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Video: „Verschwörungstheorien professionell analysieren“ jetzt bei Youtube und GWUP 2.0

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Neues Video im Youtube-Kanal der GWUP:

Nikil Mukerji sprach mit dem Philosophen Andreas Edmüller von der LMU München über sein Buch

Verschwörungsspinner oder seriöser Aufklärer? Wie man Verschwörungstheorien professionell analysiert

Das besondere an dem Buch: die Methodik. Während sich die meisten Bücher dem Thema Verschwörungstheorien aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive nähern, greift Edmüller auf einen dezidiert wissenschaftstheoretischen Ansatz zurück. In diesem ersten Teil seines Gesprächs mit Nikil Mukerji erläutert er die Eckpunkte.

Teil 2 und Teil 3 des Gesprächs sind bereits im Skeptischen Netzwerk (GWUP 2.0) erschienen, das allen Interessierten offen steht.

Vertiefend veröffentlichen wir nachstehend das Interview mit Andreas Edmüller, das wir für den Skeptiker (1/2022) geführt haben.

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GWUP: Verschwörungsmythos, -erzählung, -ideologie, -narrativ: Diese und weitere Begriffe sind in den letzten zwei Jahren vorgeschlagen worden, um von „Verschwörungstheorie“ wegzukommen. Sie halten nicht nur an dem Wort fest, sondern plädieren auch dafür, eine Verschwörungstheorie mit dem üblichen wissenschaftstheoretischen Instrumentarium zu prüfen.

Edmüller: Ja, mich stört, dass praktisch jeder, der etwas zum Thema Verschwörungstheorien schreibt, sich eigene Begriffe ausdenkt. Da blickt doch keiner mehr durch.

Als Philosoph mit dem Hintergrund Logik/Wissenschaftstheorie lege ich sehr großen Wert auf klare Begrifflichkeiten. Gerade deswegen sehe ich keinen Grund dafür, „Verschwörungstheorie“ durch etwas anderes zu ersetzen. Behalten wir doch den Begriff bei – und prüfen einfach fallweise nach, ob es sich um eine „gute“ oder „schlechte“ Theorie handelt, ob sie haltbar ist oder nicht – oder ob es sich um eine Pseudotheorie handelt.

Dafür haben wir verschiedene Kriterien, die wir ziemlich erfolgreich in der Wissenschaft und auch im Alltag einsetzen.

Die Hauptargumente für einen anderen Begriff sind zum einen, dass eine Verschwörungstheorie sich der Nachprüfbarkeit entziehe und zum anderen, dass bei Nutzung des Theoriebegriffs jede noch so verrückte Idee als Theorie aufgewertet werde.

Es ist natürlich richtig, dass nicht jedes Sammelsurium von Aussagen, Anekdoten und Vermutungen den Namen „Theorie“ verdient. Ein ernstzunehmender Theorievorschlag muss bestimmte Mindestanforderungen erfüllen. Das gilt auch für eine Verschwörungstheorie.

Was wir brauchen, um die Qualität einer Verschwörungstheorie sinnvoll zu diskutieren und angemessen zu beurteilen, ist also eine Liste von Kriterien, auf die wir uns einigen können. Damit haben wir alles beisammen und benötigen keine neue Terminologie, mit der schon von vornherein festgelegt werden soll, ob eine Verschwörungstheorie richtig oder falsch ist.

Übrigens: Falsche oder sogar „verrückte Ideen“ haben wir in der Wissenschaft genauso – nehmen Sie zum Beispiel die Äthertheorie in der Physik oder die Impetustheorie zur Erklärung der Bewegung von Körpern. Und im Bereich der aktuellen Genderforschung wird man auch leicht fündig.

Die Wissenschaftsgeschichte ist voll von respektablen Theorien, die über Dinge reden, die es gar nicht gibt. Und leider gibt es auch immer wieder ziemlich windige Beiträge.

Bei den Bestrebungen, „Verschwörungstheorie“ durch etwas anderes zu ersetzen, nehme ich zumindest keine breite Übereinkunft wahr. Wie steht umgekehrt die Chance, dass wir uns auf Ihre Kriterien zur Beurteilung einer Verschwörungstheorie unter Beibehaltung des Begriffs tatsächlich einigen können?

