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„Gute“ und „böse“ Chemie und tödlicher „Öko-Wahn“

| 9 Kommentare

Diese Woche bei So ein Schmarrn:

Chemie ist böse und vergiftet uns alle“

Ein Auszug:

Chemie gehört, so wie „Atom“ und „Gen“, zu jenen Wörtern, die bei den meisten Menschen Unbehagen auslösen. Vor allem unsere Lebensmittel sollen nicht nur „genfrei“ sein, sondern nach Möglichkeit auch „ohne Chemie“.

Die eigentliche Bedeutung des Wortes „Chemie“ wird dabei nicht nur ignoriert, sondern völlig verzerrt. Chemie ist die Naturwissenschaft, die sich mit dem Aufbau, der Struktur und der Umwandlung von Stoffen beschäftigt.

Alles ist Chemie. Chemie ist überall und vor allem nichts, was sich irgendwelche bösen Wissenschafter in ihren Labors ausdenken, um die Menschheit krank zu machen.

Es gibt keinen Unterschied zwischen „guter Natur“ und „böser Chemie“.

Die Natur kann auch ganz ohne Chemiker höchst giftige Substanzen hervorbringen, und nur weil etwas in einem Chemielabor produziert worden ist, ist es nicht unbedingt gesundheitsschädlich.“

Dazu passt dieses Impfgegner-Posting (via Dinge, die Impfgegner sagen):

fr

Außerdem gibt’s in der Huffington Post den Beitrag „Wenn Öko-Wahn tötet“:

Esoterikgurus füllen ganze Säle und fabulieren über „Lichtnahrung“ und obskure „Energien“, während ein meist wohlhabendes Mittelschichtspublikum dem Meister andächtig lauscht, wenn auf die moderne Heilkunde geschimpft wird und die Rückkehr in die medizinische Steinzeit als Weg der Hoffnung propagiert wird […]

Wer meint, er könne seine Schilddrüse mit Kokosmilch heilen oder seine Depression wegtanzen, der kann das natürlich tun. Wer so etwas aber zu einer Alternativ-ist-immer-toll-Doktrin macht und andere von wahrer Hilfe fernhält, dem könnte man ja einfach mal versuchsweise das Krankenkassenkärtchen entziehen.“

Zum Weiterlesen:

  • Chemie ist böse und vergiftet uns alle, derStandard am 18. August 2015
  • Natur ist gut und Chemie böse, GWUP-Blog am 13. Oktober 2013
  • „Natur ist toll“-Doktrin: Das freut die Bestatter-Lobby, GWUP-Blog am 10. Juni 2015
  • Fatales Natürlichkeitsdenken der Impfgegner, GWUP-Blog am 11. Mai 2014

9 Kommentare

  1. Ich esse grundsätzlich nur reine BIO-Lebensmittel!

    Also Lebensmittel, in denen KEINE Gene sind, und KEINE Chemie!
    Und keine … PHYSIK!
    Da liest man viel zu wenig drüber, über die Gefahren von Physik in Lebensmitteln – DAS wäre doch mal ein Thema für euch Skeptiker!!

    *röchel*

  2. Wer ist eigentlich „böser“? Wechselstrom oder Gleichstrom?
    Vielleicht ist der Gleichstrom homosexuell…und vielleicht ist der Wechselstrom promiskuitiv, wer weiß…wer weiß? :-)))

  3. Da gab ein Fall, wo ein Mensch starb, weil er eine Gericht mit einer Zucchini aß, die Zucchini enthielt Giftstoffe. Natur pur ist doch nicht so harmlos, der Rat lautet, wenn etwas bitter schmeckt, sollte keiner davon essen.
    http://www.welt.de/vermischtes/article145483157/So-kam-es-zur-Vergiftung-durch-die-Zucchini.html

