gwup | die skeptiker

… denken kritisch seit 1987.

Verschwörungsglaube und sozioökonomische Faktoren

| 7 Kommentare

Einen viel zu selten beachteten Aspekt des Verschwörungsglaubens bringt Prof. Roland Imhoff am Ende des In-Mind-Videos vor, das wir hier vorgestellt haben:

Dass es nicht bloß sozio-politische Gründe und „epistemische Laster“ gibt, die Menschen an Verschwörungstheorien glauben lassen – sondern auch ganz handfeste sozioökonomische Faktoren:

Eine Gesellschaft, die sich damit zufriedengibt, kontinuierlich Gewinner auf der einen und Verlierer auf der anderen Seite zu produzieren und manchen Menschen das Gefühl reduzierter Kontrolle vermittelt, die muss sich nicht wundern, wenn einige davon gewissermaßen am sozialen Klebstoff der Gesellschaft – nämlich dem Vertrauen in transparente und nachvollziehbare Entscheidungsfindungen – zu zweifeln anfangen.

Imhoff zufolge existieren Zusammenhänge zwischen

… wahrgenommener sozialer Ungleichheit, Machtlosigkeit, eigener ökonomischer Marginalisierung, Arbeitslosigkeit

und verstärktem Verschwörungsglauben.

Es gebe aus vielen Richtungen Hinweise darauf, dass eine zunehmende sozioökonomische Ungleichheit gewiss nicht dazu geeignet sei, Verschwörungsglauben zu reduzieren.

Ein aktueller Hinweis kommt aus den Niederlanden. Eine Studie von Ökologen, Neurobiologen, Psychologen und Sozialwissenschaftlern zeigt, dass Stress die Rigidität konspirologischer Überzeugungen erhöht:

Wenn wir psychiatrische Störungen, Vorurteile und Verschwörungstheorien bekämpfen wollen, müssen wir den sozialen Stress reduzieren, der mit der Unsicherheit über so wesentliche Faktoren wie Arbeit und Einkommen einhergeht,

schreibt der Hauptautor Prof. Marten Scheffer von der Universität Wageningen.

Das Portal Psylex kommentiert:

Daher könnten Maßnahmen zur Verringerung des sozialen Stresses – ein Grundeinkommen oder ein besserer Arbeitsplatzschutz – der wirksamste Ansatz zur Bekämpfung von Problemen wie Depression, Psychose, Diskriminierung und Verschwörungstheorien sein.

Das bedeutet nicht, Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben und sich im schlimmsten Fall immer weiter radikalisieren, als reine „Opfer der Umstände“ abzutun, warnen Nocun/Lamberty in ihrem Buch „Fake Facts“:

Selbst in einer perfekten Gesellschaft würde es stets auch Menschen geben, die überall böse Mächte am Werk sehen.

Aber es ist, neben der faktischen Widerlegung von Verschwörungstheorien und dem empathischen Verständnis für Verschwörungsgläubige, eine weitere Option, um das Problem anzugehen.

Zum Weiterlesen:

  • Warum Verschwörungstheorien/psychische Störungen in Krisenzeiten kulminieren, psylex am 25. Juli 2022
  • Verschwörungsmentalität und politische Orientierung, GWUP-Blog am 27. Juli 2022
  • Individualisierung, Einsamkeit und Verschwörungstheorien, Gesundheits-Check am 26. Mai 2022

7 Kommentare

  1. Vorab in der ZDF-Mediathek eine dreiteilige Doku zu aktuellen Verschwörungserzählungen (Plandemie, Great Reset, QAnon):

    https://www.zdf.de/dokumentation/zdfinfo-doku/verschwoerungswelten-plandemie-100.html

    Sendetag ist der 3.8.

  2. Die niederländische Studie hat es jetzt auch in die Zeit geschafft:

    Die drei Niederländer und die Kanadierin, allesamt dekoriert in ihren Disziplinen, entwickeln in ihrem PNAS-Aufsatz Hypothesen, wie sich eine Gesellschaft dagegen wappnen könnte, dass zu viele ihrer Mitglieder in Überzeugungsfallen tappen.

    Eine interessante Indizienkette im Artikel geht zum Beispiel so: Weil wirtschaftliche Not Stress erzeugt und Menschen unter Stress besonders anfällig für Schwarz-Weiß-Denken sind und Menschen mit ausgeprägtem Schwarz-Weiß-Denken besonders robusten, destruktiven Überzeugungen anhängen und sie nicht mehr mit Argumenten zu erreichen sind, könne etwa das bedingungslose Grundeinkommen dabei helfen, diesen Prozess zu stoppen, noch ehe er beginnt.

    Denn, so weiß man aus Studien: Das bedingungslose Grundeinkommen kann bei seinen Empfängern Stress lindern. Anders gesagt: mit Geld gegen Chemtrails, mit dem warmen Schoß des Sozialstaats gegen die Zersetzung der Demokratie.

    Völlig abwegig klingt die interdisziplinär entwickelte Idee nicht. Vor allem aber regt sie dazu an, über den Kampf gegen Verschwörungstheorien in der ja gern als „postfaktisch“ bezeichneten Gegenwart neu nachzudenken.

  3. „Das bedingungslose Grundeinkommen kann bei seinen Empfängern Stress lindern.“
    Und bei den Zahlern Stress verursachen.

  4. @uwe hauptschueler

    Darüber, ob das bedingungslose Grundeinkommen funktionieren würde, kann man sicherlich diskutieren, aber da bei den meisten Konzepten JEDE/R Bürger/in davon profitieren soll, läuft Ihr Einwand ins Leere.

    @Bernd Harder

    Mehr oder minder passend zum Thema:

    https://www.boeckler.de/de/faust-detail.htm?sync_id=HBS-008256

  5. @Bluesmaker
    Darüber, ob alternative Medizin funktionieren würde, kann man sicherlich diskutieren, aber da bei den meisten Konzepten JEDE/R Bürger/in davon profitieren soll, läuft Ihr Einwand ins Leere.
    Wunschvorstellungen bringen kein Perpetuum Mobile ans laufen.

  6. @uwe Hauptschueler/Bluesmaker:

    Das Thema „bedingsloses Grundeinkommen“ ist sehr interessant – aber kein GWUP-Thema.

    Beide Positionen lassen sich begründen, deshalb scheint mir eine weitere Debatte des Themas hier an dieser Stelle wenig sinnvoll.

  7. Kompetenzrunde zu den verschiedenen Hintergrund-Aspekten, bis hin zur Sphäre der Religionsphilosophie

    https://youtu.be/j-OR4Bio_LU

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.