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Esoterik in der Corona-Krise: Ganzheitliche Sinnsuche oder Gefahr für die Demokratie?

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Unser #ferngespräch-Gast vom 5. Januar zum Thema „Sekten“, Fabian Maysenhölder, hat für seinen Podcast Secta.fm auch eine Folge über Esoterik produziert:

Die Esoterik ist eine Weltanschauung, die sehr vielfältig und breit gefächert ist. In der heutigen Szene begegnen uns allerhand kuriose Phänomene. Doch was steckt dahinter? Woher kommen diese Vorstellungen – und welche Glaubenssätze liegen den Praktiken zugrunde?

Auch andere Journalisten beschäftigt der Zusammenhang zwischen Esoterik und Corona-Leugnern beziehungsweise Verschwörungsmythen.

Welt+ etwa schreibt:

„Es gibt eine lange rechte Tradition innerhalb der Esoterik. Sowohl Anhänger eines völkischen Rechtsextremismus als auch manche Esoteriker glauben an eine vermeintlich natürliche, kosmische oder auch göttliche Ordnung der Welt.

Dem gegenüber stehen Liberalismus, Sozialismus, Kapitalismus und egalitäre Vorstellungen, die als Feindbild wahrgenommen werden“, erklärt der zu Verschwörungstheorien und Rechtsextremismus forschende Politikwissenschaftler Jan Rathje.

Aber auch die „moderne“ esoterische Lehre könne als Einfallstor für fundamentalistische Ideen dienen:

Etwa wenn sie einen Heilsanspruch propagiert, der all diejenigen ausschließt, die sich dem spirituellen Weg nicht anschließen.

Berührungspunkte zwischen extremistischen und esoterischen Strömungen gibt es auch da, wo sich Menschen als unschuldige Opfer finsterer Machenschaften sehen. „Dieses Weltbild hat die extreme Rechte nicht für sich alleine gepachtet. Solche Ideen finden wir auch in der Esoterikszene“, erläutert der Sozialpsychologe Roland Imhoff von der Universität Mainz.

Bei „politisch links zu verortenden Esoterikern“ wiederum gehörten „klassische Motive wie Anti-Imperialismus und Anti-Amerikanismus gewissermaßen zum guten Ton“. Auf Demonstrationen der „Querdenker“ werde deutlich, dass eine antikapitalistische Skepsis gegenüber Konzernen und Großindustriellen bei manchen Anhängern der spirituellen Szene tief verwurzelt ist.

Unabhängig von ihrer politischen Gesinnung …

… scheint für viele Esoteriker vor allem „Big Pharma“ das Böse zu symbolisieren, also die Vorstellung von einer mächtigen Pharmalobby, die die Bevölkerung vergiften will.

Durchzuhalten seien solche vereinfachten Vorstellungen nur, wenn man sich von der Kultur des Zweifelns abwende. „Insbesondere die Esoterikszene hat es ja nicht so mit der Wissenschaft“, meint Imhoff. „Oft werden Zusammenhänge behauptet, die keiner empirischen Überprüfung standhalten und naturwissenschaftlichen Gesetzen widersprechen.“

Was Esoterik, „Querdenken“ und Verschwörungstheorien verbindet, ist also

  • Komplexitätsreduktion
  • Selbstaufwertung
  • Gut-Böse-Dualismus
  • Wissenschaftsfeindlichkeit
  • „Bauchgefühl“
  • Selbstermächtigung/Egomanie

Der Standard nennt als Hauptpunkt die „unsolidarische Selbstfürsorge“:

Esoteriker*innen suchen nach dem authentischen Selbst, unabhängig von allen sozialen Zumutungen der Außenwelt […] Wer sich selbst unter Kontrolle hat, braucht keine Rücksicht auf andere zu nehmen, so die Botschaft mancher Esoterik*innen.

„Wer sich zurück in die natürliche Gesundheit begibt, der wird Corona niemals fürchten müssen! Alle anderen (…) können nicht erwarten, dass ihre Mitmenschen ihr Leben ruinieren, um für sie eine Vakuum-Blase zu erschaffen“, postet die „Familie Glücklich“, ihr Account zeigt fröhliche Bilder einer Weltreise.

