Um diese bühnenreife Betroffenheitsheuchelei hätte selbst Jürgen Fliege den Professor Bhakdi beneidet:
Ich hab einen Wunsch. Ich möchte gerne, dass diese Menschen, dass wir aufhören, diese Masken zu tragen. Reißt die Masken runter, gebt einander die Hand und fangt an zu singen … Mozart.
Allerspätestens nach diesem Auftritt im „Corona-Quartett“ bei Servus-TV am 2. November sollte Bhakdi eigentlich nur noch bei Oliver Kalkofe zu sehen sein.
Nichtsdestotrotz widmet heute die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung dem pensionierten Mikrobiologen einen ganzseitigen Artikel.
Durchaus verständnisvoll beschreibt der Autor eingangs drei Erlebnisse, die Bhakdi zu Beginn der Corona-Krise als „erniedrigend“ empfunden habe (korrekter wäre wohl, von einem klassischen Kontrollverlust zu sprechen):
Im Kindergarten seines Sohnes musste er einen MNS tragen.
Im Flugzeug ebenfalls („Abnehmen durfte er sie nur, um Tapas zu essen, und beeilen sollte er sich auch noch. Die Stewardess, erzählt er, habe ihn angeherrscht: Essen Sie schneller! Auch das: erniedrigend.“).
Die betagte Mutter von Gattin Karina Reiß kollabierte im Supermarkt mit Maske („Für Bhakdi ist klar: Sie kollabierte wegen der Maske.“).
Schließlich brachten Bhakdi/Reiß ihr Buch „Corona Fehlalarm?“ heraus:
Zwei Mediziner schreiben ein Buch über die Pandemie. Sie vertreten eine andere Meinung als die des Virologen Christian Drosten. Für sich genommen, ist das nicht bemerkenswert. Das wird es aber, wenn Bhakdi und Reiß über Politik reden. Beide sehen sich als Dissidenten in einem Unrechtsstaat. „Was wir erleben, ist eine Gesundheitsdiktatur auf Kosten der Gesundheit der Menschen“, sagt Bhakdi.
Über Deutschland sagt der Mann mit thailändischen Wurzeln: „Ich kam aus einem totalitären Staat. Und ich habe das Wunder der Demokratie hier erlebt. Jetzt sehe ich mit Schrecken in meinem Herzen, dass mein Kind möglicherweise in einem totalitären Staat aufwachsen müsste, in dem die freiheitlichen Grundrechte entgegen aller wissenschaftlichen Evidenz willkürlich eingeschränkt werden.“
Reiß sagt: „Wir überlegen uns ernsthaft, auszuwandern.“ Nach Thailand, ausgerechnet.
Sodann referiert der Artikel einige Behauptungen Bhakdis plus Faktencheck und folgert:
So ist es mit vielen Aussagen Bhakdis. Ein ehemaliger Kollege, der nicht genannt werden will, sieht dahinter eine Strategie:
Bhakdi greife sich etwas heraus, was wissenschaftlich korrekt ist, zum Beispiel die Frage der Sterblichkeit. Dann vermengt er begründete Zweifel mit seinen Überzeugungen. Was dabei herauskommt, könne sich so gut verbreiten, weil die wenigsten im Publikum etwas von Medizin verstehen. Sie können nicht beurteilen, was die Kritik eines Epidemiologen wie Bhakdi von den Warnungen eines Virologen wie Drosten unterscheidet. Also glauben sie demjenigen, der ihre Meinung vertritt.
Dabei liegen Welten zwischen Bhakdi und Drosten. Laut dem Kollegen, der nicht genannt werden will, ist Drosten einer der wenigen, der wirklich etwas von Corona versteht. Sein Leben lang forsche der schon an Viren. Bhakdi hat sich mit Bakterien beschäftigt, das ist bekanntlich was anderes.
Trotzdem tue er so, als stehe er mit Drosten auf einer Stufe. Es stimme aber einfach nicht.
Spaßig wird es dann kurz, wenn Bhakdi/Reiß Christian Drosten als nach Aufmerksamkeit gierenden „Pfau“ charakterisieren (die Stuttgarter Zeitung über Corona Fehlalarm: „Aus jeder Zeile schreit dem Leser die tiefe persönliche Kränkung entgegen, dass dieser Herr Drosten in der Öffentlichkeit mehr Beachtung erfährt als die Autoren.“).
Schließlich geht es um die ernste – und spannende – Frage, ob Bhakdi ein Verschwörungstheoretiker sei.
Natürlich ist er das. Und zwar aus folgendem Grund: Da für ihn klar ist, dass „das mit der Pandemie so nicht stimme“, muss natürlich ein Plan sinistrer Mächte dahinterstecken – also das zentrale Element einer jeden Verschwörungstheorie.
