Welt+ berichtet über die nach eigenen Angaben erste Beratungsstelle, „die sich ausschließlich dem Phänomen der Verschwörungserzählungen widmet“:
Wer als Angehöriger also darunter leidet, dass sich nahestehende Menschen tiefer und tiefer in dem Kaninchenbau der großen Verschwörungsmythen verirren, der findet hier Hilfe.
Veritas ist ein Pilotprojekt der Stadt Berlin mit Fördermitteln der Landeskommission gegen Gewalt. Leiter ist der 34-jährige Deeskalationstrainer Tobias Meilicke. Die Anfragen kommen aus dem gesamten Bundesgebiet:
„In einem ersten Schritt versuchen wir die Personen, die sich an uns wenden, also zu stabilisieren.“ In einem zweiten Schritt wird versucht, wieder eine Ebene zu finden, auf der eine Beziehung stattfinden kann.
„Viele Menschen, die zu uns kommen, sind kurz davor, die Beziehung zu ihrem Partner oder ihrem Elternteil abzubrechen, weil der Leidensdruck tatsächlich sehr hoch ist. Wir suchen dann nach Wegen, wie man in Kontakt bleiben kann.“
Einer dieser Wege ist es, gemeinsame Themen zu finden, die nichts mit der Verschwörungstheorie zu tun haben. „Was sind Gemeinsamkeiten, über die man sprechen kann, was sind gemeinsame Tätigkeiten, die man ausüben kann, ohne dass es zu Stress kommt?“, fragt Meilicke. „Vielleicht einfach mal wieder eine gemeinsame Fahrradtour machen.“
Ein Fundament dafür schaffen, dass Kommunikation möglich bleibt.
Wichtig ist es für Meilicke und seine Klienten in einem letzten Schritt schließlich herauszuarbeiten, was die eigentlichen Gründe für die Verschwörungsgläubigkeit sind.
„Zum einen ist das ganz oft die Anerkennung, die man in diesen Gruppen erfährt“, sagt er. „Klar, man wähnt sich im Besitz von einem bedeutenden Wissen, glaubt eine weltweit umspannende Verschwörung durchschaut zu haben, Teil von etwas Großem, etwas Bedeutendem werden zu können, wenn man diese Verschwörung aufdeckt.“
Der zweite, vielleicht noch etwas bedeutendere Punkt ist die Selbstwirksamkeit. „Corona hat dazu geführt, dass viele Menschen das Gefühl haben, die Kontrolle über ihr Leben zu verlieren, sich ohnmächtig fühlen.
Wenn Sie aber auf ‚Querdenker‘-Demos gehen, sich im Internet austauschen und äußern, aktiv werden, dann ist das eine Form von Selbstermächtigung. Vor allem, wenn Sie dabei auch noch gegen eine Gruppe arbeiten, die Ihnen ihre Souveränität vorher vermeintlich entzogen hat oder ihnen schaden will.“
- Ratsuchende können sich außerdem zum Beispiel an Zebra BW oder das Sekteninfo NRW oder an die kirchlichen Beratungsstellen für Religions-, Sekten- und Weltanschauungsfragen wenden.
Außerdem gibt es ein neues Subreddit (also ein Reddit-Unterforum) für „VTbetroffene“:
Und natürlich das neue Buch von Katharina Nocun und Pia Lamberty: „True Facts“.
Im Alltag passiert es erstaunlich oft, dass wir mit Verschwörungserzählungen konfrontiert werden. Ob mit einem Freund in der Kneipe, der über „geheime Mikrochips in Impfungen“ referiert, ein Kollege, der davon überzeugt ist, dass uns die „Lügenpresse“ manipuliert oder der Bruder, der die „Pharmalobby“ für alle Erkrankungen verantwortlich macht.
Wieso ist es so schwer, in einem solchen Moment einzugreifen? Und wie kann es uns gelingen, diese Aussagen als Verschwörungserzählungen zu entlarven?
Zum Weiterlesen:
- Was Sie tun sollten, wenn Ihr Partner an Echsenmenschen glaubt, Welt+ am 3. Juni 2021
- Katharina Nocun/Pia Lamberty: True Facts – Was gegen Verschwörungserzählungen wirklich hilft. Quadriga 2021, 176 Seiten, 12 €
- Das rechte Geschäft mit der Angst, rnd am 5. Juni 2021
- Verschwörungsmythen an der Schule, taz am 3. Juni 2021
- Viele Gespräche zu Verschwörungsmythen bei Sekten-Info, wdr am 22. April 2021
- Freiburger Beratungsstelle: Corona-Fakenews spalten Familien, swr am 18. Januar 2021
- Infosekta 2020 mit vielen Corona-Verschwörungsmythen konfrontiert, Bieler Tagblatt am 4. Juni 2021
- Website „Wiebkes Wirre Welt“: Preisgekrönte Schwurblerprävention, taz am 21. Mai 2021
- Wie Reddit-User versuchen, ihre Familien aus der QAnon-Verschwörung zu retten, derStandard am 18. Februar 2021
- Wie Herr Reimann zum Verschwörungsgläubigen wurde, GWUP-Blog am 25. November 2020
- Der schwierige Umgang mit Verschwörungsgläubigen, GWUP-Blog am 15. Mai 2020
- „Auf dem Schlachtfeld“: Umgang mit Verschwörungsgläubigen, GWUP-Blog am 7. September 2020
- Verschwörungsmythen kontern: ein Interview mit Ingrid Brodnig, GWUP-Blog am 1. März 2021
8. Juni 2021 um 01:17
Was ist mit den Betroffenen, die, weil sie Verschwörungsmystikern hinterhergelaufen sind, ernsthaft erkrankten, Spätfolgen haben etc. pp.? Was ist mit den entsprechenden Mystikern?
8. Juni 2021 um 13:10
„Tobias Meilicke arbeitet bei der Beratungsstelle „Veritas“ und kümmert sich dort um Menschen, die so sehr an ihren Glauben festhalten, dass es das Zusammenleben sehr erschwert. Er ist bei uns zu Gast und erzählt von seiner Arbeit.“
https://www.sat1.de/tv/fruehstuecksfernsehen/video/2021374-darum-glauben-menschen-an-verschwoerungstheorien-clip
20. Juni 2021 um 16:21
„Tobias Meilicke, Leiter von Veritas – Beratungsstelle für Betroffene von Verschwörungserzählungen, der mit Unterstützung des Berliner Senats eine Beratungsstelle für Opfer leitet, gibt Tipps.“
https://www.rbb-online.de/zibb/service/familie/verschwoerungstheorien.html