Das haben wir doch bereits.

Der gemeinsame Bestand an Kriterien zur Qualitätsbeurteilung von Theorien und Hypothesen stammt aus der Philosophie beziehungsweise Wissenschaftstheorie und ist relativ unstrittig.

Im Buch fassen Sie das so zusammen:

„Ein Theorievorschlag sollte aus einem klar formulierten Theoriekern zusammen mit Daten, Belegen und Beobachtungen zu überzeugenden Muster-Erklärungen führen Diese sollten die Fragestellung der Theorie abdecken, präzisieren, erweitern. Dabei werden in aller Regel zusätzliche Hilfs- und Beobachtungstheorien eine wichtige Rolle spielen; kaum eine Theorie kann autonom entwickelt werden. Schließlich sollte jede Theorie die noch unbeantworteten und für ihren Erfolg wichtigen Fragen markieren.“

Genau.

Hätten Darwins Zeitgenossen seine Veröffentlichungen nach diesem Schema nüchtern und rational geprüft – Kann man den Theorievorschlag guten Gewissens als Theorie einstufen? Verfügt er über eine sinnvolle Fragestellung, qualitativ hochwertige Daten, einen Theoriekern mit Muster-Erklärungen, akzeptable Hilfs- und Beobachtungstheorien? Führt er zu relevanten Fragestellungen? –, dann hätte es nicht so lange gedauert, bis sich Darwins Evolutionstheorie durchsetzen konnte.

Denken Sie in diesem Zusammenhang bitte auch an kluge Köpfe wie Semmelweis, dessen Vorschläge viel zu lange aus irrationalen Motiven heraus ignoriert wurden.

Und dieses Verfahren wenden Sie nun auch auf Verschwörungstheorien an. In Ihrem Buch konkret auf Watergate als Beispiel für eine „zutreffende und erkenntnistheoretisch respektable Verschwörungstheorie“, Chemtrails als nicht haltbare und auch erkenntnistheoretisch nicht respektable Verschwörungstheorie und QAnon als „Verschwörungsmärchen, das selbst bei maximaler Nachsicht nicht als sinnvoller Theorievorschlag eingestuft werden kann“.

Eigentlich ist das doch das Einfachste, was jeder machen kann. In 30, 40 Minuten sollte man damit jede Verschwörungstheorie einer Prüfung unterziehen können:

Haben wir es überhaupt mit einer Theorie zu tun? Und wenn ja, ist sie haltbar oder nicht haltbar? Zur Qualitätseinschätzung tragen beispielsweise diese Fragen bei: Stagniert die Theorie oder kann sie immer neue Phänomene integrieren? Welche Hilfs- und Zusatzannahmen braucht die Theorie, um zu funktionieren? Wie passt sie zu anderen Erkenntnissen, mit denen wir seit langem gut arbeiten? Wie schneidet der Theorievorschlag im Vergleich mit anderen Theorien ab?

Und ganz wichtig: Können wir mit dieser neuen Theorie erfolgreich arbeiten, hilft sie uns, die Welt besser zu verstehen? Liefert sie zutreffende Vorhersagen?

Daran scheitert zum Beispiel die Chemtrail-Theorie, denn sie würde unter anderem voraussetzen, dass die herkömmliche Meteorologie die Verschiedenheit von Gestalt, Länge und Lebensdauer der beobachteten Streifen am Himmel nicht erklären kann. Bei QAnon wiederum fehlt nicht nur eine sinnvolle theoretische Fragestellung, sondern auch ein verbindlicher theoretischer Kern.

Dieses Bündel an Kriterien hilft uns dabei, zwischen einer respektablen und einer nicht akzeptablen Verschwörungstheorie zu unterscheiden – und Pseudotheorien zu erkennen.

Geht das auch kürzer als in den besagten 30 oder 40 Minuten?

Klar, zur Ersteinschätzung von Verschwörungstheorien können wir den gesunden Hausverstand, unsere Lebenserfahrung und Menschenkenntnis heranziehen. Wichtig ist, dass das nur ein Schnelltest ist – keine endgültige Festlegung, ob die Behauptung wahr oder falsch ist.

