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Das Unbehagen an dem Begriff „Verschwörungstheorie“

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Bei Skeptics in the Pub Wien erklärte der Tübinger Kulturwissenschaftler Prof. Michael Butter noch einmal, warum er an dem Begriff „Verschwörungstheorie“ festhält. In der Zeit legte Butter vor einem Jahr seine Argumentation dar, der wir uns hier weitgehend anschlossen.

Dazwischen hat der Amerikanist seine Auffassung in einem Interview für die Broschüre

Zum kritischen Umgang mit Verschwörungstheorien

der Berghof Foundation bekräftigt (Seite 11 f.).

Darin macht Butter vier Gründe geltend:

  • In jeder Spra­che […] gebe es eine exakte Entsprechung zum Begriff „Verschwörungs­theorie“ oder „conspiracy theory“.

Nur in Deutschland aber wird über den Begriff diskutiert. Das bedeutet: Wer mit seiner Forschung international anschlussfähig sein möchte, sollte den international etablierten Begriff verwenden und nichts anderes.

  • Zweitens stimme das Argument nicht, dass der Begriff „Verschwörungstheorien“ die Anhän­ger*innen solcher Ideen aufwertet.

Ich kenne niemanden aus der Community, der diesen Begriff gut findet. Ganz im Gegenteil: Die Menschen fühlen sich dadurch stigmatisiert und abgewer­tet.

  • Drittens erfasse der Begriff „Verschwörungstheorie“ am besten, wie diese Gedankengebäude funktionieren.

Verschwörungstheorien und Alltags- oder wissenschaftliche Theorien haben auf einer formalen Ebene deutlich mehr gemeinsam, als uns vielleicht lieb ist. Wie andere Theorien auch versuchen Verschwörungstheorien, auf der Grundlage einer bestimmten Anzahl miteinander verknüpfter Annahmen Erkenntnisse über die Welt zu gewinnen. Es stimmt auch nicht, dass Verschwörungstheorien nicht falsifiziert werden können, wie oft behauptet wird.

  • Schließlich seien alle alternativ vorgeschlagenen Begriffe mehr oder weniger problematisch.

In der Neuerscheinung

Zwischen Wahn und Wahrheit: Wie Verschwörungstheorien und Fake News die Gesellschaft spalten

schreibt nun der österreichische Historiker und Didaktiker Claus Oberhauser über die „Genealogie eines problematischen Begriffs“.

Oberhauser konstatiert zunächst „ein Unbehagen“ hinsichtlich der Verwendung des Begriffs Verschwörungstheorie – „und manche sprechen sogar von einer Debatte“.

Allerdings macht der Hochschulprofessor für Geschichtsdidaktik und Politische Bildung schnell deutlich, dass er die Argumente, die gegen die Verwendung des Begriffs Verschwörungstheorie hervorgebracht werden, „für nicht sehr fundiert“ hält.

So werde das Wort von einigen Wissenschaftler*innen und Journalist*innen zurückgewiesen, da eine Theorie ganz im Sinn Karl Poppers falsifizierbar sein solle – ohne zu bedenken,

… dass ja Popper selbst den Begriff Verschwörungstheorie stark mitgeprägt hat.

Auch Oberhauser analysiert die Schwachpunkte alternativer Termini wie Verschwörungserzählung, Verschwörungsmythos und Verschwörungsideologie, die seiner Ansicht nach Verschwörungstheorien „bereits von vornherein entplausibilisieren“.

Und er betont ebenfalls den Aspekt der Internationalität:

International blickt man mit erhobener Augenbraue auf diesen deutschsprachigen Diskurs, der eher über die Medien als durch wissenschaftliche Arbeiten am Laufen gehalten wird. Es ist nämlich nach wie vor unproblematisch, den Begriff „conspiracy theory“ zu verwenden, wenn man sich an die Merkmale von Michael Barkun und anderen hält:

Nichts ist, wie es scheint; alles ist miteinander verbunden; es gibt keine Zufälle. Dazu gesellt sich immer die geheime Macht im Hintergrund, das hyperrationale Festhalten an dem so schwierigen Begriff der Wahrheit und der Plan.

