Es ist kaum zu glauben:
Auch der wenige Tage alte Bruder des „Human Torch“-Babys Rahul, das 2013 weltweit Schlagzeilen machte, leidet angeblich an „Spontaner Selbstentzündung“ – und wieder suchen Ärzte, Behörden und Presseleute ganz ernsthaft nach dieser „seltenen Erkrankung“ beziehungsweise nach einem Gen-Defekt bei dem Jungen.
Das berichten verschiedene indische Medien.
Vor eineinhalb Jahren hatte eine Frau aus dem Dorf Parangini im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu angegeben, ihr drei Monate altes Kind habe mehrfach schwere Verbrennungen durch „Spontane Menschliche Selbstentzündung“ erlitten.
Skeptiker gingen dagegen von vorsätzlicher Kindesmisshandlung aus.
Nach einem mehrwöchigen Klinikaufenthalt wurde das Kind entlassen, seitdem traten keine Symptome mehr auf.
Jetzt wurde der sieben Tage alte Bruder des Jungen in das Krankenhaus von Mundiyambakkam eingeliefert, mit einer schweren Brandwunde am Fuß, die auf Fotos wiederum so gar nicht nach „Selbstentzündung“ aussieht.
Trotzdem backen Ärzte und Medien wieder die Mär von einer „rare medical condition“ des Säuglings auf,
… which literally sets him on fire.“
Man ist einfach nur sprachlos.
Update vom 21. Januar 2015.
Zum Weiterlesen:
- Spontane Selbstentzündung oder Kindesmisshandlung? GWUP-Blog am 20. August 2013
- “Human Torch”-Baby: Keine Spur von “Selbstentzündung”, GWUP-Blog am 28. August 2013
- Hoaxilla #15 – ‘Spontane menschliche Selbstentzündung’ vom 26. September 2010
- Second Burning Baby in Villupuram Family Puzzles Doc, Adds to Mystery, The New Indian Express am 17. Januar 2015
- Baby suffering from rare medical condition, Press Trust of India am 17. Januar 2015
- Tamil Nadu: Second burning baby in same family stumps doctors, hindustantimes am 18. Januar 2015
- Evil Spirit Angle to ‘Fire Baby’ Row After Godman Surfaces, The New India Express am 18. Januar 2015
- Docs in tizzy over ‚combustible‘ baby, Deccan Herald am 19. Januar 2015
19. Januar 2015 um 13:04
Ich werde nie begreifen, wie erwachsene Menschen wehrlosen kleinen Kindern bzw. Säuglingen so schreckliche Dinge antun können.
19. Januar 2015 um 17:22
Da hat nichts „gebrannt“.
Könnte eine Verbrühung sein, und von einem Spontanen Menschlichen Sieden hat noch niemand gehört.
19. Januar 2015 um 21:37
@ Pierre Castell
Ich sage hier nur ein Wort: Münchhausen-Stellvertretersyndrom.
Ich bin zwar kein Psychologe, (und es könnte auch schlichtweg „normale“ Kindesmisshandlung sein), aber wie wird man als Inderin, als ein kleiner Niemand, nicht prominent oder reich, weltberühmt?
Indem man Kinder hat, die angeblich von selbst Feuer fangen.
Und schon ist man in allen Zeitungen, in Indien und auf der ganzen Welt. Und irgendwelche naiven Wissenschaftler und religiösen Menschen machen noch ein Mordsgetöse darum, womit man noch berühmter wird, weil man „besondere Kinder“ hat.
Dafür kann man sein Kind dann schon mal mehrfach in Brand stecken oder den Fuß verbrühen.
Wenn dem wirklich so sein sollte, dann geht der Spaß weiter, bis den Kindern entweder was wirklich Schlimmes passiert (eventuell bis zum Tod) oder bis die Mutter in psychiatrische Behandlung kommt.
19. Januar 2015 um 22:43
Diese Verrücktheit wurde bereits im 19. Jahrhundert in einem spektakulären Prozeß, an dem Georg Büchners Vater als Gutachter beteiligt war, wissenschaftlich widerlegt. Details:http://geschwisterbuechner.de/2012/01/16/flammentod-im-grafenhaus/
19. Januar 2015 um 22:53
@Peter Brunner:
Gibt es von der verlinkten Veranstaltung bzw. dem Buch eine Zusammenfassung, einen Aufsatz o.ä.?
20. Januar 2015 um 01:28
@ Genesis
Interessanter Gedankengang!