Im Kern geht es dabei um die Begründungslast. Denn wer uns von etwas überzeugen möchte, muss dafür gute Gründe anbieten. Und je unwahrscheinlicher das ist, wovon wir überzeugt werden sollen, desto stärker müssen diese Gründe sein. Schnell misstrauisch werden können wir bereits dann, wenn die Verschwörungstheorie dem widerspricht, was ich die „Goldenen Regeln für Verschwörer“ nenne.

Dazu gehört zum Beispiel, dass der Kreis der Verschwörer und Mitwisser so klein wie möglich gehalten werden und sehr schwer zu infiltrieren sein sollte. Außerdem erfordert erfolgreiches Handeln von Verschwörern eine straffe Koordination und hohe Disziplin aller Beteiligten.

Angewendet auf die drei Beispiele, die sich durch Ihr Buch ziehen, kommt man mit diesem Plausibilitätscheck rasch zu einer Einschätzung. Demnach ist die Chemtrail-Theorie unter anderem deswegen unplausibel, weil sie enorm viele Mitwisser und Mittäter haben müsste und dieser Personenkreis leicht zu infiltrieren wäre.

Das Gleiche gilt für QAnon: Warum gibt es bis heute kein Whistleblower, wieso wissen wir nichts über Pannen, die bei so einer komplexen Verschwörung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind? Watergate dagegen erscheint auch auf Basis der damals schon verfügbaren Daten nicht unplausibel, weil die Verschwörung von einer kleinen und gut organisierten Gruppe von Akteuren ausging, der auf Gesinnungstreue und Verschwiegenheit achtete.

Ja, wenn unser Gegenüber auf diese Faustregeln keine oder nur vage Antworten hat, dann brauchen wir uns mit seiner Theorie erst einmal nicht vertieft zu beschäftigen. Denn die Beweisleist liegt bei ihm – er muss viele gute und überzeugende Argumente für seine Behauptung liefern.

Diese Einsicht kann übrigens sehr entlastend sein für Menschen, die im Freundes- oder Bekanntenkreis mit Verschwörungstheorien konfrontiert werden. Oft will man reflexhaft widersprechen.

Besser ist es, nach einem Schnellcheck auf die Schwächen der vorgetragenen Thesen hinzuweisen und erst einmal weitere, stärkere Argumente dafür einzufordern.

Zum praktischen Nutzen Ihrer Anleitung für den Umgang mit Verschwörungsgläubigen wäre ich noch gekommen.

Damit sind wir eigentlich schon beim zweiten Band, der im Sommer erscheint. Das aktuelle Buch beschäftigt sich mit der professionellen argumentativen Analyse von Verschwörungstheorien. Das deckt aber noch nicht das gesamte Spektrum des Phänomens ab.

In der Fortsetzung geht es dann um die Frage, wie man mit Menschen diskutiert, die ernsthaft an unhaltbare Verschwörungstheorien und Verschwörungsmärchen glauben.

Können Sie schon ein paar Tipps geben?

Ich würde zunächst die beiden Ebenen voneinander trennen: Wie sieht die rationale Bewertung einer Verschwörungstheorie aus? Und wie setze ich diese Erkenntnisse in einem persönlichen Gespräch ein?

Die GWUP hat als Adressaten ja nicht in erster Linie den verschwörungsgläubigen Onkel beim Familiengeburtstag, sondern die breite Öffentlichkeit – und da vor allem die Unentschiedenen, die sich sachlich darüber informieren möchten, was es mit dieser oder jener Behauptung auf sich hat. In diesem Umfeld und für diesen Zweck ist es richtig, möglichst gute, belastbare Argumente zur Verfügung zu stellen.

Im persönlichen Gespräch mit einem Verschwörungsgläubigen hilft Argumentieren in der Regel aber überhaupt nicht weiter. Da würde ich eher in Ruhe zuhören, Fragen stellen – und mich auf so ein Gespräch vorbereiten. Das aktuelle Buch mit seinen Checklisten und kritischen Leitfragen ist dafür gedacht.