Weitere Beiträge in „Zwischen Wahn und Wirklichkeit“ stammen unter anderem von

  • Uwe Peter Kanning: Mythen der Alltagspsychologie – Was Menschen über Forschungsergebnisse der Psychologie zu wissen glauben
  • Sina Klaß/Sebastian Bartoschek: Gesundheitspsychologische Überlegungen zu Fake News und Verschwörungstheorien
  • Jan Skudlarek: Die „Plandemie“ – Verschwörungserzählungen und Wahrheitsprobleme in der Coronapandemie
  • Anna Beniermann: Argumentationen von Kreationisten, Impfgegnerinnen, Klimawandelskeptikern und Gentechnikgegnerinnen

Zum Weiterlesen:

  • Video: Michael Butter und ein Ex-Verschwörungstheoretiker bei Skeptics in the Pub Wien, GWUP-Blog am 23. Oktober 2021
  • Mythos, Erzählung, Ideologie? Oder nicht besser doch einfach „Verschwörungstheorie“? GWUP-Blog am 30. Dezember 2020
  • „Verschwörungstheorie“ – eine Erfindung des CIA? GWUP-Blog am 11. August 2016
  • Verschwörungstheorien: Nennt sie beim Namen! Zeit-Online am 28. Dezember 2020
  • Zum Kritischen Umgang mit Verschwörungstheorien – Erkenntnisse für die Pädagogische Praxis, berghof-foundation am 15. April 2021
  • Michael Bauer/Laura Deinzer: Zwischen Wahn und Wahrheit. Wie Verschwörungstheorien und Fake News die Gesellschaft spalten. Springer 2021, 209 Seiten, 19,99 €

13 Kommentare

  1. Popper sagt ja, sinngemäß, nicht dass eine „Theorie“ definitionsgemäß immer falsifizierbar sein muss, sondern dass eine GUTE, wissenschaftliche Theorie möglichst falsifizierbar sein soll. Ergo wenn Verschwörungstheorien nicht falsifizierbar sind, macht sie das zu einer schlechten „Theorie“, was ja auch genau so ausgesagt werden will.

    Der Begriff passt also schon.

    Was man vielmehr braucht ist Aufklärung der Gesellschaft und der Medien, dass eine Theorie in der *Naturwissenschaft* eben mehr ist als eine Hypothese, nämlich mathematisch oder empirisch begründet.

  2. In den Sozial- und Geisteswissenschaften sollte der Anspruch an eine Theorie nicht geringer sein, obwohl die Realität an manchen Stellen anders aussieht.

  3. Viele Begriffe haben in der Alltagssprache eine andere Bedeutung als in einer Fachsprache, so auch hier.

    Im Alltag setzt man die Theorie nicht wie die Wissenschaft gegen die Empirie, sondern gegen die Praxis: „In der Theorie stimmen Throrie und Praxis immer überein, in der Praxis aber nicht.“

    Oder kürzer: „Das ist doch nur eine Theorie!“

    Der Alltagsgebrauch des Begriffs Theorie ist abwertend, so dass „Verschwörungstheorie“ keinesfalls eine (m.E. verkopfte) Aufwertung der zugrundeliegenden Annahmen ist, sondern im Gegenteil eine angemessene Geringschätzung zum Ausdruck bringt.

  4. Sorry, aber für mich ist die ganze Diskussion eine akademische Spiegelfechterei.

    Der Begriff „Verschwörungstheorie“ ist so tief im Sprachgebrauch verwurzelt, dass die Bemühungen Einzelner, dies zu ändern, nicht greifen werden. Spätestens seit „Akte X“ ist der Zug abgefahren.

    Als weiteres Beispiel kann man hier den unsäglichen Begriff „Schulmedizin“ nennen, den werden wir auch nie verdrängen können. Mit beiden Begriffen müssen wir einfach leben.

