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Klimawandel und Konsens

| 16 Kommentare

Wer kennt sie nicht, die EIKE-Phrase

Wenn es Wissenschaft ist, gibt es keinen Konsens. Wenn es Konsens ist, ist es keine Wissenschaft,

mit der Klimaleugner auch hier im Blog ankommen und die bei publikum-net mal wieder breitgetreten wird.

Warum das Unsinn ist, erklärt der Wissenschaftsjournalist Reto Schneider bei Zeit-Online.

Schneider plädiert dafür, sich bei der Frage, welches Wissen als gesichert gilt, an den „wissenschaftlichen Konsens“ zu halten:

Der wissenschaftliche Konsens ist die Position, die eine Mehrheit von Wissenschaftlern in einem Gebiet vertritt. Sie wird weder offiziell erhoben, noch gibt es Vorschriften dafür, wie sie eruiert wird. Es ist einfach jene Meinung, die sich in Fachliteratur, Diskussionen und Stellungnahmen von Institutionen im Laufe der Zeit herausgeschält hat.

Aber wie passt das zu der Tatsache, dass wissenschaftliche Erkenntnisse sich nicht an Mehrheitsentscheidungen halten?

Natürlich gibt es die verkannten Genies wie Alfred Wegener oder Joseph Lister.

Aber:

Die Treffsicherheit von einzelnen Querdenkern in der Forschung wird überschätzt, weil wir uns nur an die Genies unter ihnen erinnern, nicht an die Schwachköpfe. „Die Tatsache, dass einige Genies ausgelacht wurden, bedeutet nicht, dass alle, die ausgelacht werden, Genies sind“, schrieb der Astronom Carl Sagan.

Natürlich darf man dem wissenschaftlichen Konsens kritisch gegenüberstehen.

Allerdings

… sollte man dann auch erklären können, weshalb man als Laie eine andere Ansicht vertritt als die Mehrheit jener Menschen, die sich jahrelang mit einem Thema befasst haben.

Schneiders Fazit:

Wer dem wissenschaftlichen Konsens vertraut, ist daher kein Schlafschaf, das blind der Herde folgt, sondern wird ganz einfach in den meisten Fällen recht bekommen.

Und dass der Konsens unter Klimawissenschaftlern in Bezug auf den anthropogenen Klimawandel nur bei 99 Prozent liegt, mag für Klimaleugner Grund genug sein,

… auf You­Tube umfangreiche Untersuchungen und angeblich unumstößliche Belege dafür [zu liefern], dass der Klimawandel doch nicht real sei,

schreibt die Wissens-Redakteurin Maria Gast ebenfalls bei Zeit-Online.

Tatsächlich aber bedeutet das nur:

Stellen Sie sich einen Autoverkäufer vor. Er sagt Ihnen: „Dieses Auto ist das beste, das schnellste, das günstigste! Lassen Sie sich nicht täuschen: Niemand anders wird Ihnen ein besseres Auto verkaufen.“

Am Samstag wird er von seiner Schwester vertreten, die sonst als Wissenschaftlerin an einem Klimainstitut arbeitet. Dem ersten Kunden erklärt sie, dass dieses Auto mit großer Wahrscheinlichkeit das beste sei.

Dem zweiten, dass alle bekannten Informationen dafürsprächen. Dem dritten, dass es durchaus andere Perspektiven gebe, aber man sich zu 99 Prozent ­sicher sei. ​Es ist irritierend, der Wissenschaftlerin zuzuhören, die ständig über ihre Restunsicherheiten spricht. Weniger sicher als ihr Bruder ist sie sich deshalb aber nicht.

Denn genau das ist wissenschaftliches Arbeiten: Beobachten, beschreiben, überprüfen – noch mal überprüfen und noch mal –, und dann sagen, dass man sich ziemlich sicher sei.

