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Verschwörungsgläubige: Die „Grundmotive“ ernst nehmen – aber was folgt daraus?

| 30 Kommentare

Der Studiengang „Medienwirtschaft“ der Hochschule der Medien in Stuttgart hat ein Video (zirka 22 Minuten) zum Thema Verschwörungstheorien produziert:

Mit dabei sind die Skeptiker-Interviewpartnerin Katharina Nocun und meine Korreferentin Felicitas Flade von der Uni Mainz.

Bei watson legt der Mitbegründer und ehemalige Präsident der Schweizer Skeptiker, Marko Kovic, fünf Grundmotive dar, „wo Verschwörungstheoretiker – fast – recht haben“:

Kovic weist darauf hin, dass Verschwörungsmythen auch …

Ausdruck eines legitimen grundsätzlichen Unbehagens mit dem Zustand der Dinge

sein können.

Das ist als Analyse nicht falsch (und steht so auf Seite 57 auch in meinem Buch, das demnächst in einer aktualisierten Neuauflage erscheint). Nur die Schlussfolgerung daraus bleibt sehr vage:

Dieses Unbehagen und die realen Probleme, durch welche es zustande kommt, sollten wir ernst nehmen. Ansonsten überlassen wir das Feld den Irrationalen.

Genau das tun „wir“ ja – indem wir uns beispielsweise für bessere Medizin (statt „Alternativmedizin“) und für bessere Medien (statt „Alternativmedien“) einsetzen.

Das Problem ist nur, dass Verschwörungsgläubige uns auch hierbei nicht unterstützen, sondern nur naiven Wahrheitsglauben auf der einen (nämlich „ihrer) Seite und diffamierenden Totalzweifel auf der anderen (nämlich „unserer“) Seite kennen:

Auch bei den Corona-Protesten gestern in Berlin gab es „kaum Argumente, nur Stimmungsmache“ (erschreckende Einblicke gibt dieses Doku-Material von Dunja Hayali).

Inwieweit man Verschwörungsgläubige zurückgewinnen kann für eine rationale gesellschaftliche Debatte – das ist die entscheidende Frage, auf die wir Antworten brauchen.

Wie schwierig das ist, erklärt auch der Schauspieler Wotan Wilke Möhring, der in der aktuellen Outbreak-Serie „Sløborn“ mitspielt:

Angst ist der stärkste Motor, und Angst ist das, auf das wir zurückgreifen, wenn wir nicht weiterwissen. Die Vernunft muss sich aber der Angst entgegenstellen. Und das ist bei manchen das Problem: dass sie sich einfach fallen lassen in diese Angst und den einfachen Weg versuchen zu gehen.

Zum Weiterlesen:

  • Wo Verschwörungs-Theoretiker (fast) recht haben: 5 Thesen, watson am 1. August 2020
  • Wotan Wilke Möhring über Verschwörungstheorien, swp am 31. Juli 2020
  • Corona-Demonstration: Sie sind die zweite Welle, Zeit-Online am 1. August 2020
  • Corona-Proteste in Berlin: Reggae und Pegida-Flagge, Spiegel-Online am 1. August 2020
  • Der schwierige Umgang mit Verschwörungsgläubigen, GWUP-Blog am 15. Mai 2020
  • Podcast: Der Umgang mit Verschwörungsgläubigen im Freundes- und Familienkreis, GWUP-Blog am 25. Juli 2020
  • Verrenkungen der Verschwörungsideologen: Der schwere Irrtum der einfachen Wahrheit, tagesspiegel am 9. Juni 2020
  • Video: „Die Epidemie der Verschwörungsmythen“ bei Skeptics in the Pub Köln mit Dr. Holm Hümmler, GWUP-Blog am 2. August 2020

30 Kommentare

  1. „(erschreckende Einblicke gibt dieses Doku-Material von Dunja Hayali)“

    Oh Mann!

  2. Aus dem Resümee von Kovic‘ Artikel:

    „Wenn die für viele Menschen einzige zugängliche Gesellschaftskritik die Form von Verschwörungstheorien annimmt, flüchten sie sich eben wenig überraschend in diese.“

    Da ist meiner Ansicht nach mehr dran als bei üblichen Begründungen. Ich hätte es allerdings anders formuliert – trotz des argumentativen Vorlaufs des Artikels.

