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Rituelle Gewalt-Mind Control: „Esoterischer Unsinn“ – und die Sache mit der Strafbarkeit

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Die Rituelle Gewalt-Mind Control-Verschwörungstheorie (RG-MC) bekommt zunehmend Gegenwind – auch der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend des Deutschen Bundestags zeigt sich einsichtig (anders als das Familienministerium).

Was war geschehen?

Am 23. September lädt der Familienausschuss zu einer öffentlichen Anhörung mit dem Titel „Menschenunwürdige Zustände in der Prostitution beenden – Sexkauf bestrafen“ ein. Dazu können Interessengruppen auch unangeforderte Stellungnahmen einreichen, die man hier einsehen kann.

Das machte sich eine Organisation namens „netzwerkBplus“ zunutze und schickte ein 322-Seiten-Pamphlet hin, das sich auch auf der Homepage dieses Vereins findet.

Allerdings hat dieser Schrieb genau nichts mit dem Thema Prostitution/Sexkauf zu tun – sondern perpetuiert bis ins Detail die RG-MC-Verschwörungstheorie mit allen ihren spezifischen Elementen, einschließlich der Erzählungen von selbstdefinierten Betroffenen, die überwiegend von der Webseite 50 Voices of Ritual Abuse stammen.

Das fiel auch dem Frankfurter Verein Doña Carmen auf, der daraufhin einen Offenen Brief an die Ausschussvorsitzende Ulrike Bahr schrieb.

Darin forderte Doña Carmen die SPD-Politikerin auf, „derartige Verschwörungsmythen und esoterischen Unsinn“ zu löschen.

Diese Einschätzung ist wohl durchaus zutreffend, betrachtet man zum Beispiel ein Video mit der 50 Voices of Ritual AbuseInitiatorin Chantal Frei bei kla.tv, in dem sie sagt:

Wörtlich schreibt Doña Carmen-Vorstandsmitglied Gerhard Walentowitz in dem Offenen Brief:

Weder mir noch dem Verein Doña Carmen e.V. steht es zu, über die im Beitrag von netzwerkBplus e.V. zu Wort kommenden Personen zu urteilen. Wir sehen uns aber sehr wohl dazu in der Lage, die dort präsentierten Ausführungen als Zeugnisse von Menschen einzuordnen, deren psychische Verfassung ganz offensichtlich erheblich beeinträchtigt ist.

Der geballte Irrationalismus disqualifiziert diese Ausführungen, in der öffentlichen Auseinandersetzung um Prostitution irgendeine Rolle zu spielen. Die mit obsessiven Gewaltphantasien und wahnhaften Vorstellungen in der Stellungnahme zu Wort kommenden Menschen benötigen möglicherweise qualifizierte psychologische Unterstützung und therapeutische Begleitung.

Es ist uns völlig unverständlich, wie die unkommentierte 1:1-Übernahme derart abstruser, auf bizarren Verschwörungsmythen basierender Ausführungen mithilfe der Website des Deutschen Bundestags in den Rang einer ernstzunehmenden „Stellungnahme“ erhoben und obendrein auch noch an sämtliche Abgeordneten des Deutschen Bundestags weitergeleitet werden konnte.

Mit Erfolg.

Das „netzwerkBplus“-PDF ist mittlerweile verschwunden, in einer kurzen Mitteilung des Familienausschusses an Doña Carmen heißt es,

… die von Ihnen in Frage gestellte Stellungnahme wurde zur weiteren Prüfung von der Internetseite genommen.

Am Rande spricht Walentowitz noch einen sehr interessanten Punkt an. Er weist nämlich Ulrike Bahr darauf hin, dass die Vorsitzende des Familienausschusses Gefahr laufe,

… mit dem Strafrecht in Konflikt zu geraten. Denn angesichts der vielen, in der von Ihnen veröffentlichten Stellungnahme [von „netzwerkBplus“] zu Wort kommenden Personen, die sich darin der Tötung bzw. der Beteiligung an der Tötung anderer Menschen bezichtigen, greift § 258 StGB („Strafvereitelung“).

Im Anhang zu dem Offenen Brief listet Doña Carmen fast drei Dutzend selbstdefinierte Betroffene von „rituellem Missbrauch“ auf, die sich selbst und andere schwerster Straftaten bezichtigen, bis hin zu Kindstötungen.

Auch wir finden es immer wieder erstaunlich, dass Skeptiker und Aufklärer gegen die RG-MC-Verschwörungstheorie als „Täterschützer“ diffamiert werden, während die zahlreichen selbstdefinierten Betroffenen keinerlei Aktivitäten zeigen, um ihren Fall zu beweisen und die Täter vor Gericht beziehungsweise hinter Gitter zu bringen.

