Neu bei Spiegel+ (noch nicht in der gedruckten Ausgabe):

Ein Auszug:

Frau Grams, Sie haben früher als homöopathische Ärztin gearbeitet. Inzwischen haben Sie sich von dieser Methode verabschiedet. Auch in Ihrem neuen Buch „Was wirklich hilft“ werfen Sie insgesamt einen sehr kritischen Blick auf die Alternativmedizin. Was macht Ihnen in diesem Bereich am meisten Sorgen?

Grams: Das ist keine spezielle Methode, sondern es sind die zugrundeliegenden Denkfehler, die weitverbreitet sind – übrigens auch unter Ärzten.

Dazu zählt die falsche Annahme, dass ein Mittel oder eine Therapie wirksam sein muss, weil man eine gute Erfahrung damit gemacht hat.

Sätze wie „Mir hat es aber geholfen“ oder „Deswegen ging es mir besser“ beruhen auf solchen Denkfehlern. Ich beschreibe diese typischen Stolperfallen, weil ich denke, wir können da alle noch dazulernen.

Wie sieht für Sie eine gute Medizin aus?

Sie beruht auf einer wissenschaftlichen Basis, ist aber zusätzlich eine ärztliche Heilkunst. Das meint nicht etwas Mystisches, sondern das Anpassen des wissenschaftlichen Kenntnisstands auf den Patienten, auf den einen Menschen, der vor einem sitzt. Und es gehört Empathie dazu, damit mit dem Patienten gemeinsam ein guter, individueller Weg gefunden wird.

Ich glaube, gerade was Gespräche und psychosomatische Aspekte angeht, kann die Ausbildung für Mediziner besser werden. Und das betrifft natürlich auch die Abrechnung. Solange man als Arzt eine homöopathische Anamnese aufschreiben muss, um eine halbe Stunde Gespräch mit einem Patienten abrechnen zu können, muss man sich nicht wundern, wenn diese angeboten wird.

Was können Patientinnen und Patienten beitragen?

Ich denke, es hilft zu verstehen, dass die wissenschaftliche Medizin ständig auf Fehlersuche ist. Deshalb ist es kein Zeichen von Schwäche, wenn sich eine Empfehlung ändert, sondern die große Stärke der Wissenschaft.

Damit steht sie im Gegensatz zur Alternativmedizin, die diese krasse Gewissheit verkündet: Das machen wir seit 200, seit 2000 Jahren so, das wird sich nie ändern. Aber das ist nur eine Scheinsicherheit!

Wer sich mit den typischen Denkfehlern auseinandersetzt, kann auch in sozialen Medien leichter erkennen, wenn jemand Unsinn verbreitet. Und letztendlich gehört zur Kompetenz auch, die Grenzen dieser anzuerkennen. Niemand, weder Patient noch Arzt, kann alles wissen. Deshalb gibt es zum Beispiel ein Expertengremium, das Empfehlungen fürs Impfen erarbeitet, und medizinische Leitlinien, nach denen sich Ärzte bei der Therapie richten sollten.

Ich überschätze mich an dem Punkt, an dem ich glaube, ich allein könnte besser als die Ständige Impfkommission bewerten, ob eine Impfung sinnvoll ist.

Zum Weiterlesen:

• Warum waren Sie mal Fan der Homöopathie, Frau Doktor? Spiegel+ am 19. Juli 2020
• Homöopedia: Logische Fehlschlüsse
• Die Denkfehler der Homöopathie, spektrum am 7. September 2017
• Homöopathie: Von wegen „sanfte Medizin“, GWUP-Blog am 6. Juni 2020
• Bremer Ärzte beklagen Fehlanreize im System, weser-kurier am 19. Juli 2020
• Nieder mit der „Schulmedizin“, krautreporter am 17. Juli 2020
• TCM und Corona – und dazu ein kostenloses Hörbuchkapitel von den „Science Busters“, GWUP-Blog am 19. Juli 2020