    Etwa Daumen mal pi so:

    „Wenn die für viele Menschen bequemstmögliche Gesellschaftskritik die Form von Verschwörungstheorien annimmt, dann werden sie VT teilen und verbreiten – besonders dann, wenn sie in Form von „Likes“ oder ähnlichen Gratifikationsmechanismen „belohnt“ werden (in einer Gesellschaft, die stark von Aufmerksamkeitserzeugung als erwünschtem Sozial-Soll geprägt ist, reicht schon „Aufmerksamkeit“ alleine – auch negative! – als „Belohnung“ aus).“

  3. @ajki:

    Ich wüsste nur gerne, warum Verschwörungstheorien „für viele Menschen die einzige zugängliche Form von Gesellschaftskritik“ sein sollen?

    „Bequemstmöglicht“ scheint mir persönlich da in der Tat besser zu passen.

  4. Es geht bei den Demos nicht um Dummheit. Es wird um die Methode der Naturerkenntnis gestritten. Und der mit dem Herzen geschauten Natur kann kein Faktencheck der zu Lügner*innen erklärten Akteure aus Medien und Wissenschaft beikommen. Was eigentlich übersehen wird, ist etwas anderes. Nicht das Sein, aus dem das Sollen abgeleitet wird, ist das Problem, sondern überhaupt das ausschließliche Denken im Sein-Sollens-Fehlschluss, dass das Sollen aus dem Sein zu schließen wäre – ein ontischer Autoritarismus. Denn dann wird notwendig die Nazi-These eingekauft, dass es am Ende nur um gesunde und schädliche Akteure ginge, die entweder authentisch im Sein stehen oder eben gerade nicht. Das berührt ein Faktencheck gar nicht.

    Und andersherum bleiben die tatsächlichen Interessen verborgen.

  5. @Kris:

    Ah, verstehe – jetzt wissen wir’s …

  6. @Martina:

    Da sieht man eben sehr deutlich, wo die These von Marko an ihre Grenzen kommt. Sie versucht ja, die Leute ernst zu nehmen.

  7. @ Kris:

    Und ich dachte, es ginge darum, dass es so ist. Weil man fundamental mit dem Herzen sieht. Wegen der Faktencheck zu Lügner. Die echten Interessen sind tiefer. Das sieht man an den Medien. Bilder lügen nicht. Faktencheck Lügenpresse.

    Das Sein vom Hume ist wie das Sollen vom Moore. Beides zusammen ist die wahre Wirklichkeit des Herzens. In der Transformation zum Authentischen kommt das raus.

    Ist das so in etwa Ihr Gedankengang?

  8. @MX:

    Schade, dass man Kommentare nicht liken kann.

  9. Nein, es geht nicht darum, den Wahnsinn der Schwurbler*innen zu verteidigen, sondern zu erklären, warum die sich nicht für die Fakten interessieren.

    Und sie erkennen eben selbst nicht ihre materiellen Interessen, weil sie ganz im Sein-Sollens-Fehlschluss befangen sind, aber glauben, von den Expert*innen über das Sein belogen zu werden. Aber beide Gruppen streiten nur über das Sein.

    Warum die Schwurbler*innen sich überhaupt für das Sein zu interessieren scheinen, gerät dabei aus dem Blick.

  10. Und nun zu den Fakenews zum Wochenende …

    https://www.tagesschau.de/faktenfinder/corona-demo-berlin-109.html

    Die lernen schnell von Trump :-/

  11. „Viele, die in Berlin mitmarschiert sind, wollen die Wirklichkeit nicht zur Kenntnis nehmen. Doch es sind nicht nur Fanatiker. Wer, wie SPD-Chefin Esken, auch die Labilen, Frustrierten und Unentschiedenen zu „Covidioten“ macht, gibt sie vorschnell verloren.“

    https://www.sueddeutsche.de/politik/corona-demonstrationen-berlin-1.4986330

  12. @Bernd Harder

    Ist doch gut wenn es weiterverbreitet wird. Die absurden Schätzungen der Veranstalter und der Multiplikatoren sind der Verbreitung von Fakenews überführt. Die Bilder sprechen für sich. Erinnert halt ein wenig an die Amtseinführung von Trump. Hat man sich wohl versucht etwas abzugucken.
    Also nur falls das irgendwie zu Mißverständnissen geführt haben sollte ;-)

  13. @Boldon:

    Also nur falls das irgendwie zu Mißverständnissen geführt haben sollte ;-)

    Nein, nur zur Ergänzung.

