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„Unwirksam und gefährlich“: Edzard Ernst im „Spiegel“ über die Heilpraktiker-Zunft

| 22 Kommentare

Im neuen Spiegel (15/2023):

Ein Auszug:

Spiegel: Behandeln Heilpraktiker normalerweise nicht eher leichte Beschwerden mit homöopathischen Globuli, Bachblüten oder Aromatherapie, ohne dabei großen Schaden anzurichten?

Ernst: Das ist ein Trugschluss. Ich habe in meinem Buch das Standardlehrwerk für Heilpraktiker „Naturheilpraxis Heute“ kritisch evaluiert. Es geht darin auch um Asthma, Arterielle Verschlusskrankheit, Schlaganfall, Epilepsie, also gefährliche, teilweise lebensbedrohliche Erkrankungen.

Für die koronare Herzerkrankung, die oft zu einem Herzinfarkt führt, werden beispielsweise Homöopathie und Bachblüten empfohlen, die beide nachweislich keine über den Placeboeffekt hinausgehende Wirkung haben.

Gibt es keine Kontrollen, um den Schaden in Grenzen zu halten?

Wenig. Es gibt zwar entsprechende Gesetze wie etwa das Patientenrechtegesetz oder das Heilmittelwerbegesetz, aber sie werden viel zu selten genutzt. Der Grund könnte möglicherweise in der politischen Rückendeckung der Heilpraktiker liegen.

Obwohl Heilpraktiker beispielsweise nicht für eine Krebstherapie werben dürfen, ergab eine Onlinerecherche des homöopathie- und heilpraktikerkritischen Münsteraner Kreises, dass 282 Heilpraktiker in Deutschland sie dennoch offen anbieten.

2019 wurde ein Heilpraktiker vom Niederrhein wegen fahrlässiger Tötung in drei Fällen verurteilt. Er hatte seinen Patienten zur Krebstherapie eine Überdosis eines nicht zugelassenen, hochwirksamen Zellgifts verabreicht. Seitdem wird intensiv über eine Reform des Heilpraktikerberufs diskutiert – die einen fordern eine bessere Ausbildung und Kontrolle, die anderen wollen diesen Berufsstand lieber völlig verbieten. Was meinen Sie?

Es wäre wohl möglich, den Heilpraktikerberuf so zu reformieren, dass Kompetenz und Verantwortung in einem vernünftigen Gleichgewicht stehen. Aber wenn die Heilpraktiker nicht bereit sind, Kompromisse einzugehen, um eine Gefährdung ihrer Patienten zu minimieren, dann ist der einzig vernünftige Weg, den Berufsstand abzuschaffen.

Zum Weiterlesen:

  • Neu erschienen: „Vorsicht Heilpraktiker“ von Edzard Ernst, GWUP-Blog am 22. März 2023
  • Ende einer Posse: Der Heilpraktiker-Prozess von Ingolstadt vor dem Urteil, GWUP-Blog am 2. April 2023
  • Das Münsteraner Memorandum Heilpraktiker
  • „Gefährliche Hybris“: Interview mit Dr. Christian Weymayr über das Heilpraktiker-Unwesen, GWUP-Blog am 24. Januar 2018
  • Mediziner Edzard Ernst über Heilpraktiker: „Einige Methoden sind nicht nur unwirksam, sondern gefährlich“, Der Spiegel 15/2023

22 Kommentare

  1. In einem deutschen Berufsförderungswerk, nämlich BFW Weser-Ems konnten Menschen, die aus Krankheitsgründen oder wegen Unfallfolgen bei der dt. Rentenversicherung eine berufliche Reha genehmigt bekommen hatten, eine 2- jährige Umschulung zum Heilpraktiker absolvieren mit dem Abschluss „Staatliche Prüfung“, ganz so als sei Heilpraktiker ein anerkannter Beruf. Ich weiß nicht, ob das dort noch angeboten wird, aber bis vor wenigen Jahren fanden diese „Ausbildungen“ statt.

  2. Ich las gerade mal im Internet , wer sich so von dem Angebot Heilpraktiker zu werden, angesprochen fühlen sollte:

    Menschen, die unzufrieden in ihrem Beruf sind und den Wunsch haben ohne Medizinstudium in der Heilkunde tätig zu werden.

