Für die Studie
Demokratievertrauen in Krisenzeiten
hat die Friedrich Ebert Stiftung auch Zahlen zum Verschwörungsglauben erhoben:
Alle fünf in dieser Studie abgefragten Verschwörungserzählungen (zu den Themen Klimawandel, Coronapandemie und Ukrainekrieg) lehnt jeweils eine Mehrheit der Befragten ab.
Dennoch stimmen 54 Prozent der Deutschen im Sommer 2022 mindestens einer der Aussagen zu und mehr als ein Drittel glaubt an mindestens zwei der abgefragten Verschwörungserzählungen.
Der Anteil der Befragten, die allen fünf Aussagen zum Verschwörungsdenken zustimmen, ist mit vier Prozent jedoch äußerst gering.
Die rund 25 Prozent Zustimmung zu der Aussage, dass Wissenschaftler die Risiken des Klimawandels absichtlich übertreiben würden, decken sich praktisch mit einer aktuellen Erhebung von Statista und YouGov, wonach ein Viertel der befragten Bundesbürger nicht daran glaubt, dass primär die Menschheit an der Erderwärmung Schuld trägt:
Auch die übrigen Zahlen sind vergleichbar mit früheren Umfragen, etwa:
- Corona ist eine Biowaffe (FES: 18 Prozent, COSMO: 17 Prozent)
- Corona wird übertrieben, um bestimmte Ziele zu erreichen (FES: 36 Prozent, Allensbach: 27 Prozent)
- Ukraine-Verschwörungsmythen (FES: 30 Prozent, CeMAS: bis zu 30 Prozent)
Auch die Ergebnisse zur Parteipräferenz entsprechen dem, was wir 2022 hier schrieben:
Befragte, die sich links außen platzieren, glauben häufiger an die abgefragten Verschwörungserzählungen als Befragte, die sich leicht links der Mitte positionieren. Unter Befragten, die sich selbst am rechten Rand des politischen Spektrums einordnen, ist das Verschwörungsdenken am meisten verbreitet […]
Der Zusammenhang zwischen Verschwörungsdenken und Selbstpositionierung auf der
Links-rechts-Achse [bildet] eine hockeyschlägerförmige Verteilung ab: Verschwörungsdenken ist umso stärker verbreitet, je weiter sich die Befragten am rechten Rand des politischen Spektrums verorten.
Wenig überraschend zeigen die Daten einen negativen Zusammenhang zwischen politischem Vertrauen und pandemiebezogenem Verschwörungsdenken:
Der Effekt wirkt in beide Richtungen. Misstrauen in die politischen Institutionen kann einerseits eine Ursache für eine größere Anfälligkeit für Verschwörungserzählungen sein. Andererseits schmälert der Glaube an die Verwicklung der Regierung in eine Verschwörung das Vertrauen in die politischen Eliten und Institutionen.
Ebenfalls keine Überraschung:
Zwei Drittel der Verschwörungsgläubigen sind mit dem Funktionieren der Demokratie unzufrieden (im Rest der Bevölkerung sind es nur 26 Prozent).
Die Zufriedenheit wird dabei stark durch den wirtschaftlichen und politischen Output beeinflusst. In diese Richtung weist, dass viele Verschwörungsgläubige beispielsweise mit der Coronapolitik unzufrieden waren oder einen ambitionierten Klimaschutz ablehnen.
Darüber hinaus besteht ein Zusammenhang mit dem präferierten Demokratiemodell: Lediglich26 16 Prozent der Befragten, die an mindestens eine der fünf abgefragten Verschwörungserzählungen glauben, nennen bei der Frage, wer am besten über Gesetze entscheiden sollte, „gewählte Abgeordnete und Regierungsvertreter“. Demgegenüber bevorzugen 38 Prozent der Befragten, die keiner der abgefragten Verschwörungserzählungen zustimmen, die repräsentative Demokratie.
Werden die politischen Eliten als Teil einer Verschwörung gesehen, ist die Ablehnung der repräsentativen Demokratie und ihrer gewählten Vertreter_innen eine plausible Reaktion […] Beinahe 80 Prozent der Befragten, die an mindestens eine Verschwörungserzählung glauben, befürworten eine Vetoinitiative nach Schweizer Vorbild (im Rest der Bevölkerung sind es knapp unter 50 Prozent).
Weitere Erkenntnisse aus dieser Studie:
- Verschwörungsgläubige haben eine geringe politische Selbstwirksamkeit; direktdemokratische Verfahren werden also möglicherweise bevorzugt, weil sie diese stärken können.
- Ein höheres Alter sowie eine höhere formale Bildung hemmen den Glauben an pandemiebezogene Verschwörungserzählungen. Personen, die Probleme haben, ihre laufenden Ausgaben zu decken, weisen dagegen eine höhere Anfälligkeit auf.
- Pandemiebezogenes Verschwörungsdenken ist unter Ungeimpften stärker verbreitet als unter Geimpften.
- Misstrauen gegen die politischen Institutionen geht mit einer negativen Haltung gegenüber der Wissenschaft einher.
Das Fazit der Autoren:
Die Verteidiger_innen der Demokratie [müssen] lernen, wie man mit Verschwörungsnarrativen umgeht und ihnen möglichst effektvoll entgegentritt.
Zum Weiterlesen:
- Demokratie in der Krise? Belltower News am 26. April 2023
- Gemeinsamkeiten von Populisten und Verschwörungsanhängern erforscht: Wie Misstrauen der Gesellschaft schadet, hpd am 26. April 2023
- Corona-Verschwörungsmythen sind praktisch unabhängig vom konkreten Pandemie-Verlauf, GWUP-Blog am 12. Oktober 2021
- Verschwörungsmentalität und politische Orientierung, GWUP-Blog am 27. Juli 2022
- Verschwörungsglaube und sozioökonomische Faktoren, GWUP-Blog am 27. Juli 2022
- Studie: Der Glaube an Verschwörungstheorien hat nicht zugenommen, GWUP-Blog am 22. Juli 2022
- Repräsentative Umfrage: 20 Prozent der Bundesbürger glauben an Corona-Verschwörungsmythen, GWUP-Blog am 28. Mai 2020
- COSMO-Studie: Verschwörungsdenken
- Das halten die Deutschen von Verschwörungsmythen, statista am 14. September 2020
- Klimawandelskepsis in Deutschland, statista am 29. März 2023
- Neue Studie: Kritisches Denken gegen Verschwörungsglauben, GWUP-Blog am 17. April 2023