  14. Akteneinsicht? Ballaballa plemplem!

    Das Verhalten der Veranstalter dieser sogenannten „Pandemieende“-Demo hat auch etwas Gutes. Es zeigt eine gewisse Verzweiflung, wenn sie versuchen eine Teilnehmeranzahl von 20000 (ich bin großzügig) auf mehr als 1 Million hochzustilisieren. Mit so einer Taktik hat ein Bodo Schiffmann erst vor kurzem Schiffbruch erlitten, als er seine „Partei“ Widerstand2020 zur neuen Volkspartei erklären wollte.

    Mit absolut abstrusen Zahlen und Einschätzungen kann man bei einer kleinen dafür empfänglichen Personengruppe Eindruck schinden, der Rest wird sich kopfschüttelnd und lachend abwenden.

    Viel lernen die neuen „Volksführer“ noch müssen.

  15. Eine aktuelle Umfrage des SPIEGEL durch das Meinungsforschungsinstitut Civey zeigt nun: Die Deutschen haben mehrheitlich wenig bis kein Verständnis für die Demonstranten und ihre Anliegen.

    https://www.spiegel.de/politik/deutschland/coronavirus-deutsche-haben-wenig-verstaendnis-fuer-corona-proteste-a-dedc28f3-94d1-4869-8246-d5d470ecdc95

  16. Wie ich schon in einem anderen Kommentar schrieb: In „normalen“ Zeiten würde man darüber lachen, da aber Menschenansammlungen, ohne Hygiene-Maßnahmen in „Pandemie-Zeiten“, ein potenzielles Risiko für die „Volksgesundheit“ sind, um in dem Duktus der Rechen zu bleiben..ist es nicht mehr lustig…

    In „normalen“ Zeiten können sich gerne mehre Millionen Menschen zum Affen machen, das ist mir egal, aber in „Pandemie-Zeiten“ ist das potenziell gefährlich: Hier sollte man wirklich abwägen, was schwerer wiegt: die Versammlungs-Freiheit, oder „das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“.

  17. Gestern bei „Frontal 21“:

    https://www.zdf.de/politik/frontal-21/warum-ist-qanon-so-gefaehrlich-100.html

    Manchmal glaube ich, daß ich träume…noch vor ein paar Jahren, hätte ich mir nicht vorstellen können, daß es Menschen gibt, die auf so was hereinfallen…unglaublich…vielleicht wache ich doch noch auf ;-)

    „QAnon“ ist entweder ein „Scherz“ eines Einzelnen, oder eine Strategie von Helfern Trumps…in der er der Messias ist…unglaublich, aber das wird seinem narzisstischen Ego schmeicheln. Aber was ich mich frage: Wie können vernunftbegabte Menschen diesem Scheiß Glauben schenken?

    Der flennende Naidoo…was ist in seinem Leben schief gelaufen? – Er muß froh sein, daß er so ein musikalisches Talent hat und auch damit zahlreiche Erfolge feiern konnte…was zum Teufel hat ihn geritten, daß er so abgedriftet ist? – War es vielleicht das jahrelange Kiffen? – Welches natürlich zu Psychosen führen kann, wenn man dafür eine Prädisposition hat.

  18. Zum Schmunzeln aber auch Nachdenken

    https://scienceblogs.de/gesundheits-check/2020/08/06/hunderttausende-auf-der-strasse-franken-rufen-zum-widerstand-gegen-alternative-fakden-auf/

    Btw: Was genau zum Henker ist ein „Aussscheidungskommunikator“?
    Ein Scheißerle-Besprecher? Oder AA-Flüsterer? Vielleicht auch Töpfchenbeschwörer?

  19. @ Ralf fast nüchtern

    „War es vielleicht das jahrelange Kiffen?“

    Vielleicht. Muss aber nicht sein. Wer Menschenkenner (und Beobachter) ist, weiß, dass mindestens ein Drittel der Deutschen „einen an der Klatsche“ haben. Bei manchen unter ihnen ist dies für Außenstehende/Fremde nur minimal zu erkennen, bei anderen wiederum spürt man das intensiver. Wohlgemerkt, ich spreche nicht von offiziell Erkrankten.

    Bei prominenten Personen fällt das nur schneller auf, weil von der Tasse, die im Schrank fehlt, oft die Medien erfahren oder die Promis selbst dafür sorgen, dass ihr Verhalten und ihre Ansichten öffentlich verbreitet werden.

    Wir sind vermutlich alle nicht perfekt. Mir fällt nur auf, dass immer mehr Menschen recht seltsam – manche sogar äußerst gefährlich – ticken.