  5. @Onkel Michael:

    Meine Rede. Ich kann mit dem Begriff „Verschwörungstheorie“ sogar sehr gut leben und halte das Ganze ebenfalls für eine Elfenbeinturmdebatte.

    Ich würde zwar bei Herrn Butter und Herrn Oberhauser kritisch anmerken, dass es den Verfechtern von alternativen Termini nicht um den einen Begriff geht, mit dem „Verschwörungstheorie“ ersetzt werden soll, sondern dass „Verschwörungs-ideologie“, „Verschwörungs-erzählung“, „Verschwörungs-mythos“ etc. situativ bedeutungsverschieden verwendet werden sollen – aber das kann ich im Grunde noch weniger nachvollziehen.

    Soll ich bei einem Schülervortrag in jedem zweiten Satz den Begriff wechseln?

    Und was ist an „Mythos“ oder „Ideologie“ leichter zu erklären, als eine „Theorie“?

    Also kurzum: Ich verstehe es auch nicht.

  6. hallo O.Michael/B.Harder,

    nur ein Gedanke, wenn eingefahrene Begriffe nicht mehr geändert werden können, sollen, wollen — warum nicht „nutzen“, denkt doch mal an „made in Germany“, war einst der Begriff für technischen Schund, nur durch Mühe und Tatkraft wurde daraus ein Qualitätsbegriff (der zZ leider erheblich schwindet).

    aber es ist eine Möglichkeit! zb. „Hochschulmedizin“ im Gegensatz zur XXXX (alternativschwurbelei), die ja mit Medizin absolut nichts gemein hat.

    in dem Moment wo den Menschen klar wird daß – homöopathie, osteopthie, chiropraktik, chinesische hm, ajuveda, reiki,usw… und der ganze Brimborium mit wirklicher Medizin nichts zu tun haben, und nur die wirkliche Hochschulmedizin dem Menschen nützt, wird man den Quatsch langsam vergessen.

  7. Ich finde die Diskussion sehr spannend und anregend.

    Der Begriff „Theorie“ ist die höchste Adelung, die man einem naturwissenschaftlichen Komplex zukommen lassen kann, wie z.B. Evolutionstheorie, Relativitätstheorie.

    Als studierter Naturwissenschaftler (wenn auch nicht in diesem Bereich tätig) fühle ich mich dieser Definition besonders verpflichtet. Den Gebrauch in „Verschwörungstheorie“ empfinde ich daher geradezu als beleidigend (bitte diesen Satz mit einem Augenzwinkern lesen).

    Über den Mythos hingegen heißt es: Er erhebt einen Anspruch auf Geltung für die von ihnen behauptete Wahrheit. Dieser Sachverhalt trifft es meines Erachtens nach sehr viel besser, weswegen ich in Alltagsdiskussionen heute lieber den Begriff „Verschwörungsmythos“ verwende.

    Ich werde diesen meinen Entschluss aber nicht als unumstößliche Wahrheit bis aufs Blut verteidigen. ;-)

  8. @RPGNo1:

    Auch das kann ich nachvollziehen.

    Würde aber einwenden, dass man „Mythos“ auch verstehen kann als „Erzählung aus der Vorzeit eines Volkes“ – das heißt etwas sehr Altes, womit ich jetzt allenfalls Verschwörungs-„Mythen“ wie Illuminaten oder jüdisches Weltkomplott in Verbindung bringen könnte.

    Was die „Theorie“ angeht, gibt Martin Mahner zu bedenken, dass eine solche nicht zwangsläufig „wissenschaftlich“ sein muss – sondern nur eine explizit „wissenschaftliche Theorie“ ist es.

    Ansonsten ist eine Theorie lediglich ein Aussagensystem.

  9. @Bernd Harder

    Wir sind uns einig, dass wir uns nicht einig sind. Passt schon. :)

  10. Zum Begriff „Verschwörungstheorien“ gibt es gute Überlegungen in dem gleichnamigen Buch von Karl Hepfer, beispielsweise, nicht nur auf die formale Struktur des Aussagensystems zu schauen, sondern auch auf die Themen oder auf den Umgang mit Begründungen.