  3. @Miriam

    Ich habe es vor längerer Zeit folgendermaßen ausgedrückt.

    Früher hieß der Spruch: Wer nichts wird, wird Wirt.
    Heute muss es lauten: Wer nichts wird, wird Heilpraktiker.

  4. @ RPGNo1:

    Oder so: beim HP ersetzt Einbildung die Ausbildung.

  5. @klauszwingenberger

    Der Spruch gefällt mir auch. :)

  6. Express-Online:

    „Gift-Stoffe verabreicht? Heftige Funde bei Razzia gegen Kölner Heilpraktikerin (36)“

    https://www.express.de/koeln/heftige-funde-bei-razzia-gegen-koelner-heilpraktikerin-36-566572

  7. @ Lisa-Marie

    „Ein bedauerlicher Einzelfall. Dieser soll und darf aber kein negatives Schlaglicht auf alle anderen hochseriös und verantwortungsvoll arbeitenden Heilpraktiker*Innen werfen. Auch in der Schulmedizin gibt es immer wieder …“
    .
    .
    .
    Nur um die zu erwartenden Reaktionen aus dieser Ecke vorwegzunehmen.

  8. Das war eine gefälschte Heilpraktikerin.

    Die weiteren Ermittlungen ergaben: Die Frau hat keine Zulassung als Heilpraktikerin. Eine gefälschte Urkunde in diese Richtung wurde bei der Razzia ebenfalls sichergestellt.

  9. @ Hendrik Endres

    Na, dann ist ja alles gut… ;-)

    „Echte“ Heilkpraktiker*Innen würden so etwas natürlich nie tun.

  10. @ Hendrik Endres

    Alle Heilpraktiker:innen sind „Fälschungen“, ob mit Zulassung oder ohne, sie sind in meinen Augen „Fälschungen“ von echten studierten Ärzten. Das ist meine ganz persönliche Meinung.

  11. @ Lisa-Marie:

    Es geht bei der Heilpraktikererlaubis nicht immer nur um „Ärzte light“ und Esoterik.

    Man muss aufpassen, dass man mit der notwendigen Kritik am Kurpfuscherwesen nicht darüber hinweggeht, dass z.B. manche Physiotherapeuten nicht nur nach Überweisung von Patienten durch Ärzte und manche Psychologen nicht nur psychotherapeutisch in den Richtlinienverfahren tätig sein wollen.

  12. Die Gemengelage bei den Heilpraktikern ist nicht ohne. Vor allem durch die Öffnung für die „selektiven HP“ (Psychotherapie, Physiotherapie) hat es Verwerfungen gegeben, die einer pauschalen „Verurteilung“ des HP-Standes entgegenstehen, da hat Joseph Kuhn völlig recht.

    Das ist aber kein Positivum.

    Man muss das so sehen, dass der Gesetzgeber bei dem (teils) berechtigen Wunsch, diesen Fachrichtungen unmittelbaren Patientenzugang zu ermöglichen, ein untaugliches Mittel gewählt hat: das Heilpraktikeruniversum. Also ein Aufpfropfen einer Scheinlösung für ein reales Problem auf ein morsches Grundgerüst.

    So etwas gehört längst in ein vernünftig konzipiertes Gesundheitsberufegesetz, das seit langem durch die parlamentarische Mühle gedreht wird.

    Im Skeptiker 1/2021 erschien zum Heilpraktikergesetz eine umfassende Historie und Bewertung von Michael Scholz, die ich ganz generell empfehle, um sich zu dem Thema grundlegend zu orientieren.

    Die „Sektorierung“ des Heilpraktikerwesens wurde 1983 vom Bundesverwaltungsgericht – für die HP Psychotherapie – entgegen dem davor geltenden Grundsatz der „Unteilbarkeit des Heilpraktikers“ für zulässig erachtet. 2009 kamen dann die Physiotherapeuten hinzu (was ich per Saldo noch für am Sinnvollsten halte).

    Michael Scholz schreibt dazu u.a.:

    „Ob man dies insgesamt als sinnvoll erachten will, ist Ansichtssache. Eine wirkliche Problemlösung im Interesse einer guten medizinischen Versorgung der Bevölkerung dürfte in einer ‚Sektorierung‘ ausgerechnet des Heilpraktikerwesens wohl kaum liegen.“

    Der Ansicht bin ich auch. Zumal durch die Sektorierung für die hilfesuchenden Menschen keineswegs klarer wird, was sie von den Therapeuten des HP-Sektors, den sie auswählen, wirklich fachlich erwarten können. Die verwirrenden, z.T. unzulässigen Berufsbezeichnungen bei den HP Psychotherapie legen davon beredt Zeugnis ab.