    Hoffentlich entwickelt sich daraus keine (tickende) Zeitbombe! Oder ist sie evtl. schon längst da?

  20. @ Ralf fast nüchtern

    Aber ausgerechnet Naidoos aktuelles Verhalten ist ja nichts Neues (*), sondern es war schon seit vielen Jahren auch zum Höhepunkt seiner Karriere erkennbar, wenn auch nicht in der jetzigen extremen Ausprägung. Nur wollten es viele seiner Fans und Künstlerkollegen nicht wahrhaben und haben jeden „Ausrutscher“ zu ignorieren, entschuldigen oder wegzureden versucht.

    https://www.psiram.com/de/index.php/Xavier_Naidoo

    (*) Naidoo 1999 im Interview: „Ich bin ein Rassist, aber ohne Ansehen der Hautfarbe“

    https://www.musikexpress.de/xavier-naidoo-im-interview-ich-bin-ein-rassist-aber-ohne-ansehen-der-hautfarbe-2-150829/

  21. Nach einer aktuellen, repräsentativen Umfrage des Forsa-Instituts im Auftrag der RTL-Medien-Gruppe
    lehnen ca 90% der Deutschen die Demos der Verschwörungs-Geschäfte-Macher und ihrer AnhängerInnen ab.
    (Allerdings kann ich die orignale Fragestellung für diese Angabe, also die Quelle, nirgens finden)

    https://www.rtl.de/cms/rtl-ntv-trendbarometer-zu-anti-corona-demos-91-prozent-der-bundesbuerger-haben-kein-verstaendnis-4592263.html

  22. @Karsten Hilsen:

    Ja, das klang die Tage schon mal an, nach Parteienzugehörigkeit aufgeschlüsselt:

    https://twitter.com/NatalieGrams/status/1290343465017135104/photo/1

  23. Je länger die Einschränkungen andauern, umso mehr Zustimmung und Zulauf werden die Demonstranten bekommen. Was, wenn das mit dem Impfstoff noch Jahre dauert oder gar nicht wunschgemäss funzt? Wenn wir in 1 Jahr immer noch keinen Impfstoff haben und die Bevölkerung sich langsam von der Politik hingehalten fühlt?

    Und dann Bundestagswahl. Da könnten Thüringer Verhältnisse herauskommen. Dann ist schon bald wieder 1933.

  24. Schon wieder eine Hygienedemo, schon wieder von Querdenken 711 organisiert. Herr Ballweg hat seine Berufung gefunden.

    https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/stuttgart-hygiene-demo-zieht-durch-die-innenstadt-a-aa27c2eb-8c5d-47eb-9908-c1380def988c

  25. @noch’n Flo
    Ja, das mit dem Impfstoff ist nicht sicher! – Wenn wir – ohne Impfstoff – mit der Pandemie leben wollen/sollen, dann kann das sehr, sehr lange dauern und ich befürchte auch, daß es dann zu einer „sozialen Katastrophe“ kommt…vielleicht wird man letztendlich doch die Pandemie laufen lassen, da die Folgen bei jungen und gesunden Menschen sich in Grenzen halten; Kinder scheinen „immun“ zu sein…anders wäre das bei einer Influenza-Pandemie, die auch unter jungen Menschen zahlreiche Opfer fordern würde.
    Leider ist das Virus aber auch eine „Black-Box“, da viele Spätfolgen noch gar nicht absehbar sind, aber immer mehr zu Tage treten – allein eine Beatmung hat viele Folgen, gerade für ältere Patienten.
    Wir sind noch lange nicht durch mit dem Virus, sondern wir sind immer noch am Anfang…ich habe wenig Hoffnung, was den Herbst und Winter betrifft, wenn wir jetzt schon eine ansteigende Infektionskurve haben.

  26. Kabarettist Florian Schroeder testet die Grenzen der Meinungsfreiheit der Hygienedemonstranten. Diese reagieren unsouverän. Warum nur?

    https://www.rnd.de/panorama/kabarettist-florian-schroeder-tritt-bei-corona-demo-auf-erst-applaus-dann-buhrufe-7UXU2I6YXNCDRPCTT3ZEUKTQOE.html

    Und dazu: Ex-Fußballnationalspieler Thomas Berthold tritt vor selbigen Demonstranten auf. Aber natürlich unterstützt er keine VTler und Rechtspopulisten. Niemals.

    https://www.sportbuzzer.de/artikel/thomas-berthold-corona-massnahmen-kritik-politik-demonstration-stuttgart-demo/

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