  4. In dem verlinkten Artikel („… alles ist Chemie…“) wird mal wieder der klassische Fehler gemacht, und es ist eingtlich ertaunlich, dass das nicht mal der skeptischen Leserschaft auffällt. Umso trauriger, da gerade auf der Bedeutung von Worten herumgeritten wird:
    Zuerst wird die Lehrbuchdefinition von Chemie („Chemie ist die Wissenschaft, die sich mit den Stoffen und ihren Umwandlungen beschäftigt“), um dann gleich im nächsten Satz, das Wort „Chemie“ in einer anderen Bedeutung zu verwenden („Alles ist Chemie!“, in diesem Satz wird das Wort „Chemie“ in der Bedeutung „chemische Substanzen“ verwendent, und eben nicht als Wissenschaft).

    Ich finde, man braucht nicht darauf herumreiten, was denn nun die „richtige“ Bedeutung des Wortes „Chemie“ ist. Man kann einfach akzeptieren, dass das Wort in unterschiedlichen Zusammenhängen in unterschiedlichen Bedeutungen gebraucht wird:
    1) Als Wissenschaft
    2) Als Kurzform für chemische Industrie. Wer das nicht glaubt: Die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie vertritt nicht die Interessen einer Wissenschaft.
    3) Als Kurzform für „Erzeugnisse der chemischen Industrie“.

    Von daher ist eigentlich völlig klar zu verstehen, was jemand meint, wenn er keine „Chemie“ in seinem Essen haben will, nämlich keine Produkte der chemischen Industrie. Ob das nun eine sinnvolle Einstellung ist kann man diskutieren, genauso wie die Tatsache, dass die gefährlichsten Gifte Naurprodukte sind. Aber dieses Herumreiten auf Definitionen, an die man sich selbst nicht hält, hat etwas Zwanghaftes.

    Eine kleine Anekdote aus einer denkwürdigen Vorlesung in „Wissenschaftstheorie für Chemiker“, es ging um die Frage „Was ist Chemie?“:
    Dozent: „Was ist Chemie?“
    Studentische Wortmeldung: „Alles!“
    Dozent: „Wie meinen Sie das?“
    Student: „Na, alles ist Chemie?“
    Dozent: „Ist Fisches Nachtgesang Chemie?. Ist ein Stein der fällt Chemie?“

  5. @Severin D.
    Sie verstehen das falsch. Auch wen ihre Ausführungen richtig sind ist die Schlussfolgerung falsch:

    „Von daher ist eigentlich völlig klar zu verstehen, was jemand meint, wenn er keine “Chemie” in seinem Essen haben will, nämlich keine Produkte der chemischen Industrie.“

    Die Aussage „Alles ist Chemie“ bedeutet eben, dass etwas, das von der chemischen Industrie hergestellt wird, nicht pauschal schlecht ist.

    Ihr Beispielmensch sagt „Ich will keine Chemie im Essen“.

    Aber das Essen ist pure Chemie und wenn die Industrie da noch den einen oder anderen Stoff „dazupackt“ ist das nicht grundsätzlich schlecht.

  6. @ringo74:

    Sie machen in Ihrer „Schlussfolgerungsargumentation“ genau den gleichen Fehler, den ich bemängelt habe.

    Das WOrt „Chemie“ wird in verschiendenen Bedeutungen gebraucht. Mögliche Bedeutungen sind:

    „Chemie als Wissenschaft der Stoffde und ihrer Umwandlungen“
    „Chemische Industrie“
    „Produkte der chemischen Industrie“
    „Alle Substanzen (einschließlich Produkte der chemischen Industrie und Naturstoffe“.

    Die ganze Unsinnigkeit der Argumentation „alles ist Chemie“ zeigt sich ganz zwanglos, wenn man für jedes Auftreten des Begriffes „Chemie“, die verwendete Bedeutung einsetzt.

    Beispielmensch: „Ich will keine Chemie im Essen!“

    Ringo74: „Aber das Essen ist pure Chemie und wenn die Industrie da noch den einen oder anderen Stoff “dazupackt” ist das nicht grundsätzlich schlecht.