Folgerichtig seien „Esoteriker und Verfechter der Alternativmedizin“ auch die radikalsten Impf-Skeptiker, schreibt der Schweizer Sektenexperte Hugo Stamm beim hpd:

Sie misstrauen den Experten und weigern sich, wissenschaftliche Erkenntnisse anzuerkennen. Dabei überwinden sie das Dilemma vermeintlich mit Verschwörungsideen: Sie sehen die Pharmaindustrie, Politiker und Fachleute im Dienst einer geheimen Macht, die alles im Hintergrund steuert und uns manipuliert. Auch über die Impfung, die angeblich Chips oder gefährliche Nanopartikel enthalten soll.

Ein hartes Urteil über die Esoterik-Bewegung fällt deswegen der Historiker Tillmann Bendikowski im Deutschlandfunk:

Nicht schlimm? So dachten wir bislang. Deshalb gewährten wir diesen esoterischen Vorstellungen in der bundesrepublikanischen Gesellschaft auch stets freundlich Unterschlupf, betrachteten sie – seien wir ehrlich – nicht ohne Interesse oder sogar Amüsement […]

Die Esoterik ist von jeher zwischen Religion und Wissenschaft verortet – und fühlt sich beiden überlegen. Dafür steht in der Corona-Krise ihre Weigerung, die evidenzbasierte Medizin anzuerkennen, um statt dessen Lösungen einer angeblichen „Geisteswissenschaft“ zu propagieren, für die es indes in dieser Welt keine messbaren Belege gibt.

Zugleich lehnt das esoterische Wissen auch zentrale Elemente unseres politischen Zusammenlebens ab: Weil die politischen Institutionen – wie unsere Wissenschaft – auf vermeintlich vordergründigem Wissen basieren, können sie nur falsche Antworten geben. Metaphysisches Wissen der „Eingeweihten“ steht über allen Entscheidungen einer Mehrheit. Damit ist die Esoterik stets antiegalitär.

Und sie ist zugleich antidemokratisch, wenn sie – was beim Corona-Schutz geschieht – den demokratisch gefassten Beschlüssen ihren esoterischen Ungehorsam entgegen stellt und Politik und Parlamente diffamiert, nur weil die kosmischen Mächte vom Tragen eines Maske abraten. Das ist dann keine Folklore mehr.

Um es klar zu sagen: Keine spirituelle Einsicht verleiht das Recht zur Diffamierung von Politik und Parlamenten. Wer diese ablehnt, ist kein harmloser ganzheitlicher Sinnsucher, sondern möglicherweise ein Gefährder für die Demokratie.

Zum Weiterlesen:

  • Corona und Esoterik: Unheilvolle Allianzen, Welt+ am 5. Januar 2021
  • Spirituelle Fundamentalopposition, derStandard am 11. Januar 2021
  • Wie Esoteriker und Sekten Stimmung gegen die Corona-Impfung machen, hpd am 13. Januar 2021
  • Anthroposophische Krankenhäuser behandeln Covid-19 mit Meteorstaub und Ingwer, Belltower News am 13. Januar 2021
  • Das Politische an der Esoterik, Deutschlandfunk Kultur am 11. Januar 2021
  • ZDFinfo-Video: „Zauber, Hexen, Heilsversprechen“ – Esoterik boomt in der Coronakrise, GWUP-Blog am 21. Dezember 2020
  • Der gemeinsame Nenner von Homöopathie, Esoterik und Verschwörungstheorien, GWUP-Blog am 17. Oktober 2020
  • Schnupfen als Katastrophenfall, Husten als Notstand: Die Esoterik und die Coronakrise, GWUP-Blog am 6. April 2020

15 Kommentare

  1. Wobei der Punkt „Wissenschaftsfeindlichkeit“ seltsam ambivalent ist.

    In gewisser Weise sind die Esoteriker ja auch wissenschaftsfixiert, mit ihrem Gerede von Skalarwellen, Quantentheorie usw.

  2. @ Joseph Kuhn:

    Und wenn man dann noch sieht (passend dazu) wieviel technische Spielereien (gerne auch elektronischer Art) in der Esoszene angeboten werden! Was hat das denn mit „Natürlichkeit“ und „altem Wissen“ zu tun?

    Es ist wirklich ein großes Verdienst der Esoterik, daß alle diese Widersprüche zu einem offenbar vielen mundenden Brei zusammengemanscht werden.

  3. @ borstel:

    Das ist „ganzheitlich“. In einem zersplitterten Sinne.

  4. @ Joseph Kuhn:

    Also „Ganzheitlichkeit“ auch unter Einschluss des Unfugs. Vielen Dank für Ihren letzten Post, der mir geholfen hat, es auf diese griffige Formel zu bringen.

