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Eine weitere Vorzeigestudie der Homöopathen endet als Desaster

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Sen-sa-tionell sah sie aus:

Die Studie, die Michael Frass 2020 im Fachjournal Oncologist zur homöopathischen Zusatztherapie bei nicht-kleinzelligem Lungenkrebs publizierte. Die Homöopathie-Patienten lebten anscheinend erheblich länger (+ 70 Prozent) als in der Placebogruppe und ihre Lebensqualität nahm dabei offenbar deutlich zu.

Bei der Globuli-Lobby knallten die Sektkorken – nur das INH (zusammen mit der österreichischen Initiative für wissenschaftliche Medizin) sah sich das Ganze näher an und kam zu dem Schluss, dass es sich mitnichten um solide Forschungsergebnisse handelt, sondern die Daten allem Anschein nach manipuliert oder gefälscht wurden:

Homöopathiestudie – Sensation oder Manipulation? Vortrag bei der SkepKon 2021

Das INH ließ seine Kritik den Studienautoren zukommen (keine Antwort), der Oncologist-Redaktion ebenso (keine Antwort) und auch der MedUni Wien, da die Frass-Studie unter ihrer Affiliation erschienen und auch unter ihrem Namen in den medizinischen Datenbanken aufgeführt ist.

Die MedUni nahm sich der Sache an und schaltete die Österreichische Agentur für wissenschaftliche Integrität (ÖAWI) mit der Bitte um Begutachtung ein.

Deren Stellungnahme ist jetzt da:

Quintessenz: Die Ergebnisse seien nur durch Manipulation oder Fälschung der Daten erklärbar. Die Meduni Wien und die ÖAWI empfehlen dem Oncologist, die Veröffentlichung zurückzuziehen.

Das Magazin Profil (43/2022) hat einen ausführlichen Bericht zu der Angelegenheit veröffentlicht:

Das Urteil der Untersuchungskommission ist auffallend scharf formuliert. Von „Datenmanipulation“ ist die Rede, von „selektivem Löschen von Aufzeichnungen“ und „Verletzungen der wissenschaftlichen Integrität“.

Und:

Michael Frass wiederum, von profil mit diesen Vorwürfen konfrontiert, weist all die Anschuldigungen entrüstet von sich.

„Insofern“, schreibt das INH, „ist dies zunächst ein weiterer Zwischenbericht. Es bleibt abzuwarten, was mit der Publikation nun geschieht“.

Zum Weiterlesen:

  • Verbesserungen beim Überleben von Lungenkrebspatienten mit homöopathischer Komplementärbehandlung? (Frass et al. 2020) – Update zur Studienkritik, INH am 25. Oktober 2022
  • Forschung auf Homöopathisch – Ein Update zu: Verbesserungen beim Überleben von Lungenkrebspatienten mit homöopathischer Komplementärbehandlung? INH am 9. August 2021
  • Verbesserungen beim Überleben von Lungenkrebspatienten mit homöopathischer Komplementärbehandlung? (Frass et al. 2020) – Eine Studienkritik, INH am 8. Juni 2021
  • Die neue Vorzeige-Studie der Homöopathen: nachträgliche Anpassung der Ergebnisse? GWUP-Blog am 9. Juni 2021
  • Studie: „Erschreckend schlechte wissenschaftliche Standards in der Homöopathie-Forschung“, GWUP-Blog am 16. März 2022
  • Video von Werner Bartens: „Homöopathie – miese Tricks, schlechte Studien“, GWUP-Blog am 17. März 2022
  • Homöopathie bei Krebspatienten: Fast zu schön, um wahr zu sein, profil am 28. Oktober 2022

19 Kommentare

  1. Yeah.

    Es war ein gewaltiger Berg Arbeit. Und brauchte viel Geduld.

    Nun fehlt noch der Retract der Studie. Es gibt Anzeichen dafür, dass man gedenkt, das auszusitzen.

    Wir kümmern uns drum.

  2. Dann bedanke ich mich doch mal für Eure Arbeit und Geduld. Wirklich wirklich gut gemacht. Danke :-)

  3. Was lange währt, wird endlich gut. Hoffentlich.

    Das Zurückziehen der Studie wird bei der Homöopathie-Fanbase zwar wenig bewirken (analog, siehe Wakefield), aber wenigstens wird der kleine Zeh, den Frass et al. immer wieder versuchen, bei der Wissenschaft in die Tür zu bekommen, weggekickt.

  4. @RainerO

    In wünsche mir im übertragenen Sinne, dass der kleine Zeh noch in der Tür ist, während man sie zuschlägt. Als bleibende Erinnerung an unredliches Verhalten.

  5. Es geht nicht an, dass solche Studien überhaupt von renommierten Journalen immer wieder mal angenommen werden. Auch deshalb ist es so wichtig, den Oncologist zu einem Retract zu bewegen.

    Die Journale müssen endlich realisieren, dass sie sich mit Homöopathie-Studien nur Läuse in den Pelz des hehren wissenschaftlichen Anspruches setzen.

