gwup | die skeptiker

… denken kritisch seit 1987.

Chemophobie, Aprikosenkerne und andere Krebsmythen

| 14 Kommentare

Morgen ist Weltkrebstag – zugleich beginnt die „Nationale Dekade gegen Krebs“.

Während Bundesgesundheitsminister Jens Spahn glaubt, dass wir „in zehn bis zwanzig Jahren den Krebs besiegt haben“, sind Experten weniger optimistisch:

Krebs ist durch seine biologische Vielfalt eine der komplexesten Erkrankungen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass wir mit zeitlichen Prognosen zu einem „Sieg über den Krebs“ nicht zu schnell sein sollten,

… sagt Michael Baumann, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), bei Spiegel-Online.

Joseph Kuhn schreibt im Science-Blog Gesundheits-Check:

Eine krebsfreie Gesellschaft als Ziel ist utopisch, eine Gesellschaft, die die Zahl vermeidbarer Krebserkrankungen verringert und die fürsorglicher mit ihren Kranken umgeht, könnte dagegen im Laufe einer Dekade Wirklichkeit werden – wenn man nicht nur auf High-Tech-Bereiche schaut.“

Um das Thema Krebs geht es auch im nächsten Skeptiker.

Unsere Gesprächspartnerin Dr. Susanne Weg-Remers vom Krebsinformationsdienst des DKFZ in Heidelberg erklärt unter anderem, warum die Erkrankung Krebs trotz vollmundiger Versprechungen noch immer nicht besiegt ist:

Die Forschung der letzten Jahre hat mehr und mehr gezeigt, dass es nicht eine typische Krebserkrankung gibt, sondern dass Krebs als Sammelbegriff für eine Vielzahl ganz unterschiedlicher bösartiger Tumorerkrankungen mit unterschiedlichen Eigenschaften und Verläufen betrachtet werden muss.

Vor etwa zehn, fünfzehn Jahren ist man davon ausgegangen, dass es etwa 200 Krebserkrankungen gibt, die nach ihrem Ursprungsgewebe in den jeweiligen Körperregionen oder Organbestandteilen benannt wurden.

Heute wissen wir, dass auch diese Schätzung zu niedrig war, weil jede Krebsart noch etliche Unterformen auf der Basis der genetischen Eigenschaften der Tumoren verschiedener Patienten entwickeln kann. Kein Tumor gleicht dem anderen.

Dazu kommt, dass Tumorzellen eines Patienten sich unter Therapie auf vielfältige Weise verändern, etwa Resistenzen ausbilden, und deshalb jede Krebserkrankung einen eigenen, oft unvorhersehbaren Verlauf nehmen kann. All das macht die Behandlung so schwierig.

Außerdem debunken wir Mythen und Verschwörungstheorien, die sich um das Thema Krebs ranken, zum Beispiel diesen Unsinn, der von einem „Naturheilzentrum“ im Allgäu verbreitet wird:

Dr. Hardin B. Jones, ehemals Professor für medizinische Physik und Physiologie an der University of California, Berkeley, untersuchte 25 Jahre lang die Überlebenszeit von Krebspatienten und kam zu dem Schluss, dass Chemotherapie, anders als allgemein gedacht, nicht wirkt.

Dazu muss man wissen, dass Jones nie therapeutisch oder in der klinischen Onkologie forschend tätig war. Bei den angeblichen „Studien“ und „Untersuchungen“ von ihm handelt es sich um Zitate aus Vorträgen und Artikeln aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (bis 1956), als die Chemotherapie noch in den Kinderschuhen steckte.

Und wie sieht es mit der Behauptung aus, nach der „in einer neueren Studie, die 2004 in der Zeitschrift Clinical Oncology erschien“, eingeräumt werde, „dass Chemotherapie in Wirklichkeit für alle Krebsarten nur in circa zwei Prozent wirksam“ sei?

Damit hat sich der Blog Wissenschaft von der Scharlatanerie befasst:

Weg-Remers sagt dazu in unserem Interview:

Wie man auf diese Zahl von zwei Prozent kommt, kann ich nicht nachvollziehen.

Es gibt Tumorarten, die insgesamt nur wenig auf eine Chemotherapie reagieren, und solche, bei denen die Chemotherapie eine sehr hohe Erfolgsquote hat – gemessen daran, dass sie zum Beispiel das Rezidivrisiko senkt oder den Krankheitsfortschritt verzögert und dem Patienten mehr Lebenszeit schenkt.

In jedem Fall ist eine nachgewiesene Wirksamkeit die Voraussetzung dafür, dass ein Chemotherapeutikum/Zytostatikum die Zulassung für eine bestimmte Krebsart erhält.

Dr. Susanne Weg-Remers; Foto: DKFZ/Tobias Schwerdt

Darüber hinaus geht es um die Frage, wie man Betroffene, die aktiv an ihrer Behandlung mitwirken möchten, von „alternativmedizinischem“ Schmarrn abbringen kann:

Dieses Bedürfnis, nicht nur passives Objekt der „Schulmedizin“ zu sein und durch eigene Aktivität wieder etwas mehr Selbstwirksamkeit zu erlangen, sollte man grundsätzlich ernst nehmen.

