Die kanadische Doku „Satan wants you“ über den Beginn der „Satanic Panic“ in den frühen 1980ern hat jetzt auch einen Wikipedia-Eintrag.
In der Online-Ausgabe des Skeptical Inquirer referiert der Kolumnist (und Mitglied der Church of Satan) JD Sword die ganze krude Story:
Michelle Misremembers: How a Psychiatrist and His Patient Created the Blueprint for Satanic Ritual Abuse
Sword datiert die Initialzündung für die Verschwörungsideologie vom „satanistisch-rituellen Missbrauch“ auf 1980, das Ersterscheinungsjahr des Buches „Michelle Remembers“, welches der kanadische Psychiater Lawrence Pazder zusammen mit einer jungen Frau namens Michelle Smith verfasst hatte.
Smith war 1973 in Pazders Praxis erschienen und zunächst wegen Depressionen behandelt worden. Drei Jahre später, nach einer Fehlgeburt, begann Michelle Smith während einer 14-monatigen Therapie „Erinnerungen“ an rituellen Missbrauch durch eine Gruppe von Teufelsanbetern in Victoria auf Vancouver Island (British Columbia) zu entwickeln.
Im Alter von fünf Jahren sei sie 1954 von ihrer Mutter in die Satanssekte eingeführt worden und bis 1955 extremen Folterungen und sexuellem Missbrauch ausgesetzt gewesen. Außerdem will Smith kriminellen Kulthandlungen wie Tier- und Menschenopfern (darunter auch Säuglinge) beigewohnt haben, bei denen Satan selbst erschienen sein soll.
Obwohl Smith/Pazder null Beweise vorlegten, avancierte „Michelle Remembers“ zum Bestseller. 1989 trat Michelle Smith sogar bei Oprah Winfrey auf, die keinerlei kritische Nachfragen stellte. Dafür zogen andere Journalisten und Ermittler die Story der beiden massiv in Zweifel. Niemand konnte die in dem Buch aufgestellten Behauptungen auch nur ansatzweise bestätigen.
In „Satan wants you“ wird enthüllt, dass Michelle Smith die 81 Tage, die sie zwangsweise bei einem satanischen Ritual zugebracht haben will, in Wahrheit zur Schule gegangen war, wie aus ihrem Grundschuljahrbuch von 1955 hervorgeht.
1979 ließ sich der gläubige Katholik Lawrence Pazder von seiner Frau scheiden und heiratete seine Patientin und Koautorin Michelle Smith. Nach der Veröffentlichung von „Michelle Remembers“ galt Pazder als Experte für das angebliche Phänomen des satanistisch-rituellen Missbrauchs und fungierte bei verschiedenen Institutionen als Fachreferent und Berater zu diesem Thema, zum Beispiel für das Cult Crime Impact Network und beim McMartin preschool trial. Er starb 2004 an Herzversagen.
Michelle Smith-Pazder lebt noch, weigerte sich aber, an der Filmdoku „Satan wants you“ mitzuwirken. Ihr unheilvolles Vermächtnis, so JD Sword abschließend, ist weitreichend und nachhaltig.
Zum Weiterlesen:
- Michelle Misremembers: How a Psychiatrist and His Patient Created the Blueprint for Satanic Ritual Abuse, skepticalinquirer.org am 11. Dezember 2023
- Satanic panic: Documentary takes a new look at Michelle Remembers book, timescolonist am 8. August 2023
- „Schweif des Satans“, spiegel.de am 12. November 1995
- Satanic Panic’s long history, vox.com am 31. März 2021
- Falscherinnerungen und die Satanic Panic: Gibt es eine Lernkurve bei der UBSKM? GWUP-Blog am 13. Dezember 2023
- „Satanic Panic“ bei Wikipedia
- Elaine Showalter: Hystorien – Hysterische Epidemien im Zeitalter der Medien (1999)
- Video: „Satanisch panisch“ vom 1. November 2020
- Satanic Panic: Mutter von „Nathalie“ blitzt auch vor Bundesgericht ab, 20min.ch am 3. Dezember 2023
- False-memory-Syndrom: Gedanken im Nachhinein konstruieren, Grams‘ Sprechstunde am 6. Juli 2023
6. Januar 2024 um 18:02
„Fear that a secret satanic cult was sacrificing children in Victoria dominated my childhood in the 1980s“:
https://www.cbc.ca/documentaries/fear-that-a-secret-satanic-cult-was-sacrificing-children-in-victoria-dominated-my-childhood-in-the-1980s-1.7031488