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Wissenschaft vs. „Nutriceuticals“: Skeptiker-Interview mit dem Dermatologen Prof. Hans Wolff über seinen Abmahnprozess

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Über einen neuen Äquivalentfall à la Hevert berichten wir im neuen Skeptiker (1/2020):

Der Dermatologe Prof. Dr. Hans Wolff von der Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie in München ist von dem Pharmaunternehmen Quiris Healthcare (Gütersloh) auf Unterlassung verklagt worden.

Den Anlass dafür gab ein Spiegel-Interview, in dem Wolff sich kritisch über Haarwuchsmittel, Kosmetika und ein sogenanntes Nutriceutical geäußert hatte, konkret zu Kollagen-Trinkampullen, welche die Hautalterung von innen beeinflussen sollen.

Obwohl Wolff weder die Firma noch das Produkt überhaupt genannt hatte, fühlte der Hersteller sich angesprochen. Im Januar dieses Jahres kam es zu einem Prozess vor dem Landgericht Hamburg.

Wolff dazu im Skeptiker:

Abgemahnt wurden vier Aussagen von mir. Davon haben die Richter drei als zulässige freie Meinungsäußerung eingestuft, darunter auch die Zitat-Überschrift des Artikels „Absolute Volksverblödung“, bezogen auf die Behauptung des Unternehmens, die aus Schlachttieren hergestellten Substanzen in diesen Trinkampullen würden die eigene Kollagenproduktion verbessen und auf diese Weise zu weniger Falten am ganzen Körper führen.

Weiterhin darf ich sagen, dass das zugesetzte Kollagen in Kosmetikprodukten aus „irgendwelchen Schlachtabfällen“ gewonnen wird. Allerdings habe ich mich freiwillig, gewissermaßen als Akt der Fairness, dazu verpflichtet, diesen abwertenden Begriff nicht mehr zu verwenden, in Zukunft spreche ich von Schlachtnebenprodukten.

Drittens ist mir die Meinung erlaubt, man könne statt Trinkkollagen „genauso Schweinesülze essen“.

Lediglich mit einer Aussage des Mediziners hatte das Gericht Probleme, sie als freie Meinungsäußerung zu akzeptieren:

Diese Aussage wissenschaftlich einwandfrei zu untermauern, hätte für mich einen enormen Aufwand bedeutet, zumal ein solches Verfahren sich über Jahre hinziehen kann und damit finanziell völlig unwägbar wird. Deshalb haben mein Anwalt und ich einen Vergleich geschlossen, der nach meiner Auffassung im Wesentlichen für mich spricht. Auch die Prozesskosten trägt die gegnerische Partei – allerdings nicht meine Anwaltskosten.

Damit war die Geschichte allerdings noch nicht zuende.

Zwei Tage nach dem Skeptiker-Interviewtermin ging Wolff eine weitere Abmahnung von Quiris Healthcare zu, diesmal für eine Äußerung im BR-Magazin quer, das am 6. Februar über den Fall berichtete (in dem Beitrag kommen auch Dr. Natalie Grams und Dr. Erich Eder zu Wort):

https://www.youtube.com/watch?v=TIK6lXszyKA

Auch diesmal ist Wolff nicht gewillt, der Forderung des Unternehmens nachzugeben:

Ich werde auch weiterhin meine Stimme zu Themen wie Haarwuchsmittel, Kosmetik oder Kollagen-Produkten erheben, vor allem dann, wenn ich dazu gefragt werde.

Von der Publikumspresse mal abgesehen plane ich einen umfangreichen Beitrag zum Thema Kollagen-Nutriceuticals in einer angesehenen dermatologischen Fachzeitschrift, in dem ich alle meine diesbezüglichen Erkenntnisse darlege und auch die vielen Widersprüche, die in den vorgeblich positiven Studien drinstecken, aufzeige. Das wird die vielleicht erste kritische, wissenschaftlich zitierbare Arbeit, die sich mit den Fragwürdigkeiten der Kollagenprodukt-Wirkhypothesen und -nachweisen auseinandersetzt.

Natürlich werden sich dadurch die Hersteller und Vertreiber in ihren Geschäften gestört fühlen, wenn es um weltweite Milliardenumsätze geht. Da werde ich dann wohl genauso aggressiv angegriffen werden wie die Ärzte und Wissenschaftler, die es wagen, die biologische Wirksamkeit von Homöopathie in Abrede zu stellen.

Die Firma, die mich nach der quer-Sendung abermals abgemahnt hat, spricht in dem quer-Beitrag ja auch von „Scharlatanerie“ – wohlgemerkt bin damit ich, der Universitätsprofessor für Dermatologie, gemeint.