  5. @ Klauszwingenberger:

    Ja, wahrhaft ganzheitliches Denken will alles Trennende überwinden. Dem darf die Trennung zwischen wahr und falsch nicht im Wege stehen. Einer hinreichend feingeistigen Logik ist daher alles möglich:

    https://scienceblogs.de/gesundheits-check/2016/01/31/der-esoterische-fehlschluss/

  6. „Einer hinreichend feingeistigen Logik ist daher alles möglich“

    Ist damit Feingeistigkeit das spirituelle Analogon zur Feinstöfflichkeit ?

  7. Was mir so auffällt:

    geben die meisten(alle?) Esoteriker-Heiler immer nebenwirkungsfreie Heilsversprechen?

    Zitat: „homöopathische Mittel haben keinen Beipackzettel!“

    -> ist das nicht gottgleicher Perfektionsanspruch?

    Wohingegen die Schulmedizin und Wissenschaft „nur“ nach bestem Wissen und Gewissen handeln
    kann und so immer der Menschlichen Grenzen bewusst ist und deshalb mögliche Probleme nicht verschweigt – und aufgrund ihrer nichtperfektion deswegen „Beipackzetteln“ anheftet.

  8. @ sinapis:

    „feingeistig/feinstofflich“

    Kleines Sprachspiel. Mit etwas Feingespür sind die Grenzen der Analogie ja unübersehbar ;-)

  9. @Bernhard

    Homöopathische Mittel haben einen Beipackzettel (z.B. hier: https://www.dhu-globuli.de/fileadmin/daten/Gebrauchsinformation_Nux-vomica-D6-DHU_10g_Globuli.pdf).

    Zwar stehen da keine Nebenwirkungen drin, allerdings auch, gemäß Arzneimittelrecht, keine Indikation, womit auch kein Heilversprechen gegeben wird.

    Nichtsdestotrotz kann man natürlich von gottgleichem Perfektionsanspruch ausgehen, denn nur Hahnemanns Zuckerkugeln machen selig.

  10. Nebenwirkungen bei Homöopathika gibt es so wenig wie homöopathische Kunstfehler. Versuchen Sie mal, einen Homöopahen auf eine Antwort zu der Frage, woran man einen homöopathischen Kunstfehler erkennt, festzunageln. Gleich anschließend versuchen Sie bitte, einen Pudding an die Wand zu nageln und den Unterschied zu beschreiben.

  11. @Christian Becker
    Punkt 1 im verlinkten PDF beschreibt doch die Indikation, falls man das bei Homöopathika so nennen kann:

    1. Was ist Nux vomica D6 DHU und wofür wird es angewendet?

    Nux vomica D6 DHU ist ein homöopathisches Arzneimittel zur Anwendung bei Erkrankungen der Verdauungsorgane.
    Die Anwendungsgebiete entsprechen dem homöopathischen Arzneimittelbild. Dazu gehören: Entzündungen und Krampfzustände des Magen-Darm-Kanals, Beschwerden durch Nahrungsmittel, Arzneimittel und Genussmittel.

    Auch einen Punkt 4. Nebenwirkungen gibt es, wo es aber nur heißt, dass bisher keine bekannt sind. Interessanter scheint mir der folgende Satz zur sogenannten Erstverschlimmerung:

    „Hinweis: Bei der Einnahme eines homöopathischen Arzneimittels können sich die vorhandenen Beschwerden vorübergehend verschlimmern (Erstverschlimmerung). In diesem Fall sollten Sie das Arzneimittel absetzen und Ihren Arzt befragen.“

    Besagt nicht die reine Lehre, dass gerade das Auftreten einer „Erstverschlimmerung“ belegt, dass der erfahrene Homöopath das richtige Präparat ausgependelt hat? Warum dann also absetzen?

  12. @klauszwingenberger

    Den Pudding konnte man auch bei der einfachen Frage „Welche Fortschritte hat die Homöopathie überhaupt gemacht in diesen 200 Jahren?“ in Aktion beobachten, ab 38:36 in der SWR-Doku „Homöopathie – Heilung oder Humbug?“

    https://www.youtube.com/watch?v=NrhpKNebaKo

    Frau Dr. Geiger, Vorstandsvorsitzende des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte, eiert auch auf mehrmalige Nachfrage legendär um den Pudding herum :-)

  13. @ Christian Becker:

    Nux vomica D6 DHU ist ein zugelassenes Homöopathikum, daher darf eine Indikation angegeben werden. Viele Homöopathika sind nur registriert, für diese Mittel darf keine Indikation angegeben werden.

  14. @Joseph Kuhn

    Danke für die Erläuterung!

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