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Hamers Germanische Neue Medizin grassiert im Netz

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Die tagesschau berichtet, dass die Germanische Neue Medizin von Ryke Geerd Hamer durch die sozialen Medien zunehmend an Aufmerksamkeit gewinne.

Anhänger verbreiten seine Ideologie über zahlreiche Telegram-Kanäle. Zwei dieser Kanäle haben jeweils um die 50.000 Mitglieder. Die „Germanische Neue Medizin“ wird vor allem im deutschsprachigen Raum praktiziert, aber auch in den USA und in Indien.

Anhand eines Beispiels zeigt der tagesschau-Artikel die gefährliche Praxis der GNM: Caro [Name geändert] wuchs in einer Familie auf, die fest von den Prinzipien der GNM überzeugt war. Bei gesundheitlichen Beschweren bekam Caro statt einer medizinschen Behandlung das allseits bekannte Lied Mein Studentenmädchen“ vorgespielt:

Wenn Caro als Kind Zahnschmerzen hatte, dann gingen ihre Mutter und ihr Stiefvater nicht mit ihr zum Arzt. Sie legten stattdessen eine CD ein. Darauf war nur ein Lied. Ein Mann sang es, mit monotoner Stimme. Dieses Lied, „Das Studentenmädchen“, sollte gegen die Zahnschmerzen helfen. Der Sänger hieß Ryke Geerd Hamer.

Hamer war bekanntermaßen nicht nur für seine alternativen Heilmethoden, sondern auch für seine antisemitischen Verschwörungstheorien bekannt, die von seinen Anhängern breitwillig übernommen wurden. Caro spürte dies in ihrer Schulzeit:

Ihre Schulklasse plante eine Exkursion in eine KZ-Gedenkstätte. Caro wollte nicht mit. „Damals dachte ich, warum soll ich da hinfahren? Ist doch eh alles nur Kulisse“, sagt Caro heute. Ihre Familie leugnete den Holocaust.

Die Tragödie in Caros Leben nahm noch einen besonders bitteren Verlauf:

Als Caro 12 Jahre alt war, bekam ihre Mutter Brustkrebs. Wegen ihres Glaubens an die „Germanische Neue Medizin“ ließ sie ihn nicht mit einer Chemotherapie behandeln. Caro erinnert sich, dass sie ihre Mutter oft gegen die Schmerzen massieren musste und dass ihr Stiefvater die CD mit dem Lied „Das Studentenmädchen“ einlegte. Für Caros Mutter blieb das die einzige Behandlung. Nach langer und schwerer Krankheit verstarb sie. „Wäre die Germanische Neue Medizin nicht gewesen, wäre meine Mutter heute noch am Leben“, ist Caro heute überzeugt.

Leider ist ihr Schicksal kein Einzelfall. Psiram führt eine Liste mit über 140 Opfern der GNM – die tatsächliche Zahl dürfte weitaus höher liegen. Hier (aus dem skeptiker 3/2015) wurde ein Beispiel näher besprochen.

Der bekannteste Fall dürfte wohl der von Olivia Pilhar sein – das Mädchen, das 1995 an Nierentumor erkrankte und von ihren Eltern in die Fänge Hamers gegeben wurde. Bei Psiram steht dazu:

Der Tumor wuchs und der Gesundheitszustand des Mädchens verschlechterte sich dramatisch. Von einem anfänglichen Volumen von 250 ml vergrößerte sich der Tumor auf 4,2 Liter (Größe eines Fußballs) und drückte bereits auf die verschleimte und entzündete Lunge, so dass Olivia hechelnd atmete. Später wuchs das Volumen sogar auf 6 Liter, die Beine waren geschwollen, das Blut konnte nicht mehr zum Herz zurück. Die Lunge war auf der rechten Seite zusammengefallen.
[…]
Den Eltern wurde schließlich in Österreich das Sorgerecht für sieben Jahre entzogen und das Kind nach Wien zurückgebracht, wo es mit einer Chemotherapie und einer Operation erfolgreich behandelt wurde.