    Zumindest sind wir – nach einem rechtskräftigen Spruch des Bundesverwaltungsgerichts – davor bewahrt geblieben, dass auch noch ein „sektoraler Heilpraktiker Osteopathie“ eingeführt wird.

  13. @ Udo Endruscheit:

    So würde ich das auch sehen. Das Heilpraktikerwesen ist keine gute Basis, um die Befugnisse von Gesundheitsberufen wie z.B. Physiotherapeuten zu regeln.

    Speziell zu den Heilpraktikern Psychotherapie vielleicht von Interesse: https://scienceblogs.de/gesundheits-check/2017/08/26/heilpraktiker-psychotherapie-abschaffen-oder-aufwerten/?all=1

  14. Heilpraktiker für Psychotherapie habe ich selbst auf der Suche nach Hilfe erlebt. Das mag nett sein für Menschen, die mal wen zum Reden brauchen, aber mit schwerer psychiatrischer Diagnose ist man echt verloren.

    Die können weder diagnostizieren, noch haben sie ansatzweise eine Vorstellung von adäquater Behandlung. Dafür sind sie enorm von sich überzeugt. Ich frag mich wirklich, ob diese Leute nicht begreifen,dass sie richtig schädlich sind.

    Die einzig gute Beratung hinsichtlich Umgang mit Neurodermitis und Allergien habe ich bisher von einem Heilpraktiker bekommen. Der hatte aber eine Ausbildung im Bereich Kranken-/ Intensivpflege und hat sich dann mit Beratung in diesem Bereich ein zweites Standbein aufgebaut.

    Sowas lasse ich mir noch eingehen, aber Hauptschule und dann nur den Heilpraktiker ist einfach indiskutabel.

  15. @ Yvonne:

    Bei den Heilpraktikern für Psychotherapie gibt es solche und solche. Viele haben in der Tat wenig Fachkompetenz.

    Es gibt darunter aber auch Psycholog:innen mit Studienschwerpunkt klinische Psychologie und Zusatzausbildungen, die derzeit nicht zu den Richtlinienverfahren zählen, aber seriös sind (z.B. Gesprächspsychotherapie).

  16. @Joseph Kuhn

    Danke für den Einwand. Ich bezog mich auf die ohne psychologisches Studium, da ich die anderen als Psychologen bezeichnen würde.

    Verwende ich da die Begriffe falsch?

  17. @Yvonne:

    Die Berufsbezeichnungen sind einigermaßen verwirrend, läuft man ihnen einfach so über den Weg. Die einzig zulässige Bezeichnung für die „kleinen“ HP ist „Heilpraktiker Psychotherapie“.

    Wer als solcher über einen einschlägigen akademischen Abschluss als Psychologe oder Psychotherapeut verfügt, darf die dazugehörige Bezeichung dazusetzen, die Bezeichnung „HP Psychotherapie“ aber nicht verändern.

    Gegen die Beschränkung auf die Bezeichnung „Heilpraktiker Psychotherapie“ wird gern und oft verstoßen, derzeit ist gerade wieder ein ganzes Bündel solcher Verstöße Gegenstand von Abmahnungen durch Verbraucherschutzverbände.

    Und was so richtig ärgerlich ist: eigentlich ist der „kleine HP“ nach dem Inkrafttreten des Psychotherapeutengesetzes schon 1999 überflüssig geworden und hätte abgeschafft gehört.

    Denn seine ursprüngliche Intention, den akademisch ausgebildeten nichtärztlichen Psychotherapeuten auf diesem Wege einen direkten PatientInnenzugang zu verschaffen, ist ja mit dem PsychThG erledigt – genau für diese Berufsgruppe wird ja die Berufsausübung nun durch ein eigenes Gesetz geregelt.

    Diese Gruppe brauchte übrigens auch keine HP-„Prüfung“ abzulegen, wenn sie ihren Studienabschluss vorwies und wurde nur durch formalen Verwaltungakt zum „kleinen HP“.