Zum Weiterlesen:

  • Vertrauen in die Wissenschaft: „Wer flüstert dir immer diese Dummgrütze ein?“ zeit+ am 7. August 2023
  • Klimaforschung: Aber die Wissenschaft zweifelt doch auch … zeit+ am 29. Juli 2023
  • Schlechte Nachrichten für Klimawandel-Skeptiker, welt.de am 4. August 2023
  • Skeptical Science: Wissenschaftlicher Konsens – eine Erklärung
  • Behauptung: „Es gibt (noch) keinen wissenschaftlichen Konsens zum Klimawandel“
  • Händewaschen oder warum Homöopathen sich nicht mit Semmelweis vergleichen können, GWUP-Blog am 23. März 2020
  • Globale Erwärmung: Der Mythos von der 97-Prozent-Zustimmung der Klimaforscher, GWUP-Blog am 1.Mai 2016
  • Greater than 99% consensus on human caused climate change in the peer-reviewed scientific literature, Environmental Research Letters am 29. Oktober 2021

16 Kommentare

  1. Man muss hier vielleicht verdeutlichen, dass sich ein „Konsens“ _*nicht*_ einfach nur „mit der Zeit“ „herausschält“ (sozusagen: automatisch, ohne ein besonderes Hinzutun der beteiligten Forschungsgemeinschaft).

    Vielmehr geht es auch um ein aktives Ausschließungsverfahren (über die Zeit):

    Immer wieder werden aufkommende gegenläufige Hypothesen überprüft und entweder abgewiesen (regelhaft: immer wieder abgewiesen, weil sie häufig durch Drittinteressenten immer wieder aufgeworfen werden) oder in die Gesamt-Theorie („Konsens“) eingebunden werden.

    Dadurch bekommt der alte Spruch seine Gültigkeit, dass eine einzige nachweisliche Falsifikation des Konsenses diesen sofort beendet, jedoch jede einzelne Bestätigung den Konsens nicht über die höchste Wahrscheinlichkeitserwartung hinaus verstärken kann.

  2. Meine Sichtweise darf gerne zerpflückt werden …

    Unabhängig vom Thema „Klima“ finde ich die Empfehlung, einen Konsens als „gesichert“ zu betrachten, äußerst schwierig. Selbst wenn die Wahrscheinlichkeit steigt, mit einer Aussage richtig zu liegen, kann man schnell auf einige Fallstricke stoßen.

    Zitatkartelle können zum Beispiel den Eindruck eines vermeintlichen Konsens erwecken, der nicht existiert. Oder vielleicht auch bei Randthemen, mit denen sich nur eine Minderheit wissenschaftlich arbeitender Menschen beschäftigt.

    Aufgrund fehlender Ressourcen kann sich niemand mit jedem Thema vollends beschäftigen, wodurch man sein Handeln zu einem gewissen Teil auf Vertrauen aufbauen muss. Damit steigt für mich allerdings auch das Risiko Fehler zu begehen und zum Teil dann doch einfach nur Lotto zu spielen.

    Wichtiger finde ich da eine Erklärung auf Skepticalscience, dass der Konsens erst durch unterschiedliche Daten und Untersuchungen gebildet werden kann.

    „Wissenschaft ist darauf angewiesen, dass die Belege zusammenpassen und die gleiche Geschichte erzählen. Wenn wir uns die Durchschnittstemperatur der Erde ansehen, sehen wir eine Reihe von verschiedenen Belegen, die auf dieselbe Schlussfolgerung hindeuten“

    Ein Konsens alleine erfüllt diese Bedingung leider nicht.

  3. @Sebastian:

    Wichtiger finde ich da eine Erklärung auf Skepticalscience, dass der Konsens erst durch unterschiedliche Daten und Untersuchungen gebildet werden kann.

    Ein Konsens alleine erfüllt diese Bedingung leider nicht.

    Ist das nicht ein Widerspruch? Siehe auch den Kommentar von @ajki.

    Ein Konsens ist ja nicht nur – wie im normalen Sprachgebrauch – Gerede bzw. eine Übereinkunft, sondern kommt auf harter wissenschaftlicher Grundlage zustande.

    Und „gesichert“ heißt auch nicht „festgemauert“. Ein wissenschaftlicher Konsens ist kein Dogma und kein Naturgesetz.

  4. Wer dem wissenschaftlichen Konsens vertraut,… wird in den meisten Fällen Recht bekommen.

    Nein, er wird in den meisten Fällen Recht haben. Recht bekommen ist etwas ganz anderes. Außerdem reicht den Schwurblern in den meisten Fällen doch vollkommen aus, damit es hier aber ganz bestimmt anders ist.

  5. Vielleicht von Interesse zum gleichen Thema. Ich komme hier bei ZDF Info auch zu Wort.

  6. @Bernd Harder

    Für mein Verständnis nicht, wenn ich mir die „Wissenschaft“ hinter dem Thema rituelle Gewalt anschaue. Zwar hat Briken zuletzt eine Evidenz hinter seinen Forschungen mehr oder weniger verneint (Er könne ja nichts dafür wenn andere es so auslegen), allerdings berufen sich andere Publikationen genau auf diese Ergebnisse.

