gwup | die skeptiker

… denken kritisch seit 1987.

Die Ärztekammern und coronaleugnende Kolleg*innen

| 7 Kommentare

Im Fall von konkreter „Patientengefährdung“ meldet die Berliner Ärztekammer coronaleugnende Kolleginnen und Kollegen der Staatsanwaltschaft, berichten verschiedene Medien.

Dabei gehe es zum Beispiel um Mediziner, die ihre Patienten dazu aufforderten, im Wartezimmer keine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen. Auch ein Verdacht auf systematische Gefälligkeitsatteste, die von der Pflicht zum Tragen einer solchen Maske entbänden, zähle dazu.

Dennoch bleibt das Thema schwierig.

Ärzte, die den aktuellen medizinischen Erkenntnisstand leugnen, müssen nicht automatisch mit berufsrechtlichen oder strafrechtlichen Folgen rechnen,

schreibt heute die Süddeutsche Zeitung.

Der Artikel lässt durchblicken, dass die Ärztekammern wohl einen Märtyrereffekt fürchten, wenn sie jede Äußerung eines Arztes berufsrechtlich sanktionieren würden, sobald diese von der Mehrheitsmeinung abweicht, oder wenn sogar die Gefahr besteht, vor dem Berufsgericht gegen einen Arzt zu verlieren, der Verschwörungstheoretiker ist, weil das Gericht letztlich die Auffassung vertritt, dass seine Theorien von der Meinungsfreiheit gedeckt sind:

Der Arzt wäre kurz darauf überall in den Medien und würde eine Öffentlichkeit bekommen, die man ja eigentlich um jeden Preis vermeiden will […] Zumal es sich bei Ärzten, die Verschwörungsmythen teilen oder den aktuellen medizinischen Wissensstand leugnen, immer noch um eine Minderheit handelt, der man nicht zu viel Aufmerksamkeit schenken sollte.

Eckhard Nagel, selbst Arzt und Professor für Medizinmanagement an der Universität Bayreuth, ist dennoch davon überzeugt, dass Landesärztekammern das Verhalten ihrer Mitglieder nicht kommentarlos hinnehmen müssen:

„Ganz im Gegenteil: Man muss unbedingt auf diese Ärzte zugehen, sie ansprechen und die Diskrepanz zu der abgestimmten wissenschaftlichen Meinung als nicht akzeptabel thematisieren.“

Und zwar schon dann, wenn Ärzte im weißen Kittel von einer „untauglichen Maskenpflicht“ sprechen oder auf Demos die Gefahren des Coronavirus leugnen.

Was aus Sicht des Medizinmanagers von einer Meinungsfreiheit nicht gedeckt ist:

Wenn Ärzte die eigene berufliche Kompetenz mit ihrer persönlichen, politisch motivierten Meinungsäußerung in Verbindung bringen und ihr damit ein besonderes Gewicht verleihen. Das kann für viele Menschen sehr gefährlich werden – gerade in Zeiten einer Pandemie, wenn Ärzte als erste Ansprechpartner wahrgenommen werden.

Den aktuellen Stand fasst die Süddeutsche so zusammen:

Die Bundesärztekammer teilt als Zusammenschluss der 17 Landesärztekammern in Deutschland mit, dass es nach ihrem Kenntnisstand etwa in Nordrhein-Westfalen und Hamburg bereits zu berufsrechtlichen Prüfungen oder Ermahnungen von Ärzten kam.

Und: „Wir wissen auch, dass die Ärztekammer Berlin derzeit Anzeigen nachgeht, nach denen Ärztinnen und Ärzte sogenannte Gefälligkeitsatteste zur Vermeidung der Maskenpflicht ausgestellt haben sollen. Außerdem führt Schleswig-Holstein im Zusammenhang mit sogenannten ‚Corona-Leugnern‘ berufsrechtliche Prüfungen durch.“

Zum Weiterlesen:

  • Ärzte gegen Aufklärung, SZ+ am 13. November 2020
  • Berliner Ärztekammer: Corona-Leugner unter Medizinern ab sofort Fall für die Justiz, rnd am 11. November 2020
  • Der Arzt als Corona-Leugner, DocCheck am 7. September 2020
  • Wenn Ärzte Unsinn behaupten und Kammern dennoch wegschauen, medwatch am 25. Mai 2020
  • Bodo Schiffman: Der Arzt, dem die Corona-Rebellen vertrauen, correctiv am 6. Mai 2020
  • Video: Ärzte „für Aufklärung“ oder eher mit Aversionen gegen die Corona-Vorschriften, GWUP-Blog am 8. Juli 2020
  • „Halbwahrheiten, Panikmache und Netzgerüchte“: Der Auftritt eines Arztes und Coronaleugners, GWUP-Blog am 21. September 2020
  • Polizei nimmt Pandemieleugner Schiffmann in Gewahrsam, t-online am 10. November 2020
  • Das sagte „Querdenker“ Schiffmann in Bremen über Corona – ein Check, buten un binnen am 14. Oktober 2020
  • „Der Impf-Krieg“: Was tun gegen die Welle des Misstrauens und ärztliche Corona-Rebellen? GWUP-Blog am 14. September 2020
  • MWGFD: 44 Prozent Heilpraktiker und andere Andere, Gesundheits-Check am 24. Oktober 2020

7 Kommentare

  1. Alles nachvollziehbar hinsichtlich der Kammern.

    Aber sie müssen so langsam in eine neue Rolle finden und die der „Schutzgemeinschaft Ärzte“ oder gar „Ärztegewerkschaft“ aufgeben. Sie müssen schon den Mut finden, berufsrechtliche Verfahren durchzuführen, die sich nicht nur und nicht allein auf ein konkretes Arzt-Patienten-Verhältnis beschränken.

