Spiegel-Online befürchtet heute eine „Milliardenlücke“ bei der gesetzlichen Krankenversicherung – und damit „massive Beitragserhöhungen“.
Da mögen 20 Millionen Euro nicht sonderlich viel erscheinen. Und dennoch ist das für den FAZ-Redakteur Kim Björn Becker eine „unfassbare Summe“. Und zwar deshalb, weil die GKV diesen Betrag für „überteuerte Zuckerkugeln“ (sprich: Globuli) zum Fenster rausschmeißt.
In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung fordert Becker:
Homöopathie muss Privatsache sein, medizinisch wie finanziell. Für überteuerte Zuckerkugeln zu zahlen ist nicht die Aufgabe der gesetzlichen Krankenkassen.
Es sei eben keineswegs „okay“, wie Jens Spahn 2019 meinte, „die Gemeinschaft für Tand bezahlen zu lassen“:
Dass nur Geld fließt, wo auch ein Nutzen erkennbar ist, sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Und damit auch Laien klar ist, womit sie es bei der Homöopathie zu tun haben, sollte eine alte Unsitte abgeschafft werden. Es gibt keinen Grund, warum Globuli nur in Apotheken verkauft werden dürfen. Sie in eine Reihe mit Medikamenten zu stellen, ist absurd.
Nach zwei Jahren Corona komme nun endlich Bewegung in die Sache, schließt der FAZ-Redakteur.
Zeit wird’s.
Zum Weiterlesen:
- Globuli zu Pralinen, FAS am 12. Juni 2022
- Homöopathie: It’s not ok, Jens Spahn, GWUP-Blog am 28. September 2019
- Deutscher Ärztetag streicht die Zusatzbezeichnung Homöopathie aus der MWBO, GWUP-Blog am 26. Mai 2022
- Video von Werner Bartens: „Homöopathie – miese Tricks, schlechte Studien“, GWUP-Blog am 17. März 2022
- Zeit zum Handeln! Offener Brief des INH zu Homöopathie im Gesundheitswesen, INH am 31. Januar 2022
14. Juni 2022 um 13:47
Im Grunde ein ultimatives Statement, dem kaum etwas hinzuzufügen wäre.
Kein wenn, hätte, aber; kein „umstritten“, keine Relativierung, kein schwammiges Wissenschaftsverständnis. Bravo.
Anzumerken wäre allenfalls, dass es während der Pandemie keineswegs so still um die Homöopathie war, wie der Autor es wahrgenommen haben mag.
Und dass Spahns 20 Millionen höchstwahrscheinlich viel zu tief gegriffen sind, vor allem, weil er ohnehin nur von den Medikamentenkosten redete und keinen Gedanken an die üppige Honorierung der therapeutischen Leistungen verschwendete.
Außerdem gehts nicht nur um das Geld der Kassen. Gerade jüngstens wurde ich mit dem „Argument“ konfrontiert, es würde doch nur etwa ein Fünftel des Apothekenumsatzes an Homöopathika rezeptiert und auch davon nur ein Teil über die Kassen erstattet.
Ja und?
Ist es vielleicht besser, dass die Leute, oft solche, die es eh nicht dicke haben, aus eigener Tasche einen dreistelligen Millionenbetrag drauflegen – für Nichts? Sicher nicht.
Es geht ums Grundsätzliche, wie der FAS-Artikel völlig richtig sagt.
Schon bei der Einführung des Binnenkonsens und damit der nicht mehr hinterfragbaren Arzneimitteleigenschaft von Homöopathie und Anthroposophie war das schon ein Anachronismus, den es gar nicht hätte geben dürfen.
Und gern bin ich bereit, den Homöopathen bei ihrem Ruf nach „eigenverantwortlicher und selbstbestimmter Patientenautonomie“ zu folgen.
Denn die würde, da bin ich sicher, bei einem Ende der gesetzlichen Privilegien (und insbesondere der Kassenerstattung) sich von der Homöopathie wegbewegen.
Deshalb: mehr solche Artikel, die an den Fakten keinerlei Zweifel lassen und sich auf die notwendigen Konsequenzen fokussieren!
15. Juni 2022 um 07:30
Äusserst ungerecht diese Art der Verschwendung, wenn man zB erfährt, daß Kranke gleichzeitig um Hilfsmittel regelrecht betteln müssen und die Kassen dabei nur das absolute Minimum leisten, so daß man hohe Zuzahlungen leisten muss, wenn man besser oder auch attraktiver versorgt werden möchte.
Und ohne Patientenvertretungen wäre alles noch schlimmer.
15. Juni 2022 um 17:01
@Udo Endruscheit
Alles sehr richtig.
Auch nicht vergessen sollte man, dass auch die Privatversicherten durch die Erstattung durch die PKV über ihre Beiträge zur Kasse gebeten werden – und die PKV erstattet vermutlich deutlich mehr (relativ zur Zahl der Versicherten ) an Homöopathie als die GKV.
@Wednesday
Die Erstattung von Hilfsmitteln ist wirklich ein Trauerspiel – sowohl für die Versicherten, als auch für die „Partner“ der Krankenkassen.