    Andere kommen dann in ihren eigenen Umfragen zu ähnlichen Ergebnissen und schwups hat man einen wissenschaftlichen Konsens, der aufgrund starker „Meinungsblase“ nicht reflektiert wird.

    Zwar gibt es immer wieder Stimmen, die das Thema kritisieren, daran geändert hat es aber – zumindest in Deutschland – nichts. Die Wissenschaft hat es (für mein Verständnis) in den letzten Jahrzehnten nicht geschafft, einen auf Fakten basierenden Konsens herauszubilden. In dem Sinne würde ich mich eher der Aussage von Carsten Ramsel anschließen wollen.

  7. @Sebastian:

    Nun ja, nun ist „rituelle Gewalt“ aber auch keine definierte Forschungsdisziplin wie „Klimawissenschaft“ oder „Klimatologie“.

    Wir beklagen ja immer, dass die große Mehrzahl der seriösen Traumatherapeuten sich in diese Debatte gar nicht erst einbringt. Das macht es natürlich ein paar wenigen Leuten einfach, hier die Deutungshoheit zu erlangen. Das ist aber eben auch genau das Gegenteil von gemeinsamer Evidenzermittlung.

  8. @Bernd Harder

    Den Knoten in meinem Kopf kann ich vermutlich nur dadurch auflösen, indem ich Konsens als nicht greifbar betrachte und eine eigene Prüfung der jeweiligen Aussagen als Notwendigkeit mit einbeziehe.

    Ich stimme zu, dass rituelle Gewalt keine wissenschaftliche Disziplin ist. Betrachte ich die Gedächtnisforschung, gibt es allerdings ein ähnliches Problem. Hier streiten sich London und Maastricht seit Jahren um Themen wie Verdrängung.

    Obwohl die Forschung reproduzierbare Ergebnisse liefert, sind die Memory Wars ja anscheinend doch nicht vorbei – und gleichzeitig eng verbandelt mit ritueller Gewalt.

    Man zerpflückt die Studienlage gegenseitig und behauptet einfach, dass man selbst die Evidenz und Mehrheit auf seiner Seite hat.

    Insgesamt werde ich nochmal darüber nachdenken, wie ich es für mich bewerte und wo Denkfehler sind.

  9. @ Bernd Harder

    „Wir beklagen ja immer, dass die große Mehrzahl der seriösen Traumatherapeuten sich in diese Debatte gar nicht erst einbringt.“

    Ich kann diese Klage und dieses Bedauern sehr gut nachvollziehen und verstehen, möchte aber aus meiner Sicht auch Verständnis für die Situation der Therapeuten wecken:

    Seriös und fundiert arbeitende Traumatherapeuten setzen sich in aller Regel mit vollem Engagement für ihre Patienten ein, sie haben ihre Patienten im Fokus und sind zeitlich komplett ausgelastet.

    Da hat m.E. niemand Zeit, Lust, Kraft und Kapazität, in so eine Debatte mit einzusteigen, bei der von vornherein klar ist, dass sie Zeit, Kraft und Nerven kostet, Zeit und Kraft, die dann nicht mehr für Patienten zur Verfügung stehen.

  10. @Chusa More:

    Seriös und fundiert arbeitende Traumatherapeuten setzen sich in aller Regel mit vollem Engagement für ihre Patienten ein, sie haben ihre Patienten im Fokus und sind zeitlich komplett ausgelastet.

    Mag sein – aber das würde ja im Umkehrschluss bedeuten, dass die „Satanic Panic“-Therapeuten das nicht tun und deshalb alle Zeit der Welt haben, um ihre Spinnereien zu pflegen.

    Das würden so nicht mal wir unterstellen wollen. Ich denke, wir müssen davon ausgehen, dass auch die – aus unserer Sicht – unseriösen Traumatherapeuten mit voller Überzeugung und besten Absichten handeln.

  11. @ Bernd Harder

    Nein, nein, diesen Umkehrschluss möchte ich auf keinen Fall implizieren. Mit meinem vorherigen Kommentar habe ich einfach nur einen möglichen Grund genannt, warum aus dem Bereich der seriösen Therapeuten keine oder fast keine Reaktionen zu dem Thema kommen. Ohne Umkehrschluss.

