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Verschwörungstheoretiker, Pseudoskeptiker und Aufklärung im Internet-Zeitalter

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Ausgerechnet das „Reise“-Ressort der FAZ skizziert treffend, wie Verschwörungstheorien entstehen.

Es beginnt mit einer Durchsage am Frankfurter Flughafen:

Sturm auf Teneriffa, wir können nicht landen, also ist es wenig sinnvoll, überhaupt loszufliegen. Wir warten jetzt erst einmal bis acht Uhr, dann sehen wir weiter, sagt die freundliche Dame am Gate und bittet um Entschuldigung […]

Der erste Reflex der Reisegruppe: Es kann sich nur um von oberster Stelle verordnete Desinformation handeln, man muss sich also unabhängig informieren und tut das auch sofort mittels Smartphone.

„Die saache des nur middm Wedder“, ist man sich kurz darauf einig, „des is nur bissi wolgisch da, die erzähle uns erschendwas.“

Sturm? Pah! Die Damen lassen sich nicht so leicht auf den Arm nehmen! Die durchschauen die Lage vollkommen.

„Da is was midde Maschien“, ist man sich einig, denn der Schwager schafft ja auch beim Flughafen, und der sagt auch immer, die sagen das nur, wegen der Beruhigung, und der Schwager ist selbstverständlich absolut vertrauenswürdig, während diese Schlitzohren von der Fluggesellschaft einen nur auf den Arm nehmen und vermutlich übelste Umstände verschleiern wollen.“

Das lässt sich mühelos auf Pegida, Ken Jebsen, Jürgen Elsässer und Co. übertragen, denen die Kollegen vom FAZ-Feuilleton „stupide ideologische Sinnsuche“ und „predigthafte Monologe“ zuschreiben.

Ebenso wie die FAZ betont auch der SWR die Rolle des Internets als „Lautsprecher und Verstärker von Verschwörungstheorien“:

Das ist gewiss richtig – aber nur ein Teilaspekt:

Das Internet mit seinen Echokammern und Filterblasen ist hervorragend als Nährboden für Pseudoskepsis und Verschwörungstheorien geeignet. Das Netz kann für den geneigten Nutzer wie eine semipermeable Membran wirken, die nur passende Informationen durchlässt.

Aber natürlich greift es viel zu kurz, hier alles aufs Netz und die doofen User zu schieben“,

schreibt der SPON-Kolumnist Sascha Lobo.

Denn die Blüte der Pseudoskepsis ist keine digitale, sondern eine gesellschaftliche.“

Und damit sind wir wieder bei unseren wartenden Teneriffa-Fans auf dem Frankfurter Flughafen:

Sturm fällt also aus, da ist sich das unabhängig informierte Damengrüppchen sicher. Die Damen haben sich bestens in ihrem Theoriegebäude eingerichtet, und nichts kann sie daraus befreien. Da sitzen sie also und haben recht.“

Lobo nennt dieses typische Verhaltensmuster von Konspirologen „tiefe Selbstgerechtigkeit“ und „schiefe Pseudoskepsis“:

Es handelt sich um hoch gebildete und tendenziell wohlhabende Bürger. Um Leute also, die Pegida ausgelacht haben, weil die wider jede Statistik wegen ihrer Bauchgefühle demonstriert haben. Und fünf Minuten später stillen sie ihren pseudoskeptischen Durst mit informiertem Wasser, das bei Vollmond an Bachblüten vorbeigetragen wurde […]

Die Begeisterung, mit der Esoteriker den aktuellen Stand der Wissenschaft aggressiv ignorieren, ist aus demselben Holz gedrechselt: aus der Pseudoskepsis […]

Also dem Wunsch, kritisch zu sein, den man aber bei der nächsten Gelegenheit aufgibt, die sich gut anfühlt.

Der Mechanismus, nach dem Impfgegner jede wissenschaftliche Studie als „von der Pharmaindustrie gekauft“ verteufeln, wenn sie ihnen nicht in den Kram passt, ist derselbe wie bei den „Lügenpresse“-Schreiern.

Selektive Skepsis ist Pseudoskepsis.“

Zum Schluss bringt Lobo die Forderung nach einer „neuen Aufklärung“ ins Spiel – ein Gedanke, der sich auch mit den Zielen und Plänen der GWUP deckt.

Zum Weiterlesen:

  • Verschwörungstheorien: Zweifeln ist ja so geil! SPON am 4. Februar 2015
  • Verschwörungstheorien im Netz, SWR2 am 26. Januar 2015
  • Im Netz der Wutbürger und Verschwörungstheoretiker, FAZ am 2. Februar 2015
  • Skeptiker und Pseudo-Skeptiker, GWUP-Blog am 18. Juli 2013
  • Der Unterschied zwischen Skeptikern und esoterischen Pseudoskeptikern, Der Nesselsetzer am 4. Mai 2013
  • Globale Erwärmung: Leugner sind keine Skeptiker, GWUP-Blog am 12. Dezember 2014
  • Deniers are not Skeptics, CSI am 5. Dezember 2014
  • Medienkritik, Paranoia und “Alternativ-Journalismus”, GWUP-Blog am 2. November 2014
  • Fehlschluss #35: Das Argument des gesunden Menschenverstandes, Ratio-Blog am 1. Februar 2015
  • Sind Verschwörungstheoretiker „vernünftiger“? Natürlich nicht, GWUP-Blog am 18. Januar 2015

3 Kommentare

  1. Müsste es nicht „selektivpermeable“ heißen?

  2. Zitat Artikel

    „Die saache des nur middm Wedder“, ist man sich kurz darauf einig, „des is nur bissi wolgisch da, die erzähle uns erschendwas.“

    Toll, meine Muddersprach…obwohl ich nicht politisch (ganz) hessisch bin ;-)

    Der Mensch an sich ist Verschwörungs-affin, früher waren es die „Stammtisch-Wahrheiten“, wie zb: Die da oben…

    Das Internet potenziert diese ehemals „alkoholschwangeren Wahrheiten“; man kann zu jeden Thema, mag es noch so absurd sein, genügend Links finden.

  3. Ich halte das Wort Pseudoskeptiker für ziemlich interessant.

    Skeptik selbst kann man gegenüber alles und jeden haben.

    Ich bin auch skeptisch wenn mir der Arzt bei Bronchitis einen Acetylcystein verschreibt.
    Ich bin auch skeptisch wenn der Arzt mir Antibiotika verschreibt nur wenn der Hals ein bisschen gerötet ist und er keinen Abstrich gemacht hat.

    Ich bin auch sehr sehr skeptisch wenn mir ein Apotheker mit Alternativen wie Homöopathie kommt.

    Skeptiker kann jeder sein, auch jeder Homöopath auch wenn seine Thesen noch so lächerlich sind darf gegenüber der sogenannten Schulmedizin skeptisch sein.

    Jeder kann gegenüber jeden Pharmakonzern und jeder Regierung und was weiß ich skeptisch sein.

    Skeptisch zu sein kann nicht patentiert werden und damit gibt es keine Pseudoskeptiker.

    Es gibt bei Skeptik auch kein richtig oder falsch, da es sich gegen alles und jeden richten kann.

    Ist halt ein bisschen na ja ich sag mal überheblich ein Wort für sich zu beanspruchen und alles was nicht in mein Eck passt als Pseudoskeptiker zu bezeichnen.

    Auch wenn ich inhaltlich in fast allen Punkten hinter gwup stehe das finde ich falsch.

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