Auch mal ein origineller Einfall:
Die fragwürdige „Lungenkrebsstudie“, die 2020 in dem renommierten Journal The Oncologist publiziert wurde und mit der Frass et al. angeblich belegen konnten, dass eine homöopathische Therapie ergänzend zur normalen Behandlung nicht nur die Lebensqualität der Studienpatienten mit Lungenkrebs steigerte, sondern sie auch länger überlebten, steht nicht mehr unter einer „Expression of concern“.
Mit dieser „Besorgnisäußerung“ von Dezember 2022 war gemeint, dass die Studie
… unter Verdacht steht, nicht zuverlässig zu sein. Eine ausführliche Untersuchung des Vorwurfs laufe,
schrieb Prof. Edzard Ernst dazu im Mai bei spiegel.de.
Zurückgezogen hat die angesehene Fachzeitschrift die Arbeit allerdings nicht.
Seit drei Tagen ziert nun ein „Korrektur“-Vermerk den Artikel.
Das ist schon leidlich seltsam. Aber wer hat diese „Korrektur“ verfasst?
Erinnern wir uns noch einmal an die Antwort, die die Spiegel-Redaktion auf eine ergänzende Anfrage zu dem Gastbeitrag von Edzard Ernst bekam: Der Oncologist erklärte damals, Bedenken „in Bezug auf die akademische Integrität“ sehr ernst zu nehmen, die Prüfung der Studie dauere an.
Und nun lesen wir im Kleingedruckten unter der „Correction“:
Ernsthaft? The Author(s)?
Also federführend wohl Michael Frass, über den Ernst bei spiegel.de schrieb:
Mir war Frass vor Jahren aufgefallen, nachdem er hintereinander zig Untersuchungen in den unterschiedlichsten medizinischen Fachgebieten publiziert hatte, von denen entgegen jeder Wahrscheinlichkeit alle eine Wirksamkeit von Homöopathie nahelegten.
Entweder hat er eine ganz ungewöhnliche Begabung, so dachte ich mir, oder etwas stimmt da womöglich nicht.
Dass auch mit seiner Lungenkrebsstudie „womöglich“ etwas nicht stimmt, legten ausführlich das INH und die österreichische Initiative für wissenschaftliche Medizin dar (eine Chronologie der Ereignisse findet sich hier).
Die Initiative für wissenschaftliche Medizin ging selbstverständlich davon aus, dass die Untersuchung „durch die Herausgeber“ des Oncologist erfolgen würde. Stattdessen listet nun anscheinend der Hauptautor Frass selbst ein paar belanglose Zusatzinfos auf, die allesamt nichts mit dem schweren Vorwurf der Datenmanipulation zu tun haben.
Und die Redaktion vom Oncologist?
Schiebt ein wirres Editorial nach, in dem die Vorsitzende des Editorial Boards, Susan E. Bates, über eigenwillige homöopathische Mixturen, molekulare Pharmakologie, Wirkmechanismen, die Wissenschaft und deren Nachweismöglichkeiten schwadroniert, offensichtlich ohne Peilung, was Homöopathie eigentlich ist und was die Studienkritiker konkret bemängeln.
Trotzdem erklärt sie die Angelegenheit für abgeschlossen.
Der Blog Retraction Watch holte daraufhin eine Stellungnahme von Norbert Aust ein, der sagte:
Die Autoren erklären einige Kleinigkeiten, aber der Elefant im Raum bleibt unerwähnt.
Frass glaubt offenbar ernsthaft, es wäre „nun bewiesen“, dass seine Lungenkrebs-Studie korrekt sei.
Auch das ist in gewisser Weise originell. Wir sind sicher: Es ist noch nicht vorbei.
Zum Weiterlesen:
- Komplementärmedizin: Leitlinie für die Behandlung von Krebspatienten – „Je mehr Wallawalla, desto großzügiger“, GWUP-Blog am 13. Juli 2024
- Gute Absicht, schlechte Medizin: Edzard Ernst über die Studie zu Homöopathie bei Lungenkrebs, GWUP-Blog am 27. Mai 2024
- Ein neuer Tiefpunkt in der Homöopathieforschung, Skeptiker 4/2022
- Homeopathy Research Hits New Low, Skeptical Inquirer Volume 47, No. 3, May/June 2023
- Homöopathie bei Krebspatienten: Fast zu schön, um wahr zu sein, profil am 28. Oktober 2022
- Eine weitere Vorzeigestudie der Homöopathen endet als Desaster, GWUP-Blog am 26. Oktober 2022
- Verbesserungen beim Überleben von Lungenkrebspatienten mit homöopathischer Komplementärbehandlung? (Frass et al. 2020) – Update zur Studienkritik, INH am 25. Oktober 2022
- Forschung auf Homöopathisch – Ein Update zu: Verbesserungen beim Überleben von Lungenkrebspatienten mit homöopathischer Komplementärbehandlung? INH am 9. August 2021
- Verbesserungen beim Überleben von Lungenkrebspatienten mit homöopathischer Komplementärbehandlung? (Frass et al. 2020) – Eine Studienkritik, INH am 8. Juni 2021
- Die neue Vorzeige-Studie der Homöopathen: nachträgliche Anpassung der Ergebnisse? GWUP-Blog am 9. Juni 2021
28. September 2024 um 10:47
Nein, es ist noch nicht vorbei. In gewisser Weise fängt es erst an.