Das Ziel kann allerdings nicht sein, den anderen zu überzeugen. Wir können nur Denkanstöße geben und einen möglichen Sinneswandel unseres Gesprächspartners mit einem Fragenraster unterstützen. Dabei sollte man sich darüber im Klaren sein, wie wichtig einem dieser Mensch ist und wieviel Zeit und Aufwand man zu investieren bereit ist.

Wenn man derzeit mit Verschwörungsgläubigen ins Gespräch kommt, online oder Reallife, bekommt man um die Ohren gehauen, dass „alle“ Verschwörungstheorien, die seit Beginn der Corona-Pandemie kursieren, wahr geworden seien. Auf Nachfrage kommt dann unweigerlich: „die Impfpflicht“. Was ist denn an einer, wohlwollend formuliert, falschen Einschätzung der freiwilligen Impfbereitschaft, die dann aufgrund der Faktenlage revidiert wird, eine „wahre Verschwörungstheorie“?

Dass das Unsinn ist beziehungsweise eine willkürliche Begriffsaneignung – dafür braucht man ja nicht einmal einen Schnellcheck.

Ja, Sie haben vollkommen recht, aber daran wird weder mein Buch noch Ihr Blog oder die GWUP oder sonst jemand etwas ändern.

Woran wir arbeiten müssen, ist die gesellschaftliche Argumentationskultur. Die Standards für das, was als akzeptables Argument gilt und was nicht, müssen wieder nach oben gefahren werden – nachdem wir in den letzten Jahren einen drastischen Abbau hingenommen haben. Dafür tragen nach meiner Überzeugung wir eine Mitverantwortung, nicht nur die Homöopathen, Esoteriker und Verschwörungsgläubigen.

Mit „wir“ meine ich sowohl die Universitäten, die viel zu wenig tun, um ihren Wissensbestand und ihre Diskursformen in die Öffentlichkeit zu tragen, als auch uns Philosophen, die dazu prädestiniert wären, Pseudokram auseinanderzunehmen, und auch die Politik, die das ihrige dazu beiträgt, Vertrauen zu zerstören und Verschwörungsmärchen Vorschub zu leisten.

Wer Homöopathie finanziell fördert, muss sich doch nicht wundern, wenn Homöopathen gegen moderne Impfstoffe demonstrieren oder ein Problem mit dem Virusbegriff haben.

Sie sagten eingangs, dass Sie Wert auf klare Begrifflichkeiten legen. Ärgert Sie das, dass jedes gebrochene Politikerversprechen – wie etwa die Versicherung, es werde keine Corona-Impfpflicht geben – und jede Spekulation, die sich bewahrheitet hat, als „wahre Verschwörungstheorie“ bezeichnet wird? Mich jedenfalls macht das aggressiv.

Schauen Sie doch mal, wie unsere Politiker den Freiheitsbegriff oder den Begriff des Gemeinwohls verwenden, von ganz links bis ganz rechts: ohne näher zu bestimmen, was damit genau gemeint ist. Das ist der gleiche Schindluder, wie er mit dem Begriff Verschwörungstheorie betrieben wird.

Dass Menschen Worthülsen produzieren und mit ganz eigenen, emotional aufgeladenen Inhalten belegen, ist nichts, was spezifisch für Verschwörungstheorien wäre. Deshalb empfehle ich einen stoischen Ansatz. Ich muss niemanden davon überzeugen, dass er oder sie falsch liegt.

Ich bin schon froh, wenn ich die Leute auf die richtige Seite ziehen kann, die noch am Zweifeln sind.

Bislang habe ich mich auch dagegen verwahrt, die Watergate-Affäre eine Verschwörungstheorie zu nennen, die sich am Ende als wahr herausstellte. Denn warum sollte man den Anfangsverdacht zweier Journalisten als „Verschwörungstheorie“ bezeichnen? Ist das nicht die gleiche Begriffsverwirrung?

Warum nennen wir einen Verdacht nicht einfach „Verdacht“ und dessen Bestätigung einen aufgeklärten Fall anstatt „wahre Verschwörungstheorie“?

Erst einmal war das nichts weiter als ein Verdacht und keine Verschwörungstheorie, das ist richtig. Dieser Verdacht konnte aber akkumulativ zu einer Theorie ausgebaut werden – genauso wie in den Naturwissenschaften ein Forschungsansatz Theoriestatus erlangt.

