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Konspirationistisches Manifest: „Rache für zwei Jahre Folter“

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Es war ein weltweiter Schlag. Eine Offensive aller Teufel, schrankenlos, blitzartig, von der Seite.

Ein Drohnenschlag auf die Weltlage; in der Mittagssonne, als das brave Volk der Erdlinge sich gerade anschickte, zu Tisch zu gehen. Die Deklaration eines neuen Grundzustands der Dinge erfolgte ohne Warnung. Hinkend, aber bereit, die Bühne zu betreten.

Die Hälfte der Weltbevölkerung eingesperrt – eine plötzliche Aussetzung aller Gewohnheiten, aller Gewissheiten, des gesamten Lebens. Danach ein Bombardement, in jedem Augenblick ein Bombenteppich – psychologisch, semantisch, computer- und informationsbasiert.

Es hörte nicht mehr auf.

So beginnt ein „Konspirationistisches Manifest“, das im Januar in Frankreich („Manifeste conspirationniste“) in dem renommierten Verlagshaus Éditions du Seuil erschienen ist und jetzt auf Deutsch vorliegt.

Hierzulande wird das Buch für sechs Euro über eine E-Mail-Adresse vertrieben und zum Beispiel in der Schankwirtschaft Laidak in Berlin (Neukölln) beworben. Eine Lesung findet am 14. Oktober in Leipzig statt.

Der oder die Verfasser sind unbekannt. Im Schlusskapitel heißt es:

Dieses Buch ist anonym, weil es niemandem gehört; es gehört zur laufenden Bewegung der gesellschaftlichen Zersetzung.

In Frankreich wird vermutet, dass hinter dem knapp 200-seitigen Essay der ultralinke Aktivist Julien Coupat steht, der 2007 mit seinem Autorenkollektiv „Das Unsichtbare Komitee“ (Comité invisible) den auch auf Deutsch verfügbaren Text „Der kommende Aufstand“ veröffentlicht hatte.

2015 legte die Gruppe mit dem Büchlein „An unsere Freunde“ nach. In einer Rezension des Deutschlandfunks hieß es:

Für Demokratisches, Rationales, Intellektuelles bleibt nur Verachtung.

So ist es anno 2022 auch mit dem „Konspirationistischen Manifest“.

Bei diesem Manifest handelt es sich um das Upcycling sämtlicher Verschwörungstheorien, die sich seit Ausbruch der Pandemie wie ein intellektuelles Virus verbreitet haben und in Frankreich in der Pseudo-Doku „Hold Up“ eine Ahnung davon gaben, dass Querdenker resistent gegen rationale Argumente sind,

analysiert die Welt-Korrespondentin Martina Meister:

Sie sind Verschwörungstheoretiker und stolz darauf.

Tatsächlich steht bereits im ersten Satz des Vorworts:

Wir sind Konspirationisten, wie von nun an alle vernünftigen Menschen.

Am Ende ruft das „Manifest“ kaum verhohlen zur Gewalt auf:

„Dieses Buch lehrt uns zwei Dinge“, schreibt Meister weiter:

Erstens, dass es eine Konversion von Verschwörungstheorien des rechtsextremen mit dem linksextremen Lager gibt. Zweitens, dass Intelligenz oder Bildung oder beides gepaart nicht zwangsläufig vor Paranoia schützen.

Allerdings scheint die „depressive Verbissenheit“, die aus dem Manifest spricht, in der deutschen Coronaleugner-Szene noch nicht angekommen zu sein – möglicherweise auch weil „der Text sprachlich wahlweise lyrisch bis verschwurbelt ist, die Argumentation erratisch bis inexistent“.

Selbst ein wohlgesonnener Rezensent wie Peter Nowak bescheinigt dem „Manifest“ eine bestenfalls „bescheidende“ Perspektive:

Letztlich läuft es hier auf ein widerständiges Leben heraus, das nicht näher spezifiziert wird, aber mit dem Begriff „sich verschwören“ schon wieder mystifiziert wird.

Nowak geht davon aus, dass auch „die Feuilletons“ diese Schrift wohl „eher totschweigen“ werden.

Und mit Recht. Anlass zu Verschwörungstheorien dürfte das kaum geben.

Zum Weiterlesen:

  • Corona-Manifest: „Wir werden gewinnen, weil wir tiefer gehen“, Welt+ am 8. Februar 2022
  • Corona-Manifest: „Wir wollen uns rächen. Uns rächen für diese zwei Jahre weißer Folter“, Welt+ am 22. September 2022
  • Anonymes Bekenntnis zur Verschwörung, telepolis am 8. August 2022
  • „Verschwörungsunternehmer“ mit finanziellen Ressourcen und guten Kontakten als Szene-Stars, GWUP-Blog am 2. Oktober 2022

11 Kommentare

  1. Anlass zu Verschwörungstheorien dürfte das kaum geben.

    Naja, bekanntlich kann buchstäblich ALLES als Anlass für Verschwörungstheorien dienen. Die Findigkeit entsprechend Interessierter kennt kaum Grenzen.

    Aber das spricht natürlich nicht gegen das Totschweigen dieser Schrift durch die Feuilletons.

  2. In der Welt dieser eifrig belehrenden Wahrheitsbesitzer ist doch jeder ein Kautsch. Könnte es nicht auch mal ein Sofa oder eine stilvolle Chaiselongue sein, möchte man fragen.

  3. Die Welt:

    „Wir sind wie fortan alle vernünftigen Menschen Verschwörungstheoretiker.“

    Mit Konspiratist ist hier nicht der Verschwörungstheoretiker, sondern der Verschwörer gemeint.

