Interessantes Interview in der aktuellen NEON-Ausgabe (3/2015):
Der Soziologie-Professor Armin Pfahl-Traughber erklärt zum Thema Verschwörungstheorien:
Ideologien sind immer dann erfolgreich, wenn sie gesellschaftliche Grundbedürfnisse befriedigen. Sie geben der Welt eine Ordnung. Die Anhänger haben das Gefühl, dass sie auf der Seite des Guten stehen.
Verschwörungsauffassungen haben eine ganz ähnliche Funktion. Es geht zentral um die Reduzierung von Komplexität.
Man sucht eine einfache Erklärung für dramatische Ereignisse. Das ist eine ganz natürliche Reaktion, die man gut an sich selbst beobachten kann.
Man verschläft, weil der Wecker nicht klingelt, die Kaffeemaschine geht kaputt, der Bus fällt aus, und schließlich erwischt einen der Chef, wie man zu spät ins Büro kommt. Dann sagt man: „Es hat sich alles gegen mich verschworen.“
Der Mensch sucht nach Kausalitäten, Stringenz und einer verantwortlichen Partei.“
NEON: Aber in einer globalen Welt gibt es natürlich keine einfachen Erklärungen. Alles hängt mit allem zusammen.
Politische Großereignisse sind mitunter so komplex, dass man sie nicht mehr erkären kann. Verschwörungsauffassungen helfen uns, diesen beunruhigenden Gedanken zu verdrängen.
Die ersten systematischen Verschwörungsbücher entstanden bereits nach der Französischen Revolution, ein epochales Ereignis, das eine ganze Gesellschaftsordnung zerstörte.
Viele Revolutionsverlierer haben damals Gründe und Schuldige für die Katastrophe gesucht.
Statt das eigene politische Lager zu hinterfragen oder die Lage differenziert zu analysieren, entwickelten sie Verschwörungsauffassungen. Plötzlich waren die bösen Freimaurer für die Revolution verantwortlich.“
NEON: Ist es sehr arrogant, wenn ich sage: Verschwörungstheorien sind was für Trottel, die gerne in einer einfachen Welt leben würden? Können Bildung und Erziehung gegen solche Ideen nicht helfen?
Historisch gesehen nicht. In der Folge der Französischen Revolution entwickelten auch hochgebildete Leute Verschwörungsauffassungen.
Auch im 20. Jahrhundert existiert dieses Phänomen: Der Industriemagnat Henry Ford zum Beispiel war ein fanatischer Judenhasser und vermutete hinter allem und jedem eine jüdische Verschwörung.
Ford war ein sehr intelligenter Mann. Nur weil man eine hohe Bildung hat, ist man nicht automatisch in der Lage, gesellschaftliche Entwicklungen differenziert zu betrachten.
Das ist auch eine Einstellungs- und Mentalitätsfrage.“
Eien ähnliche Auffassung vertritt der amerikanische Politikwissenschaftler Eric Oliver.
Der Washington Post sagte Oliver:
We think of conspiracy theories as simply another form of magical thinking […]
Contrary to popular speculations, conspiracy theorists are not the sole domain of conservatives nor are conspiracy theorists all paranoid.
We do find that conspiracy theories are more popular among the less educated. Not surprisingly, conspiracy theorists also tend to be less trusting of other people and feel more politically alienated.
But the biggest predictor of whether someone believes in conspiracy theories is whether they also hold other magical beliefs – conspiracy theorists are much more likely to believe in the supernatural and paranormal or believe in Biblical prophecy.“
Eine treffende Kolumne des Bloggers und Strafverteidigers Heinrich Schmitz über rechte Verschwörungstheoretiker à la „Reichsbürger“ und Co. gibt’s im European:
Diskussionen mit Reichsbürgern und/oder BRD-GmbH-Freaks sind offenbar völlig sinnlos.
Solange sie ihre Verschwörungstheorien nur als Theorien pflegen würden, wären sie auch kein Problem. Schließlich genießen auch diejenigen, die das GG als Verfassung nicht anerkennen, die dort enthaltenen Grundrechte, einschließlich der Meinungsfreiheit.
Und die schließt selbstverständlich auch seltsame und skurrile Meinungen ein.
Wenn aus den Verschwörungstheorien jedoch auch Verschwörungspraktiken werden, die mit Gefahr für Leib und Leben von Gerichtsvollziehern, Polizisten, Richtern, Staatsanwälten usw. verbunden sind, weil eine selbsternannte „Polizei“ sich als Staatsgewalt aufspielt und Straftaten begeht, dann sollte langsam mal „Schluss mit Lustig“ sein.
Eine Volksbefreiung durch Verpeilte muss nicht unbedingt sein. Da muss dann die echte Polizei eingreifen.