Durch die aktuelle Positionierung des Journals zeigt sich, dass man dort wohl niemals die Absicht hatte, die Frass-Publikation zurückzuziehen. Die letzten zwei Jahre waren reine Hinhaltetaktik (und der Versuch, die Sache einfach auszusitzen), wird man rückschließen müssen.
Nachdem man wohl dort realisiert hatte, dass diese Strategie nicht aufgehen würde (u.a. durch das Spiegel-Gespräch mit Prof. Ernst), meinte man wohl, der Sache durch eine Art Gegenoffensive langsam mal ein Ende setzen zu sollen. Dies geschah durch die Veröffentlichung einer Handvoll irrelavanter Sätze aus der Feder „der Autoren“, die sich der Oncologist nun allerdings dadurch auch zu eigen gemacht hatte, indem er sie als „Correction“ zur Studie veröffentlichte.
Das parallel dazu erschienene Editorial unter Co-Autorschaft der Chefin des Editors Board sollte dem offensichtlich noch Nachdruck verleihen. Es hat allerdings eher die Funktion, die letzte Luft aus der Sache zu lassen – sprich, jede Hoffnung fahren zu lassen, dass sich das Journal in dieser Sache an wissenschaftlichen Kriterien zu orientieren bereit ist.
Was in diesem Editorial steht, wird an Wirrnis allenfalls vom Voynich-Manuskript übertroffen – wobei letzterem immerhin noch die theoretische Möglichkeit innewohnt, das es Sinnvolles enthalten könnte, so die Entzifferung gelänge.
Ich kenne viele Apologien der Homöopathie, aber etwas derartiges wie dieses Editorial ist mir kaum jemals untergekommen. Und ganz sicher nicht bei einem an sich renommierten Fachjournal.
Nun, das ist eigentlich gar eine Apologie, sondern ein Dokument der Unwissenheit darüber, was Homöopathie überhaupt ist.
Was machen die da? Warum tun die das?
Ich tippe auf beiderseitige tiefe Selbstüberzeugung und sich gegenseitig verstärkende Grandiositätsgefühle („wir gegen den Rest der Welt“). Aber ich weiß es natürlich nicht – Prof. Frass allerdings lässt bereits erkennen, dass er sich nun in der Rolle des Triumphators über diese ewig lästigen Kritiker sieht.
Wir werden sehen. Jedenfalls hat für mich der Oncologist die ganze Causa jetzt von der Ebene eines höchst ärgerlichen wissenschaftlichen Fehlleistung auf die Ebene eines weit ärgerlichen regelrechten Wissenschaftsskandals gehoben.
Am Rande: Bereits vor zwei Jahren haben fünf der insgesamt 14 Mitautoren gegenüber dem Oncologist erklärt, ihre Autorschaft zurückzuziehen.
Nicht nur, dass – völlig unüblich – das Journal dies bislang völlig ignoriert hat, nein, durch den Vermerk „The Authors“ unter der neuen „Correction“ nimmt sie diese fünf Personen auch noch in Mithaftung.
Ich würde mich bedanken.
28. September 2024 um 17:53
Ich verstehe nicht einmal, was die Überschrift des Editorials („Clinical trial results: each patient’s participation should count“) mit dem Text des Editorials ab dem zweiten Absatz zu tun hat.
Kann jemand helfen?
29. September 2024 um 16:39
@Joseph:
In der Tat. Die Headline ist nicht minder wirr als der Inhalt.
Allenfalls könnte man es als Plädoyer dafür ansehen, alles, was so herbeigeforscht und abgedruckt wird, per se für relevant zu halten.
Das gäbe immerhin eine Schnittmenge zu den Ausführungen von Frau Bates.
29. September 2024 um 19:51
@ Udo Endruscheit:
Bei der Überschrift würde man erwarten, dass man danach etwas zum Vorwurf des Ausschlusses zahlreicher Patient:innen aus der Auswertung liest.
Aber wie gesagt, vielleicht gelingt mir nur die Dechiffrierung der Botschaft nicht.
17. Oktober 2024 um 15:27
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