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Blutegel und Butterschmalz: In Indien boomt Ayurveda, befeuert von Armut und Nationalismus

| 5 Kommentare

Die Bezeichnung „AYUSH“ ist in Deutschland seit 2020 bekannt, als Homöopathie-Lobbyisten behaupteten, dieses angebliche „indische Gesundheitsministerium“ habe ganz offiziell Globuli gegen Covid-19 empfohlen.

In Wahrheit verbirgt sich hinter AYUSH ein „Ministerium für Pseudomedizin“, erklärte Christian Kreil in seinem Blog Stiftung Gurutest:

Das Ministerium Ayush gibt es seit dem Jahr 2014, sein Bestehen verdankt es dem Wahlsieg der rechtsnationalistischen BJP (Indische Volkspartei), die mit Narendra Modi auch den Regierungschef stellt. Die Etablierung dieses indischen Hogwarts-Ministeriums sehen auch Kritiker in Indien als Zugeständnis an stramm nationalistische Kräfte.

Ayurveda, Homöopathie und Co. sind in Indien Bestandteile eines nationalistischen und Hindu-chauvinistischen Mindsets. Ayurveda und ähnliches reklamieren auch rechtsextreme Hindu-Gruppen als unverkennbares Erbe und Identifikationsmerkmal für sich und die indische Nation.

„AYUSH“ ist ein Akronym aus „Ministry of Ayurveda, Yoga & Naturopathy, Unani, Siddha, Sowa Rigpa and Homoeopathy“ – mithin könnte man das Ganze auch „Zaubereiministerium“ nennen, schlug Onkel Michael vor.

Übertrieben? Keineswegs.

Die Stern-Reporterin Bettina Sengling hat sich in Indien umgesehen und Ayurveda-Krankenhäuser besucht. Ihr Eindruck:

Im Westen mag Ayurveda als Wellness gelten, als Spa-Ersatz und Diätkonzept. In Indien dagegen ist die traditionelle Medizin fester Bestandteil des Gesundheitswesens.

Doch wirklich geholfen ist damit niemandem. Sengling schildert Pseudo-Therapien, die auf „alten Schriften, direkt von den Göttern überliefert“ basieren, zum Beispiel für die Augen:

Den Grauen Star behandelt der Arzt mit Blutegeln, bei Entzündungen oder geschwächten Sehnerven greift er auf Butterschmalz zurück.

Die wachsende Inanspruchnahme solcher Nonsens-Methoden führt die Stern-Reporterin auf zwei Faktoren zurück:

Zeit und Zuwendung haben Schulmediziner auch in Indien nicht immer zu bieten, Ayurveda-Ärzte schon.

Und:

Ayurveda ist auch deshalb attraktiv, weil es billig ist.

Es gebe im Land „Fünf-Sterne-Krankenhäuser für die Reichen und Mächtigen. Und für die Massen Ayurveda“.

Der „Yoga-Guru“ Baba Ramdev (Wikipedia Commons)

Als einflussreichsten Promoter nennt Sengling einen engen Freund des indischen Premierministers, den milliardenschweren Yoga-Guru und Unternehmer Baba Ramdev – zugleich „einer der prominentesten Stimmen der rechten Hindu-Bewegung“, welche die alte Medizin vereinnahme und radikalisiere:

Inder sollen indisch heilen, glauben Patrioten, zur Not mit Kuh-Urin.

Ramdev hält Homosexualität genauso für „heilbar“ (mit Yoga) wie Hepatitis, Arthritis, Krebs (mit Ayurveda) und Covid-19 (mit einer Quacksalberei namens „Coronil“ von seiner Firma Patanjali).

Mediziner, die evidenzbasiert behandeln, halten die Suche nach indischen Wurzeln für eine Reaktion auf die Kolonialzeit, „als sei alles, was aus dem Westen kam, schlecht“:

Ärzte von Covid-19-Stationen schrieben ihre Botschaft auf ihre Schutzanzüge: „Verhaftet Baba Ramdev“.

Zum Weiterlesen:

  • Der rasante Aufstieg von Ayurveda in Indien, Stern 25/2022 (auch online)
  • GWUP-Thema: Ayurveda
  • „Ayurveda“ bei Psiram
  • SkepKon-Rückblick: Ayurveda mit Blei ist nicht gesund, GWUP-Blog am 7. Juni 2014
  • Homöopathen: Keine Ahnung, aber Corona „heilen“ wollen, GWUP-Blog am 16. Oktober 2020
  • Nein, auch Prinz Charles ist nicht durch Homöopathie von Covid-19 geheilt worden, GWUP-Blog am 5. April 2020
  • Homöopathie gehört nicht in die Hand von Ärzten, die Globuli gegen Covid-19 empfehlen, GWUP-Blog am 27. Februar 2020
  • Indischer Nobelpreisträger kritisiert die Homöopathie, GWUP-Blog am 9. Januar 2016
  • Das AYUSH-Ministerium in Indien, Onkel Michael am 31. Januar 2020
  • Die leeren Versprechen des indischen AYUSH-Ministeriums, Onkel Michael am 30. Januar 2020
  • Der Yoga-Guru Swami Ramdev ist der Kopf eines milliardenschweren Ayurveda-Imperiums. Nun will der Inder einen Weg aus der Pandemie gefunden haben, NZZ am 28. Juli 2021
  • Indisches Ministerium empfiehlt Homöopathie gegen Coronavirus, derStandard am 3. Februar 2020

5 Kommentare

  1. Bei seinem kürzlichen Deutschlandbesuch manchte Ministerpräsident Narendra Mori unverblümt Werbung für den Ayurveda-Kram.

