Im vergangenen Jahr berichteten wir hier über Leonard Pozner, der ins Visier von konspirologischen Eiferern geriet, weil er versucht hatte, den Verschwörungstheorien von Alex Jones über den Amoklauf an der Sandy Hook Elementary Schoool entgegenzutreten – bei dem Pozners Sohn Noah erschossen worden war:
„Völlig naiv“, wie Pozner heute sagt, habe er auf Google+ die Geburts- und Sterbeurkunden des Sechsjährigen sowie das Kindergartenzeugnis gepostet. Das brachte den digitalen Mob erst recht zum Überkochen. Eine gewisse Lucy Richards wurde 2017 wegen Morddrohungen zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Trotzdem musste Pozner achtmal in den letzten sieben Jahren umziehen, weil Verschwörungsfanatiker immer wieder seine Adresse veröffentlichten.
Pozner gründete die Organisation HONR , die gegen Angriffe von Verschwörungsideologen kämpft. Zusammen mit anderen Eltern erzielte er nun vor Gericht einen historischen Erfolg: Jones wurde von einem Gericht im US-Bundesstaat Connecticut zur Zahlung einer Schadensersatzsumme in Höhe von knapp einer Milliarde Dollar verurteilt. Bereits im August hatte ein texanisches Gericht den Eltern eines weiteren getöteten Kindes fast 50 Millionen Dollar Schadenersatz zugesprochen.
Wie viel Jones tatsächlich zahlen kann, ist unklar.
Für den Spiegel hat Richard Gutjahr mit Leonard Pozner gesprochen, der selbst Opfer von Verschwörungshetze ist.
Einige Auszüge:
Spiegel: Herr Pozner, was war Ihre erste Reaktion auf dieses Urteil?
Pozner: Ich freue mich, dass Jones haftbar gemacht wird und hoffe, dass jetzt auch andere Täter zur Rechenschaft gezogen werden. Nach fast zehn Jahren missbrauchen Leute immer noch das Bild und den Namen meines Sohnes für ihre Lügen. Ich mache mir keine Illusionen, dass dies auf wundersame Weise mit Jones` Urteil enden wird.
Nach dem Schuldspruch und der spektakulären Schadensersatzsumme, die Alex Jones zahlen muss, ist Ihr Kampf zu Ende? Kommen Sie endlich zur Ruhe?
Der Kampf für Noah ist eine lebenslange Aufgabe. Die Internetmemes, die Beschimpfungen und Verunglimpfungen meines Sohnes im Netz gehen ja weiter. Ich mache mir Sorgen darüber, wer ihn beschützen wird, wenn ich einmal nicht mehr bin.
Die EU hat dieses Jahr den Digital Services Act verabschiedet, der Social-Media-Unternehmen dazu zwingt, Hassrede schneller zu löschen. Halten Sie das für die richtige Strategie?
Ja, das ist absolut die richtige Strategie. Sie versuchen, diese sehr reale Bedrohung, dieses Gift zu bekämpfen.
Es gibt also Hoffnung?
Es gibt Hoffnung, aber die Internetkonzerne sind so reich und so mächtig. Ich weiß nicht, ob die angedrohten Geldstrafen einen Unterschied machen.
Was würde Ihrer Meinung nach einen Unterschied machen?
Sie müssen diese Taten kriminalisieren. Die Taten von Menschen und Maschinen, die uns nicht schützen, müssen Konsequenzen haben, und zwar nicht nur finanziell. Diese Konzerne haben mehr Geld, als wir uns vorstellen können, das sind Giganten. Wir wissen doch, was passiert, wenn wir nicht handeln. Ich meine, es kann Bürgerkriege geben. Jemand muss endlich die Verantwortung übernehmen, und das nicht nur finanziell.
Sie meinen in letzter Konsequenz, CEOs wie Mark Zuckerberg ins Gefängnis zu stecken?
Gefängnisstrafen für Manager? Ja. Unbedingt. Ich denke, das wird irgendwann passieren. Vielleicht nicht so bald, vielleicht erst in 100 Jahren. Was sonst bleibt noch übrig, in einer Welt ohne Konsequenzen?
Ohne Bezahlschranke steht das Gespräch auch im Blog von Richard Gutjahr.
Zum Weiterlesen:
- Es wird nie zu Ende sein, gutjahr.biz am 26. Oktober 2022
- Sandy-Hook-Lüge: Wie ein Opfer von Alex Jones sich vor Gericht wehrte, spiegel.de am 18. Oktober 2022
- Aggressive Verschwörungstheoretiker: Geschäftsmodell – Leben zerstören, spiegel.de am 12. August 2018
- „This is not your show“: Der Verschwörungsideologe Alex Jones muss 50 Millionen an seine Verleumdungsopfer zahlen, GWUP-Blog am 5. August 2022
- US-Verschwörungstheoretiker: Alex Jones muss fast eine Milliarde zahlen, zdf.de am 13. Oktober 2022
- Unter Beschuss: Wie es ist, von Verschwörungstheoretikern und Hatern bedroht zu werden, GWUP-Blog am 12. Januar 2018
- Von Pizzagate bis Sandy Hook: Die menschlichen Kosten von Verschwörungstheorien, GWUP-Blog am 19. August 2021
- „In den Tod gehasst“: Der Spiegel zum Fall Lisa-Maria Kellermayr, GWUP-Blog am 10. Oktober 2022
2. November 2022 um 18:00
Wenn man mal bedenkt, dass unter bestimmten Voraussetzungen im Verbraucherschutzrecht Haftstrafen für Firmenverantwortliche durchaus vorgesehen sind (und auch schon verhängt wurden), so ist es nicht so abwegig, in Extremfällen Plattform-Verantwortliche auch strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen.
3. November 2022 um 10:03
Eigentlich sollten jetzt auch andere Eltern mal nachziehen, Parkland z.B.:
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2022-11/usa-amoklauf-parkland-urteil
https://www.newsweek.com/alex-jones-ripped-parkland-parent-after-raising-florida-texas-shootings-1751374