Auf Anfrage verwies Quiris Healthcare gegenüber der Skeptiker-Redaktion auf verschiedene Studien, die die Wirksamkeit spezieller Trink-Kollagene belegen sollen:

  • Bolke et al., 2019, Nutrients: A Collagen Supplement Improves Skin Hydration, Elasticity, Roughness, and Density: Results of a Randomized, Placebo-Controlled, Blind Study
  • Laing et al., 2020, J Med Food: A Dermonutrient Containing Special Collagen Peptides Improves Skin Structure and Function: A Randomized, Placebo-Controlled, Triple-Blind Trial Using Confocal Laser Scanning Microscopy on the Cosmetic Effects and Tolerance of a Drinkable Collagen Supplement
  • Skov et al., 2019, Nutrients: Enzymatic Hydrolysis of a Collagen HydrolysateEnhances Postprandial AbsorptionRate – A Randomized Controlled Trial
  • Choi et al., 2019, J Drugs Dermatol.: Oral Collagen Supplementation: A Systematic Review ofDermatological Applications
  • Lopez et al., 2019, Molecules: Hydrolyzed Collagen – Sources and Applications

Dem steht Wolffs Einschätzung gegenüber, er habe …

… noch keine einzige Studie gelesen, bei der ich das Gefühl hatte, da hat sich jetzt ein ernstzunehmender Bindegewebs- und Anti-Aging-Forscher unabhängig und kritisch mit der Sache beschäftigt […] Die allermeisten dieser mittlerweile fast 10.000 Arbeiten sind schon von der Konzeption her wissenschaftlich völlig unbrauchbar.

Auch das Laborjournal befasst sich aktuell mit der Thematik und teilt die Auffassung des Münchner Dermatologen:

Ein paar dieser Studien haben wir uns näher angeschaut. Das Ergebnis einer nicht-repräsentativen Analyse war:

In allen Fällen wurden nur Korrelationen beschrieben, nie eine kausale Wirkung dokumentiert. Die Studien selber waren von sehr unterschiedlicher Qualität. Immer waren die Studiengruppen sehr klein, die Effekte ziemlich gering – und die statistische Auswertung oft lückenhaft beschrieben. Ob Ausreißerwerte in die Statistik mit einbezogen wurden oder nicht, wurde nicht immer erklärt. Konfidenzintervalle fehlten meist.

Selber nachrechnen kann man auch nicht, denn die wahren Werte waren nicht publiziert. Manche Studien waren nicht verblindet, manche einfach, andere doppelt. Wieder andere hatten überhaupt keinen Placebo-Arm. Es wurden nicht immer alle Parameter an allen Studienteilnehmern gemessen, wodurch die ohnehin kleinen Studienpopulationen noch kleiner wurden.

Auch zu „Elasten“ äußert sich die Autorin explizit:

Elasten wurde von Forschern der Firma Dermatest untersucht. Ihre erste Studie, in der sie vollmundig behaupten, Elasten habe signifikant positive Effekte, braucht man nicht zu lesen: keine Kontrollgruppe, nur 16 Probandinnen.

Die Nachfolgestudie war deutlich professioneller, nämlich doppelt-verblindet und Placebo-kontrolliert. Allerdings waren auch hier nur 36 Personen in jeder Studiengruppe; und die Altersangabe von „35 Jahre und älter“ ist nicht wirklich aussagekräftig, denn das Alter hat ja maßgeblichen Einfluss auf den Zustand der Haut.

Wie geht es nun weiter?

Möglicherweise kommt es zu einem Wiedersehen der beiden Kontrahenten vor Gericht – für diesen Fall ist ein Fundraising, etwa bei nichtmundtot.org, angedacht.

Wir bleiben jedenfalls dran.

Zum Weiterlesen:

  • Interview mit Professor Dr. Hans Wolff: „Weiterhin die Stimme erheben“, Skeptiker 1/2020
  • „Quer“-Video: Cosmeceuticals, Granderwasser und Globuli vs. kritische Wissenschaftler, GWUP-Blog am 7. Februar 2020
  • Nutricosmeceuticals – Dope oder Fake für die Haut? Laborjournal am 8. Dezember 2019
  • Glatt gelogen? Spiegel+ am 16. August 2019
  • SkepKon-Video: „Wer schön sein will, muss zahlen – Teure Beauty-Produkte und ihre Versprechen aus pharmazeutischer Sicht“ mit Claudia Graneis
  • Kollagenprodukte: Vermeintliche Verjüngungskuren für die Haut, medwatch am 19. März 2020

4 Kommentare

  1. Jedes Stück gehört auf die richtige Bühne: Wissenschaftlicher Streit muss in Publikationen ausgetragen werden, nicht vor Gericht.

  2. Nicht nur Erich Eder und David Bardens, sondern auch viele andere mussten leider die Erfahrung machen, dass sich vor Gericht selbst die Wahrheit in Gottes Hand befindet.

  3. vor ü 50 Jahren war ich während des Studiums mal zu einer „Probevorlesung“ Jura.

    Hängengeblieben ist mir nur eine Antwort des Prof. auf die Frage (Gericht/Recht/gerecht) – bei Gericht wird nicht Recht gesprochen, sondern ein Urteil.

    Da war ich froh daß ich mich für NW entschieden hatte.

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