Da muss es Anklagen und auch Verurteilungen geben, die zwar die Betroffenen für ihre Gesinnungsgenossen zu politischen Gefangenen machen werden, die aber vielleicht auch den ein oder anderen Ansteckungsgefährdeten zur Vernunft bringen könnten.“
Und schließlich ist jetzt die Hoaxilla-TV-Folge „Verschwörungstheorien und ihre Hintergründe“ kostenlos online zu sehen:
Warum gibt es eigentlich Verschwörungstheorien? Wie entstehen sie? Und warum glauben viele Menschen leichtfertig daran? Alexa und Alexander begrüßen diesmal den Psychologen Sebastian Bartoschek, der zu diesem Thema promoviert hat und daher viel dazu sagen kann.“
Zum Weiterlesen:
- Die andere Wahrheit, Neon 3/2015
- Verschwörungstheorien: Die Mondlüge und Hitlers Unterkiefer, Deutschlandfunk am 21. Februar 2015
- Hoaxilla-TV: „Verschwörungstheorien und ihre Hintergründe“ vom 24. September 2014
- Fifty percent of Americans believe in some conspiracy theory. Here’s why, Washington Post am 19. Februar 2015
- Anti-Science ‚Skeptics‘ Are Not Skeptics. They Are Incredibly Willing to Believe BS, Real Clear Science am 17. Februar 2015
- Rechte Verschwörungstheoretiker, The European am 14. Februar 2015
- Verschwörungstheoretiker haben die besten Facebook-Profile, vice am 19. Februar 2015
- Ist Deutschland souverän? derFreitag am 19. Oktober 2014
- Neue Info-Broschüre über „Reichsbürger“ und Verschwörungsphantasten, GWUP-Blog am 13. Dezember 2014
- Der Eso-Oscar 2014 geht an Xavier Naidoo, GWUP-Blog am 26. November 2014
- Willkommen in Absurd!istan: Die Psychologie der Verschwörungstheorien, Video-Vortrag von Sebastian Bartoschek
- Science-Slam von Sebastian Bartoschek zum Thema Verschwörungstheorien
- Verschwörungstheorien im Netz, WDR5 am 30. September 2014
- Verschwörungstheoretiker, Pseudoskeptiker und Aufklärung im Internet-Zeitalter, GWUP-Blog am 5. Februar 2015
- Sind Verschwörungstheoretiker „vernünftiger“? Natürlich nicht, GWUP-Blog am 18. Januar 2015
23. Februar 2015 um 11:49
Ja, das stimmt alles irgendwie so grob, aber durch solcherlei Schematismus und Reduktionismus auf ein psychologisches Bedürfnis der Komplexitätsreduktion gehen völlig die gesellschaftlichen Gründe verloren – woher kommen denn diese Bedürfnisse? Verschwörungstheorie und Ideologie fallen hier in eins.
Es gibt dann gar keinen prinzipiellen Unterschied mehr zwischen einer Ideologie, die darauf zielt so viele Menschen als möglich zu vernichten und praktisch werden will (Antisemitismus) und einer Verschwörung über z.B. die Eigentumsrechte des Mondes oder Reptilienmenschen.
23. Februar 2015 um 12:27
Und rein zufällig brachte der Deutschlandfunk am Samstag, den 21.02.2015 ein ganzes Wochenendjournal zum Thema „Verschwörungstheorien“:
http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2015/02/21/dlf_20150221_0910_798c9bbc.mp3
Rein zufällig? Ganz sicher nicht! Da hat sich doch der Deutschlandfunk mit NEON, der Washington Post und der ganzen anderen Lügenpresse zu einer Kampagne gegen Verschwörungstheorien verschworen ;-)
23. Februar 2015 um 18:56
Dieses Argument brachte ich hier schon einige Male, da ich mich gerne wiederhole:
Wir haben immer noch das Gehirn eines Menschen, der vor 10.000 Jahren lebte, damals war die Welt überschaubar und auch die soziale Gruppe war bekannt – es gab nur wenige „Überraschungen“ und diese sublimierte man mit „Götter“, denen man diese Phänomene zuschrieb.
Die heutige Welt ist komplex und wird immer komplexer und das überfordert jedes menschliche Gehirn und wieder sublimiert es dieses Defizit, durch eine pseudoreligiöse „Verschwörungstheorie“.
23. Februar 2015 um 23:15
Wir alle haben einen Drang, unsere kleine Welt zu schützen – so denke ich ;-)
Wir mögen es nicht, wenn wir etwas nicht verstehen können – dies würde unsere „Welt“ gefährden, in der wir es uns gemütlich gemacht haben…ach wie schön ist es da, am Computer, nach den neusten „Lügen der Systempresse“ zu googeln – ach, wie praktisch, der Kopp-Verlag bietet sofort Antworten…
Zitat „Pippi Langstrumpf“
Ja, und dann kann ich mich erhobenen Haupt und geschwollener Brust vor die Tür treten, denn ich bin Herr meiner eigenen Welt :-)
12. März 2015 um 12:21
@ Ralf
„Ich mache mir meine Welt, wie sie mir gefällt…!“
Hmm, da ist eigentlich nichts gegen einzuwenden, sofern man dabei nicht vergisst, dass man in einer Weltgemeinschaft lebt…
30. März 2015 um 09:00
@ trixi
Dachte ich auch bis zu dem Teil, wo er schreibt: „dass Astrologie funktioniert, weiß ich…“ Damit trifft das, was er vorher schreibt und analysiert auch auf ihn selbst zu. Schade!