Bis heute kursiert zum Beispiel ein Video in den sozialen Medien, in dem eine der 31 Personen, auf die Doña Carmen im Anhang des Offenen Briefes verweist, auf die Frage, ob sie selbst gezwungen wurde, jemanden zu töten, antwortet:

Ja. Ja, ganz häufig. Also ich glaube, in diesem Rahmen ist das auch schon fast Standard.

Zu den Schauplätzen dieser Verbrechen erklärt sie:

Wenn man jetzt heute irgendwie versuchen würde, da DNA-Spuren zu finden, die würde man auf alle Fälle finden. Hundertprozentig.

Wir fragen uns natürlich: Warum versucht sie es dann nicht?

Im September 2022 habe ich bei der Staatsanwaltschaft Gießen Strafanzeige wegen Mordes und anderer schwerer Straftaten oder Vortäuschen schwerer Straftaten erstattet.

Am 13. Mai 2024 wurde das Ermittlungsverfahren eingestellt.

Ferner schreibt die Staatsanwaltschaft, „alle erfolgversprechenden Ermittlungsansätze“ seien ausgeschöpft worden.

Wir warten also weiter auf „50 proofs of Ritual Abuse“.

Oder wenigstens einen.

Zum Weiterlesen:

  • Website des Deutschen Bundestags als Plattform für bizarre Verschwörungsmythen, frankfurter-info am 15. September 2024
  • „Erklärvideo“ des BMFSFJ zur sexualisierten Gewalt gegen Kinder verbreitet Verschwörungstheorie, ezw-berlin am 24. März 2020
  • Rituelle Gewalt-Mind Control: „Systematische Fehlinformationen“ von hochoffizieller Stelle verhindern die kritische Aufarbeitung, GWUP-Blog am 9. Juni 2023
  • Ritueller Horror oder Justizirrtum? „Hanebüchenen Schilderungen auch mal Einhalt gebieten“, GWUP-Blog am 3. September 2024
  • „Verschwörungsmythos“: Netzwerk-Recherche-Diskussion zu rituellem Missbrauch, GWUP-Blog am 24. Juli 2024
  • Studie zu Falscherinnerungen: Suggestive Praktiken sind ein Problem in der Psychotherapie, GWUP-Blog am 23. März 2024

4 Kommentare

  1. Au weia.

    Wissen diese Fanatiker denn nicht, dass sie selbst wegen solcher Pamphlete leicht vor Gericht landen können?

    Strafenzeigen ohne belegbare Substanz und vermutlich auch Eingaben bei einem BT-Ausschuss erfüllen klar die Voraussetzungen für Vortäuschung einer Straftat und, soweit konkrete Personen genannt werden, falsche Anschuldigung (wozu es kürzlich eine Kolumne von Thomas Fischer beim Spiegel gab, der bemängelte, dass solche Straftaten kaum und wenn überhaupt, in aller Regel unverhältnismäßig milde geahndet würden).

    Jedes, wirklich jedes Maß und Ziel verloren.

    Auf Sicht wird man solche Leute hart stoppen müssen. Die Reaktion der Ausschussvorsitzenden ist sehr zu begrüßen, auch der Hinweis auf das eigene rechtliche Risiko ist sehr gut.

    Noch besser natürlich die klaren Formulierungen seitens Doña Carmen.

  2. Wenn ich Chantal Freys Schilderungen so lese, fallen mir nur noch zynische Kommentare angesichts ihrer abstrusen Behauptungen ein.

    Und die Befürworter eines Nordischen Modells zur Verhinderung von Prostitution tun sich sicherlich keine Freude damit, das netzwerkBplus in ihren Reihen zu halten – zumal dessen Stellungnahme komplett vom eigentlichen Thema wegführt.

    Ganz gleich, wie man zur Regulation von Prostitution stehen mag.

  3. @Udo Endruscheit:

    Eine Verleumdungsklage von Cruise, Pavarotti, Blair o.a. gegen Frau Frei wäre sicher interessant.

  4. Das Dokument wurde inzwischen von der Bundestagsseite komplett entfernt. Also auch das PDF aus der Datenbank gelöscht. Vielleicht bietet es sich zukünftig an, generell eine Sicherung auf archive.org anzulegen (https://web.archive.org -> Save Page).

    Die Seite von NetzwerkB habe ich vorsichtshalber mal gesichert.

    Ansonsten wieder typisch wo sich der Verein so herumtreibt und Erwähnung findet:

    https://beauftragte-missbrauch.de/fileadmin/user_upload/Publikation_-_Abschlussberichte/Abschlussbericht-der-Unabhaengigen-Beauftragten-zur-Aufarbeitung-des-sexuellen-Kindesmissbrauchs.pdf

    Die Damen aus folgendem Artikel hat auch mit NetzwerkB zu tun: https://archive.ph/AJ63v

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