    Als ich dies auf Twitter kritisierte, zog ich mir ordentlich Gegenwind aus dem Heimatland der Schwermetalldüngung zu. Lustigerweise war eines der „Hauptargumente“, man sei eben nicht so verbohrt wie in Deutschland, wo man von der Gesetzgebung bis zum Gesundheitswesen alles nur einem folge: der Lutherbibel.

    Sachen gibts …

    Es kommt aber noch mehr dazu.

    Offenbar angeregt von den längst intensiv laufenden Bemühungen Chinas, die TCM als weltweiten Exportartikel zu etablieren, versucht Indien nachzuziehen, und zwar genau mit Ayurveda. Das AYUSH-Ministerium tönt da gewaltig herum, der nationalistische (und kulturimperialistische) Unterton ist unüberhörbar.

    Ich habe erst vor kurzem dazu ein paar Worte geschrieben:

    https://hpd.de/artikel/flut-pseudomedizin-20299

  2. Zusammengefasst zum Hindu-Nationalismus, der die entscheidende Basis für Modis Politik und das Forcieren von Ayurveda ist:

    https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/280574/hindu-nationalismus/#footnote-target-23/ (Bundeszentrale für politische Bildung 2018)

    Erschreckend viele Parallelen zum „Germano-Nationalismus“ der NSDAP weist die RSS auf bzw. deren Parteiableger BJP, die Partei Modis.

    https://de.m.wikipedia.org/wiki/Bharatiya_Janata_Party

    Da wundert dann auch der Rückschritt zur und Rückgriff auf eine irgendwie traditionelle Heil“kunst“ nicht – das Wettern gegen Wissenschaft hat wohl bei allen unfreien Systemen Methode – Indien wird unter der BJP immer illiberaler und Narendra Modi kommuniziert [seine alternativen Fakten] wohl derart umfassend direkt über social media, dass Trump in besten Zeiten nicht heranreichte. (Das Auslandsjournal hierzu finde ich gerade leider nicht online, aber es gibt ne aktuelle ZDF-info-Doku zum Hindu-Nationalismus.)

  3. Einige Punkte hierzu:

    1) Trotz aller Kritik an Modi sollten wir wissen, dass AYUSH zwar von der BJP-Regierung erst zum Ministerium erhoben wurde, aber dass der Vorgänger „Department of Indian Systems of Medicine and Homeopathy (ISM&H)“ bereits 1995 etabliert wurde. Frühere Regierungen waren an dieser Entwicklung nicht unschuldig.

    2) Mich hat der indische Rationalist Narendra Nayak bei einem Besuch vor etwa 5 Jahren in Mangalore (eine Küstenstadt, nicht Bangalore) die dortige „AYUSH“ Klinik gezeigt. Merkmal: Leere, niemand wartete auf eine Behandlung. Die regulären Krankenhäuser waren zur gleichen Zeit ziemlich voll.

    3) Laut einer Umfrage 2016 heißt es „Nine out of 10 people living across India’s teeming cities and sprawling villages prefer allopathic treatment to alternative medicine“.

    Die „Armen“ in Indien sind nicht so doof und die meisten fallen nicht auf diesen Unfug ein. Es sind nach meinem Eindruck eher die Elite und die „Gebildeten“, die auf Ayurveda schwören, die meist nebenbei auch reguläre Medizin (in Indien oft als „Allopathie“ bezeichnet“) nehmen, wenn es ernst wird.

  4. Die „Armen“ in Indien sind nicht so doof und die meisten fallen nicht auf diesen Unfug ein. Es sind nach meinem Eindruck eher die Elite und die „Gebildeten“, die auf Ayurveda schwören, die meist nebenbei auch reguläre Medizin (in Indien oft als „Allopathie“ bezeichnet“) nehmen, wenn es ernst wird.

    In Deutschland ist es auch so, dass Gebildete oder „das Bürgertum“ auf Esoterik und Pseudomedizin abfahren. Wer nur so knapp über die Runden kommt, hat nicht das Geld, um sich eine Zusatzversicherung zu leisten, welche pseudomedizinische Behandlungen übernimmt, oder den Schmonz vollständig aus eigener Tasche zu bezahlen.

  5. @RPGNo1 – ja, das ist ein universelles Phänomen weit über Fragen der Medizin und Gesundheit hinaus.

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