Die Watergate-Theorie von Woodward und Bernstein wies relativ schnell einen theoretischen Kern auf sowie belastbare Verbindungen zwischen diesem Theoriekern und der Realität, also Mustererklärungen. Zudem entwickelte sich die Theorie dynamisch weiter.

Die wesentlichen Anforderungen an einen ernstzunehmenden Theorievorschlag waren mithin bald vorhanden.

Trotzdem widerstrebt es mir, gelernte Investigativjournalisten mit einer rationalen Methodik als Verschwörungstheoretiker zu bezeichnen.

Ich glaube, wir gehen immer noch von unterschiedlichen Definitionen aus.

Für mich ist ein Verschwörungstheoretiker schlicht und einfach jemand, der behauptet, dass bestimmte Ereignisse dadurch zu erklären sind, dass es einen Kreis von Menschen gibt, die sich abgesprochen haben, um im Geheimen ein festgelegtes Ziel zu erreichen. Und eine Verschwörungstheorie versucht, gewisse Phänomene, Ereignisse, Abläufe etc. durch das Handeln von Verschwörern zu erklären.

Deswegen betrachte ich zum Beispiel die Journalisten der Financial Times, die den Bilanzskandal bei Wirecard aufgedeckt haben, als Verschwörungstheoretiker. Und das, was bei Wirecard abgelaufen ist, als Verschwörung.

Ich würde dafür lieber konkrete analytische Begriffe verwenden, die den Sachverhalt in kriminologischer und juristischer Terminologie auf den Punkt bringen – statt eines Schlagworts wie „Verschwörungstheorie“.

Finden Sie nicht, dass man damit Youtube-Schwurbler, die etwas über die flache Erde erzählen auf- und echte Ermittler in realen Fällen abwertet?

Aber auch echte Ermittler in realen Fällen sprechen doch zum Beispiel von einer Mordtheorie, wenn sie von einem Mord ausgehen, oder von einer Unfalltheorie, wenn sie von einem Unfall ausgehen. Aktuell geht es zum Beispiel um die Laborunfalltheorie bei Corona. Eine Verschwörungstheorie ist nichts weiter als eine Theorie, die von einer Verschwörung ausgeht. In diesem neutralen Sinne verwende ich den Begriff.

Ob an der Verschwörungstheorie etwas dran ist, muss die Prüfung zeigen. Trotzdem verstehe ich natürlich Ihr Unbehagen. In der öffentlichen Debatte geht es mit dem Begriff „Verschwörungstheorie“ kreuz und quer durcheinander – bis hin zu Leuten, die sich aufs T-Shirt drucken lassen, dass sie stolz darauf seien, „Verschwörungstheoretiker“ genannt zu werden.

Ich denke, wir dürfen uns in dieser Frage nicht von unserem eigenen emotionalen Bedeutungsgeflecht leiten lassen. Insofern soll mein Vorschlag zur Klarheit und Versachlichung der Diskussion beitragen: indem wir an den Begriff ganz vorurteilsfrei herangehen und die Inhalte einer Verschwörungstheorie nüchtern und handfest bewerten, so wie in jedem anderen Theoriebereich auch. Warum sollten wir ausgerechnet auf dem Feld der Verschwörungstheorien davon abweichen?

Ich finde, wir hätten weniger Verwirrung, wenn wir bei dem blieben, was wir an gut verankerter Begrifflichkeit und erprobter Methodik haben.

Das mag sein, aber ein weiteres Problem ist, dass auch die – von der GWUP und vielen anderen Experten – geprüften und als falsch oder nicht respektabel zurückgewiesenen Verschwörungstheorien von deren Anhängern weiter aufrechterhalten und verbreitet werden. Allein mit argumentativer und begrifflicher Klarheit ist das anscheinend nicht zu lösen.

Nein, denn in der Tat orientieren sich nicht alle Beteiligten der Diskussion an Rationalitätsstandards und moralischen Werten. Auch darum geht es im zweiten Band.

Andererseits hat es immer schon Menschen gegeben, die immun gegen vernünftige Argumente sind, ganz unabhängig von Verschwörungstheorien. Die Esoterik etwa ist mittlerweile eine Milliardenindustrie und mit Horoskopen wird viel Geld gemacht. Ein gewisser Prozentsatz der Bevölkerung ist offenbar nicht willens oder in der Lage, sich einem rationalen Diskurs zu öffnen.