Gerade vor dem Hintergrund dieser Fälle erscheint die akutelle Ausbreitung der GNM auf Telegram besonders besorgniserregend.

Schließen wir daher mit der Stellungnahme der Deutschen Krebsgesellschaft aus dem August 2024, die die Schädlichkeit der GNM klar auf den Punkt bringt:

Bei der sog. „Germanischen Neuen Medizin“ von Herrn Hamer handelt es sich um
eine in der Biographie und Träumen von Herrn Hamer begründete Theorie ohne
wissenschaftliche oder empirische Begründung
. Nach heutigem Erkenntnisstand ist
die zugrundliegende Grundhypothese widerlegt. Das Vertrauen auf die
Heilungskräfte der Germanischen Neuen Medizin® verhindert, dass Patienten eine
für sie angemessene je nach Tumorsituation kurative oder palliative Therapie
bekommen.
Für Patienten mit einer heilbaren Erkrankung wird damit die Chance auf Heilung
vergeben. Für Patienten in einer palliativen Therapiesituation wird die Option der
Lebensverlängerung und v.a. die Option auf die modernen Möglichkeiten der
Symptomkontrolle vergeben, da Herr Hamer z.B. Schmerzen als eine notwendige
und normale Phase in der Heilung ansieht.
Deshalb ist die „Germanische Neue Medizin“ mit allem Nachdruck als gefährlich und unethisch zurückzuweisen.

Zum Thema:

  • Podcast: Germanische Neue Medizin (5. Staffel des Podcasts „Seelenfänger“), Bayern 2 vom 14.03.2025
  • Podcast: Warum die „Germanische Neue Medizin“ die SCHLIMMSTE Medizin ist, Quarks Science Cops vom 30.09.2023
  • Video: Statt Arzt zum Heiler – Die Germanische Neue Medizin, MDR Investigativ vom 07.07.2022
  • Artikel: Warum Menschen auf selbsternannte Gesundheitsberater hören – und doch besser auf ihren Rat verzichten sollten, Henrik Müller (medwatch) vom 11.01.2022
  • Video: Rohe Energie: Hört auf uns zu veralbern! (schon wieder Werbung für das „Aids-Leugner-Buch“), steffi.gains.knowledge vom 05.02.2022
  • Video: Dr. Rüdiger Dahlke: Erfolg dank menschenverachtender Esoterik statt seriöser Medizin, steffi.gains.knowledge vom 16.04.2020
  • Video: The Horror of German New Medicine, Jeff Holiday vom 24.06.2019
  • Artikel: Die Todesopfer der GNM: Hamer, wie er wirklich war, GWUP-Blog vom 06.07.2017
  • Artikel: Ryke Geerd Hamer ist tot, GWUP-Blog vom 04.07.2017
  • Artikel: Die eigenartige Welt des Herrn Pilhar, kurier.at vom 21.05.2017
  • Artikel: 18-jährige Krebspatientin stirbt nach verweigerter Therapie, Der Standard vom 02.09.2016
  • Artikel: Die absurden Lügen der GNM: „Praktisch kein jüdischer Patient stirbt an Krebs“, GWUP-Blog vom 18.02.2016
  • Artikel: „Neue Germanische Medizin“: Es gibt keine Krankheiten, nur seelische Konflikte!, Florian Freistetter (Der Standard) vom 16.02.2016
  • Artikel: Mein Studentenmädchen gegen Krebs: Neues Todesopfer der Germanischen Neuen Medizin, GWUP-Blog vom 21.09.2015
  • Artikel: Wenn Pseudomedizin auf Antisemitismus trifft: Germanische Neue Medizin, Florian Freistetter (Scienceblogs, Astrodicticum Simplex) vom 27.05.2010
  • Artikel: Germanische Neue Medizin, Psiram
  • Artikel: Ryke Geerd Hamer, Psiram
  • Artikel: Helmut Pilhar, Psiram
  • Artikel: Opfer der Germanischen Neuen Medizin, Psiram

Hinweis:

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2 Kommentare

  1. Ich kenne ja manchen paramedinischen Unsinn und so manchen Guru, der seine Anhänger findet. Aber die NGM nach Hamer – diese Communities kann ich eigentlich nur als Selbstmordsekten bezeichnen.

