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Wider die These vom „Besten beider Welten“: Das neue Münsteraner Memorandum zum Thema Integrative Medizin

| 2 Kommentare

Der Münsteraner Kreis hat ein neues Memorandum publiziert.

Es beschäftigt sich mit der sogenannten Integrativen Medizin. Als Autoren zeichnen Prof. Edzard Ernst, Prof. Hans-Georg Hofer und Dr. Claudia Nowack.

In der Einführung heißt es:

Die Zusammenführung von Alternativmedizin und konventioneller Heilkunde wird seit den 1990er Jahren zunehmend als Integrative Medizin (IM) bezeichnet und hat andere Termini dieses Bereichs weitgehend abgelöst. Heute ist IM in Deutschland auf allen Ebenen vertreten.

Die IM wird oft mit der These von dem „Besten beider Welten“ charakterisiert. Eine allgemein anerkannte Definition der IM existiert jedoch nicht. Gängige Beschreibungen der IM betonen: 

  • die Kombination von konventionellen und komplementären Verfahren
  • die Ganzheitlichkeit im Verständnis der Heilkunde
  • die hohe Bedeutung der Arzt-Patienten Beziehung
  • die Hoffnung auf einen optimalen Therapieerfolg
  • die Fokussierung auf den Patienten
  • den hohen Stellenwert des Erfahrungswissens

Die These vom ‚Besten beider Welten‘ beeindruckt viele. Was jedoch unter dem ‚Besten‘ zu verstehen ist, bleibt für IM unklar. Viele ihrer Ansprüche sind elementare Bestandteile jeder guten Medizin und können somit nicht zu ihren charakterisierenden Eigenschaften gezählt werden.

Schließlich ist kaum zu übersehen, dass die Anhänger von IM diese als Vorwand benutzen, um unbewiesene oder widerlegte Verfahren in die konventionelle Medizin einzubringen. Entgegen anderslautenden Versprechungen hat IM kein erkennbares Potential zur Verbesserung der Medizin.

Sie stiftet vielmehr Verwirrung und bringt Gefahren mit sich. 

Vor diesem Hintergrund sei zu fordern, dass „Integrative Medizin“ auf allen Ebenen kritisch hinterfragt wird.

Die Medical Tribune schreibt dazu:

Wichtig sei es […], die ärztlichen Zusatzbezeichnungen für nicht evidenzbasierte Verfahren seitens aller Ärztekammern abzuschaffen – ebenso wie alle Zusatzhonorare für Verfahren ohne wissenschaftlichen Nutzennachweis.

Außerdem müsse der Sonderstatus der „besonderen Therapierichtungen“ im Arzneimittelrecht beendet werden, der u.a. auch die Homöopathie seit 1978 von der Notwendigkeit objektiver wissenschaftlicher Wirkungsnachweise freistellt. Stattdessen müsse man angemessene Honorare für Anamnese, Recherche und Patientengespräche im Rahmen der wissenschaftsorientierten Medizin fordern.

Charakteristika, die von Patienten gewünscht und gebraucht würden, wie eine gute Arzt-Patienten-Beziehung, Ganzheitlichkeit, Erfahrungswissen, wissenschaftliche Evidenz und Hoffnung auf optimalen Therapieerfolg bei minimalen Nebenwirkungen, seien Bestandteile jeder guten Medizin.

Sie würden aber fälschlicherweise oft speziell der IM zugeschrieben – „und implizit werden sie damit jeder anderen Medizin abgesprochen“, so Dr. Nowack

In dem 20-seitigen Dokument appelliert der Münsteraner Kreis

  • an Universitäten und Medizinische Fakultäten, die kritische Auseinandersetzung mit der IM und ihren irreführenden Versprechen zu fördern, ihrer Verbreitung nicht weiter tatenlos zuzusehen sowie IM-Initiativen sorgfältiger und mit mehr Mut zur Demarkation zu prüfen
  • an Journalisten, Medien und Verlage, der IM und ihrer vermeintlichen Attraktivität mit informierter Skepsis zu begegnen, direkte und indirekte Gefahren zu benennen und damit zu einer verantwortungsvollen Risikokommunikation beizutragen
  • an Entscheidungsträger in Medizin und Gesundheitswesen, der mit der IM offenkundig einhergehenden Gefahr des Einschleusens unbelegter oder widerlegter alternativer Verfahren konsequent entgegenzuwirken; keine ineffektiven und gefährlichen Parallelstrukturen in wissenschaftsorientierter Medizin und Gesundheitsversorgung zu befördern.

Das „Münsteraner Memorandum Integrative Medizin“ gibt es hier als pdf-Download.

Zum Weiterlesen:

  • Münsteraner Kreis: Neues Memorandum zur „Integrativen Medizin“
  • Münsteraner Memorandum „Integrative Medizin“, publikum.net am 23. Oktober 2022
  • Integrative Medizin: Warum eine Hausärztin sie als pseudomedizinischen Unsinn sieht, medical-tribune am 18. November 2022
  • Ein „Bund“ zwischen Ärzten und Heilpraktikern? Das freut nur die Pseudomediziner, GWUP-Blog am 21. Juni 2015
  • Grams‘ Sprechstunde: Müssen „Schulmedizin“ und „Alternativmedizin“ miteinander versöhnt werden? spektrum am 8. Februar 2019

2 Kommentare

  1. Sehr gut. Es ist ein Skandal, wenn Pseudomediziner Patienten durch so hohle Marketing-Phrasen täuschen.

    Es gibt gute und schlechte Medizin. Lasst uns gute Medizin praktizieren. IM ist doch eher der Versuch Pseudomedizin salonfähig zu machen.

    Kommunikation, mehr Zeit für Patienten, bessere Beratung und Betreuung auch außerhalb der Arztpraxis..alles wichtig und richtig, aber mit Alternativmedizin oder Komplementärmedizin hat das nicht viel zu tun .

  2. Bei allem Verständnis für den absolut nachvollziehbaren Wunsch vieler Patienten, der Arzt möge sich mehr Zeit nehmen, geduldiger zuhören, gründlicher und „ganzheitlicher“ untersuchen, etc.:

    Warum um alles in der Welt rennen Menschen dann zum Heilpraktiker und tragen dort manchen Hunderter hin?

    Geht doch mal mit euren Euronen, die Ihr für manchen Quark-Therapeuten erübrigt, zu Eurem Haus- oder Facharzt und fragt ihn mal, was er Euch diagnostisch u therapeutisch Gutes tun kann. Ihr werdet staunen, wie der sich auf einmal Zeit nimmt und Euch zuhört. Für 100-300 € kann der sicher mehr bieten, als der Quarksalber, auch was psychosomatische Beschwerden betrifft oder mal den einen oder anderen Ultraschall durchführen.

    Den Preis für eine Homöopathische Erstanamnese kann man besser in echt gute Medizin investieren…

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