Aber ich habe den Eindruck, das werden weniger. Ich bin optimistisch, was die Aufklärung angeht. Wir stehen diesbezüglich wesentlich besser da als noch vor zwei Generationen.

Auf Ihrer Webseite liest man, dass auch Sie selbst schon öfter als Verschwörungstheoretiker bezeichnet worden sind.

Das ist richtig – und diese biografischen Erfahrungen waren auch mit ein Grund für das Buch.

Zum Beispiel war ich schon vor 25 Jahren davon überzeugt, dass im Internat der Benediktinerabtei Ettal Schüler misshandelt werden und unser Rechtsstaat beim Thema Kindesmissbrauch durch Priester nicht funktioniert. Wenn ich darüber mit Leuten sprach, hieß es immer: „Ach du mit deinen Verschwörungstheorien.“

Ich hätte auch niemals in Wirecard-Aktien investiert, weil mir die kritischen Artikel in der Financial Times von Anfang an sehr plausibel erschienen. Wir sollten also vorsichtig sein, Verschwörungstheorien grundsätzlich und von vornherein als Unfug abzutun. Auch Gustl Mollath kann davon ein Lied singen, der sich stets als Opfer einer Verschwörung bezeichnete, dem aber niemand glaubte und der mehr als sieben Jahre lang in der geschlossenen Psychiatrie saß.

Was spricht denn dagegen, erst mal eine systematische Analyse vorzunehmen, bevor man urteilt und die Wortkeule „Verschwörungstheorie“ schwingt? Das kostet nur ein wenig Zeit und Energie, und wenn dabei herauskommt, dass nichts dran ist, dann kann man die Theorie wenigstens begründet zurückweisen.

Ich bin einfach für ein offenes Herangehen. Dann hätten wir eine wesentlich ruhigere und sachlichere Argumentationskultur.

Zum Weiterlesen:

  • Andreas Edmüller: Verschwörungsspinner oder seriöser Aufklärer? Wie man Verschwörungstheorien professionell analysiert. Re Di Roma-Verlag 2021, 320 Seiten, 14,95 €
  • Der Verschwörungs-Check, Skeptiker 1/2022
  • Seriös oder Unfug? Wie man Verschwörungstheorien checkt, BR am 22. Dezember 2022
  • Rezension: Wie man Verschwörungstheorien professionell analysiert, hpd am 25. Januar 2022
  • Interview mit Andreas Edmüller, awq.de am 22. Mai 2022
  • Mythos, Erzählung, Ideologie? Oder nicht besser doch einfach „Verschwörungstheorie“? GWUP-Blog am 30. Dezember 2020
  • Das Unbehagen an dem Begriff „Verschwörungstheorie“, GWUP-Blog am 15. November 2021

4 Kommentare

  1. Meiner Ansicht nach würde das Framing, welches durch den Begriff Verschwörungsmythos und Verschwörungsmystiker entsteht mehr helfen, als alle Aufklärungsarbeit. Die Analysen werden von Menschen, die sich auf Telegram „informieren“ nie erreichen. Außerdem ist der Aufwand enorm. „Verschwörungsmythos“ verlagert den Aufwand aber auf die Verschwörungsmystiker. Die müssten es erstmal schaffen, den Mythos zur Theorie aufzuwerten.

  2. @ Semon

    Man sollte dabei aber bedenken, dass das Wort Theorie im „Volksmund“ anders verwendet/gewertet wird, als in der Wissenschaft.

    Die meisten, der „das ist ja nur eine Theorie“-Gruppe werden verständnislos den Kopf schütteln, wenn „wir“ uns darüber echauffieren, dass man mit dem Begriff Verschwörungstheorie jemandes wirres Gedankengut unnötig aufwertet.

  3. @RainerO:

    Eines meiner Hauptargumente, weswegen ich den Begriff weiterhin verwende (und auch für zutreffend und richtig halte).

  4. Vortrag zum Umgang mit Algorithmen:

    https://www.youtube.com/watch?v=UW51_GNrf0w

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