Zunächst nennt Bhakdi die WHO als Hauptakteur. Dann holt er allerdings weiter aus:
Was Bhakdi und Reiß darüber denken, wollen sie aber nur hinter vorgehaltener Hand sagen. In der Zeitung soll dazu bitte nichts stehen. Tage nach dem Gespräch schicken sie eine E-Mail mit ein paar Anregungen. Noch einmal bekräftigen sie: Das Thema solle im Text über sie außen vor bleiben.
Was die beiden dazu zu sagen haben, wird hier also nicht zitiert. Worum es geht, macht ein Link deutlich, den sie uns mit ihrer Mail schickten.
Anscheinend folgt Bhakdi dem selbsternannten „Aufklärungspraktiker“ Robert Stein und dessen Youtube-Kanal „Stein-Zeit“. Vor allem Steins Ausführungen über den „Great Reset“ haben es Bhakdi offenbar angetan.
Der FAS-Artikel endet mit der Feststellung, dass es den Begriff „The Great Reset“ (Der große Neustart) wirklich gibt, dieser aber in einschlägigen Kreisen umgedeutet wird (genauso wie „Die Neue Weltordnung“).
Dieses Thema müssen wir mal ausführlicher behandeln. Vor einigen Tagen hat die Schweizer Handelszeitung dazu geschrieben:
Unter diesem Titel kursiert eine immer eifriger diskutierte Theorie, wonach ein präziser Plan zur Veränderung der Welt besteht.
Tatsächlich geht es dabei um neue Grundlagen für die Wirtschafts- und Sozialsysteme nach der Corona-Krise, die beim nächsten WEF (World Economic Forum/Weltwirtschaftsforum) im Mai in Luzern diskutiert werden sollen. Ein Buch dazu von WEF-Chairman Klaus Schwab ist im Juli erschienen.
Zum Weiterlesen:
- Sucharit Bhakdi: Der bittere Mediziner, FAZ+ am 30. November 2020
- „The Great Reset“: Wie das WEF ins Zentrum aller Verschwörungstheorien geriet, handelszeitung am 20. November 2020
- Neue Verschwörungstheorie über Joe Biden: „Great Reset“ verbindet Mikrochips, Menschenroboter und Sesamstraße, Frankfurter Rundschau am 27. November 2020
- „Verborgene Wahrheit?“ Tagungsband zum Thema Verschwörungsdenken und Weltanschauungsextremismus, GWUP-Blog am 28. November 2020
- Bhakdi-Faktencheck, der nächste …, GWUP-Blog am 16. November 2020
- Wie Herr Reimann zum Verschwörungsgläubigen wurde, GWUP-Blog am 25. November 2020
- Ist Sucharit Bhakdi ein Experte für SARS-CoV-2 und Covid-19? GWUP-Blog am 24. Oktober 2020
- Bhakdi und Reiss sind bei Corona-Skeptikern Helden – ihre Kernaussagen im Faktencheck, watson am 1. Oktober 2020
- Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, oder: Darf man mit Wolfgang Wodarg diskutieren? Gesundheits-Check am 29. Nocember 2020
- „Da muss vorher etwas zerbrochen sein“: Die interne WDR-Debatte über Corona-Berichte, uebermedien am 23. November 2020
29. November 2020 um 16:55
Kleine Korrektur: er ist nicht emeritiert. Bhakdi ist pensioniert, da seine Professursberufung erst 1982 erfolgte; maßgeblich für eine Emeritierung wäre eine Berufung vor dem 1.9.1978 gewesen.
https://www.unimedizin-mainz.de/medizinische-mikrobiologie-und-hygiene/startseite/meldungsarchiv.html
29. November 2020 um 17:09
@Benjamin Krüger:
Danke, wir ändern.
29. November 2020 um 17:21
Mozart? Zauberflöte, oder was? Oder meinte er doch eher Freude, schöner Götterfunken von Beethoven?
Ist der Typ peinlich.
29. November 2020 um 18:24
Jemand wird von einer Stewardess zusammengefaltet, macht daraufhin auf Corona-Leugner und wirft anderen Narzissmus vor? Genau mein Humor.
29. November 2020 um 18:54
@borstel: Mir würde da ein passender Kanon von Mozart einfallen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Leck_mich_im_Arsch
29. November 2020 um 19:53
@ Retho: Den Bhakdi dort zu lecken, wäre noch zuviel der Ehre – vielleicht paßt zu ihm eher folgende Charakterisierung:
https://de.wikipedia.org/wiki/Bona_nox!_bist_a_rechta_Ox …