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Querdenker, Impfgegner und Co.: „Passive Unwissenheit“ versus „aggressive Ignoranz“

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Der Beitrag in der Zeit mag ja gut gemeint sein:

Reden mit Impfgegnern: Müssen wir anders mit Verschwörungstheorien umgehen?

Aber genauso wie seine Kollegen vor sieben Jahren vergallopiert sich auch Lars Weisbrod völlig bei seinen feuilletonistischen Pirouetten.

Offenbar ist es dem Zeit-Redakteur angelegen, die ganze Impfskepsis auf einen großen „gedanklichen Kurzschluss“ herunterzubrechen:

Der Impfskeptiker scheut einen Schaden durch Handeln viel eher als einen Schaden durch Unterlassen.

Nun ja – zum einen ist das bei weitem nicht das einzige „Argument“ von Impfgegnern. Wäre dem so, hätte etwa Martin Moder wohl kaum einen eigenen Video-Kanal nur zum Thema Impfen starten müssen.

Zum anderen werden Impfskeptiker keineswegs mit der „philosophisch ausbuchstabierten Unterscheidung zwischen Tun und Unterlassen“ alleingelassen, wie der Journalist unterstellt. „Argumentationsangebote“ werden ihnen unter anderem in Arztpraxen, auf Webseiten und in Büchern gemacht.

Weisbrods wortreiche Impfgegner-Verteidigung geht krachend ins Leere und wird zum Beispiel von Tom Uhlig kritisiert:

Eine andere Sichtweise legt auch Florian Aigner dar:

Wenn jemand etwas nicht weiß, weil er es einfach noch nie gehört hat, weil er es nicht verstanden hat, oder weil einfach ein bisschen länger dafür braucht, dann muss das immer völlig in Ordnung sein. Man kann das „passive Unwissenheit“ nennen,

schreibt er bei Futurezone.

Wenn aber jemand etwas nicht weiß, weil er sich mit aller Kraft dagegen wehrt es zu wissen, wenn er bekannte Fakten leugnet, weil sie ihm nicht in den Kram passen und seine alternative Unsinnsmeinung dann auch noch mit voller Lautstärke in die Welt trompeten möchte, dann ist die Situation völlig anders. Das könnte man als „aggressive Ignoranz“ bezeichnen.

Aigners Fazit:

Wir haben die Pflicht, alle Leute mitreden zu lassen, sonst sind wir keine Demokratie mehr. Wir haben aber auch die Pflicht, für ein gewisses Mindestniveau der Diskussion zu sorgen, sonst wird die ganze Diskussion sinnlos.

Und an einem gewissen Punkt ist es in Ordnung zu sagen: Du darfst gern wieder mitdiskutieren, wenn du Argumente hast – aber das hier ist keines.

Zum Weiterlesen:

  • Reden mit Impfgegnern: Müssen wir anders mit Verschwörungstheorien umgehen? Zeit-Online am 10. Juli 2022
  • Demokratie und Ignoranz, futurezone am 23. Juli 2022
  • Ohne Wissenschaft keine Demokratie, materie.at am 22. Juli 2022
  • Sind Verschwörungstheoretiker „vernünftiger“? GWUP-Blog am 18. Januar 2015
  • „Sklave des Teufels“: Vom Versuch, mit Impfgegnern zu diskutieren, GWUP-Blog am 23. September 2021
  • Diskussion mit Impfgegnern: Religiöser Eifer und die Verteidigung der Vernunft, GWUP-Blog am 24. Juni 2014
  • Beleidigungen, Uninformiertheit, Expertengerangel: „Zeit-Online“ analysiert Impf-Debatten, GWUP-Blog am 21. März 2015

6 Kommentare

  1. Die Sache mit dem Schaden durch Unterlassen vs Schaden durch Handeln ist überhaupt nichts, was Impfgegner (oder auch ganz normale Leute) bewusst reflektieren oder gar argumentieren würden.

    Das ist ein psychologischer Mechanismus, der auch beim ehrlichen Versuch, Risiken abzuschätzen, greift. Weil der Mensch für solche Abschätzungen einfach nicht gemacht ist.

    Von daher ist es ein krasser Kategorienfehler in der ZEIT, das als spezifischen „Impfgegner-Mechanismus“ zu interpretieren.

