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Neuerscheinung: „Noise“ – die Störgeräusche des Menschlichen bei unseren Entscheidungen

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Die bekannten kognitiven Verzerrungen bei unserer Urteilsfindung ergänzt der Psychologe und Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahnemann in seinem neuen Buch „Noise“ um den Begriff „Störgeräusche“.

Darunter versteht Kahnemann „eine völlig andere Art von Fehler“, nämlich das „störende Rauschen des Menschlichen, wegen dem je nach Umständen oder Experten unterschiedliche Urteile auf Basis gleicher Informationen gefällt werden“.

„Bias“, das sind Vorurteile, unbewusste persönliche Prägungen,

erklären Kahnemann und seine Koautoren im Handelsblatt:

Für „Noise“ sorgen hauptsächlich Geschmack und Persönlichkeit („Einige Menschen sind für Bullshit empfänglicher als andere“), aber auch Profanes wie das Wetter, der zeitliche Abstand zum letzten Mahl oder das aktuelle Ergebnis des geliebten Sportteams. Je mehr es also regnet, je mehr Stunden seit dem letzten Bissen zurückliegen oder je schlechter die Idole spielen, desto härter die getroffenen Entscheidungen.

Im rnd-Interview geben die Autoren ein Beispiel:

RND: In der Corona-Krise mussten Menschen, aber auch Regierungen, viele wichtige Entscheidungen treffen. Welche Rolle spielt Noise dabei?

Olivier Sibony: Nehmen sie zum Beispiel den Impfstoff von Astrazeneca in Europa. Wir beobachten plötzlich, dass es da Probleme mit Blutgerinnseln gibt, und jede Gesundheitsorganisation in Europa beginnt ungefähr gleichzeitig mit ihrer Untersuchung. Wir gehen davon aus, dass sie dabei alle dieselben Daten betrachten. Auch die Definition, was ein Blutgerinnsel ist, sollte in Dänemark, in Frankreich oder Italien die gleiche sein.

Und trotzdem kommen all diese Behörden zu unterschiedlichen Ergebnissen. Das ist ein perfektes Beispiel dafür, wie Menschen, die alle sehr qualifiziert sind und vermutlich sogar die gleichen Ziele verfolgen, zu auffallend unterschiedlichen Schlussfolgerungen in einer doch wichtigen Angelegenheit gelangen.

RND: Sie grenzen „biased“ also „verzerrte“ Urteile von „noisy“ also „verrauschten“ Urteilen ab. Wie unterscheiden sich diese?

Daniel Kahneman: Bias ist ein systematischer, durchschnittlicher, vorhersehbarer Fehler. Noise ist ungewünschte Variabilität, eine völlig andere Art von Fehler.

Aber was kann man dagegen tun, wie funktioniert „Noise Reduction“?

Kahnemann, Sibony und Sunstein plädieren unter anderem für verbindliche Leitlinien, Regeln und Algorithmen – und für eine Form von individueller „Entscheidungshygiene“:

Sibony: Wenn sie eine Entscheidung hundertmal treffen müssten, welche Grundsätze würden sie anwenden? Welche Kriterien sollten ihre Entscheidung strukturieren? Ist es die Größe des Hauses, die Nachbarschaft? Wenn sie ihre Entscheidung auf diese Weise strukturieren, werden sie disziplinierter. Sie haben eine bessere Entscheidungshygiene, weil sie eine wichtige Entscheidung wie eine wiederkehrende, die nur einmal vorkommt, behandeln.

Eine Rezension des Buches gibt’s im nächsten Skeptiker, der Mitte September erscheint.

Zum Weiterlesen:

  • Daniel Kahneman/Olivier Sibony/Cass R. Sunstein: Noise. Was unsere Entscheidungen verzerrt – und wie wir sie verbessern können. Siedler 2021, 480 Seiten, 30 €
  • Daniel Kahneman u.a.: „Noise“: Fünf oder 15 Jahre Haft – das hängt vom Richter ab, Deutschlandfunk Kultur am 2. Juni 2021
  • Interview mit Daniel Kahnemann: „Zügeln Sie lieber Ihre Intuition“, SZ+ am 14. Juli 2021
  • Wie zufällige Faktoren unsere Urteilsfindung negativ beeinflussen, handelsblatt am 15. Mai 2015
  • Nobelpreisträger Kahneman erklärt, wie wir bessere Entscheidungen treffen, rnd am 22. Mai 2021
  • Wie der Zufall unsere Entscheidungen beeinflusst, FAZ am 23. Mai 2021
  • „Gefühlte Wahrheit“: Sebastian Herrmann im Kortizes-Podcast, GWUP-Blog am 15. April 2021
  • Video: Uwe Kanning über den Bestätigungsfehler, GWUP-Blog am 14. August 2020

Ein Kommentar

  1. „Dümmer als wir dachten Von Florian Aigner, Wien“:

    https://www.laborjournal.de/rubric/essays/essays2021/e21_02.php

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