    Kaum etwas zeigt mehr als die NGM die Notwendigkeit auf, sich gesellschaftlich und auch politisch mit den Gründen zu befassen, wie Menschen zu Zehntausenden solchen gemeingefährlichen Ideen anhängen können.

    Zu Hochzeiten der Pandemie veröffentlichte Scientific American einen Artikel mit dem Titel „The Antiscience Movement Is Escalating, Going Global and Killing Thousands“. Ja, Antiwissenschaft tötet! Hier geht es nicht um harmlose esoterische Spielereien.

    https://www.scientificamerican.com/article/the-antiscience-movement-is-escalating-going-global-and-killing-thousands/

    Natalie Grams kommentierte dies bei Spektrum der Wissenschaft so:

    „In den USA, aber längst auch bei uns kommt ein politischer Aspekt dazu: Das Zusammenwachsen von Esoterik, falschem Naturverständnis und „alternativem“ Denken mündet in Wissenschaftsfeindlichkeit mit rechten politischen Tendenzen. Hier ist eine „Emergenz“ zu beobachten, es entsteht eine neue Qualität, die mehr ist als die Summe ihrer ohnehin bedenklichen Bestandteile. […]

    Was wir brauchen werden, sind klare Bekenntnisse der Politik und der sonstigen Verantwortlichen – für eine rationale Basis von Entscheidungen, gegen die Leugnung und Missachtung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Klar ist: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind keine Politiker und Politikerinnen; sie beanspruchen nicht, politische Entscheidungen zu treffen. Wünschenswert wäre aber, wenn wissenschaftliche Erkenntnis die Entscheidungen der Politik im Sinne positiver Emergenz unterfütterte. […]

    Und was es noch braucht: Aufklärungskampagnen großen Umfangs. Wir müssen den längst überall sichtbar werdenden Verlust von Vertrauen in Rationalität und Wissenschaft wieder wettmachen. Klar, das wird eine Menge Arbeit und einen interdisziplinären Ansatz erfordern, der weit über das Feld medizinischer Probleme hinausgeht und letztlich eine nationale und internationale Aufgabe sein wird. Stellen wir uns dem nicht, dann droht die Gefahr, tief im Postfaktischen zu versinken oder unter dem steigenden Meeresspiegel.“

    Was aufzeigt, dass hier gerade wir Skeptiker aufgerufen sind, wieder und wieder den Finger in die Wunde zu legen. Gefühlt macht es ja sonst keiner. Mein ceterum censeo, dass wissenschaftliche Grundbildung in die Schulen gehört, brauche ich dabei wohl gar nicht besonders hervorzuheben.

  2. Helmut Pilhar, der Vater Olivias, ist trotz Umzugs nach Paraguy, wo er sich vor chemtrails sicher fühlte, und trotz seines Vertrauens auf die Neue Germanische Medizin recht früh verstorben. Zuletzt nannte er sich „helmut aus der Familie pilhar Souveräner Men[sch] – geistig-sittliches Wesen aus Fleisch und Blut – ENTITÄT/Diesseits Naturrecht – Völkerrecht [sic]“

    Seine damalige Unterstützerin Madeleine Petrovic, die ehemalige Bundessprecherin der österreichischen Grünen, ist mittlerweilen nicht mehr für die Grünen aktiv, sondern hat ihre eigene Liste Madeleine Petrovic gegründet. Sie ist noch Impfskeptikerin bzw Massnahmen“kritikerin“ und wurde während der Corona-Krise vom grünen Gesundheitsminister Rudolf Anschober als „Expertin für Tierschutz“ ins Gesundheitsministerium geholt.

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