    Hätte Herr Weisbrod mal ein wenig seine freien Assoziationen gegen Fakten ausgewechselt, wäre er z.B. auf die COSMO-Studie von Cornelia Betsch und ihre MitstreiterInnen an der Uni Erfurt gestoßen.

    Die belegte nämlich schon vor über einem Jahr, dass sich Impfverweigernde zum Beispiel nicht einmal dann umstimmen lassen würden, wenn Ungeimpfte auf Intensivstationen nachrangig versorgt werden würden (ein rein hypothetisches Szenario, das lediglich für die Befragung in Aussicht gestellt wurde).

    Das hätte sein weichgespültes feuilletonistisches Kartenhaus vermutlich zum Einsturz gebracht.

    Naja, man weiß es nicht …

  2. „87 Prozent der nicht aus medizinischen Gründen Ungeimpften werden von Verschwörungsnarrativen beeinflusst und sind daher überwiegend nicht für eine Impfkampagne erreichbar“, sagte Studienleiterin Jana Faus vom Institut pollytix.“

    https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/warum-sich-menschen-in-rlp-nicht-impfen-lassen-100.html

  3. Unter dem #Übersterblichkeit werden auf Twitter gerade die erhöhten Sterbefallzahlen im Oktober 2022 „diskutiert“.

    Sterbefallzahlen im Oktober 2022 um 19 % über dem mittleren Wert der Vorjahre

    https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/11/PD22_480_126.html

  4. @Carsten Ramsel:

    Die Welt schreibt dazu:

    Für den Aufschwung der Todesraten kommen nur wenige Gründe infrage. Omikron zählt auf den ersten Blick mit einer Mortalität von 0,05 Prozent eher nicht dazu. Und mögliche fatale Nebenwirkungen der Corona-Impfungen? Auch die sind als Ursache kaum wahrscheinlich, da gegenwärtig nur wenig geimpft oder geboostert wird. Schwerwiegende Naturereignisse wie zwei Monate Sommerhitze, von vielen Experten Ende August als Ursache für die erhöhte Sterblichkeit vermutet, scheiden ebenfalls aus.

    Und so stehen als mögliche Gründe der Todeswelle die Folgen von Covid-19 und die Folgen der Pandemie-Maßnahmen, die erhebliche Einschränkungen ärztlicher Behandlungen mit sich brachten, im Fokus. Viele Menschen schreckten vor Arztbesuchen zurück, aus Angst vor Ansteckung, viele schoben eine Behandlung auf die lange Bank, viele versuchten sich in Selbstdiagnose und -behandlung, viele verkannten die Lebensgefahr, in die sie sich brachten.

    Oder:

    https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/panorama/hohe-sterberate-oktober-vorsorge-untersuchung-aerztemangel-100.html

  5. „Göran Kauermann, Statistikprofessor an der LMU München, sieht einen möglichen Grund für die hohen Zahlen im Oktober in Grippeinfektionen. Darüber könne man aber nur mutmaßen. Seine Berechnungen bestätigen zwar die Werte des Statistischen Bundesamtes, Kauermann macht jedoch klar, dass sich die aktuelle Sterblichkeit im Rahmen der üblichen statistischen Variation bewege.

    Darüber hinaus zeige sich an seinen Daten, dass die Zahlen aktuell wieder fallen. Kauermann weist ähnlich wie Schöley auch darauf hin, dass es in den vergangenen Jahren schon stärkere Ausschläge gegeben habe. Als ein Beispiel für die Zeit vor der Corona-Pandemie kann hier die Grippewelle der Saison 2017/2018 angeführt werden.“

    https://www.br.de/nachrichten/wissen/uebersterblichkeit-das-sagen-experten-zur-hohen-sterberate,TNojPUO

  6. In Bonn geriet ich gestern zufällig in eine Demo. Der Sinn der Aktion war mir nicht klar.

    Der Mann am Mikrofon beanstandete, dass er an der Kasse von einer Frau „mit Kaffeefilter“ im Gesicht bedient wurde. Eine Frau forderte, die Schadensbilanz der Impfungen zu veröffentlichen.

    Mein Eindruck war der, dass es nicht allein das Wetter war, das die Demonstranten buchstäblich im Regen stehenließ.

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