Wir beliefern relativ viele Hilfsmittelrezepte, darunter insbesondere Inkontinenz. Das kann man eigentlich nur als Kundenbindungsinstrument sehen. Verdienen tut man daran fast nichts.
Ob Sanitätshäuser da bessere Verträge haben, kann ich nicht sagen. Es würde mich etwas wundern, wenn die Kassen da spendabler wären.
15. Juni 2022 um 17:47
Es ist ein Skandal, dass Krankenkassen zwecks Kundenakquise und -bindung Homöopathie bezahlen. Finanziell lohnt es sich bestimmt, denn es sind eher die Akademiker mit höheren Beiträgen, die daran glauben.
15. Juni 2022 um 20:26
@Christan Becker, die Sanitätshäuser haben anscheinend Verträge mit Herstellern von Hilfsmitteln – die, die in den Schaufenstern Produkte von Firma X ausstellen, wollen mir unbedingt X verkaufen.
Hilfsmittel der Fa. Y, die mich nur 5 € Rezeptgebühr kosten würden, sind von ziemlicher Hässlichkeit, weil grober Ausführung, und iaR mit nur zwei Farben zur Auswahl.
Ich bestehe nun trotz erkennbarem Widerwillen des Fachverkäufers auf Hilfsmittel von Fa. Z, weil von allen am besten sitzend, und zahle statt nur 5 € Gebühr für die einfachste Ausführung dieses Hilfsmittels sage und schreibe 30 € – mit Hersteller Y hat das Sanitätshaus aber die lukrativeren Verträge und verkauft die Erzeugnisse von Fa. Z daher offenkundig ungern.
Dieses Verfahren ist ggü Menschen mit geringem Einkommen total unfair. Wer nicht 30 € ausgeben kann, muss zB mit hässlichen Kompressionsstrümpfen herumlaufen.
Die Krankenkasse verliert dabei gar nichts. Ich bleche zusätzliches Geld für ein Hilfsmittel, das besser sitzt als das Kassenmodell. Ähnliches gab es „damals“ bei Brillengestellen … Mensch, sah ich scheiße aus mit 14, 15 … :-D
15. Juni 2022 um 21:09
@Christian Becker/Thomas Roth
Haben Sie bitte für Ihre Behauptungen Belege (z. B. Statistiken der (privaten) Krankenkassen, Studien zum Zusammenhang von Homöopathie und Bildung bzw. Einkommen)?
Ist die soziale Zusammensetzung der Homöopathie-Gläubigen relevant für die Diskussion?
Es geht ums Grundsätzliche, wie der FAS-Artikel völlig richtig sagt.
16. Juni 2022 um 11:01
@Wednesday
Dass die Sanitätshäuser auch noch eigene Verträge mit Lieferanten haben, das kann durchaus sein.
Worauf ich hinauswollte, sind die Lieferverträge mit den Krankenkassen, die im Hilfsmittelbereich für Apotheken in den meisten Fällen äußerst unvorteilhaft sind.
In der Regel verdient man mit der Abgabe eines HiMis, sofern man nicht den Kunden zur Kasse bittet, so gut wie nichts, manchmal müsste man draufzahlen.
Beispiel Würfelpessare – die kosten im Einkauf zwischen 25 und 33€, die Kassen erstatten zwischen 30 und 32€, ich mache also nur dann ein bisschen Gewinn, wenn ich Glück habe und kann für 25€ einkaufen – oder wenn ich weiß, dass ich genug beim Hersteller direkt bestellen kann und nicht über den Großhandel gehen muss.
Da man aber Hilfsmittel oft auch nicht einfach abgeben darf, sondern bei der Kasse eine Genehmigung einholen muss, ist selbst das Almosen von Vergütung, das von den Kassen kommt, eigentlich schon nicht darstellbar, wenn man die nötige Arbeitszeit berechnet.
@Carsten Ramsel
Die soziale Zusammensetzung der Gläubigen ist sicherlich relevant.
Denn die Kassen rechnen damit, dass es sich unter dem Strich für sie lohnt, junge (und damit größtenteils gesunde), gutverdienende Personen als Beitragszahler zu haben. Dafür locken sie diese Leute mit der Erstattung gewisser Kosten an.
Würden hauptsächlich chronisch Kranke junge Geringverdienende zu den Befürwortern von Homöopathie zählen, glaube ich nicht, dass irgendeine Kasse auch nur einen Cent dafür erstatten würde.
22. Juni 2022 um 09:50
Zumindest von den Zahlen her hatte Spahn recht: 20 Millionen im Vergleich zu 40 Milliarden sind tatsächlich nur „peanuts“.
Aber: die Krankenkassen knausern bei allen anderen Leistungen und zahlen abseits der Homoöpathie nur für Leistungen, deren Nutzen eindeutig belegt wurde. Manchmal wird auch nicht gezahlt, obwohl der Nutzen bewiesen wurde.
Die 20 Millionen mögen ein Tropfen auf den heißen Stein sein, aber es geht hier um viel Grundlegenderes: bei allen anderen Behandlungen muß der Nutzen nachgewiesen werden. Homöopathie, deren Nutzen eindeutig widerlegt ist, wird aber gezahlt. Und das kann und darf nicht sein.