Allerdings machen mich Ihre Worte „…bis den Kindern…was wirklich Schlimmes passiert“ stutzig. Für mein Empfinden ist schon schlimm genug, was bisher passiert ist.
20. Januar 2015 um 12:45
@Bernd Harder:
Zusammenfassungen habe ich nicht gefunden, aber es gibt etwas ausführlichere Besprechungen des Buches.
http://www.echo-online.de/freizeit/kunstkultur/literatur/Flammentod-im-Grafenhaus-von-Aide-Rehbaum;art639,2373733
http://www.giessener-allgemeine.de/Home/Stadt/Stadtkultur/Artikel,-Der-erste-Indizienprozess-der-Kriminalgeschichte-_arid,309168_costart,1_regid,1_puid,1_pageid,266.html
20. Januar 2015 um 15:24
In meiner Bibliothek habe ich ein kleines Büchlein (52 Seiten) von einem Dr. Joh. Jac. Günther aus dem Jahre 1837, 10 Jahre vor dem Tod der Gräfin Emilie von Görlitz; der Titel: Ueber Selbstentzündungen, nebst einigen Bemerkungen die Verhütung von Feuersgefahren betreffend, zur allgemeinen Belehrung und Warnung.
Günther beschreibt sehr exakt mehrere Fälle von Selbstentzündungen und er verallgemeinert in 8 Punkten:
„1. Das weibliche Geschlecht ist demselben mehr unterworfen … wahrscheinlich weil dessen Körper mehr mit Fett durchwachsen und deßhalb entzündlicher ist;
2. Diese von selbst erfolgende Verbrennung kommt meist bei ältlichen Personen (fast nur bei mehr als 60jährigen) vor;
4. Dieser Schwächezustand begünstigt im Alter die Dickleibigkeit, welche in ein … gleichsam wässeriges Fett ausartet;
5. Waren solche Personen dem Trunk, namentlich dem unmässigen Genusse des Branntweins, ergeben, wie dies bei ältlichen Weibspersonen häufig der Fall ist;“
20. Januar 2015 um 15:28
@Norbert Reimann:
<< Günther beschreibt sehr exakt mehrere Fälle von Selbstentzündungen << Nun ja, er beschreibt den klassischen Mythos, der wenig mit der Realität zu tun hat. Das Phänomen ist längst geklärt: https://www.psiram.com/ge/index.php/Spontane_menschliche_Selbstentz%C3%BCndung
20. Januar 2015 um 15:29
Gibt es noch keine Pseudomedizin gegen diese „Krankheit“?
Ist der indische Staat zu schwach oder nicht Willens, um solche Umtriebe dauerhaft auszumerzen?
20. Januar 2015 um 15:52
@ Bernd Harder: Na, so weit von der Realität ist das nicht. Die zitierten Aussagen von Dr. Günther passen ganz gut zu dem bei Psiram geschilderten Hergang mit dem Docht-Effekt: eher ältere und füllige Personen, oft alkoholisiert.
Der wesentliche Unterschied ist, dass die vermutete Ursache – spontane Selbstentzündung – nicht stimmt, dass aber die von Günther berichteten Fälle (die ich natürlich nicht kenne) durchaus „echt“ nach Psiram gewesen sein können, also durch Unachtsamkeit oder Versehen (oder Vorsatz Dritter) verursachtes In-Brand-Setzen hilfloser Personen.
Und so oder so, diese Art Brand fängt nicht an den Füßen an, schon gar nicht bei Babys.
20. Januar 2015 um 15:57
@Gnaddrig:
<< Na, so weit von der Realität ist das nicht. << Gewiss, ja. Für mich ist der größte Unterschied das hier: << Waren solche Personen dem Trunk, namentlich dem unmässigen Genusse des Branntweins, ergeben, wie dies bei ältlichen Weibspersonen häufig der Fall ist. << Da schimmert halt durch, dass SHC von Puritanern etc. als Warnung vor "Trunksucht" instrumentalisiert wurde.
20. Januar 2015 um 16:42
Emotional: Ich kann solche Menschen absolut nicht verstehen. Ich selbst leide heute noch darunter, dass mir bei meinen Kindern, als sie noch recht klein waren, manchmal „die Hand ausgerutscht“ ist.
20. Januar 2015 um 18:30
@ Bernd Harder: Ja, das ist natürlich wahr.
Günther ist sicher Kind seiner Zeit in der Hinsicht.