    Das Thema „rituelle Gewalt“ wird ja nicht nur (oder je nachdem, welche Medien man betrachtet, nur zu einem sehr geringen Teil) aus dem Bereich der Therapeuten „gepusht“, „propagiert“ und vorangetrieben, da sind ja ganz unterschiedliche Akteure in unterschiedlichen „Formaten“ aktiv.

  12. Wenn wir den wissenschaftlichen Konsens zurückweisen, auf welche Erkenntnisse kann ich mich dann stützen?

    Es finden sich ja so gut wie immer Leute die etablierte Erkenntnisse anzweifeln (was ich auch keineswegs schlecht reden will).

    Das Thema Klimawandel ist da ein gutes Beispiel, auch weil die Erkenntnisse Grundlage diverser politischer, wirtschaftlicher und sozialer Entscheidungen sind.

  13. @Positron

    Ich sehe nicht, dass der wissenschaftliche Konsens in der Diskussion in Frage gestellt oder gar zurückgewiesen wird.

    In Sebastians Beispiel zur „rituellen Gewalt“ steht die Wissenschaftlichkeit der Forschung in Frage und die genannten „Zitatkartelle“ gaukeln nur einen Konsens vor. Dabei dürfte das Erste einfacher zu erkennen sein als das Zweite. Im schlimmsten Fall konkurrieren mehrere Theorien miteinander und jedes „Kartell“ deutet die Daten gemäß der eigenen Theorie (und lässt gerne auch mal widersprechende Befunde weg).

    Die Ergebnisse würde ich dann als inkonklusiv kritisieren und es ist wahrscheinlich, dass keine der Theorien wahr ist/funktioniert.

  14. Rituelle Gewalt fand ich als Beispiel nicht so besonders glücklich, denn dieses Thema hat so gar nichts mit Science zu tun.

    Bei Science steht einfach noch jede Menge Mathematik und Physik dahinter, so dass man Modelle erstellen und testen kann. Da forscht dann außerdem auch noch eine weltweite Gemeinschaft von Wissenschaftlern.

    Das macht das Ganze dann schon ziemlich hart.

  15. Mein Eindruck ist, dass hier über zwei durchaus verschiedene Formen eines „Konsenses“ (in verschiedenen Wissenschaftsbereichen) geschrieben wird:

    Eine Form eines „Konsens“ orientiert sich strikt an nachgewiesenen/nachweisbaren, empirisch sammelbaren Daten (bzw. Wahrheits-/Falschheitswerten), die jederzeit von Jedermann unter gleichen Bedingungen gefunden, berechnet und/oder festgestellt werden können.

    Man kann solche Tatbestände durchaus falsifizieren durch das Auffinden „neuer“ / anderer Daten/Fakten – aber bis dies geschieht gilt die Akkumulation als Bestätigung der Wahrscheinlichkeit der „Wahrheit“ des im aktuellen Konsens befindlichen Wissens. (man könnte das einen „harten“ Konsens nennen)

    Eine ganz andere Form eines Konsenses wäre dasjenige, was man beispielsweise im juristischen Bereich eine „herrschende Meinung“ nennen würde. Das betrifft beinahe alle „Geisteswissenschaften“ durchgängig (oder auch durchaus naturwissenschaftliche Theroriegebäude, die von „Interpretationen“ abhängig sind).

    Solche Formen des Konsenses können abhängig sein von Zeitläuften, Ideologemen, gesellschaftlichen Gesamtperspektiven oder von allen möglichen anderen Aspekten beeinflußt werden.

    U.a. mag es oft schwer sein, für einen wissenschaftlichen Teilbereich überhaupt zu ermitteln, welche Formen von Übereinkünften/Konsensen es jeweils gibt und wie sie sich über die gesamte Forschergruppe quantitativ verteilen (im besonderen dann, wenn die überwiegende Zahl an Forschenden sich selbst „zwischen“ verschiedenen Übereinkünften positioniert, u.a. um eine möglichst große Eigenständigkeit der Forschung zu wahren).

  16. @ajki

    Vielen Dank, besonders der letzte Absatz gibt das wieder, weswegen ich es schwierig finde, mich an einem „Konsens“ zu orientieren.

    Allerdings trage ich auch eine „Psychologie“-Brille und schaue weniger in Bereiche wie Klima & Co, wo es vielleicht einfacher sein dürfte, Fakten zu identifizieren.

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