    Übersetzt:
    Beispielmensch: „Ich will keine Produkte der chemischen Industrie in meinem Essen“

    Ringo74: „Aber in dem Essen sind jede Menge Naturstoffe drin, und wenn die Industrie da noch den einen anderen oder anderen Stoff aus industrieller Herstellung dazu packt, dann ist das nicht grundsätzlich schlecht“.

    Sie können das drehen und wenden, wie Sie wollen, es ist keine inhaltlich sinnvolle Erwiderung. Der Satz mag als Meinung begründet sein, aber er ist eben keine Einlassung auf den vorangegenagenen Satz.

    Inhaltlich pseudosinnvoll wird die Erwiederung erst durch die Doppeldeutigkeit des verwendeten Begriffs.

    Ich bin übrigens inhaltlich voll auf der Linie des Artikels. Die Diskussion warum Naturprodukte prinzipiell gut sein sollen (wo doch solche Dinge wie Aflatoxin, Botulinumtoxin so natürlich sind, wie es nur geht, während Konservierungsmittel, die dazu führen, dass man heutzutage nicht mehr an Botulismus stirbt, schlecht sein sollen; diese Diskussion muss man führen.

    Man sollte das aber nicht tun, indem man semantische Tricks benutzt.

    Insbesondere, wenn man sich Gedanken darüber macht, wie man als Skeptiker ein breites Publikum erreicht: So sicher nicht. Diese implizierte Definitionshoheit („wir wissen als einzige, was die verwendeten Begriffe bedeuten“) kann nämlich schnell als kleinkarierte Besserwisserei verstanden werden. Und damit erweist man sich einen Bärendienst.

  7. @Severin:

    << Das WOrt “Chemie” wird in verschiendenen Bedeutungen gebraucht. Mögliche Bedeutungen sind: “Chemie als Wissenschaft der Stoffde und ihrer Umwandlungen” “Chemische Industrie” “Produkte der chemischen Industrie” “Alle Substanzen (einschließlich Produkte der chemischen Industrie und Naturstoffe”. << Ja - aber nichts davon schließt z.B. "Fisches Nachtgesang" oder einen "Stein, der fällt" ein. Insofern verstehe auch ich Ihren Einwurf nicht so ganz. Dass sich das "alles" in dem Satz "Alles ist Chemie" natürlich innerhalb einer sinnvollen Grenze bewegt, sollte man Ihrer Meinung nach nicht voraussetzen dürfen? Also konkret kennen Sie Menschen, die ein Lied für Chemie halten, wenn man nicht ausdrücklich das Gegenteil betont? << “Alle Substanzen (einschließlich Produkte der chemischen Industrie und Naturstoffe”. << Eben - doch nur darum geht es, oder?

  8. @ Ralf: Der Gleichstrom weiß wenigstens, wo er hinwill. Der Wechselstrom kann sich nicht entscheiden.

  9. @Severin D.
    Ich glaube wir reden aneinander vorbei. Mir geht es nicht um eine (spitzfindige) Definition oder gar eine Deutungshoheit. Mir geht es im Grunde um ein ureigenes GWUP-Thema: Der rationalen Betrachtung von Dingen.

    Die Aussage unseres Beispielmenschen „Ich will keine Chemie im Essen!“ ist pauschalisierend und dogmatisch und daher zutiefst irrational. Die Erwiderung „Alles ist Chemie“ kann (unter Umständen) deratiges Schwarz-Weiß-Denken aufbrechen und zum Nachdenken anregen.

    Die Welt ist nun mal nicht so einfach wie das viele Menschen gerne hätten. Wie soll man vernüftig über z.B. Konservierungsstoffe in Impfstoffen diskutieren wenn schon jede „Chemie“ im Essen als „das Böse“ betrachtet wird?

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