Ist doch nett:
Der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) fragt uns via Twitter, was wir von der Bertelsmann-Studie halten, nach der „87 Prozent glauben, dass Homöopathie hilft, wo Schulmedizin versagt“.
Das haben wir eigentlich schon am 18. Juli hier beantwortet, aber sei es drum.
Zunächst einmal:
Welche „87 Prozent“ glauben das?
87 Prozent der Gesamtbevölkerung?
Natürlich nicht.
Für die Erhebung „Homöopathie in der gesetzlichen Krankenversicherung: Modelle, Erfahrungen und Bewertungen“ hatte die Bertelsmann-Stiftung 6930 Versicherte der Barmer GEK mit drei unterschiedlichen Versorgungskonzepten befragt:
- Patienten, die Homöopathie als „Grundversorgungsstrategie“ wählten (also mit einer Art homöopathischem Hausarztvertrag).
- Patienten, die eine homöopathische Erstanamnese im Rahmen der KV-Verträge abrechnen können.
- Patienten „ohne Homöopathieleistung“.
Eigentlich klar, dass der Rücklauf in Gruppe 1 am höchsten und in Gruppe 3 am geringsten war.
Mehr noch:
Acht Fragen zielten auf die Einschätzung und Haltung zur Homöopathie. Bei sieben Fragen zeigte sich: Die Antworten der Gruppen 1 und 2 liegen dicht beieinander, während die Antworten der Gruppe 3 deutlich davon abweichen.
Dabei äußern die Befragten der Gruppe 3 „Ohne Homöopathieleistung“ sich insgesamt kritischer als die Befragten der Gruppen 1 „Arztbindung“ und 2 „KV-Vertrag“.
Wir ahnen bereits, dass die „87 Prozent“, mit denen der DZVhÄ wedelt, wohl aus einer Gruppe von Homöopathie-Fans kommen.
Und wirklich:
In allen drei Gruppen meinen deutlich mehr als die Hälfte der Befragten, dass Homöopathie geholfen habe, wenn die Schulmedizin versagt hat.
In Gruppe 3, in der viele der Befragten noch keine eigenen Erfahrungen mit Homöopathie gemacht haben, sind 60 Prozent dieser Ansicht.
In den Gruppen 1 und 2 vertreten 87 Prozent beziehungsweise 85 Prozent diese Meinung.“
Das mit den „87 Prozent“ ist also schnell geklärt.
Bleibt allerdings die Tatsache, dass auch in Gruppe 3 „mehr als die Hälfte der Befragten“ meint, „dass Homöopathie geholfen habe, wenn die Schulmedizin versagt hat“.
Und das, obwohl „viele der Befragten noch keine eigenen Erfahrungen mit der Homöopathie gemacht haben“.
Was soll das heißen?
Dass Homöopathie sogar solchen Patienten hilft, die noch nie homöopathisch behandelt wurden?
Rein logisch steht das da – und wäre nun tatsächlich eine veritable Sensation.
Aber vermutlich wollen die Autoren der Studie damit eher zum Ausdruck bringen, dass „viele der Befragten“ sich rein vom Hörensagen eine irgendwie positive Meinung über Homöopathie gebildet und diese geäußert haben.
Dazu passt auch, dass in der Gruppe 3 lediglich 27 Prozent der Befragten den „wissenschaftlichen Streit um die Homöopathie gut kennen“.
Letztendlich unterstreicht die Größenordnung von 60 Prozent Zustimmung bei den Nicht-Homöopathie-Fans eine genuine These der Skeptiker: dass nämlich Homöopathie vorwiegend über ein gut aufgebautes Image verkauft wird – nicht über Tatsachen.
Dazu mag man den Marketingstrategen von DZVhÄ und Co. gratulieren.
Homöopathischen Ärztinnen und Ärzten dagegen sollte dies eigentlich peinlich sein, denn:
Das Blatt könnte sich natürlich schnell drehen, wenn die Patienten erst merken, dass ihr Vertrauen, in allerbester Absicht natürlich, missbraucht wurde. Homöopathie ist Vertrauen im Off-Label-Use“,
kommentiert diaphanoskopie.
Aber zurück zur Ausgangsfrage, was wir Skeptiker von der Studie „Homöopathie in der gesetzlichen Krankenversicherung“ der Bertelsmann-Stiftung halten?
Schlicht gesagt: Sie bestätigt uns in allen Punkten.
Interessant ist zum Beispiel dieser Aspekt:
Die Befragten in den Gruppen 1 und 2 [also die Homöopathie-Fans] halten sich deutlich häufiger für überdurchschnittlich anfällig für Erkrankungen als Befragte in Gruppe 3 (22 %, 20 % und 13 %).
Über das Vorliegen einer chronischen Erkrankung berichten 34 Prozent, 43 Prozent beziehungsweise 26 Prozent.“
Also genau das, was wir immer gesagt haben:
Woher aber kommt dann der gute Ruf, den die Homöopathie genießt? Viele chronische Krankheiten haben einen variablen Symptomverlauf. Alternativmedizinische Behandlung sucht man natürlich besonders in schlechten Phasen. Daher sind die Chancen gut, dass man sich in den Tagen danach besser fühlen wird, auch wenn das mit der Behandlung nichts zu tun hat.“
Und das ist zugleich auch einer von mehreren Gründen, warum „87 Prozent“ der Homöopathie-Anhänger „glauben“, dass „Homöopathie hilft, wo Schulmedizin versagt“.