    Zwei Links zu weiteren Kritiken aus politisch linker Sicht:

    eher negativ

    https://www.untergrund-blättle.ch/buchrezensionen/sachliteratur/unsichtbares-kommitee-konspirationistisches-manifest-kritik-7184.html

    eher positiv

    https://www.untergrund-blättle.ch/buchrezensionen/sachliteratur/unsichtbares-kommitee-konspirationistisches-manifest-rezension-7190.html

    Der nächste Versuch, nachdem „Der kommende Aufstand“ ausgefallen ist.

  4. Aus politischer Überzeugung sind mir die 6 Euro gewiß zu schade für diese Schrift.

    Aber die Frage bleibt für mich dennoch, was außer Nihilismus und ausgeprägter Destruktivität hier als ernstzunehmende Alternativen angeboten wird. Und das, was ich jetzt quergelesen habe, gibt mir darauf keine Antwort.

    Aber es ist ein unglaubliches Geschwafel einer oder mehrerer intellektuell sich gebärdender Personen – ich stelle mir lebhaft vor, wie sie sich von irgendeinem Kleingeist diesen Text, den sie fabriziert haben, vorlesen lassen. Und dabei unbekleidet vor einem Spiegel stehen und dazu masturbieren. Unappetitliche Bilder in meinem Kopf.

    Letztlich kann man dieses langeweilige Zeuchs mit einem Satz zusammenfassen:

    „Nicht wofür wir kämpfen, ist das Wesentliche, sondern wie wir kämpfen.“

    Was beweist, daß an der Hufeisentheorie (die Extremismen von links und rechts berühren sich), doch wieder etwas dran ist: Der Satz stammt nämlich von Ernst Jünger.

    Insofern: Jawoll, dieses Manifest ist doch etwas für uns deutsches Volk – denn Landsknechtmentalität, das konnten wir schon immer, das macht uns noch immer Spaß.

  5. Ergänzend zunächst eine Entschuldigung für meinen vulgären Ton: Ich habe diese Leute, die sich für superschlau halten und dadurch strunzdumm sind, einfach nur gefressen.

    Und genau genommen ist das, was der oder die Autoren da zelebrieren, ja noch nicht einmal Politik, sondern eine apolitische Ästhetik der Gewalt. Sie unterscheiden sich durch nichts von einer Horde Hooligans, die auf die „dritte Halbzeit“ warten.

    Und da sich Geschichte bekanntlich nicht wiederholt, aber reimt, empfehle ich als wirklich lesenswertes Buch Sebastian Haffners „Geschichte eines Deutschen“. Er beschreibt dort mit dem Referendar Brock einen Menschen mit besagter Landsknechtmentalität, der, im Grunde unpolitischer Ästhet, den „Gott des Abenteuers“ anbetet.

    Und dann tatsächlich als Nazi endet.

  6. Hallo Bernd !

    Ich habe den Eindruck diese Tarnac 9 Bewegung ist eine Identitäre Bewegung von Links.

    https://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2019/01/14/identitaere-bewegung-greift-zeitungen-und-parteibueros-an_27911

    „„Es gibt keinen friedlichen Aufstand. Waffen sind notwendig: Es geht darum, alles zu tun, um ihren Gebrauch überflüssig zu machen.“

    – Unsichtbares Komitee: Deutschsprachige Ausgabe beim Nautilus Verlag, S. 105

    https://de.wikipedia.org/wiki/Der_kommende_Aufstand

    Wer in einem anonymen Manifest, wenn auch mehr oder weniger subtil zu Gewalt aufruft, hat sich schon selbst disqualifiziert. Der linke Terrorismus hat in all den Jahrzehnten in Europa zu nichts geführt.

    Die Tarnac Bewegung ist durch Anschläge auf Bahnstrecken in Frankreich in das Fadenkreuz der Sicherheitsbehörden geraten und als terroristische Vereinigung eingestuft worden.

    Die Ermittlungen haben zwar zu keinen verwertbaren Ergebnissen geführt, Julien Coupat einer der vermutlichen Autoren dieses Manifest, war aber trotzdem 6 Monate in Untersuchungshaft.

    Für die französische Justiz war dieses Verfahren eher eine Blamage.

  7. „Am Ende ruft das „Manifest“ kaum verhohlen zur Gewalt auf:“

    Wo steht da was von Gewalt? Rache = Gewalt? Eigentlich nicht. Könnt ihr wenigstens versuchen, ehrlich zu wirken?

  8. @Lenny:

    Dann erklären Sie uns doch mal, wie gewaltlose Rache funktioniert.

    Insbesondere im Zusammenhang mit Beschimpfungen wie „Dreckskerle“, „die bösartigsten Wesen“ etc. und Passagen wie

    Es handelt sich um einen Krieg.

    Wir müssen uns ihrer einfach entledigen.

    Es ist keine Frage des Übergangs, sondern eine ihres Verschwindens.

    Diejenigen, die glauben, man müsse für eine Revolution das Programm der zukünftigen Welt bereits in der Tasche haben, täuschen sich gewaltig. Die ganze Geschichte zeigt, dass sie sich immer getäuscht haben. Die Kathedrale von Chartres wurde ohne Plan gebaut.

    Aber das verstehen wir sicher ganz falsch und ist alles nur symbolisches Geschwurbel …

    Und inwiefern sollen wir wobei „versuchen, ehrlich zu wirken“?

    Aber am besten frage ich erst gar nicht.

  9. @Lenny

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  10. Was mir bestätigt, daß die sich achso intellecktüell gebärdenden Linksextremisten sicherlich meist ungefährlicher, aber ganz bestimmt dämlicher sind als die dumpfen rechtsextremistischen Schlagetots.

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