Der Mythos ist einfach nicht totzukriegen:
Im alten China wurden Ärzte dafür bezahlt, dass ihre Kunden gar nicht erst erkrankten“,
steht immer noch auf zahllosen Webseiten zu lesen – vor allem auf Praxis-Homepages, die irgendwelche Präventionsleistungen verkaufen wollen und dafür noch einen flotten Spruch benötigen.
Wie das eigentlich praktisch funktioniert haben soll beziehungsweise auf welche Weise die chinesischen Ärzte damals an ihr Geld gekommen sein wollen, konnte mir bislang noch niemand genau erklären.
Das ist auch gar nicht möglich, weil die Geschichte falsch ist. Das konnte man schon vor acht Jahren in der Stimmt’s-Rubrik der Zeit nachlesen.
Damals zitierte das Blatt den Sinologen und Medizinhistoriker Paul Unschuld von der Uni München.
Vor einigen Tagen hat Unschuld nun eine weitere Mär demontiert, nämlich die Traditionelle Chinesische Medizin – die in Wahrheit ein Kunstprodukt der Mao-Ära ist.
Mehr noch:
Anders als oft behauptet, ist die chinesische Heilkunde im Vergleich zur westlichen Medizin auch absolut unganzheitlich. Wie kann eine Medizin holistisch sein, wenn sie keine Chirurgie, keine Krankheitserreger und keine Psychiatrie kennt, und vor allem keine Sozialmedizin? Für das Klischee von der ganzheitlichen TCM gibt es keinerlei Belege“,
sagte Unschuld Ende Mai der Basler Zeitung.
Auch mit der Akupunktur ist es nicht weit her:
Sie war in der Geschichte immer ein marginales Therapieverfahren. So schrieben chinesische Ärzte im 18. Jahrhundert, dass Akupunktur eine verlorene Kunst sei, die kaum noch jemand beherrsche. 1822 wurde sie sogar offiziell untersagt und blieb seither vor allem als Volksheilkunde überliefert.“
Ein Scharlatan brachte das Verfahren schließlich in den Westen – darüber haben wir hier schon mal berichtet.
Bezeichnend ist diese Interview-Passage mit Paul Unschuld:
Frage: Wie haben die Chinesen auf das westliche Interesse an der TCM reagiert?
Sie waren völlig überrascht, als plötzlich Ärzte, Patienten und Heilpraktiker aus dem Westen zuhauf vor der Tür standen.
Diese frühen Besucher schrieben auch die ersten Bücher, die das westliche Verständnis von TCM geprägt haben. Das große Missverständnis im Westen entstand dadurch, dass die Chinesen nichts von ihrem großen heterogenen Erbe der Vergangenheit erzählt haben, sondern nur vom Kunstprodukt TCM.
Da dieses eigentlich auf westliche Logik aufbaut, erschien es den Westlern zwar als fremdartig, aber doch irgendwie vertraut.“
Zum Weiterlesen:
- „Die Traditionelle Chinesische Medizin ist in Wirklichkeit ein Kunstprodukt“, Basler Zeitung am 26. Mai 2012
- Sticheleien gegen den „Vater der Akupunktur“, GWUP-Blog am 30. Juli 2010
- „Akupunktur ist Geldverschwendung“, sagt der Palliativmediziner Dr. Benedikt Matenaer im ZEIT Wissen-Podcast (25. Mai 2012)
- Kate Moss, geile Ziege: GWUP-Blog am 5. Dezember 2010
- Paul Unschuld: Der Ergründer der wahren chinesischen Medizin, Zeit Wissen am 7. Februar 2012
20. Juni 2012 um 19:37
Naja, um das 2. Jahrhundert waren „Unsterbilchkeitsexlexiere“ in China äußerst beliebt. Das Streben nach ewigem Leben und Jugend war eine tragende daoistische Vorstellung, welche man mit Quecksilber- und Zinnobertränken „nachgeholfen“ hat.
Man hat also tatsächlich Ärzte bezahlt, um gar nicht erst krank zu werden. Dürfte den gegenteiligen Effekt gehabt haben.
Nachzulesen bei: Werning, J. Mumien in China. In: Wieczorek et al. Mumien. Der Traum vom ewigen Leben. (Mainz 2007) S.126f.
Klar, da müsste man viel biegen, aber vielleicht kommt der Ursprung irgendwo aus dieser Ecke.
20. Juni 2012 um 23:05
Stimmt, auf die Leibärzte der Kaiser und großer Feldherren könnte der Mythos der für Gesundheit bezahlten Ärzte zurückgehen. Und zumindest beim ersten Kaiser Qín Shǐhuángdì wird ja auch vermutet, dass diese quecksilberhaltigen Unsterblichkeitselixiere deutlich zu seinem Ableben beigetragen haben…
21. Juni 2012 um 10:32
„Unsterblichkeitselexiere“ gab es doch überall und zu jeder Zeit …
21. Juni 2012 um 12:39
@Bernd Harder
Ja, aber in China war das wohl ein regelrechter Wahn und das Einzige, was nach den damals herrschenden religiösen Vostellungen, ein erstrebenswertes Ziel sein sollte.
22. Juni 2012 um 13:50
…ach…wieder etwas gelernt…TCM steht nicht nur für „Texas Chainsaw Massacre“, sondern auch für „Traditionelle Chinesischen Medizin“…LOOOL