Denjenigen, die den Wunsch äußern, an ihrer Behandlung mitzuarbeiten, kann man Alternativen zu fragwürdigen Verfahren ohne Wirksamkeitsnachweis aufzeigen. Zum Beispiel Vorschläge zur nachhaltigen Lebensstiländerung.

Auch Sport kann eine wichtige Therapiesäule sein. Früher hat man davon abgeraten, mittlerweile gibt es Erkenntnisse, dass sportliche Aktivität nicht nur die Nebenwirkungen einer Therapie reduziert und die Lebensqualität verbessert, sondern sogar bei manchen Krebsarten die Gefahr eines Rückfalls reduziert und die Chance auf dauerhafte Heilung erhöht.

Jedenfalls viel mehr, als Globuli oder Aprikosenkerne dies könnten.

Das Heft erscheint Mitte März.

Update vom 20. März 2019: Verschwörungsmythen rund um Krebs im neuen Skeptiker

Zum Weiterlesen:

  • Krebs in 10 oder 20 Jahren, Gesundheits-Check am 1. Februar 2019
  • Krebsbekämpfung: Experte bremst Spahns Optimismus, Spiegel-Online am 1. Februar 2019
  • Mediziner widersprechen Spahn: „Hoffnung funktioniert nicht“, Welt-Online am 2. Februar 2019
  • Hardin Jones bei Psiram
  • Nein, die Studie von Dr. Jones beweist nicht, dass Chemotherapie Krebspatienten früher sterben lässt, correctiv am 9. April 2018
  • Chemophobie, Wissenschaft von der Scharlatanerie am 19. April 2014
  • Krebs: „Alternativmedizin tötet“, GWUP-Blog am 15. August 2017
  • Krebsforscher: Finger weg von „komplementären“ Verfahren, GWUP-Blog am 7. Januar 2015
  • Mistel und Ginko in der Krebstherapie? GWUP-Blog am 13. Mai 2011

14 Kommentare

  1. Bei Krebserkrankungen sind alternativmedizinische Scharlatanereien besonders ärgerlich, weil sie Menschenleben kosten.

    Dabei gibt es durchaus hilfreiche komplementärmedizinische Angebote, von Mitteln bei Entzündungen der Mundschleimhaut bis hin zu Krebssportgruppen, aber die Quacksalberfraktion muss ja unbedingt versprechen, durch obskure Methoden Krebs zu heilen.

    In Sachen falscher Versprechen sind sie dann Spahn wiederum nicht ganz fern.

  2. Zum Punkt mit dem Sport.
    Wenn man sieht, wie The Shando sich im Zuge ihrer Therapie regelmäßig verausgabt hat, dann möchte man wirklich glauben, dass Sport bei Krebs hilft.

  3. @Achim:

    Sie meinen Shannen Doherty?

  4. Werden Aprikosenkerne entsprechend beschleunigt und trifft man zufällig einen Alternativmedizizininer …dann hat man eine alternative Heilungsmethode entwickelt!

    Oder geht es auch um gekehrt einen Alternativmedizizininer auf Tempo bringen und mit einen Aprikosenkern in der persönlichen Konfrontation „heilen“!

    Alternativmedizizinin ist doch einfacher als ich dachte…

    Und man hat Anspruch den „Goldenen Aprikosenkern“ den alternativen Alternativmedizizinin-Award ;-)

  5. Gerade gefunden, aber noch nicht gesehen: Krebs: Das Geschäft mit der Angst | Doku | ARTE

    „Die sogenannte alternative Medizin verspricht Heilung ohne Nebenwirkungen. Vor allem wenn es um lebensbedrohliche Krankheiten wie Krebs geht, sind Patienten und Angehörige bereit, alles zu tun, was der „Heiler“ verspricht. Welche oft abstrusen Therapien Heilpraktiker und Ärzte krebskranken Patienten anbieten, konnte Claudia Ruby in einer Undercover-Recherche herausfinden….“

    https://youtu.be/Ho4P4sQb6TQ

  6. „Nun ja…“

    Nun ja… wurde gerade gestern auf dem YT Arte Kanal hochgeladen, dass der Beitrag zwei Jahre alt ist, das war mir unbekannt.

  7. Sie schreiben völlig unvermittelt:

    Das Heft erscheint Mitte März.

  8. @Weimar:

    Nun ja, nicht so ganz unvermittelt:

    „Um das Thema Krebs geht es auch im nächsten Skeptiker“

    steht vorher.

  9. Here is who repeated an unsupported claim about “a complete cure for cancer in a year”, misleading millions on social media

    http://healthfeedback.org/who-repeated-unsupported-claim-complete-cure-for-cancer-misleading-millions-on-social-media-jerusalem-post/

  10. Vitamin-C-Infusion: keine Belege für Wirkung gegen Krebs

    https://www.medizin-transparent.at/vitamin-c-infusion

  11. Graviola: keine Wunderwaffe gegen Krebs

    https://www.medizin-transparent.at/graviola-krebs

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.