    Das haben einige auch durchaus realisiert. Die neue Schranke ist derzeit auch eher der „fehlende Nachweis, dass die ärztliche Tätigkeit und die private Ansicht nicht getrennt seien“.

    Über die philosophischen Aspekte dieser Definition ließe sich trefflich streiten… Immerhin ist mit dieser Begründung ein gewisser Schwindelfachmann namens Schiffmann einem Verfahren der Kammer Nordbaden gerade noch so entgangen. Worauf er es für angemessen hielt, anlässlich einer ungenehmigten Einreise nach Mecklenburg-Vorpommern inmitten eines Corona-Demo-Busses dahin vernehmen zu lassen, er sei als Arzt unterwegs, u.a. zu Hausbesuchen und außerdem ohnehin als solcher systemrelevant.

    Lässt das noch Zweifel daran zu, dass er zwischen der ärztlichen Profession und der privaten Ansicht trennt…?

    Zwei Dinge sind klar:

    Die Kammern (die ja immerhin als Selbstverwaltungsorgane Aufsichts- und Ordnungsfunktionen wahrnehmen, die originär staatliche Angelegenheiten wären) müssen ihr Selbstverständnis etwas neu justieren.

    Und es gilt, einem Vertrauensverlust in die Ärzteschaft generell einen Riegel vorzuschieben.

    Ich jedenfalls bin bereits mehrfach ärztlich gefragt worden, ob man dem Doc eigentlich noch trauen könne und woran man erkenne, dass er vielleicht einer bestimmten Szene zuneige.

    Das darf nicht sein.

  2. Ich habe mir jetzt auszugsweise einige Auftritte der Corona-Info-Tour angesehen, das ist wirklich furchtbar, das macht mich wirklich aggressiv, deshalb werde ich es jetzt unterlassen ;-)

    Bei dem Video von gestern hat Bodo Schiffmann ein angebliches Interview mit einem Kind abgespielt, in dem das Kind mit Selbstmord droht, weil es die Maske in der Schule tragen muß…es war wirklich ein laienhaftes ‚rumgeflenne eines Kindes oder Jugendlichen, man sah es nicht, nur der Ton war aus dem Smartphone von Schiffmann zu hören.

    Wie dummdreist diese Leugner vorgehen ist schon unverschämt und die Leute, die sich das anhören, sind meist schon in der Risikogruppe – ich sah da auch schon Omas mit Rollator.

  3. Haben wir die richtige und falsche Anwendung der Meinungsfreiheit an private Berufs- oder Standesgerichte delegiert? Und welche anderen Fakten seines Fachs „darf“ ein praktizierender Arzt denn noch so vor sich hinleugnen, bevor amtlich an seiner Eignung gezweifelt wird?

    Dürfen Ingenieure das dann zukünftig auch? „Nö, an Schrauben glaube ich nicht. Das geht auch so.“

    Schade auch, dass der zitierte Professor Nagel die Wissenschaft als das Ergebnis von Absprachen („abgestimmte Meinung“) darstellt. Mit dem Unterschied zwischen Fakt und Meinung scheinen nicht nur Journalisten ihre Not zu haben.

  4. Was soll die Aufregung? Seit Jahren tolerieren die Ärztekammern „Naturwissenschafts-Leugner“ indem sie offiziell Zusatzbezeichnungen wie Homöopathie vergibt und dazu auch Kurse, die man absolvieren MUSS in denen Inhalte vermittelt werden, die den Erkenntnissen der Naturwissenschaft widersprechen!

    Und in der Prüfung bei der Ärztekammer wird dann kontrolliert, ob jemand auch wirklich Leugner von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen ist, denn sonst fällt der Kandidat durch !! Also, was soll jetzt diese Aufregung ?

  5. Hi Benedikt,

    lieber spät als gar nicht aufregen, würde ich Dir antworten. Immerhin haben 10 von 17 Landesärztekammern die ZB Homöopathie inzwischen abgeschafft. Ein kleiner Fortschritt, aber ein Fortschritt. Auch klar, dass da noch viel Unfug übrig ist.

  6. @Benedikt:

    Manchmal bin ich froh, dass ich kein Arzt bin…

    Aber die Kammern sähe ich gern anders verortet, wie ich weiter oben schon ausführte.

    Ein klares Bekenntnis zur Evidenzbasierten Medizin und ihren Grundsätzen in den Statuten und den Berufsordnungen wäre da schon hilfreich (ich weiß natürlich, dass die EBM längst noch nicht in die Verästelung der ärztlichen Praxis gedrungen ist und es dort auch noch genug Abneigung dagegen gibt).

    Auch die Kammern können sich nicht darin erschöpfen, einen zweifelhaften Pluralismus zu verwalten. Denn da gilt auch das, was so gern wie falsch zu Einsteins Relativitätstheorie gesagt wird: Alles ist relativ.

    Wäre das richtig, gäbe es nichts, wozu etwas anderes dann relativ sein könnte. Da halte ich es lieber mit dem festen Punkt des Archimedes. Und den findet man in Ehrlichkeit, Redlichkeit und Empathie, nicht nur in der Ärzteschaft natürlich.

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.