Die weiteren Gründe benennen im Übrigen die Bertelsmann-Autoren selbst, die keineswegs von einer Überlegenheit des Zuckerzeugs gegenüber wissenschaftsbasierter Medizin ausgehen.
In ihrem Fazit heißt es:
Wichtig für die positive Einschätzung der Homöopathie sind den Patienten vor allem Faktoren wie die Zugewandtheit des Arztes und das ausführliche Gespräch, also die nicht arzneilichen Komponenten.
Im Rahmen einer homöopathischen Erstanamnese muss ein Arzt sich sehr viel mehr Zeit für seine Patienten nehmen, als er dies im Rahmen einer pauschaliert vergüteten „schulmedizinischen“ Behandlung üblicherweise macht.
Dieser Unterschied scheint nach den vorliegenden Ergebnissen die Zufriedenheit der Patienten sehr zu beeinflussen.“
Dieser Unterschied ist aber ein Systemfehler und mitnichten auf eine methodische Überlegenheit der Homöopathie zurückzuführen.
Wir wundern uns natürlich kein bisschen, dass der DZVhÄ lieber stolzgeschwellt Luft bewegt, anstatt die Zuschreibungsfrage offensiv auf diesen Punkt zu fokussieren.
Denn die Denkanstöße im „Gesundheitsmonitor 2014“ zielen gerade nicht auf „mehr Homöopathie“, sondern auf eine bessere Evidenzbasierte Medizin:
Zu diskutieren wäre, ob die fundierte „schulmedizinische“ Behandlung mit einer zeitlich ausreichenden und umfangreichen Befunderhebung, die sowohl die akuten Beschwerden, die Entwicklung der Erkrankung als auch die Lebens umstände der Patienten stärker mit einbezieht, zu mehr Patientenzufriedenheit und zu besseren Ergebnissen in der Behandlung führen könnte.
Da die Wirksamkeit homöopathischer Arzneimittel bisher nicht wissenschaftlich bewiesen werden konnte, könnten sich weitere Untersuchungen intensiver der Bedeutung widmen, die die Hinwendung des Arztes und der Faktor „Zeit für den Patienten“ in Bezug auf den Heilerfolg haben.
Wünschenswert wäre in jedem Fall, dass das Arzt-Patienten-Gespräch auch in der medizinischen Ausbildung einen bedeutenderen Platz einnähme, als das derzeit der Fall ist.“
Gehen wir ein letztes Mal zurück zur Ausgangsfrage:
Warum Menschen glauben, dass an Homöopathie etwas „dran sein“ müsse, ist hier im GWUP-Blog und andernorts bereits erschöpfend behandelt worden, neulich erst im Telegraph oder bei Gesundheits-Check.
Zum Weiterlesen:
- Homöopathie: Nicht Globuli sind entscheidend, sondern die ärztliche Zuwendung, GWUP-Blog am 18. Juli 2014
- Homöopathie in der gesetzlichen Krankenversicherung: Modelle,Erfahrungen und Bewertungen, gesundheitsmonitor-newsletter 3/2014
- Homöopathie: Brauchen wir “mehr Forschung”? GWUP-Blog am 8. August 2010
- DZVhÄ über Fragen zum Nichts, diaphanoskopie am 10. September 2014
- GWUP-Infos: Erfolge der Homöopathie – nur ein Placebo-Effekt?GWUP-Infos
- Warum Homöopathie zu wirken scheint, GWUP-Blog am 9. Oktober 2011
- Gegen alle Vernunft: Warum Homöopathie „wirkt“, Focus-Online am 18. Juli 2014
- Homöopathie, Ganzheitlichkeit und die sprechende Medizin, GWUP-Blog am 20. April 2013
- Zehn Gründe, an die Homöopathie zu glauben, oder es sein zu lassen, Gesundheits-Check am 22. März 2014
- Why do we believe in homeopathy? Ten tricks the brain plays on us, The Telegraph am 15. August 2014
- Drei Vorschläge zum Nachweis der Homöopathie, Beweisaufnahme in Sachen Homöopathie am 19. Juli 2014
- Homöopathie ent-täuscht? – Vortagsankündigung und -angebot, Beweisaufnahme in Sachen Homöopathie am 26. Juni 2014
15. September 2014 um 23:11
Dazu fällt mir nur ein:
Wer wäre ich denn, wenn ich das Geschmacksempfinden der Fliegen in Frage stellen würde? … ;-) :-)
18. September 2014 um 14:23
gabs da nicht schon mal etwas ähnliches?
es ging um die meinung der abgeordneten des bundestages ?
auch in bez. auf homöodingsbums. und prozente …
auch alles gellogen, finde es zz nicht (die alte fp crash), da wars alles drauf(ich weiß sichern)
mfg.d
18. September 2014 um 14:24
@diabetiker:
http://scienceblogs.de/plazeboalarm/index.php/58-der-abgeordneten-des-deutschen-bundestags-haben-positive-erfahrungen-mit-einer-homoopathischen-behandlung/