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Rituelle Gewalt-Mind Control: Eine Verschwörungsideologie bedroht wissenschaftlich fundierte Standards

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In der Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform ist ein Artikel erschienen, der fachlich fundiert die Problematik der „Satanic Panic“-Verschwörungsideologie beleuchtet – und die Folgen für tatsächliche Opfer von Sexualdelikten mitdenkt.

Die Autoren Prof. Susanna Niehaus (Hochschule Luzern) und Prof. Andreas Krause (University of Applied Sciences and Arts Northwestern Switzerland) sehen die Errungenschaften der wissenschaftlich fundierten Glaubwürdigkeitsbeurteilung in Strafprozessen durch fünf aktuelle Entwicklungen in Gefahr.

Darunter subsummieren sie auch

  • die Leugnung des Phänomens der falschen Erinnerungen
  • die Verschwörungserzählung von der Gedankenkontrolle durch gezielte Persönlichkeitsspaltung und Kontrolle von Persönlichkeitszuständen durch speziell geschulte Straftäter
  • die Unterwanderung der Wissenschaft durch das Irrationale („rituelle Gewalt und Mind Control“).

Die beiden Forscher kritisieren in ihrem Fachartikel die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) in Deutschland, die sich auf methodisch fragwürdige Studien wie die des renommierten Hamburger Sexualwissenschaftlers Peer Briken stützt:

Die Autoren [sind] so sehr in Bestätigungsprozessen verstrickt, dass ihnen die massiven methodischen Fehler nicht auffallen.

Ein weiterer kritischer Aspekt der Studie ist die Vermischung realer und fragwürdiger Phänomene. Wer sich im wissenschaftlichen Kontext mit organisierter Gewalt beschäftigt, sollte zwischen Phänomenen unterscheiden, die zweifelsfrei existieren (z. B. Kinderporno-Ringe, sexueller Missbrauch in der Kirche), und solchen Phänomenen, deren Existenz (z. B. satanische Täterkreise, die Kinder über gezielte Persönlichkeitsspaltung und Gedankenkontrolle fernsteuern) aus neutraler wissenschaftlicher Sicht nach dem aktuellen Stand des Wissens als unwahrscheinlich angesehen werden muss.

Das Rituelle Gewalt-Mind Control-Narrativ (RG-MC-Theorie) verweisen Niehaus/Krause ins Reich der Fabel:

Dass es Täter gibt, die ihre Opfer manipulieren, steht außer Frage, allerdings muss nach dem aktuellen Stand der Forschung die Behauptung, dass bestimmte Sexualstraftäter in der Lage seien, gezielt Persönlichkeitsspaltungen bei ihren Opfern hervorzurufen, um dann deren Persönlichkeitszustände gezielt zu steuern, als wissenschaftlich unhaltbar angesehen werden.

Es gibt weder eine wissenschaftliche Theorie darüber, wie dieses Konzept namens „Mind Control“ umgesetzt werden soll, noch ernsthafte empirische Belege für eine solche psychologische Technik […] Der Mangel an Beweisen wird wiederum durch eine perfekte Verschleierung dieser Verbrechen und eine Vernetzung einflussreicher Mitglieder von Polizei, Justiz und Politik erklärt.

Auch Tschan weist darauf hin, dass mutmaßliche Fälle nicht verfolgt und registriert werden, da rituelle Gewalt kein konkreter Straftatbestand sei. Diese Argumentation ist insofern unverständlich, als regelmäßig behauptete Taten wie Vergewaltigung, Mord und Entführung in diesem Zusammenhang selbstverständlich strafbar wären, strafrechtlich verfolgt würden und daher auch in ihrem Kontext dokumentiert werden müssten.

Niehaus/Krause sehen hier „deutliche Merkmale einer Verschwörungserzählung“.

Ihr Fazit:

Es bleibt abzuwarten, ob Deutschlands Politiker bereit sind, rechtzeitig vor neuen Justizkatastrophen zu einem angemessenen Maß an Rationalität zurückzukehren.

Ein Interview zum Thema Falscherinnerungen mit Prof. Aileen Oeberst gibt’s im nächsten Skeptiker (3/2023), der Mitte Juni erscheint.

Zum Weiterlesen:

  • Threats to Scientifically Based Standards in Sex Offense Proceedings: Progress and the Interests of Alleged Victims in Jeopardy, degruyter am 31. Mai 2023
  • Kortizes-Vortragsvideo: „Falsche Erinnerungen und ihre Folgen“ mit Aileen Oeberst, GWUP-Blog am 12. Mai 2023
  • Alptraum Heilpraktiker-Schule: Falsche Erinnerungen an Missbrauch in der Familie, GWUP-Blog am 9. Mai 2023
  • Replicating a classic false memory study: Lost in the mall again, skeptic.org am 10. Mai 2023
  • „Der Fall Nathalie“: Wie sich ein angeblicher ritueller Missbrauch als Satanic Panic herausstellte, GWUP-Blog am 12. November 2022
  • „Satanistisch-ritueller“ Missbrauch: Die Beweisfrage wird einfach weggelächelt, GWUP-Blog am 14. April 2023

8 Kommentare

  1. Ich habe ein Problem mit der Unterscheidung von zwei Aussagen, die hier getroffen werden, da ich in den Aussagen einen Widerspruch sehe. Vielleicht sind auch meine Begriffsvorstellungen nicht sauber genug. Vielleicht wäre jemand so nett und könnte mir aus wissenschaftlicher Sicht weiterhelfen?

    Auf der einen Seite steht die Aussage „Mind Control“, d.h. „gezielt Persönlichkeitsspaltungen bei […] Opfern hervorzurufen, um dann deren Persönlichkeitszustände gezielt zu steuern“, funktioniert nicht.