    Und ein Retract der Studie, die wohl sozusagen Frass‘ Lebenswerk krönen sollte, wird auch an der homöopathischen Szene nicht spurlos vorübergehen.

    Ich warte schon auf die Verschwörungstheorien, wie es die weltweit vernetzten, mit unendlichen finanziellen Ressourcen ausgestatteten Skeptiker geschafft haben, die MedUni Wien und sogar die ÖAWI auf ihre Seite zu ziehen …

    Es muss ein Ende haben mit dem scheinwissenschaftlichen Mäntelchen, das die Homöopathie sich umzuhängen versucht (wenns gerade in den Kram passt, wie das INH im Artikel ja richtig schreibt). Und dazu gehört eben auch, den Journalen klarzumachen, dass sie die Augen offenhalten müssen.

    Es gibt bereits hier und da einige, die jedenfalls dann den Laden zumachen, wenn von „high dilution“ die Rede ist. Das hätte übrigens auch hier bei Frass 2020 gegriffen, denn dort wurden nahezu ausschließlich Hochpotenzen eingesetzt.

    Insofern bleibt es eine Daueraufgabe, ein Auge auf solche Veröffentlichungen zu haben. Auch zu dem vor einigen Monaten veröffentlichten Review zu ADHS und Homöopathie (Gärnter, Teut und Walach) ist ein Letter to the Editor an das Journal unterwegs.

  6. Hmmmmm, fein, eine weitere gute Nachricht ist das!

  7. @Ich
    Frass kann sich dann ja kompetent mit Arnica D6 helfen. :D

    @Udo Endruscheit
    Volle Zustimmung

  8. Pingback: Glaube oder Fehlverhalten: Vom Umgang mit Artikeln am Beispiel einer Homöopathie-Studie – Gesundheits-Check

  9. Michael Frass’ research into homeopathy for cancer: “numerous breaches of scientific integrity”

    https://edzardernst.com/2022/10/michael-frass-research-into-homeopathy-for-cancer-numerous-breaches-of-scientific-integrity/

  10. Wer hätte gedacht dass jemand, der eine Innovation wie den „Atox Bio Computer“ einer weiteren Öffentlichkeit nähergebracht hat, Studien unsauber durchführen oder gar manipulieren könnte. Die MedUni Wien jedenfalls hat das keinesfalls antizipieren können.

    Nachlese:

    Die Skeptiker:

    https://www.gwup.org/images/stories/pdf/skeptiker/vor%202008/altern.wiss.in-oesterreich-1.pdf

    Psiram:

    https://www.psiram.com/de/index.php/Michael_Frass#cite_note-7

  11. @thomas: Danke für den Tipp. Kaum zu glauben, die Geschichte.

    @alle anderen: Im pdf auf Seite 24 unten links Beginnt die Geschichte mit dem „Atox Bio Dingends“

  12. @Ich
    Das ist eine uralte Geschichte, der Atox Bio Computer wurde auch von einem beliebten Skispringer getragen, wenn ich mich richtig erinnere. Es ist also nicht nur Red Bull der Flügel verleiht.

  13. Sehr schön die Replik von Michael Frass:

    „Die Vorwürfe sind uns allesamt bekannt und absolut unverständlich, alle können wir entkräften.“

    Wenn dem so ist, hätte er das im Diskussionsteil der Studie machen sollen.

  14. @Joseph Kuhn:

    Das erinnert mich etwas an Frassens Reaktion auf Beweisaufnahme Homöopathie bezüglich seiner Sepsisstudie, als er damals auf Dr. Aust reagiert hat. Da kam er auch plötzlich mit Erklärungen um die Ecke, die zwar halbwegs plausibel wirkten, aber eben im Paper (in diesem Fall im Methodenteil) nicht erwähnt waren.

    Als Arzt sollte er aber eigentlich wissen: „Was nicht dokumentiert wurde, ist nicht gemacht worden.“

  15. Inzwischen gibt es einen „Letter of Concern“ der Herausgeber des publizierenden Journals. Dies ist eine Warnung an die Leser, dass es begründete Vorbehalte gibt, dass die Ergebnisse unzutreffend sein könnten.

    https://academic.oup.com/oncolo/advance-article/doi/10.1093/oncolo/oyac221/6782256

    Der Oncologist prüft die Vorwürfe der Datenmanipulation und -fälschung nun selbst noch mal und hat den Autor um Stellungnahme gebeten.

    Es wird wohl noch ein paar Wochen dauern, bis die Arbeit zurückgezogen wird.

  16. Die Publikation ist jetzt mit einem Expression of Concern versehen:

    https://academic.oup.com/oncolo/advance-article/doi/10.1093/oncolo/oyac221/6782256

  17. „Homöopathie: Von der „Vorzeigestudie“ zu „may be not reliable“:

    https://hpd.de/artikel/homoeopathie-vorzeigestudie-may-be-not-reliable-20810

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