    Folge: Seit Beginn der 2000er Jahre bemächtigten sich zunehmend Leute, die keine akademische Fachausbildung hatten, des Instruments des „kleinen HP“ – und erlangten ihre Zulassung für diesen Sektor. Heute also weiß man wirklich überhaupt nicht mehr, wer sich da eigentlich tummelt … Denn die nichtärztlichen akademisch ausgebildeten Therapeuten arbeiten ja längst unter em Dach des PsychThG …

    Wieder mal ein Versäumnis des Gesetzgebers, wie ich finde. Die einstmals gute Absicht hat sich längst in ein Verwirrspiel verwandelt, das alles andere ist als eine Basis für eine gute Versorgung im psychotherapeutischen Bereich.

    Das Thema ist also noch komplexer als es zunächst den Anschein hat.

    Was aus professioneller Sicht dazu zu sagen ist, dazu gibts einen schönen Podcast bei „Grams‘ Sprechstunde“, mit Sabine Maur, die übrigens seit einigen Tagen Vizepräsidentin der Bundestherapeutenkammer ist:

    https://detektor.fm/wissen/grams-sprechstunde-heilpraktiker-und-psychotherapie

  18. @ Yvonne:

    Udo Endruscheit hat eigentlich alles Relevante dazu gesagt.

    Es wird noch etwas unübersichtlicher, weil künftig Psychotherapie nicht mehr nach dem Studium, sondern als Studium vermittelt wird. Das Psychotherapiestudium endet dann mit der Approbation, wie bei den Ärzten.

    Für die Kassenzulassung braucht es wiederum eine Weiterbildung, auch das wie bei den Ärzten:

    https://www.bundesgesundheitsministerium.de/psychotherapeutenausbildung.html

    Das macht den Heilpraktiker Psychotherapie noch überflüssiger.

    „Psychologen“ können auf alles mögliche spezialisiert sein, z.B. auch Rechtspsychologie oder Arbeitspsychologie. Das ist keine Berufsbezeichnung für einen Heilberuf.

  19. @Udo Endruscheit

    Danke für die Erklärung und den Link. Ich werde ihn mir später noch anhören.

    Letzten Endes kommt für mich nur immer wieder raus, Heilpraktiker, die ausschließlich Heilpraktiker sind, haben einfach keine brauchbare Ausbildung und gehören abgeschafft.

    Was mich bei dem Thema Heilpraktiker immer wieder schockiert ist, wieviel Freiheit die haben, alles mögliche zu behandeln, was sie wollen. Ich habe online auch Angebote gefunden wie ADHS mit Akkupunktur zu behandeln oder Depression mit irgendwelchen Chakrenreinigungen usw usf.

    Das ist jetzt zwar wieder nur eine Anekdote aus meinem Umfeld, aber mir wird einfach mulmig, wenn Menschen mit schamanischer „Ausbildung “ den kleinen Heilpraktiker machen möchten, um sich als Schamanen selbstständig zu machen. Da werden dann Krankheiten weg getrommelt und man ruft die Ahnen um Hilfe und all dieser Humbug.

    Ich hoffe sehr, die Regelungen werden strenger.

  20. Gerade heute habe ich einen Artikel gelesen, der sich mit der Selbstbehandlung einiger Krankheiten beschäftigt.

    Sicher ist es nicht verkehrt, bei milden Symptomen mit Salbeitee zu gurgeln, Pfefferminzöl auf die Schläfen zu reiben oder ähnliches.

    Bei schwereren Symptomen sollte aber laut des Artikels unbedingt ein Arzt oder Heilpraktiker (!) hinzugezogen werden!

  21. @Joseph Kuhn

    Mir ging es darum, dass HP Psychotherapie einfach keine Grundlage für Psychotherapie ist. Ein Psychologiestudium schon, auch wenn viele Psychologen sich anderen Arbeitsfeldern widmen.

    Da habe ich mich wohl missverständlich ausgedrückt.

  22. @ Yvonne

    „Sowas lasse ich mir noch eingehen, aber Hauptschule und dann nur den Heilpraktiker ist einfach indiskutabel!“

    Sorry, ich lehne sie alle ab. Zudem: Der Hauptschüler wird das sicher nicht seinen Patienten auf die Nase binden. Wie will man sie nach Ihren Kriterien dann vor der „Behandlung“ unterscheiden können?

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