Dixon treffe, desto wahrscheinlicher sei es, dass sie zufällig auch öfter richtigliege.

Oder anders gesagt: Auch eine kaputte Uhr geht zweimal am Tag richtig.

Im Weiteren führt die Zeit-Autorin aus, dass parapsychologische Forschung zum Thema „Vorhersagen von Ereignissen“ bislang nichts „außer Zufallstreffern“ erbracht habe, hingegen „die Intuition, die kleine Schwester der Vorahnung, wissenschaftliche Evidenz“ besitze.

Warum Vorahnungen und Intuition nichts mit übersinnlichen Fähigkeiten zu tun haben, legt auch der Psychologe Wolfgang Hell vom GWUP-Wissenschaftsrat in seinem Aufsatz „Von Schafen und Ziegen – Der sechste Sinn und die unbewusste Wahrnehmung“ dar.

Zum Weiterlesen:

  • Was weiß die Forschung über die Vorahnung? Zeit-Online am 29. Juni 2022
  • Verspulter Eso-Trottel? Wie die „Zeit“ sich mit dem Thema Astrologie blamiert, GWUP-Blog am 6. September 2020
  • SkepKon-Vortragsvideo von Wolfgang Hell: Wie tickt das Schaf? GWUP-Blog am 19. Juni 2014
  • Zufälle gibt’s, Neue Zürcher Zeitung Folio im Dezember 2004
  • „Mein Horoskop stimmt immer!“ – Ja und? GWUP-Blog am 4. Mai 2013
  • Wolfgang Hell: Von Schafen und Ziegen – Der sechste Sinn und die unbewusste Wahrnehmung, Skeptiker 2/2010

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