    Auf der anderen Seite steht aber das „Phänomen der falschen Erinnerungen“.

    Mir ist klar, dass eine Persönlichkeitspaltung etwas anderes ist als eine Erinnerung. Was mich irritiert ist, dass es auf der einen Seite nicht möglich sein soll, einen Menschen psychologisch zu beeinflussen, auf der anderen Seite aber schon. Worin besteht den der Unterschied in der Beeinflussung, die da ausgeführt wird?

    Ich versuche es mir so plausibel zu machen, dass „Mind Control“ oder „Gehirnwäsche“ von einer behaupteten Beeinflussung *gegen* den Willen des Menschen „funktionieren“ soll, aber „falsche Erinnerungen“ *mit* dem Willen des Menschen erzeugt werden, d.h. die neuen Erinnerungen werden akzeptiert, weil sie z.B. (u.a.) eine leichte plausible Erklärung für die psychologischen Probleme liefern.

    Aber so ganz zufrieden bin ich damit noch nicht.

    Wenn von extern neue Erinnerungen „erzeugt“ werden können, kann man dann alte Erinnerungen nicht auch weg- oder umdeuten, in dem zusätzliche Erinnerungen erzeugt werden?

    Und kann man das ( == Gaslighting?) nicht so weit treiben, dass der so Behandelte einen Weg finden muss, mit widersprüchlichen Erinnerungen fertig zu werden? Das wäre dann wohl wieder *mit* dem Willen des Menschen.

    Dankbar für Antworten:
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  2. „Mind Control“ wird von Anhänger*innen der Satanic Panic in einem ganz bestimmten Sinn verstanden, der weit über falsche Erinnerungen hinaus geht.

    In der entsprechenden Literatur finden sich Beispiele, die oft so aussehen: Ein Mensch, der per Mind Control „programmiert“ wurde, bekommt z.B. per Telefon ein Triggerwort zugespielt. Das bewirkt, dass die Person sofort alles stehen und liegen lässt und sich völlig willenlos an einen geheimen Ort begibt, wo sie an einem Ritual teilnimmt, bei dem es womöglich zu Mord und Kannibalismus kommt.

    Hinterher geht die Person nach Hause, kann sich an nichts erinnern und nimmt einfach ihr Alltagsleben wieder auf.

    So etwas hat wenig Ähnlichkeit mit dem, was über Manipulation und Indoktrinierung bekannt ist. Es wird letztlich behauptet, man könne Menschen in perfekt funktionierende, willenlose Maschinen verwandeln. Es ist Science Fiction.

    Ich stimme zu, dass man nicht ins gegenteilige Extrem verfallen darf. Natürlich ist es möglich, Menschen zu manipulieren und in psychischer Unselbständigkeit zu halten.

    Was aber nicht heißt, dass nach außen hin völlig normal funktionierende Menschen per Knopfdruck in Killermaschinen verwandelt werden können.

  3. Die Schweizer wieder …

    Veröffentlicht am 14.06.2023

    Glaube an Teufel: Verschwörung verbreitet sich im Berner Oberland

    https://www.srf.ch/news/schweiz/satanic-panic-glaube-an-teufel-verschwoerung-verbreitet-sich-im-berner-oberland

    Satanic Panic – im Teufelskreis. Folge 1

    https://www.srf.ch/audio/news-plus-hintergruende/satanic-panic-im-teufelskreis-folge-1?id=12402487 

  4. Zum Weinen, zum Lachen oder auch nur zum Schmunzeln …

    Ku-Klux-Was?
    Rituelle Gewalt in Deutschland – (K)Ein Thema für die Gesellschaft, (k)ein Thema für die Polizei!?
    https://www.kriminalpolizei.de/weitere-rubriken/kriminalitaetsphaenomene/detailansicht-kriminalitaetsphaenomene/artikel/ku-klux-was.html

    Ein Datum steht leider nicht dabei, die Wayback-Machine sagt May, 2021

  5. @Sebastian:

    Der Artikel ist von 2013, Autor und Beitrag sind berüchtigt.

  6. @Bernd Harder

    Vielen Dank für den Hinweis! Habe jetzt auch die Ausgabe ausfindig machen können.

    Ausgabe 01/2013

  7. Denn sie wissen (nicht), was sie tun: Die Hamburger ORG-Studien über Mind Control, gezielte Persönlichkeitsaufspaltungen und induzierte Amnesien.

    Eine Replik auf die Kritik von Schröder et al. (2023)

    https://www.researchgate.net/publication/375742751_Denn_sie_wissen_nicht_was_sie_tun_Die_Hamburger_ORG-Studien_uber_Mind_Control_gezielte_Personlichkeitsaufspaltungen_und_induzierte_Amnesien_Eine_Replik_auf_die_Kritik_von_Schroder_et_al_2023

  8. Gibt wohl schon eine ausführlichere Replik … ist im Volltext fünf Seiten länger

    Denn sie wissen (nicht), was sie tun: Die Hamburger ORG-Studien über Mind Control, gezielte Persönlichkeitsaufspaltungen und induzierte Amnesien. Die ausführlichere Replik auf die Kritik von Schröder et al. (2023)

    https://www.researchgate.net/publication/375742785_Denn_sie_wissen_nicht_was_sie_tun_Die_Hamburger_ORG-Studien_uber_Mind_Control_gezielte_Personlichkeitsaufspaltungen_und_induzierte_Amnesien_Die_ausfuhrlichere_Replik_auf_die_Kritik_von_Schroder_et_al_

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