    Anders formuliert: Man sollte die Praxis zur Theorie nicht ausblenden. Zu einer Theorie gehört, dass sie von wissenschaftlich denkenden Menschen mit dem Ziel, Beobachtungen zu erklären, vertreten wird.

    Ich persönlich glaube ja, dass das System absichtlich die immunisierende Wirkung von Frankenwein und fränkischen Bratwürsten (Würzburger Art, mit Kraut und Brot!) verheimlicht. Es gibt keine einzige Studie dazu!! Das muss doch zu denken geben!!!

  11. Der Bedeutungswandel von „Made in Germany“ ist ein gutes Beispiel, derjenige des Wortes „schwul“ ein anderes, der kaum noch als Beleidigung benutzt oder verstanden wird.

    Inzwischen bin ich anders als früher der Auffassung, dass „wir“ (bin selbst kein Mediziner) uns den Begriff „Schulmedizin“ zurückholen, ihn positiv aufladen und uns stolz selbst als Schulmediziner bezeichnen sollten. Gerade /weil/ ihn Hahnemann und später die Nazis als Schmähung benutzt haben!

  12. Ich finde diese Diskussion auch sehr anregend!

    Ich bin geschichtlich mit der NS Zeit nicht so bewandert, in der Schule im Geschichtsuntericht,

    wurde das in Realschule/Fachoberschule immer irgendwie ausgeklammert, ich war da aber eigentlich nicht böse drumm weil für mich war das Thema mit den Nazis eigentlich durch, also zumindest in meinem Kopf war das durch, ich wurde von meinen scheinbar „links grün versifften Lehrern “ massiv auf das Umweltschutzthema eingenordet, dafür bin ich heute noch dankbar!

    Dadurch, weil ich mich auch privat nicht so für Geschichte interessiert habe, sind mir aber viele NS Vergleiche etc gar nicht so geläufig und bin darum immer wieder überrascht wie sich gerade jetzt die Sachen wiederholen.

    Da komme ich aber oft nicht selbst drauf, sondern nur wenn mich jemand direkt drauf stößt.
    Wie ihr hier mit „Schulmedizin“…

    Ich selbst bin da viel zu blauäugig und eigentlich glaub ich dann doch irgendwie an das gute im Menschen.
    Vor allem wenn es um so alte Schreckensherrschaften geht wie dieses unrühmliche deutsche Kapitel!

    Aber ich bin in Habachtstellung wenn ich meine lieben Mitmenschen um mich rum misstraurisch beäuge, ich will keine Wiederholung der Geschichte sehen, wir sind in 2021 angekommen „gottverdammtes rechtes Pack“
    Falls hier einer mit liest klare Kante gegen Rechts!

    Leider gibts dieses komplette Interview mit Dr. Benecke nirgends mit beiden Gesprächspartnern, aber sein Fazit:
    In Krisenzeiten wird rechts gewählt!
    Nur ist die Krise ja derzeit eigentlich nur in den Köpfen vorhanden! Zumindest hier im Land wo Milch und Honig fliest
    https://youtu.be/8jmUM-gdjlY

    @Lisa-Marie (falls du das hier liest)
    Ich versuche ab jetzt sauberer zu schreiben, Groß und Kleinschreibung zu beachten und besser zu formulieren!
    Ich hör das nicht zum ersten mal was du schreibst ;-)
    meine schlechteste Note in der Schule war eigentlich immer in Deutsch ;-)

  13. Wer Freitag Abend noch kotzen will guckt sich folgenden Bericht vom BR an.

    Dr. Körner der Präsident vom BY Verfassungsschutz erklärt mal ganz genau das heute halt

    Nazis sind jetzt Reichsbürger alter Wein in neuen Namen…

    https://youtu.be/h5p1y_ZjCMA

    und wem es dann immer noch nicht reicht

    Sonneborn zur Bierbüchse der Pandora…

    https://youtu.be/ithkuT25H-w

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