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Märchenstunde bei n-tv: „Das Nostradamus-Buch“

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n-tv History zwirbelt mal wieder den Bart des Propheten.

Heute Abend verarschte der Nachrichtensender seine Zuschauer mit einem altbekannten Nostradamus-Hoax, betitelt „Das Nostradamus-Buch“.

Wer sich die „Doku“ unbedingt antun möchte, hat bei den Wiederholungen in den nächsten Tagen noch einige Male Gelegenheit dazu.

In der Ankündigung blurbt die Redaktion:

1994 stieß eine Journalistin zufällig auf einen sagenhaften Fund – ein bis dato verloren geglaubtes Manuskript von Nostradamus. Briefe, merkwürdige Symbole und bizarre Bilder des Propheten geben Rätsel auf. Wie gelangte das Buch in die Bibliothek? Warum blieb es über 400 Jahre lang unentdeckt?

Stimmt es womöglich, dass die darin enthaltenen Zukunftsvisionen so beängstigend sind, dass Nostradamus sie absichtlich im Verborgenen hielt?“

Nicht wirklich.

Denn das Buch stammt weder von Nostradamus, noch enthält es Zukunftsvisionen.

Aber gehen wir der Reihe nach.

Rein zufällig machten die italienischen Journalisten Enza Massa und Roberto Pinotti 1994 einen sensationellen Fund in der römischen National-Bibliothek: ein uraltes Buch mit dem Titel 

Vaticinia Michaelis Nostredami de Futuri Christi Vicarii ad Cesarem Filium“,

zu Deutsch etwa: „Prophezeiungen des Michel Nostradamus für seinen Sohn Cesar über die Zukunft des Stellvertreters Christi“.

Der brisante Inhalt: 80 Zeichnungen (angeblich „geheime Botschaften“) des französischen Renaissance-Sehers.

Seitdem forschen Nostradamus-Fans nach Zusammenhängen zwischen den neu aufgetauchten Wasserfarbenbildern und den bekannten Prophezeiungen ihres Meister-Propheten.

2007 nahm sich der internationale Kabelsender History Channel des Themas an.

Die TV-Dokumentation „The Lost Book of Nostradamus“ verkettet die gebundene Sammlung von großformatigen Illustrationen zum Beipsiel mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 – und mit der katholischen Kirche.

Denn auf den Darstellungen sind immer wieder Päpste zu sehen, meist werden sie angegriffen und bedrängt.

„Die Visionen beziehen sich auf den Untergang des Papsttums“,

verlautbarte etwa der amerikanische Nostradamus-Forscher Vincent Bridges gegenüber den Fernsehleuten.

Möglicherweise meint n-tv ja, den Rücktritt von Papst Benedikt XVI mit einer Sendung über die gezeichneten Papst-Prophezeiungen des Nostradamus begleiten zu müssen.

Ironischerweise ist das nicht einmal völlig daneben – nur sind die Hintergründe ganz andere, als irgendwelche Pseudo-Nostradamus-„Experten“ ihrem Publikum weismachen wollen.

Besuchen wir zum Beispiel die Oettingen-Wallersteinsche Bibliothek der Universität Augsburg, deren Buchbestand auf die private Sammlung der Fugger zurückgeht.

Neben anderen bibliophilen Kostbarkeiten stoßen wir hier auf den Druck

Ein wunderliche weissagung/von dem Bapstum/wie es yhm bis an das Ende der Welt gehen sol/ynn figuren odder gemelde begriffen …“.

Gezeichnet um 1527 von dem Theologen Andreas Osiander.

In diesem Büchlein finden sich die bis ins Detail identischen Motive wie in der „Vaticinia Michaelis Nostredami …“, welche von 1629 datiert.

Überzeugt von der Theologie Martin Luthers und befreundet mit dem Maler Albrecht Dürer setzte Osiander an seiner Wirkungsstätte Nürnberg die Reformation durch. Seine Zeichnungen sind mühelos in eine bekannte ikonographische Tradition einzuordnen und greifen in ihrer Kritik an Papst und Kirche auf die damals gebräuchliche Form der Prophezeiung zurück.

Die Texte und Abbildungen in der reformatorischen Streitschrift des Nürnberger Predigers gelangten schon bald in die Hände des Buchdruckers Christian Egenolff, der sie mit verschiedenen Prophezeiungen und weiteren Abbildungen zusammenband und vertrieb.

Sie mögen irgendwann auch in Rom angekommen, dort mit der poetischen Handelsmarke „Nostradamus“ versehen und x-mal kopiert und plagiiert worden sein.

Und so sieht das Ganze aus:


1) Angebliche Nostradamus-Zeichnung von 1629:

 

2) Illustration aus der Oettingen-Wallerstein-Sammlung von 1527:

Der Kampf gegen den Papst steht auf drei Säulen: die weltliche Macht der Städte und Fürsten, die Kleriker und schließlich das Wort Gottes selbst, welches durch das Horn symbolisiert wird.

In der Mitte ist also keine Sense oder Guillotine zu sehen, wie von Nostradamikern behauptet wird, sondern ein Schallrohr.

Zum Weiterlesen:

  • Nostradamus-Fake: GWUP-Forscher findet Originale, GWUP-Blog am 27. August 2009
  • Wie analysiert man Nostradamus-Verse? GWUP-Blog am 21. April 2010

 

4 Kommentare

  1. Die Abbildung von 1527 ist übrigens auch noch aus ganz anderem Grund äußerst bemerkenswert: Sie zeigt nämlich eine sehr frühe Abbildung eines Hörrohrs. „Offiziell“ soll das Hörrohr erst durch Athanasius Kircher um 1650 erfunden worden sein (obwohl es schon zuvor erste theoretische Beschreibungen, etwa 1634 durch Jean Leurechon, gab).

    Damit erklärt sich aber auch die „Sense“ in der Illustration von 1629: Es handelt sich um ein Spruchband, das in der mittelalterlichen Symbolsprache die Übermittlung einer Botschaft („Gottes Wort durch Gottes Hand“) andeutet. Offenbar hat der spätere Kopist dies für ein aussagekräftigeres Symbol als das vermutlich nicht allen geläufige Hörrohr gehalten.

  2. @M. Gutjahr: Cool, danke.

  3. Nichts gegen die Spürnase der GWUP-Forscher, aber die Sache mit dem „Nostradamus-Buch“ ist doch etwas komplizierter, siehe diese Wikipedia-Seite: http://en.wikipedia.org/wiki/Vaticinia_Nostradami

  4. @Ralf Bülow:

    Wieso? Ich habe nicht behauptet, dass die Augsburger Bibliothek die einzige ist, in der sich ähnliche bis nahezu identische Zeichnungen aus der besagten Zeit und davor finden. Schon hier in Deutschland gibt es noch mehrere, zum Beispiel in Stuttgart (s. Link unten).

    Mag sein, dass die Vaticinia de Summis Pontificibus die Originalquelle ist, jedenfalls scheint klar zu sein, *was* diese Zeichnungen bedeuten und dass sie *nicht* von Nostradamus stammen.

    http://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/6WETRI7AVVDL3ARMZ2MC2GBCL72ADNAA

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